Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Vorbereitung der Würzburger Synode im Kontext

Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Vorbereitung der Würzburger Synode im Kontext

Organisatoren
Deutsche Sektion der Europäischen Gesellschaft für Theologie (ET); in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie der Diözese Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.02.2011 - 25.02.2011
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Von
Tobias Schnieders, DFG-Projekt Konzilsrezeption, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar

Vom 23. bis 25. Februar 2011 hielt die Deutsche Sektion der Europäischen Gesellschaft für Theologie (ET) in Zusammenarbeit mit der Katholischen Akademie der Diözese Mainz im Erbacher Hof unter der Leitung von Joachim Schmiedl (Vallendar) eine Fachtagung zum Thema „Nationalsynoden nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Die Vorbereitung der Würzburger Synode im Kontext“ ab. Nachdem im Februar vergangenen Jahres bereits eine erste interne Tagung im Kreis der Deutschen Sektion der ET zur Würzburger Synode stattfand, erweiterte sich die Perspektive bei dieser Tagung durch den Vergleich mit den Synoden und synodalen Prozessen in Lateinamerika, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz und durch die Teilnahme der ehemaligen Synodalinnen Marita Estor (Marburg) und Roswitha Verhülsdonk (Koblenz) sowie des damaligen stellvertretenden Synodensekretär Friedrich Kronenberg (Bonn) als Zeitzeugen der Würzburger Synode.

Die erste Sektion der Tagung behandelte das Thema „Anlass zur Einberufung der Synode und kirchenrechtlicher Status“.

Eröffnet wurde dieser Teil durch einen Vortrag von CARLOS SCHICKENDANTZ (Córdoba, Argentinien / Santiago, Chile) über die lateinamerikanische Bischofssynode 1968 in Medellín. Sie stand am Anfang der Reihe nachkonziliarer Synoden, unterschied sich aber durch ihre Struktur als transnationale Bischofssynode stark von den übrigen auf dieser Tagung behandelten nationalen Synoden und synodalen Prozesse. Trotz Kritik zum Beispiel wegen der mangelnden Beteiligung von Laien, sei die Zweite Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe das einzige Beispiel für eine kontinentale Rezeption des II. Vatikanischen Konzils, das in der Folgezeit eine ungeheuere Wirkung in Lateinamerika und darüber hinaus entfaltet habe.

JAN JACOBS (Tilburg, Niederlande) machte in seinem Beitrag deutlich, wie sich während der Vorbereitungsphase die Bezugspunkte, nach denen sich die mit dem Pastoralkonzil verbundenen Ziele richteten, zunehmend von einer reinen Umsetzung der Konzilsbeschlüsse hin zu einem freien Austausch über die Hersausforderungen der damaligen gesellschaftlichen Situation verschoben. Um diesen Kommunikationsprozess zu ermöglichen, habe man sich bei der formalen und rechtlichen Gestaltung des Pastoralkonzils von den im Kirchenrecht vorgesehenen Modellen zugunsten einer rein beratenden Versammlung gelöst.

Wie es zur Einberufung der Würzburger Synode kam, schilderte STEFAN VOGES (Münster). Der Ruf nach einem „Nationalkonzil“, der 1968 auf dem Essener Katholikentag laut wurde, führte bereits im Februar 1969 zum Beschluss der Bischofskonferenz, eine gemeinsame Synode der deutschen Bistümer einzuberufen. Voges machte die Schwierigkeiten deutlich, vor denen die Bischöfe bei der Wahl der kirchenrechtlichen Form für die geplante Synode standen. Ziel sei es gewesen, eine rechtliche Form zu finden, die die aktive Beteiligung der Laien auf der einen und die Wahrung der bischöflichen Lehr- und Gesetzgebungsautorität auf der anderen Seite miteinander verknüpfte. Dass dies gelang, sei eine zentrale Leistung der Würzburger Synode gewesen.

