Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den "österreichischen" Ländern (ca. 1450–1815). 1. Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

Die Stimme der ewigen Verlierer? Aufstände, Revolten und Revolutionen in den "österreichischen" Ländern (ca. 1450–1815). 1. Jahrestagung des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung

Organisatoren
Peter Rauscher / Martin Scheutz, Institut für Österreichische Geschichtsforschung und Institut für Geschichte, Universität Wien; in Kooperation mit dem Wiener Stadt- und Landesarchiv
Ort
Wien
Land
Austria
Vom - Bis
18.05.2011 - 20.05.2011
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Von
Herwig Weigl, Institut für Österreichische Geschichtsforschung / Institut für Geschichte, Universität Wien

Im Zuge des gestiegenen Interesses an der Geschichte der Habsburgermonarchie als zusammengesetztes, multiethnisches und konfessionell wie politisch vielfältiges, nicht auf die namengebende Dynastie reduzierbares Gebilde, das mittlerweile sogar in Österreich bemerkbar ist, einerseits und der (fast) zur Gewohnheit gewordenen Kommunikation zwischen den ForscherInnen der sogenannten Nachfolgestaaten (einschließlich Österreichs) andererseits konstatierten die Organisatoren eine starke Bevorzugung der Adels- und Elitenforschung, während die „kleinen Leute“ nach wie vor weitgehend der Lokalforschung überlassen blieben, obwohl sie letztlich die Hauptbetroffenen von der Intensivierung staatlicher bzw. obrigkeitlicher Herrschaft waren. Um dem abzuhelfen und um die notwendigen Übungen in angewandter Mythenbekämpfung zu absolvieren, sollte die von Martin Scheutz und Peter Rauscher (beide Wien) konzipierte Tagung einen ersten Schritt tun und, wie in manchen Beiträgen offen eingeräumt wurde, zunächst das Terrain sondieren und eher die Fragen als die Antworten finden. Dementsprechend heterogen waren die Zugänge der einzelnen Beiträge, der programmatische Fragenkatalog1 konnte nur zum Teil abgearbeitet werden und der widerständige Adel machte den widerständigen Untertanen weiterhin Konkurrenz, was alles der Produktivität der Tagung keinen Abbruch tat. Mikro- und Makro-Perspektive, generelle und Einzelfragen, länderbezogene und übergreifende Phänomene griffen durchaus ineinander, und auch die Einbeziehung der Schweiz – als Herkunftsgebiet der Dynastie, als Nachbar habsburgischer Herrschaften auch im Untersuchungszeitraum oder als Labor mit gut dokumentierten und untersuchten Konfliktkonstellationen – bewährte sich gut. Ob die in der Schlussdiskussion vorgebrachte Anregung, der Tagung eine Serie weiterer Treffen zum Thema folgen zu lassen, aufgegriffen wird, bleibt abzuwarten. Die bevorstehende Aushungerung der nichtkommerziellen Wissenschaft könnte die Verlierer in ihrer Position fixieren.

