1111-2011: 900 Jahre Belehnung des Hauses Schauenburg mit Holstein und Stormarn: Ansätze und Perspektiven der Forschung

1111-2011: 900 Jahre Belehnung des Hauses Schauenburg mit Holstein und Stormarn: Ansätze und Perspektiven der Forschung

Organisatoren
Lehrstuhl für Regionalgeschichte, Schwerpunkt Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und früher Neuzeit, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte; Stadt Itzehoe; Tagungsleitung: Oliver Auge; Detlev Kraack; Kirsten Puymann.
Ort
Itzehoe
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.06.2011 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefan Inderwies, Graduate School "Human Development in Landscapes", Universität Kiel

Der chronikalischen Überlieferung zufolge wurde das ursprünglich im Wesergebiet beheimatete Geschlecht der Schaumburger – nördlich der Elbe als Schauenburger anzusprechen – in den Jahren 1110 bzw. 1111 mit der Grafschaft Holstein und Stormarn belehnt. Diesen Anlass, das für die schleswig-holsteinische Geschichte so bedeutende 900-jährige Jubiläum, würdigte die am 04. Juni 2011 im Ständesaal des Alten Rathauses in Itzehoe stattfindende Tagung „1111-2011: 900 Jahre Belehnung des Hauses Schauenburg mit Holstein und Stormarn: Ansätze und Perspektiven der Forschung“. Initiiert wurde die Tagung vom Lehrstuhl für Regionalgeschichte mit dem Schwerpunkt zur Geschichte Schleswig-Holsteins in Mittelalter und früher Neuzeit an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Mitorganisatoren waren die Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte und die Stadt Itzehoe. Die Tagungsleitung oblag Oliver Auge (Kiel), Detlev Kraack (Plön) und Kirsten Puymann (Itzehoe).

Ziel der Tagung war es, nicht nur des Jubiläums zu gedenken, sondern auch neue Forschungsergebnisse vorzustellen, Forschungsperspektiven aufzuzeigen und „Altbewährtes“ zu hinterfragen. Wie vermochten es etwa die nördlich der Elbe zuvor nicht ansässigen Schaumburger, die Gebiete Holstein, Stormarn und Wagrien – sowie später das Herzogtum Schleswig – herrschaftlich, gesellschaftlich und wirtschaftlich so zu prägen, dass durch ihr Wirken das Zusammenwachsen der Territorien zum späteren Land Schleswig-Holstein ermöglicht wurde? Und warum sind diese Leistungen im kollektiven Bewusstsein heute kaum mehr verankert?

Nachdem Oliver Auge bereits in seiner Begrüßung dargelegt hatte, dass es sich bei der vermeintlichen Belehnung Adolfs I. den neueren Forschungen zum Lehnswesen zufolge gar nicht um eine Belehnung, sondern um eine klassische Amtsvergabe gehandelt haben dürfte, skizzierte GÜNTHER BOCK (Großhansdorf) im ersten Vortrag die Möglichkeit, dass eben dieses Ereignis, die Amtsvergabe an Adolf I., als historiographische Konstruktion gedeutet werden kann. Dank der Ergebnisse umfangreicher genealogischer Untersuchungen geht Bock vielmehr davon aus, dass die Hamburger Grafen 1110 überhaupt nicht ausstarben. So sei der in der Salzwedeler Urkunde Kaiser Heinrichs V. vom Juni 1112 bezeugte Heinricus comes als Graf Heinrich II. von Hamburg zu identifizieren. Auch müsse die Stellung der Herren von Barmstede als direkte Nachkommen der billungischen Herzöge in diesem Zusammenhang neu bewertet werden, ebenso wie die Tatsache, dass ein Wirken der Schauenburger insbesondere in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts nördlich der Elbe kaum nachzuweisen sei. Diese Auffälligkeiten ließen, unter Berücksichtigung der grundsätzlich schlechten Überlieferungssituation, den Verdacht einer historiographischen Konstruktion zu.