An den Vortrag von Stefan Voges schlossen sich die Ausführungen von SEBASTIAN HOLZBRECHER (Erfurt) zur Pastoralsynode der DDR in Dresden an. Deren schwierige gesellschaftspolitische Ausgangslage als einer der wenigen Synoden im ehemaligen Ostblock wurde anhand der Entstehungsgeschichte deutlich, bei der die Berliner Ordinarienkonferenz besonders im Hinblick auf die Synodenpläne in Westdeutschland von Anfang an unter hohem kirchenpolitischen Druck stand. Die notwendige Abgrenzung gegenüber drohenden staatlichen Eingriffen habe man durch eine enge kirchenrechtliche Bindung der Synode an die Ordinarienkonferenz sicherzustellen versucht.

Mit der Schweizer „Synode '72“ stellte MARKUS RIES (Luzern, Schweiz) eine von den bisherigen Synoden abweichende Organisationsform vor. Anstatt einer zentralen nationalen Synode fanden zeitlich und inhaltlich parallele Diözesansynoden statt. Im dazu notwendigen komplexen organisatorischen System spiegelten sich die durch zahlreiche Sprach- und Kulturgrenzen gekennzeichnete gesellschaftliche Situation der Schweiz und das kirchliche Bemühen um Konsens und politische Äquidistanz wider.

Ein ebenfalls eigenständiger Synodentypus war der „Österreichische Synodale Vorgang“ (ÖSV). WILHELM REES (Innsbruck, Österreich) verdeutlichte die rechtliche wie strukturelle Ambiguität, die sich bereits im Terminus „Synodaler Vorgang“ andeute, und ordnete ihn in den damaligen Kontext der Österreichischen Kirche ein. Weder wollte man sich zu sehr von einem römischen Placet abhängig machen noch die traditionell starke Eigenständigkeit der Bischöfe in ihren Diözesen aufgeben. Deshalb, so legte der Referent dar, entschied man sich für einen reinen Beratungsvorgang, der auf formale Beschlüsse verzichtete.

Die Zweite Sektion „Themenfindung und Beteiligung der Öffentlichkeit“ wurde wiederum durch einen Kurzvortrag von CARLOS SCHICKENDANTZ zur Bischofsversammlung in Medellín eröffnet. Es wurde deutlich, in welchen komplexen poltisch-gesellschaftlichen und theologischen Bezügen die Reflexion über die Themenwahl stand. Vor allem die bedrückende Realität von Gewalt und Ungerechtigkeit in Lateinamerika forderte die Kirche zur Stellungnahme heraus. Schickendantz unterstrich die Bedeutung der Versammlung des CELAM 1967 in Lima, auf der durch die Aufnahme der sozialwissenschaftlichen Dependenztheorie der Schritt „von der Entwicklung zur Befreiung“ gewagt worden sei. Am Ende dieses vielschichtigen Reflexionsprozesses, Ausdruck einer getreuen wie kreativen Konzilsrezeption, habe die Option für die Armen gestanden.

Das Novum des Niederländischen Pastoralkonzils, so JAN JACOBS (Tilburg), sei der Versuch gewesen, dialogische Strukturen in der hierarchisch verfassten katholischen Kirche zu etablieren. Trotz hoher Gesprächsbereitschaft hätten die Empfehlungen, die das Pastoralkonzil fasste, zum Teil die bestehenden Polarisierungen noch weiter verschärft und von Seiten Roms zu einer veränderten Politik der Bischofsernennungen geführt. Diese Politik habe für die niederländische Kirche schwerwiegende Folgen gehabt, da durch sie Elemente der Kollegialität und des Dialogs weggebrochen seien.

