Von Mozarabern zu Mozarabismen? Zur Vielfalt kultureller Ordnungen auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Von Mozarabern zu Mozarabismen? Zur Vielfalt kultureller Ordnungen auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Organisatoren
DFG-Projekt „Die Mozaraber. Kulturelle Identität zwischen Orient und Okzident“
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
17.02.2011 - 19.02.2011
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Von
Viktoria Trenkle, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„Von Mozarabern zu Mozarabismen? Zur Vielfalt kultureller Ordnungen auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter“ – unter diesem Titel stellte eine Tagung an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die dort im Rahmen des DFG-Projekts „Die Mozaraber. Kulturelle Identität zwischen Orient und Okzident“ verfolgte Neuausrichtung der traditionsreichen Mozaraber-Forschung einer internationalen Fachöffentlichkeit zur Diskussion. Wie MATTHIAS MASER (Erlangen) einleitend darlegte, sollten nicht mehr die in der bisherigen Forschung dominierenden Bemühungen im Vordergrund stehen, die Mozaraber mittels sozial- oder kulturgeschichtlicher Methoden und unter Ausblendung einzelner Dimensionen des vielschichtigen Quellenbegriffs als vermeintlich homogene Personengruppe zu definieren. Stattdessen sei der Blick auf Mozarabismen als kulturelle Signaturen im identitären Profil von Individuen, Gemeinschaften und Objekten zu richten, welche die Zeichennutzer oder -träger in Beziehung zu den islamisch-arabischen Kultur- und Lebensformen des Andalus setzten. Die Betrachtung der Mozarabismen auf der Zeichenebene biete ein Modell zur Erfassung heterogener kultureller Semantiken und zeige jenseits holistischer Kulturkonzepte eine Vielzahl transkultureller Überschneidungen durch Transfer und Adaption auf.

In fünf Sektionen zu den Themen „Religion, Gemeinschaft, Sprache, Raum und Zeit als Ordnung“ wurde am Beispiel ausgewählter Ergebnisse des im Rahmen des SPP 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im Europäischen Mittelalter“ betriebenen Erlanger Forschungsprojekts aufgezeigt, welche Interpretationsmöglichkeiten ein methodischer Neuansatz für die Mozaraberforschung bietet. Darüber hinaus diskutierten Experten der internationalen Mozaraberforschung das Erlanger Mozarabismus-Konzept für weitere Fallbeispiele. Der Kongress richtete dabei bewusst den Blick über die iberische Geschichte hinaus: In methodischen Kommentaren stellten Respondenten Ansätze zur Erforschung vergleichbarer kultureller Phänomene gegenüber und loteten so Grenzen und Möglichkeiten des Erlanger Ansatzes aus.

Die Sektion „Religion als Ordnung“ eröffnete PETER BRUNS (Bamberg). In Auseinandersetzung mit der These, die auf der Iberischen Halbinsel im 8. Jahrhundert heftig umstrittene adoptianistische Christologie sei auf islamische Einflüsse zurückgegangen, beschäftigte er sich mit deren Vorläufern aus der Zeit vor der muslimischen Invasion von 711. Anhand patristischer Quellen zeigte er auf, dass die Wurzeln des Adoptianismus in der vorchalzedonischen Christologie und dem Pränestorianismus lagen, die auf der Iberischen Halbinsel nie völlig verschwunden seien. Die in den Quellen des 8. Jahrhunderts greifbare Darstellung des Adoptianismus als Neuerung sei deshalb als Topos zu verstehen.

DANIEL POTTHAST (Erlangen) erörterte in seinem Vortrag Hybridisierungsprozesse bei der Übernahme fremder Wissensordnungen anhand der hiğāb-Christologie. Dabei charakterisierte er eine aus dem 11. und 12. Jahrhundert tradierte Christologie, welche die menschliche Natur Christi als Schleier der göttlichen Natur beschreibt. Dabei übernähmen die Texte Inhalte weitgehend aus der orientchristlichen Polemik, führten diese aber als rationaltheologische Beweise in den Diskussionen um die Inkarnation Gottes einer neuen Funktion zu. Die hiğāb-Christologie sei jedoch nicht allein Teil einer apologetischen Strategie gegen den Islam gewesen, sondern auch außerhalb entsprechender Kontexte als Inhalt des Christentums begriffen worden. In einem weiteren Untersuchungsschritt überprüfte Potthast mögliche lateinische Überlieferungszeugnisse der hiğāb-Christologie, hielt aber eine Verbindung zur Bekleidungsmetaphorik bei Elipandus für ebenso fragwürdig wie Einflüsse des andalusischen Christentums auf die bei Petrus Lombardus greifbare habitus-Christologie.