Ein konkretes Wirken der Schauenburger wird erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts, vor allem aber nach 1227 in den Quellen greifbar. Festzumachen ist dies vor allem an der Initiierung, zumindest aber regen Beteiligung an zahlreichen Städte- und Klostergründungen sowie im Burgenbau. So machte STEFAN INDERWIES (Kiel) deutlich, dass den zahlreichen schauenburgischen Stadtgründungen für die Ausübung der gräflichen Herrschaft eine große Bedeutung zukam. Hierbei spielten im 12. Jahrhundert zunächst nur die Gründung des gräflichen Lübeck und die Initiierung der Neustadt Hamburgs eine nennenswerte Rolle, obgleich die Entwicklung einfacher Siedlungen zu suburbanen regionalen Zentren, teilweise mit Märkten, sicher von ebenso großer Bedeutung war. Gleichzeitig wurden hierdurch die Grundlagen geschaffen, die es den Schauenburgern, vor allem Adolf IV., im 13. Jahrhundert ermöglichten, ein – so hat es den Anschein – „Netz von Städten“ zu schaffen, dessen Intention und Aufgaben noch zu klären seien. Inderwies unterstrich, dass es sich bei den gräflichen Stadtgründungen in den meisten Fällen um Stadterhebungen, um Erweiterungen eines bestehenden Areals oder Überbauungen kleinerer Ansiedlungen und weniger um Neugründungen im eigentlichen Sinne handle. Ebenso sei der tatsächliche Anteil der Schauenburger Grafen bei diesen „städtischen“ Entwicklungen häufig infrage zu stellen, zumal die stadtwerdenden Vorgänge vielfach nur vage überliefert seien.

Anschließend präsentierte NATHALIE KRUPPA (Göttingen) ihre Beobachtungen hinsichtlich der schauenburgischen Klostergründungen. Hierbei auffällig sei eine grundlegende Parallele zu den zuvor thematisierten Städten. So wurden acht geistliche Kommunitäten von den Schauenburgern gestiftet und an zehn weiteren Initiierungen waren die Grafen mehr oder weniger umfangreich beteiligt, was erneut ein „Netz von Klöstern“ erkennen ließe. Der Schwerpunkt lag hierbei offenkundig in Holstein und weniger in ihrem eigentlichen Herkunftsgebiet im Weserraum. Die vor allem im 13. Jahrhundert durch Adolf IV. initiierten Klostergründungen, bezüglich der Auswahl der geförderten Orden durchaus Zeit und Raum entsprechend, seien damit als Zeichen des Landesausbaus und der Herrschaftssicherung zu verstehen, unabhängig vom Seelenheil des Stifters und seiner Familie. Dennoch sei auch hier die tatsächliche Beteiligung der Grafen an den Klostergründungen manches Mal infrage zu stellen.

Ebenfalls als Zeichen der Herrschaftssicherung ist der Burgenbau zu interpretieren. ORTWIN PELC (Hamburg) wies darauf hin, dass jedoch gerade diese Tatsache weitestgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden sei. Die Zahl der schauenburgischen Anlagen dürfte anfangs überschaubar gewesen sein. Es habe den Anschein, dass Adolf I. und Adolf II. auf nur wenige Burgen direkt zugreifen konnten. Neben Hamburg spielten in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vor allem die Burgen in Lübeck und Segeberg, aber auch in Plön, eine zunehmend wichtigere Rolle bei der Ausübung von gräflichen Rechten. Erst aber unter Adolf III., der verstärkt im Westen Holsteins als Burgenbauer hervortrat, und vor allem unter Adolf IV. könne von einer gezielten Burgenpolitik gesprochen werden, als deren Folge zahlreiche weitere Anlagen entstanden. Sei die Errichtung einer gräflichen Burg in Holstein anfangs häufig als direkte Kompensation einer zuvor zerstörten Anlage zu werten, werde durch die Fülle der vor allem im 14. Jahrhundert entstehenden landesherrlichen Burgen, etwa 16 bis 20 Anlagen, der gräfliche Herrschaftsausdruck sichtbar.

Umzusetzen war eine solche Herrschaft nur im Zusammenspiel mit dem holsteinischen Adel. HANS GERHARD RISCH (Hamburg) legte anhand einiger anschaulicher Beispiele dar, wie ambivalent das Verhältnis zwischen den Grafen von Holstein und dem ansässigen Adel im 13. und 14. Jahrhundert war. Offenkundig folgten gemeinsamen Interessen vielfach einander ausschließende. Konfliktreiche Phasen und Zeiten kooperativen Zusammenwirkens wechselten häufig. Unter Berücksichtigung seiner neuesten Untersuchungsergebnisse wies der Referent darauf hin, dass der holsteinische Adel weniger als regional begrenzte, homogene Personengruppe zu verstehen sei – wie von der Adelsforschung häufig angenommen –, sondern vielmehr als stark differenzierte, politisch aktive Schicht mit großem wirtschaftlichen Potenzial und hohem Status, die es durchaus vermochte, in Interaktion mit den Grafen diese sowohl zu unterstützen als auch ihnen zu schaden. Die für das 14. Jahrhundert belegten Adelsbündnisse unterstreichen dies.