Die Frage nach dem Grad der Einbindung der Öffentlichkeit in den Prozess der Themenfindung wurde in der BRD heftig geführt. Dies machte STEFAN VOGES am Beispiel der Auseinandersetzungen um das Statut der Würzburger Synode und die breit angelegte Fragenbogenaktion deutlich. Eine Gesprächskultur musste sich auch in der westdeutschen Kirche erst etablieren. Die Festlegung von alle Themenbereiche durchlaufende Perspektiven habe sich als fruchtbar erwiesen. Einfluss auf die Themenwahl hatte neben den Fragebögen und den freien Zuschriften, die beide die breite Masse der Katholikinnen und Katholiken repräsentierten, dann aber vor allem das Ergebnis einer zusätzlich durchgeführten Expertenbefragung.

Für die Ostdeutsche Pastoralsynode zeichnete SEBASTIAN HOLZBRECHER den mehrstufigen Prozess der Themenfindung nach, der schließlich in die Pastoralsynode mündete und der trotz der starken Steuerung durch die Ordinarienkonferenz unter prozentual hoher Beteiligung aus den Gemeinden ablief. Für die Bewertung der Öffentlichkeitsbeteiligung müsse allerdings im Kontext eines mit totalitärem Anspruch agierenden politischen Systems von einem differenzierten Öffentlichkeitsbegriff ausgegangen werden, der sich im Wesentlichen auf den innerkirchlichen Binnenraum beschränkt habe. Ausdruck dieser schwierigen Situation sei die ausbleibende gemeindliche Rezeption der Synodentexte gewesen, die das Ostdeutsche Pastoralkonzil als „vergessene Synode“ erscheinen lasse.

ROLF WEIBEL (Stans, Schweiz) zeigte in seinem Beitrag anschaulich, wie die Schweizer „Synode '72“ versuchte, innerhalb des gesellschaftlichen Kontextes der „langen 1960er-Jahre“ mit ihren zahlreichen Umbrüchen bis in die Kirche hinein und den sich daraus ergebenden Polarisierungen die kirchliche Öffentlichkeit in eine lebendige Konzilsrezeption einzubeziehen. Dies sei angesichts der Struktur der „Synode '72“ eine besondere Herausforderung gewesen. Umso beachtlicher sei die Tatsache, dass die kirchliche Öffentlichkeit in allen Phasen der Vorbereitung, der Durchführung und der Rezeption der Synode breit informiert und durch zur Mitarbeit angeregt wurde. Es zeigte sich im europäischen Vergleich, dass die Beteiligung der Gläubigen in der Schweiz prozentual am höchsten war.

Über den „Österreichischen Synodalen Vorgang“ (ÖSV) referierte MICHAELA SOHN-KRONTHALER (Graz). Anhand der Themenfindung, die vor allem über die Vorbereitungsgremien lief und anhand der Vorgänge um die Auswahl der Synodalen machte sie deutlich, wie sehr die Bischofskonferenz zu Beginn versuchte, den ÖSV zu steuern. Dies habe zu einem öffentlichen Desinteresse an der Synode und zu geringen Erwartungen selbst bei den Teilnehmern geführt. Erst im Laufe der synodalen Tätigkeit und in der Debatte um Streitthemen wie der Fristenlösung habe sich die Synode zunehmend emanzipiert und sich eine kooperative Atmosphäre unter allen Beteiligten entwickelt. Obwohl es sich beim ÖSV nur um eine „konziliare Beratung“ gehandelt habe, sei die Einbeziehung aller Bischöfe in diesen Vorgang als echter Fortschritt zu werten.

JOHANN EV. HAFNER (Potsdam) beleuchtete anschließend mit seinem Vortrag ein angezieltes Zeitzeugenprojekt zu den Synoden aus der Perspektive der „oral history“ und zeigte am Beispiel Würzburg Möglichkeiten und Grenzen dieser Methode auf. Insbesondere ging er auf das Spannungsfeld von individuellem und kollektivem Gedächtnis ein, in dem sich erzählte Erinnerung immer bewege. Es gehe nicht um eine objektive Rekonstruktion von Ereignissen, sondern um das eigene subjektive Erleben, das in Interviews greifbar werde. Zum Schluss warf Hafner einen systemtheoretischen Blick auf die Synode als interaktive Organisation, deren verschiedene Repräsentantengruppen die Zeitzeugenbefragung querschnittsartig erfassen solle.