THOMAS BURMAN (Knoxville) vertrat in seinem Vortrag die These, dass noch im 12. und 13. Jahrhundert kulturelle Einflüsse von mozarabischen Gemeinschaften ausgegangen seien. Dieser zeige sich im christlichen Herrschaftsbereich der Iberia in pseudo-kufischen Inschriften oder in arabischen, vom religiösen Denken arabisierter Christen geprägten Münzumschriften. Gerade auch Polemik und Apologetik seien von Mozarabern beeinflusst gewesen, wie sich anhand der Beispiele des Liber denudationis sowie der Koranübersetzung des Markus von Toledo belegen lasse. Die Rezeptionsgeschichte der beiden Werke mache des Weiteren mozarabische Einflüsse weit über die Iberische Halbinsel hinaus deutlich.

LUDWIG VONES (Köln) beschäftigte sich mit der seit dem 11. Jahrhundert durch das Papsttum vorangetriebenen Abschaffung des altspanischen Ritus. Die Widersprüchlichkeit dieses Prozesses habe nicht zuletzt aus der rituellen und rechtlichen Eigenständigkeit der auch durch den Liturgiewechsel nicht aufgelösten mozarabischen Gemeinschaften und aus deren stetigem Anwachsen im Zuge der fortschreitenden Reconquista resultiert. Ins Zentrum seiner Ausführungen rückte Vones Toledo, das sich durch das besonders intensive Zusammenwirken von Erzbischöfen und Papsttum im Vorgehen gegen mozarabische Gemeinschaften ausgezeichnet habe. Erst durch die Assimilation und Integration mozarabischer Familien in die Kirche und die Gesellschaft sei es im 13. Jahrhundert zu einer Auflösung der Gemeinden und zur allmählichen Abschaffung des mozarabischen Ritus gekommen.

Am Anfang der Sektion „Gemeinschaft als Ordnung“ stand der Beitrag von CHRISTIAN SAßENSCHEIDT (Erlangen). Der Vortrag stellte in Frage, dass das Konzept der „Mozaraber“ als Gruppe, die kulturell durch das Arabische und die mozarabische Liturgie geprägt war, für das soziale Umfeld der sogenannten mozarabischen Parroquias Toledos tragfähig sei. So konstatierte Saßenscheidt die eher geringe ökonomische Rolle dieser sechs Gemeinden in der Toledaner Gesellschaft. Auf Grundlage prosopographischer Studien verdeutliche er zudem, dass nur wenige Kleriker aus den besagten Gemeinden dem mozarabischen Rechtskreis entstammten. Beziehungen zwischen den Familien dieses Rechtskreises sowie von Personen mit dem Eigennamen „Mozaraber“ zum Klerus der den Mozarabern zugewiesenen Kirchen Toledos könnten ebenfalls nur punktuell nachgewiesen werden. Ein konsistentes kulturelles „mozarabisches“ Umfeld aus Sprache, Herkunft, Rechtskreis und Liturgie sei deshalb in Toledo für größere Personengruppen nicht nachweisbar.

Im Rahmen seines Beitrages widmete sich RICHARD HITCHCOCK (Exeter) der widersprüchlichen frühneuzeitlichen Rückbesinnung auf die Mozaraber. Als positive Selbstbezeichnung sei der Begriff Mozaraber damals Symbol für die Anknüpfung an die christliche Standhaftigkeit unter muslimischer Herrschaft und an bereits von Alfons VI. im 12. Jahrhundert gewährte Rechte verstanden worden. Negativ konnotiert sei die Bezeichnung hingegen zum Ausdruck kultureller und religiöser Kontaminierung von Christen unter muslimischer Herrschaft geworden. Diese Auseinandersetzungen um die Deutung mozarabischer Vergangenheit und die für die Gegenwart abgeleiteten Rechte prägten die frühneuzeitliche Toledaner Stadtchronistik. Einen Höhepunkt hätten die Debatten dabei im 18. Jahrhundert gefunden, als die Personengruppen, die sich auf die Traditionen der Mozaraber beriefen, um eine Bestätigung ihrer Rechte durch Philipp V. kämpften.