Ausschlaggebend für eine stabile Herrschaft und erfolgreiche Politik der Grafen war darüber hinaus in besonderem Maße eine wohl überlegte Heiratspolitik. OLIVER AUGE (Kiel) machte deutlich, dass diese in direktem Zusammenhang mit den politischen Interessen gesehen werden muss. Die insgesamt 70 untersuchten Eheschließungen und die dabei gezahlten Ehegelder zeigen, dass hinsichtlich des Ranges der Familie, in die eingeheiratet wurde, eine markante Entwicklung zu beobachten ist. Seien zunächst Heiraten in andere Grafenhäuser die Regel, unterstreichen vermehrt vorkommende Heiratsverbindungen in den Fürstenstand nach 1326, vor allem in der Linie der Grafen von Holstein-Rendsburg, eine Abhängigkeit und Wechselwirkung von wachsendem Herrschaftsbereich, eigenem Rang und dynastischem Handlungsspielraum. Die Interessen, Intentionen und Ziele der ehelichen Verbindungen seien vielfältiger Natur und gälten vor allem der Bündnis- und Friedenspolitik, aber auch der Herrschaftserweiterung. Die Pinneberger Linie stelle hinsichtlich ihres Konnubiums, aber auch bezüglich der Abschichtung zahlreicher Nachkommen in den geistlichen Stand eine negative Blaupause zu den Rendsburger Grafen dar.

Welche Früchte eine gelungene Heiratspolitik bzw. eine daraus entstehende verwandtschaftliche Bindung mit sich bringen konnte, wird durch das Ausgreifen Graf Gerhards III. von Holstein-Rendsburg nach Norden deutlich. FRANK LUBOWITZ (Apenrade/Flensburg) skizzierte den Weg der Grafen von Holstein zu Herzögen von Schleswig, der ohne ein entsprechendes Konnubium nur schwerlich zu realisieren gewesen sein dürfte. Nach dem Tod Herzog Erichs II. von Schleswig beanspruchte Gerhard III. 1325 die Vormundschaft über seinen noch unmündigen Neffen, den späteren König Waldemar IV. von Dänemark, der ihm in der Constitutio Valdemariana das Herzogtum Schleswig als Fahnlehen übertrug. Seinem Bruder, Johann III. von Holstein-Plön, wurde Fehmarn zugesprochen. Der Verlauf der Geschichte zeige aber auch gleichermaßen, dass der Besitz Schleswigs ein weder durch Familienpolitik noch durch Erblehen vorgezeichneter Weg war. Die unterschiedliche Politik der Brüder Gerhard III. und Johann III. und die sich bis ins erste Drittel des 15. Jahrhunderts ziehenden Auseinandersetzungen der Schauenburger mit Königin Margarethe und Erich von Pommern verdeutlichten, dass die schleswigsche Politik vordringlich von unterschiedlichen Interessens- und Machtkonstellationen abhängig war, aus welchen letztlich der Schleswig-Holsteinische Adel als Sieger hervorgehen sollte.

DETLEV KRAACK (Plön) machte anschließend in seinem Vortrag über das Nachleben der Schauenburger deutlich, dass zwischen einem personenbezogenen und einem das ganze Geschlecht einbeziehenden Gedenken zu unterscheiden sei. Darüber hinaus beginne eine Erinnerung und Würdigung des gräflichen Wirkens in einer ersten Phase bereits im Mittelalter durch den Chronisten Helmold von Bosau und durch die Grabplatte Graf Adolfs IV., der im Franziskanerkloster Kiel im 14. Jahrhundert eine große symbolische Bedeutung beigemessen wurde. Auch in der zweiten, der Oldenburgischen Phase bis 1864 ließe sich sowohl in der Gottorfer Überlieferung als auch auf der dänischen Gegenseite eine Rezeption der schauenburgischen Ära festmachen. Die daran anschließende dritte Phase sei gekennzeichnet durch die Ereignisse jener Zeit. Durch den Deutsch-Französischen Krieg und den 1. Weltkrieg sei ein schauenburgisches Nachleben in den Kontext dieser „nationalen Traumata“ einzubetten, in welchem vor allem die Schlacht von Bornhöved thematisiert wurde. Vor allem aber in der heutigen Zeit seien die Grafen, insbesondere die Errungenschaften der Dynastie, weitestgehend aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden.