In der regionalgeschichtlichen Sektion kontrastierte MARTIN PAUL SCHENNACH (Innsbruck) die Aufstände und Unruhen in der Grafschaft Tirol mit denen in den habsburgischen Vorlanden und beleuchtete die Konfliktfelder und Auslöser, die Akteure, die Legitimierungs- und Pazifizierungsstrategien und die Ergebnisse, wobei die Oberösterreichische Regierung, die immer wieder die Ereignisse von 1525 beschwor, vorwiegend vorsichtig agiert habe. Wie groß die Forschungslücken sind, zeigte MARTIN SCHEUTZ (Wien), der die Länder ob und unter der Enns einander gegenüber stellte. Während im ersten, wohl aufgrund des für die Landesidentität vereinnahmten Bauernkrieges von 1626, der bäuerliche Widerstand zumindest ereignisgeschichtlich gut bearbeitet sei, fehle eine solche Forschungstradition im anderen, was die Optik des aufmüpfigen und des ruhigen Landes sehr in Frage stelle. Neben der vorhandenen oder fehlenden wissenschaftlichen behandelte Scheutz auch die zeitgenössische mediale Aufbereitung und die Gedächtniskultur der Unruhen, die hier konsequenter kriminalisiert wurden als in Tirol. Große regionale Unterschiede und zeitliche Verschiebungen bei den Untertanenprotesten innerhalb Böhmens und Mährens konstatierte JAROSLAV ČECHURA (Prag), der dabei weitgehend ohne die traditionelle Zäsur von 1620 auskam. Seine Interpretation, dass die Unruhen, wenn sie ausbrachen, mehr aus der subjektiven Wahrnehmung der Abhängigkeiten als aus deren Untragbarkeit zu erklären seien, führte erwartungsgemäß zu Diskussionen. Das verstärkte Eingreifen der staatlichen Obrigkeit in das Verhältnis der Herrschaften zu ihren Untertanen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erschien in seinem Referat als Erfolg des Widerstandes, während die beiden ersten Referate den entsprechenden Befund eher als den härteren Zugriff der fernen und daher kompromisslosen Zentrale präsentierten. MATTHIAS WEBER (Oldenburg) führte Schlesien betreffende Forschungsdefizite darauf zurück, dass weder Polen noch die DDR sich für diesen Untersuchungsgegenstand zuständig fühlten. Er sprach auch Fragen der Sozialdisziplinierung, die übergreifend Thema bleiben sollten, und des Bauernschutzes in der kleinteilig strukturierten Region an. Über die Aufstände der bäuerlichen Untertanen hinaus behandelte GÉZA PÁLFFY (Budapest) auch die ständeübergreifenden Unruhen des Adels in Ungarn, die, gegen die habsburgische Fremdherrschaft gerichtet, sich in der nationalen Geschichtsschreibung mit oder ohne kommunistische Vorzeichen besser verwerten ließen. In Dalmatien, Kroatien und Slawonien als Nebenländern der ungarischen Krone machte NATAŠA STEFANEC (Zagreb) vor allem in der Militarisierung der Grenze zum Osmanischen Reich und in der Monetarisierung der Abgaben die Hauptursachen für Aufstände im 16. Jahrhundert aus – nach 1750 nahmen die Unruhen ab –, während in der Folge Robot und Leibeigenschaft zu Themen geworden seien. Wie in Tirol und ob der Enns habe man zeitweise auf Rückhalt beim Kaiser gegen die lokalen Instanzen gehofft.

Die zweite Sektion fragte nach der Anwendbarkeit „großer Theorien“ zur Erklärung von Aufständen. THOMAS WINKELBAUER (Wien) bot einen Überblick über die Konzepte der Konfessionalisierung und der Sozialdisziplinierung in der Forschung und fügte ihnen den Aspekt der Kommerzialisierung der Grundherrschaften (Stichwort Wirtschaftsherrschaften), die als Motiv hinter den herrschaftlichen Policeyordnungen gestanden seien, hinzu. In letzteren hätten die katholischen wie die protestantischen Herren ihren Untertanen aber auch die Gehorsamspflicht eingeschärft. Während sich kein direkter Zusammenhang zwischen dem Erlass solcher Ordnungen und Aufständen feststellen lasse, hätten zwar gegenreformatorische Maßnahmen solche hervorgerufen, jedoch habe langfristig die letztlich wieder gemeinsame Konfession stabilisierend gewirkt. Einen (wenn nicht globalen, so doch transatlantischen) Überblick über sein viel diskutiertes Konzept des Kommunalismus bot PETER BLICKLE (Saarbrücken) selbst. Er verwies auf kommunalistische Ideen in der Praxis von Aufständen wie in der Theorie politischer, theologischer und kirchenrechtlicher Diskurse und knüpfte immer wieder kleinteilige, konkrete Beispiele an die große Linie. Kritische Fragen provozierte das auch von ihm konstatierte Abrücken der städtischen von ländlichen Gemeinden, von deren grundsätzlicher Nähe zueinander nicht alle Diskutierenden überzeugt waren. Die Frage, ob das vorwiegend an „westlichen“ Verhältnissen entwickelte Konzept im „Osten“, also auch in der Habsburgermonarchie und darüber hinaus, anwendbar ist, wird sich nur diskutieren lassen, wenn man es dort ernsthaft anzuwenden versucht. PETER RAUSCHER (Wien) analysierte unter dem Aspekt des „Wachstums der Staatsgewalt“ die Rolle des Adels, der den Zugriff auf die Untertanen gehabt, die vor allem wegen der Kriegskosten steigenden Forderungen des Fürsten auf sie überwälzt und diesen möglichst von ihnen fern gehalten habe, damit also der hauptsächliche Adressat bäuerlichen Widerstands gewesen sei. Erst die Reformen des 18. Jahrhunderts und die Etablierung der Kreisämter hätten diese Barriere durchbrochen. ERICH LANDSTEINER (Wien), der von zahlengesättigten Wirtschaftsdaten ausgehend Böhmen und Österreich in den Blick nahm – sein Koreferent EDUARD MAUR (Prag) hatte krankheitshalber absagen müssen –, vertrat die gegenteilige Ansicht, dass die adeligen Herrschaften nicht dem Staat im Weg gestanden seien, sondern aufgrund ihrer Wahrnehmung staatlicher Aufgaben selbst den Staat verkörpert hätten. Den Zusammenhang von Ökonomie und Aufständen veranschaulichte er anhand der Reaktion der Herren auf wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die dann Widerstand hervorriefen, und wertete die reale Belastung durch die Robot gravierender als Jaroslav Čechura es getan hatte. Schließlich brachte Landsteiner mit dem obderennsischen Laimbauer-Aufstand noch einen neuen Typ ins Spiel, nämlich die Erhebung der Unbehausten, an deren Niederschlagung auch die behausten Bauern – ein weiterer Begriff, den er problematisierte – interessiert war.