ANA ECHEVARÍA (Madrid) arbeitete in ihrem Vortrag Unterschiede zwischen der lateinischen und der arabischen Fassung der Kanonessammlung „Hispana“ heraus. Am Beispiel von lediglich in der arabischen Fassung erhaltenen Kanones zum Bischofsamt zeigte Echevaria auf, dass mit der Übersetzung auch umfassende Anpassungen an veränderte historische und rechtliche Kontexte einhergegangen seien. Auffällig seien die widersprüchlichen Vorstellungen vom Bischofsamt, als dessen Aufgabe einerseits die Umsetzung göttlicher Ordnung galt, dessen Verfehlung andererseits aber durch tyrannische Bischöfe möglich schien. Die entsprechenden Veränderungen des Textes seien wohl aus der Stellung der Bischöfe im muslimischen Herrschaftsbereich heraus zu verstehen, denen neben der kirchlichen zunehmend auch die Zivilgerichtsbarkeit innerhalb der christlichen Gemeinden zukam. Die arabische Fassung der Kanonessammlung sei wohl nach dem Niedergang des Kalifats 1031 entstanden, als im Zuge der Konstitution der Taifenreiche auch den Bischöfen neue Befugnisse zuwuchsen.

HENRI BRESC (Paris) plädierte in seinem Vortrag dafür, den Begriff „Mozaraber“ auch für arabisierte Christen Siziliens zu verwenden. Lege man den bei Jakob von Vitry überlieferten Mozaraberbegriff zu Grunde, der sich auf Christen in al-Andalus ebenso wie in Afrika bezog, so ergäben sich vielfältige Vergleichsmöglichkeiten bezüglich der Erinnerungskulturen zur Zeit vor der muslimischen Eroberung, zur Persistenz kirchlicher Strukturen, zum sprachlichen Wandel aber auch zur politischen Rolle arabisierter Christen. Greifbar werde in Sizilien eine societé métissée, die sich ebenso durch kulturelle Vermischungs- wie Abstoßungsprozesse auszeichnete und durch vielfältige Migrationsprozesse geprägt wurde.

Zu Beginn der Sektion „Sprache als Ordnung“ rückte ULISSE CECINI (Erlangen) die lateinische Sprache bei Paulus Albarus ins Zentrum seiner Überlegungen. So werde dessen Sprachauffassung vor allem an Stellen deutlich, in denen er sich zu sprachlichen Problemen äußerte und auf seinen Schreibstil, seine Redegewandtheit oder seine Ausbildung zu sprechen kam. Diesen Ausführungen stellte Cecini eine ausführliche Sprachanalyse des Werkes gegenüber: So orientiere sich Albarus trotz seines ablehnenden Postulats an rhetorischer Sprachkunst. Obwohl Albarus der lateinischen Sprache in der Auseinandersetzung mit den Muslimen eine identitätsstiftende Funktion zuschrieb, habe er die Sprache selbst eher passiv beherrscht und sei stellenweise offenbar sogar von arabischer Kunstprosa beeinflusst gewesen. Albarus selbst werde damit zum Beispiel für kulturelle Verflechtungsprozesse.

NINA PLEUGER (Erlangen) widmete sich der Sprache im Werk des Samson von Córdoba bezüglich von Besonderheiten wie volkssprachlichen Formen, Hyperkorrektismen, Neologismen und haplologischen Bildungen. Pleuger zeigte die Übernahme von Gräzismen aus Bibeltexten und exegetischen Schriften auf und wies grammatisch-rhetorische Begriffe aus sprach- und literaturwissenschaftlichen Werken ebenso nach wie philosophische Termini aus moraltheologischen Schriften. Arabismen seien im Werk offenbar bewusst vermieden worden, so dass die biblische und exegetische Prägung im Vordergrund stehe.