Nach einem Grußwort der Stadt Itzehoe durch den Bürgervorsteher Heinz Köhnke schloss JOACHIM STÜBEN (Heist/Hamburg) die Tagung mit seinem Abendvortrag über den Presbyter Bremensis ab. Das von diesem Priester nach 1448 verfasste Chronicon Holtzatiae bettet, unter deutlicher Parteinahme der Rendsburger Linie, das Wirken der Schauenburger in einen universalgeschichtlichen Rahmen ein. Hierin wird Holstein, unter dem Schutz der Jungfrau Maria stehend, sakralpolitisch erhöht und ein Ausgreifen nach Schleswig dadurch legitimiert. Das Land „Holstein“, das Geschlecht „die Schauenburger“ und die Religion bilden die Grundfesten. Der Vortragende unterstrich, dass mittels einer ähnlichen Dreiteilung, nämlich Burg, Stadt und Kloster, Itzehoe durch den Presbyter eine zentrale Bedeutung als Bollwerk gegen die Dänen und Begräbnisort der Grafen zukam. In gewisser Hinsicht könne das Chronicon Holtzatiae somit als ein weiteres Beispiel für die im vorigen Vortrag geschilderte Würdigung der Schauenburger Grafen und Herzöge interpretiert werden.

Die von hohem wissenschaftlichem Wert geprägte Tagung machte zweierlei deutlich:

Zum einen gelang es aufgrund der inhaltlich wertvollen Vorträge, ein Bild der Schauenburger Grafen zu zeichnen, in welchem ihr Wirken für Holstein und Stormarn deutlich wurde. Insbesondere die Initiierungen und Gründungen von Burgen, Städten und Klöstern, aber auch eine gezielte Heiratspolitik lassen einen raumgreifenden Herrschaftsanspruch der Schauenburger erkennen, welcher in der Folge das Gebiet nördlich der Elbe nachhaltig beeinflusste und bis heute prägt. Vor allem bezüglich ihres Ausgreifens nach Schleswig, aber auch durch das ambivalente Verhältnis zum holsteinischen Adel wurden gleichzeitig die Möglichkeiten und Grenzen des schauenburgischen Handlungsspielraums dargelegt.

Zum anderen verdeutlichte die Tagung, dass ein Wirken der Schauenburger aber auch häufig infrage zu stellen ist. So ist nördlich der Elbe eine auffallend seltene Erwähnung der Grafen in zeitgenössischen Quellen der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts doch zumindest bemerkenswert. Auch der Umfang einer direkten gräflichen Beteiligung an den Städte- und Klostergründungen muss hinterfragt werden. Häufig unbeantwortet bleibt diesbezüglich die Rolle des Adels. Den offenkundig – im Vergleich zum Mittelalter – kaum im kollektiven Gedächtnis verankerten Leistungen der Schauenburger Dynastie wirkte die Tagung in würdevollem Maß entgegen. Viele weiterhin offene Fragen unterstreichen die Notwendigkeit intensiver Forschungsarbeit auf diesem Gebiet.

Konferenzübersicht:

Günther Bock (Großhansdorf): Das Ende der Hamburger Grafen – eine historiographische Konstruktion

Stefan Inderwies (Kiel): Die Schauenburger als Städtegründer und als Stadtherren

Nathalie Kruppa (Göttingen): Die Klostergründungen der Schauenburger

Ortwin Pelc (Hamburg): Die Burgen und Residenzen der Schauenburger in Nordelbingen

Gerhard Risch (Hamburg): Die schauenburgischen Grafen und der holsteinische Adel im 13. und 14. Jahrhundert

Oliver Auge (Kiel): Die Familien- und Heiratspolitik der Schauenburger Dynastie

Frank Lubowitz (Apenrade/Flensburg): Von Grafen zu Herzögen: Die Schauenburger und Südjütland/Schleswig

Detlev Kraack (Plön): Das Nachleben der Schauenburger als Grafen von Holstein

Öffentlicher Abendvortrag
Joachim Stüben (Heist/Hamburg): Die Schauenburger und Itzehoe im Presbyter Bremensis


Redaktion
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