Die Rolle der Medien im Zusammenhang mit Revolten untersuchte ANDREAS WÜRGLER (Bern) von zwei Seiten: einerseits die Medien der Austragung vom Gespräch bis zur Gewalt, andererseits die kommerzialisierte Behandlung der Revolten in Buch- und Flugblattdruck, Lied und Bild. WOLFGANG BEHRINGER (Saarbrücken) führte mit der Klimaverschlechterung des späten 16. Jahrhunderts einen weder von Herren noch Untertanen zu kontrollierenden äußeren Akteur ein. Die Reaktion der in Schwierigkeiten kommenden Untertanen darauf habe sich nicht zwingend gegen die Herren gerichtet, da man ein Ventil im Hexerei-Vorwurf gegen StandesgenossInnen gefunden habe.

Den Akteuren war eine weitere, kürzere Sektion gewidmet. JIŘÍ DUFKA (Brno) suchte an mährischen Beispielen die Sprecher der Aufständischen und deren Widerstandsrituale (etwa das Abschneiden der Haare) zu erfassen, aber auch die Rolle der Unbehausten und der in Revolten anders als Männer behandelten Frauen. ANDREA PÜHRINGER (Grünberg) konstatierte in den wirtschaftlich wenig potenten österreichischen Städten eine eher geringe Widerstandsbereitschaft, obwohl Konflikte mit den Stadt- oder Pfandherren oder der minderberechtigten Stadtbewohner mit den Ratsbürgern nicht ausblieben. Der Landesfürst habe sich bei innerstädtischen Unruhen als konfliktlösende Instanz etablieren können. Am explosivsten seien noch konfessionelle Fragen gewesen. ARNO STROHMEYER (Salzburg) bündelte in seiner Darstellung die grundlegenden politischen Semantiken des frühneuzeitlichen Adels im Land ob und unter der Enns und thematisierte, was schon mehrfach angeklungen war: die Stellung des Adels zwischen Loyalitätsverpflichtung und Widerstandsrecht, als Unterdrücker und Unterdrückter, als Obrigkeit und Aufständischer.

Unter dem nicht ganz geglückten Titel „kulturgeschichtliche Zugänge“ waren die letzten drei Referate versammelt. ALEXANDER SCHUNKA (Gotha) widmete sich dem Raum, der derzeit auch unter „große Theorien“ hätte gepackt werden können. Hier ging es um die Aneignung und Wiedergewinnung realer wie symbolischer Räume durch die Konfliktgegner, die Schauplätze des Performativen von der Prozession bis zur Hinrichtung und die Möglichkeiten der Reintegration. Schunkas Fazit lautete: Je fragiler die Widerstandsbewegung, desto wichtiger schien der „eroberte“ Raum. ANDRÉ HOLENSTEIN (Bern) legte im Sinne einer Typologie einen systematischen und beeindruckend dichten Raster über mögliche Konfliktkonstellationen innerhalb der Eidgenossenschaft und der einzelnen Kantone, ihre Gegenstände, Austragungsformen und Lösungsmöglichkeiten. Schließlich präsentierte ELISABETH GRUBER (Wien) die Erinnerungsgeschichte des obderennsischen Bauernaufstands von 1626 und seines Hauptprotagonisten Stefan Fadinger, unter anderem anhand von Straßenbenennungen und deren Wandel in Erster Republik, Ständestaat, NS-Reich und Zweiter Republik und der heute wieder unbefangen aufgeführten Dramatisierung einer jedem oberösterreichischen Schulkind bekannten Episode aus dem Bauernkrieg, die ein notorischer Nationalsozialist verfasst hatte.