Arabische Glossen in lateinischen Handschriften der Iberischen Halbinsel waren das Thema des Vortrages von CYRILLE AILLET (Lyon). Auf Grund paläographischer Befunde, vor allem aber wegen innerer Differenzen der Glossen plädierte Aillet dafür, dass die Glossen anders als bislang angenommen nicht in einem einheitlichen Toledaner Umfeld entstanden. Vielmehr ließen sich innerhalb der Handschriftengruppe neben Toledaner Dokumenten des 11.-13. Jahrhunderts Codices finden, die in al-Andalus kopiert und glossiert wurden und später in den christlichen Norden gelangten. Teils seien die Glossen oder sogar die gesamte Handschrift im christlichen Herrschaftsbereich der Iberischen Halbinsel entstanden. Die Glossen seien unter linguistischen Aspekten, vor allem aber wegen ihrer vielfältigen Funktionen bedeutende Zeugnisse von Arabisierungsprozessen im muslimischen wie im christlichen Herrschaftsbereich der Iberischen Halbinsel.

Der wegen Krankheit nur in Manuskriptform vorliegende Beitrag von FREDERICO CORRIENTE CÓRDOBA (Zaragoza), behandelte den in al-Andalus gesprochenen Ideolekt „romandalusí“ und dessen Ausstrahlung auf der Iberischen Halbinsel. Ähnlich wie die Diskussionen zur Bedeutung des Begriffs Mozaraber hätten ideologisch geprägte Zugriffe die gemeinsame Nutzung des „Mozarabischen“ durch Christen, Juden und Muslime nicht hinreichend gewürdigt und hätten den Ideolekt zum Vorläufer des Kastilischen stilisiert. Das Wissen über die Charakteristika des „romandalusí“ erweise diese Annahmen als falsch, mache aber zugleich die Einwirkungen auf nordiberische Romance-Dialekte greifbar. Überwiegend seien lexikalische Beiträge zu konstatieren, die sich vor allem in der Aufnahme arabischer aber auch lateinischer Lehnwörter erkennen ließen.

Zu Beginn der Sektion „Raum als Ordnung“ referierte CHRISTOFER ZWANZIG (Erlangen) zum Thema Fremd- und Selbstwahrnehmung und zeigte dabei anhand der überwiegend urkundlichen und inschriftlichen Quellen auf, dass christliche Migration aus al-Andalus keineswegs zwangsläufig als Flucht, sondern beispielsweise auch als gottgelenkte Übersiedlung zur Erneuerung von Klöstern betrachtet werden konnte. Auch wenn in den Quellen das Bewusstsein der Mönche greifbar werde, sich zwischen unterschiedlichen Räumen zu bewegen, so seien weder der muslimische noch der christliche Herrschaftsbereich in den Quellen eindeutig konnotiert gewesen. Besonders deutlich zeigten die Verweise der Mönche auf ihre Herkunft aus Córdoba, dass selbst auf das politische und religiöse Zentrum des muslimischen Herrschaftsbereichs positive Bezugnahmen möglich waren, die freilich im Verlauf des Mittelalters in unterschiedlichen historischen Kontexten neu gedeutet wurden.

Von den bisherigen Methoden zur Untersuchung von Kirchen im muslimischen Herrschaftsbereich grenzte sich FERNANDO ARCE SAINZ (Madrid) in seinem Vortrag ab. Aufbauend auf Vorstellungen von den Mozarabern als homogener Personengruppe habe man die Möglichkeiten von Christen, Kirchengebäude zu erneuern oder neu zu errichten in erster Linie als Gradmesser für das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen begriffen. In der Disksussion um die Einflüsse “mozarabischer” Architektur im Norden der iberischen Halbinsel seien andererseits die wenigen schriftlichen Berichte zur Neuerrichtung von Kirchen als Ausdruck für die unbedeutende Bautätigkeit andalusischer Christen angeführt worden. Jüngere archäologische Funde hingegen zeigten die vielfältige Bautätigkeit andalusischer Christen, die sich freilich unterschiedlichst gestaltete und sich deshalb vereinheitlichenden Kategorien entziehe.

STEFAN SCHRÖDER (Kassel) referierte zum Thema Kartographie und Raumvorstellungen spanischer Karten vom 9. bis 12. Jahrhundert. Er interpretierte die Karten, darunter Beatuskarten und die sogenannte Andalusienkarte, als Produkte kulturellen Wissens und dynamische Zeichengefüge, die durch die selektive Auswahl und Platzierung von Symbolen kulturelle Räume erst konstruieren und damit sinn- und ordnungsstiftend wirkten. Deutlich würden dabei höchst variantenreiche Raumkonzepte: Teils seien die sich politisch wandelnden Herrschaftssysteme aus einer rein christlichen Perspektive berücksichtigt worden, während man andere Religionsformen und interkulturelle Verhältnisse negierte. Umgekehrt fänden sich aber auch herausragende Beispiele einer hybriden Mischung von transkulturellen Wissensbeständen.