Aus bereits geführten Interviews mit ehemaligen Synodalen RICHARD HARTMANN (Fulda) erste Thesen im Hinblick auf die Bedeutung der Biographieforschung für die Hermeneutik der Würzburger Synode ab. Methodisch lasse sich die Synode nicht vorrangig von ihren Texten her verstehen, sondern es bedürfe weiterer Zugänge zum Ereignis Synode. Hartmann machte dies an konkreten Interviewbeispielen deutlich. Eine teilstandardisierte Befragung der noch lebenden Synodalen sei eine wichtige Quelle für das Verständnis der Würzburger Synode, ihrer Rezeption und der Dynamik synodaler Prozesse im Allgemeinen.

Ein öffentliches Podiumsgespräch, das von Joachim Schmiedl moderiert wurde, näherte sich dem Phänomen „Würzburger Synode“ über die Begegnung mit den Zeitzeugen. Auf dem Podium saßen Marita Estor, Friedrich Kronenberg, Roswitha Verhülsdonk und Johann Baptist Metz (Münster), Hauptverfasser des Synodendokuments „Unsere Hoffnung“. Vor dem Hintergrund der persönlichen Erfahrungen der Zeitzeugen wurde rasch der Bogen zur aktuellen kirchlichen Reformdebatte geschlagen. Die mit viel Engagement auf dem Podium und im Publikum geführte Diskussion zeigte, dass das Wiedererlangen der Gesprächsfähigkeit zwischen den verschiedenen kirchlichen Ebenen und Gruppen und die Etablierung von Formen wirksamer Partizipation in nächster Zeit eine zentrale Aufgabe der Kirche sein muss.

Die weitere Projektplanung sieht vor, die komparatistische Perspektive für die behandelten europäischen Synoden beizubehalten und interdisziplinär auszubauen. Die Form der Tagung als Mischung aus Experten- und Zeitzeugengespräch wurde als gelungener Versuch betrachtet, aus dem sich wertvolle Einsichten für die weitere strukturelle wie inhaltliche Gestaltung und den internationalen Vergleich ergaben.

Konferenzübersicht:

Joachim Schmiedl (Vallendar): Einführung in die Tagung

Sektion I: Anlass zur Einberufung der Synoden und kirchenrechtlicher Status

Carlos Schickendantz (Córdoba, Argentinien / Santiago, Chile): Lateinamerikanische Bischofsversammlung in Medellin 1968
Jan Jacobs (Tilburg): Niederländisches Pastoralkonzil
Stefan Voges (Münster): Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland
Sebastian Holzbrecher (Erfurt): Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR
Markus Ries (Luzern, Schweiz): Synode '72
Wilhelm Rees (Innsbruck, Österreich): Österreichischer Synodaler Vorgang

Sektion II: Themenfindung und Beteiligung der Öffentlichkeit

Carlos Schickendantz (Córdoba, Argentinien / Santiago, Chile): Lateinamerikanische Bischofsversammlung in Medellin 1968
Jan Jacobs (Tilburg): Niederländisches Pastoralkonzil
Stefan Voges (Münster): Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland
Sebastian Holzbrecher (Erfurt): Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR
Rolf Weibel (Stans, Schweiz): Synode '72
Michaela Sohn-Kronthaler (Graz, Österreich): Österreichischer Synodaler Vorgang

Johann Ev. Hafner (Potsdam) / Richard Hartmann (Fulda): Die Bedeutung der Zeitzeugen für die Erforschung der nachkonziliaren Synoden

Öffentliches Podiumsgespräch mit Zeitzeugen: Marita Estor (Marburg), Friedrich Kronenberg (Bonn), Johann Baptist Metz (Münster), Roswitha Verhülsdonk (Koblenz)


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