In seiner Zusammenfassung, die wesentliche Punkte der einzelnen Vorträge noch einmal hervorhob, verwies KARL VOCELKA (Wien) auch auf die sich in mehreren Beiträgen abzeichnende Zäsur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, die die Sinnhaftigkeit des gewählten zeitlichen Rahmens unterstrich. In der Schlussdiskussion zeigten sich die Teilnehmenden neben den Diskussionen über die „Unruhe-Terminologie“ (Aufstand, Revolte, Rebellion etc.) einig, dass man auf dem Weg der Überwindung nationalstaatlich beschränkter Historiographien schon ein gutes Stück vorangekommen ist, man aber in Bewegung bleiben müsse – was nicht zuletzt eine Frage der österreichischen wie internationalen Forschungsförderung sein wird.

Konferenzübersicht:

Peter Rauscher / Martin Scheutz (Wien), Einleitung

Regionalgeschichtliche Sektion: Aufstände und Unruhen in den habsburgischen Ländern

Martin Paul Schennach (Innsbruck), „Ist das Gaismairsche Exempel noch in Gedächtnis“. Unruhen in den oberösterreichischen Ländern

Martin Scheutz (Wien), Verdichtungen und Einzelereignisse. Unruhen in den nieder- und innerösterreichischen Ländern der Frühen Neuzeit

Jaroslav Čechura (Prag), Zu spät und zu friedlich? Die Bauernrevolten im Böhmen und Mähren von 1500 bis 1800

Matthias Weber (Oldenburg), Soziale und konfessionelle Unruhen in Schlesien in der Frühen Neuzeit

Géza Pálffy (Budapest), Ewige Verlierer oder ewige Gewinner? Aufstände in Ungarn in der Frühen Neuzeit

Nataša Stefanec (Zagreb), Typology of Uprisings in the Kingdoms of Dalmatia, Croatia and Slavonia (16th–18th centuries)

Große, „alles erklärende“ Theorien und ihr Bezug zu den Aufständen

Thomas Winkelbauer (Wien), Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung

Peter Blickle (Saarbrücken), Kommunalismus

Peter Rauscher (Wien), Krieg – Steuern – Justiz. Wachstum der Staatsgewalt und bäuerlicher Protest in den österreichischen Ländern

Erich Landsteiner (Wien), Herrschaftliche Ökonomie und bäuerlicher Protest: Aufstände und Unruhen der untertänigen Landbevölkerung in den böhmischen und österreichischen Ländern

Andreas Würgler (Bern), Revolten und Medien – Medien und Revolten

Wolfgang Behringer (Saarbrücken), Druck von außen: Panikreaktionen auf Krisenzeiten in Vorderösterreich am Beispiel von Hexenprozessen

Soziale Strukturen der Aufständischen: Bauer, Bürger, Edelmann

Jiří Dufka (Brno), Bauernunruhen. Träger, ihre Strategien und parallele innerdörfliche Konflikte

Andrea Pühringer (Günberg), Aufruhr – Ausnahmefall oder Strukturelement des Politikgeschehens in vormodernen Städten

Arno Strohmeyer (Salzburg), Politische Leitvorstellungen des Adels bei frühneuzeitlichen Unruhen

Kulturgeschichte: „Stefan Fadinger“ in der Stadt? – kulturgeschichtliche Zugänge

Alexander Schunka (Gotha), Revolten und Raum – Aufruhr und Bestrafung im Licht des „Spatial Turn“

André Holenstein (Bern), Konfliktkulturen. Beobachtungen aus der Perspektive der eidgenössischen Konfliktgeschichte

Elisabeth Gruber (Wien), Stefan Fadinger in der Stadt? Aneignung aufrührerischer Elemente als Erinnerungsgeschichte

Schlussdiskussion

Karl Vocelka (Wien), Versuch einer Zusammenfassung

Anmerkung:
1 Siehe <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=15909> (08.06.2011).