In der Sektion „Zeit als Ordnung“ widmete sich ALEXANDER PIERRE BRONISCH (Warngau) dem Thema „Religion ohne Namen? Die Wahrnehmung des Islams und andere ‚Mozarabismen’ in christlichen Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts“. Die Cronica Byzantina-Arabica zeige zwar oberflächlich betrachtet kein negatives Bild der muslimischen Eroberer, jedoch werde dem Leser implizit der kriegerische Charakter der Muslime nahe gelegt und die Kontinuität der alten westgotischen Kirche als Schutz davor dargestellt. Der Covadonga-Bericht knüpfe hingegen offensichtlicher an die alte westgotische Reichsideologie an, und zeige im Gegensatz zur Chronica Byzantina-Arabica kein Interesse an der Religion der Muslime, die in dem Text als Geißel Gottes charakterisiert würden. Ein ausdrücklich negatives Bild der Religion der Muslime zeichne hingegen das Testament Alfons II., sowie die Crónica Albeldense. Abschließend sei festzustellen, dass seit Mitte des 8. Jahrhunderts der Islam als eine nicht-christliche Religion wahrgenommen wurde, jedoch vor allem in den asturischen Quellen kein Interesse an einer vertieften Auseinandersetzung bestand.

ANN CHRISTYS (Leeds) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Überschneidung historischer Erinnerungen in den arabisch-muslimischen und christlich-lateinischen Überlieferungen. Jenseits der bereits im Mittelalter durch Übersetzung zugänglich gemachten lateinischen bzw. arabischen Werke zeigten sich diese Überschneidungen in gemeinsamen Erzählstoffen. So seien die Wikingereinfälle des 9. Jahrhunderts in arabischen wie lateinischen Quellen als Strafe für das eigene sündhafte Leben und Teil göttlicher Vorsehung betrachtet worden. Freilich seien die gemeinsamen Erklärungsmuster zumindest vor dem 13. Jahrhundert weniger auf die wechselseitige Kenntnis historiographischer Werke, sondern vielmehr auf ein gemeinsames spätantikes kulturelles Erbe zurückzuführen, auf das sich iberische Christen ebenso wie die muslimischen Eroberer beriefen.

WIEBKE DEIMANN (Erlangen) untersuchte in ihrem Vortrag Abgrenzungs- und Identifikationsmuster in der Darstellung andalusischer Christen. Während die iberischen Quellen dieser Zeit nur geringes Interesse an den andalusischen Christen zeigten, seien sie in zentraleuropäisch beeinflussten Quellen stärker als Bewahrer christlicher und westgotischer Traditionen, dargestellt worden, die gegen den muslimischen Feind zu verteidigen seien. Damit spiegelten sie aber die verstärkte religiöse Aufladung des Konfliktes zwischen Christen und Muslimen durch die Rezeption des Kreuzzugsgedankens im 11. und 12. Jahrhundert wider.

Der Kongress profitierte in allen Sektionen von der teils kontroversen Gegenüberstellung von bekannten Mozaraber-Definitionen und dem Erlanger Neuansatz. Kritisiert wurde jedoch die Unschärfe des Erlanger Mozarabismus-Konzepts, das für seine praktische Anwendung in der Forschung noch weiterer Konkretisierung bedürfe. Der methodische Ausblick der Respondenten auf Beispiele von Transkulturationsprozessen jenseits der Iberischen Halbinsel machte jedoch deutlich, dass der Erlanger Neuansatz durch die Aufgabe vermeintlich einheitlicher Mozaraber-Definitionen nicht allein eine ins 19. Jahrhundert zurückreichende Forschungstradition in Frage stellt. Vielmehr greift er deren widersprüchliche Ergebnisse in ihrer Vielfalt auf und eröffnet neben der Anknüpfung an kulturwissenschaftliche Debatten auch zahlreiche neue historische Vergleichsperspektiven.

Konferenzübersicht:

Hartmut Bobzin, Michele C. Ferrari, Klaus Herbers (Erlangen)
Begrüßung

Grußworte

Matthias Maser (Erlangen)
Von Mozarabern zu Mozarabismen? Einführende Überlegungen

Sektion I: Religion als Ordnung
Moderation: Martin Tamcke (Göttingen)

Hartmut Bobzin (Erlangen)
Methodisch-theoretische Einleitung:
Religion als Ordnungskategorie auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Peter Bruns (Bamberg)
„Verbum assumens et homo assumptus“ – Ein antiochenisches Axiom im spanischen Adoptianismus?

Daniel Potthast (Erlangen)
Die „hiǧāb-Christologie“ – eine mozarabische Konnexion zwischen orientalischen und lateinischen Kirchen?

Thomas Burman (Knoxville)
Mozarabizing Latin Christian Thought in Castile, 1170–1250

Ludwig Vones (Köln)
Liturgische Sonderwege? – Der sogenannte Mozarabische Ritus in der hispanischen Gesellschaft im Mittelalter

Methodischer Kommentar von Michael Borgolte (Berlin) und Diskussion

Abendveranstaltung
Georg Bossong (Zürich)
Dichtung in al-Andalus

Sektion II: Gemeinschaft als Ordnung
Moderation: Helmut G. Walther, Jena

Christofer Zwanzig (Erlangen)
Methodisch-theoretische Einleitung:
Gesellschaft und Gemeinschaft als Ordnungskategorien auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Christian Saßenscheidt (Erlangen)
Liturgische Gemeinschaften – Rechtsgemeinschaften. Mozarabismen und Identitätsbildung in Toledo (12./13. Jh.).

Richard Hitchcock (Exeter)
Mozarabs in Toledo from 16th to 18th Centuries: a Continuing Polemic

Ana Echevarría Arsuaga (Madrid)
Procesos de aculturación entre las “religiones del Libro” a través de la Colección Canónica Hispana en árabe

Henri Bresc (Nanterre)
Problèmes de définition et réalités culturelles: melkites, mozarabes, chrétiens arabes en Sicile

Methodischer Kommentar von Roland Steinacher (Wien) und Diskussion

Sektion III: Sprache als Ordnung
Moderation: Carmen Cardelle de Hartmann (Zürich)

Michele C. Ferrari (Erlangen)
Methodisch-theoretische Einleitung:
Sprache als Ordnungskategorie auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Ulisse Cecini (Erlangen)
Die Sprache bei Paulus Albarus

Nina Pleuger (Erlangen)
Die lateinische Sprache im Werk des Samson von Córdoba

Cyrille Aillet (Lyon)
Arabic Glosses in Iberian Latin Manuscripts: A Source for the History of Mozarabism

Federico Corriente Córdoba (Zaragoza)
Mozarabisms: Andalusi Romance words in other languages of the Iberian Peninsula

Methodischer Kommentar von Barbara Schlieben (Berlin) und Diskussion

Sektion IV: Raum als Ordnung
Moderation: Ingrid Baumgärtner (Kassel)

Matthias Maser (Erlangen)
Methodisch-theoretische Einleitung:
Raum als Ordnungskategorie auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Christofer Zwanzig (Erlangen)
Monastische Migration aus dem Andalus: Selbst- und Fremdwahrnehmungen

Fernando Arce Sáinz, (CSIC Madrid)
Arquitectura religiosa cristiana en al-Andalus. Propuesta para su comprensión y estudio

Stefan Schröder (Kassel)
Kartographie und Raumvorstellungen auf der Iberischen Halbinsel

Methodischer Kommentar von Carola Jäggi (Erlangen) und Diskussion

Sektion V: Zeit als Ordnung
Moderation: Wolfram Drews (Bonn)

Klaus Herbers (Erlangen)
Methodisch-theoretische Einleitung:
Zeit, Geschichte und Erinnerung als Ordnungskategorien auf der Iberischen Halbinsel im Mittelalter

Alexander Pierre Bronisch (Warngau)
„Religion ohne Namen? Die Wahrnehmung des Islams und andere „Mozarabismen“ in mozarabischen und asturischen Quellen des 8. und 9. Jahrhunderts“

Ann Christys (Leeds)
Intersecting histories: the Vikings in Iberia

Wiebke Deimann (Erlangen)
Mozarabismen in lateinischen Quellen (11./12. Jh.)

Methodischer Kommentar von Hans Werner Goetz (Hamburg) und Diskussion

Abschlussdiskussion

Klaus Herbers (Erlangen)
Zusammenfassende Schlussbemerkungen


Redaktion
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Region(en)
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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Englisch, Deutsch, Spanisch
Sprache des Berichts