Gedenkstätten und Besucherforschung

Gedenkstätten und Besucherforschung

Organisatoren
Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Expertengremium Gedenkstättenkonzeption bei der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.12.2003 - 03.12.2003
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Von
Verena Haug, Fritz-Bauer-Institut, Frankfurt am Main

Während Besucherforschung in Museen schon seit längerem zum selbstverständlichen Instrumentarium der Qualitätssicherung gehört, spielt sie in und für Gedenkstätten noch kaum eine Rolle. Bereits im Titel des Symposiums „Gedenkstätten und Besucherforschung“, das am 2. und 3. Dezember 2003 im Bonner Haus der Geschichte stattfand, blieben die beiden Begriffe nebeneinander eigentümlich isoliert, was sich aber als gut und richtig erwies. Hier musste grundsätzlich um Bedingungen und Voraussetzungen von Besucherforschung für Gedenkstätten gestritten werden, eine Reflexionsebene, die den bisherigen Erhebungen zu Besucherverhalten und Wirkung von Gedenkstättenbesuchen fehlte. Und so ging es bei der Tagung – obwohl von den Veranstaltern vermutlich anders geplant – um eine Selbstverständigung der Gedenkstätten in Abgrenzung zu Museen und um das deutliche Signal, dass Besucherforschung nicht einfach aus dem Kontext Museum auf den Kontext Gedenkstätte übertragen werden kann. Bemerkenswerterweise fand nur eine Woche zuvor ein gedenkstätteninterner Workshop in Ravensbrück statt, der das gleiche Thema viel optimistischer betitelte („Besucherforschung in Gedenkstätten“), inhaltlich aber vergleichsweise oberflächlich blieb.

Der erste Themenblock der Bonner Tagung wurde von den Gedenkstättenleitern Volkhard Knigge (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora) und Thomas Rahe (Gedenkstätte Bergen-Belsen) sowie dem Historiker Jan-Holger Kirsch (Zentrum für Zeithistorische Forschung) bestritten und war überschrieben mit „Gedenkstätten – Besondere Orte“. In seinem umfassenden Eröffnungsvortrag entfaltete Knigge das Bedeutungsspektrum von Gedenkstätten. Diese seien nicht als Museen entstanden und würden auch heute nicht ausschließlich als solche besucht und gebraucht. Zwar wurden an Orten ehemaliger Konzentrationslager bereits unmittelbar nach der Befreiung die dort begangenen Verbrechen „ausgestellt“ – dies diente aber weniger einer Musealisierung des Geschehenen als vielmehr der Beweissicherung, der Dokumentation und der Visualisierung des Grauens. Gedenkstätten blieben lange Zeit vor allem die Leidens- und Sterbeorte von Angehörigen sowie Orte politischer Deutungen der nationalsozialistischen Vergangenheit, anstatt „Geschichte“ zu repräsentieren. Während in der DDR weder das „Ob“ noch das „Wie“ der Erinnerung frei zu diskutieren war, weil den Nationalen Mahn- und Gedenkstätten das staatslegitimierende antifaschistische Widerstandsnarrativ eingeschrieben wurde, gab es in der alten Bundesrepublik bis weit in die 1980er-Jahre großen Widerstand gegen Gedenkstätten, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnerten. Erst durch die Übernahme der Gedenkstätten der ehemaligen DDR in bundesrepublikanische Verantwortung scheint hier die Frage des „Ob“ der des „Wie“ gewichen zu sein, rückte erstmals die wissenschaftliche Historisierung der Lagergeschichten in den Vordergrund, spielten Fragen der „Musealisierung“ von Gedenkstätten und der Ausstellungsmodi eine wichtige Rolle. Gleichwohl sind und bleiben Gedenkstätten mehr als zeithistorische Museen. Sie seien, so Knigge, Tatorte: Realien würden hier als Sachbeweise bzw. auch als Reliquien verstanden; die ehemaligen Lager seien Leidens- und Sterbeorte und müssten als solche gewürdigt werden. Sie seien Friedhöfe, politische Denkmale, Museen und Palimpseste, an denen weiter geschrieben und verändert werde, und die als solche immer auch die Geschichte der Auseinandersetzung oder Nicht-Auseinandersetzung mit der Geschichte repräsentierten. Diese Bandbreite von Bedeutungen lasse die Besucher nicht unberührt, aus deren Perspektive alles bedeutsam erscheine – bis hin zur Gestaltung von Wegweisern oder öffentlichen Toiletten. Besucherforschung, so Knigges Zwischenergebnis, müsse darum zunächst erörtern, welchen „Sinnraum“ Gedenkstättenbesucher eigentlich aufsuchten. Sie müsse in der Lage sein, Emotionalität und Abwehr zu berücksichtigen, und könne nicht auf allen Ebenen zur Befriedigung der Besuchererwartung führen. Klischees, so Knigge, müssten enttäuscht werden, schon weil sich bestimmte inszenatorische Ausstellungsmodi in Gedenkstätten verbieten. Kirsch, der in seinem Vortrag über öffentliche Bilder von Gedenkstätten noch die Aspekte stärkerer Politisierung, rechtsextremer Angriffe, baulicher Veränderungen und des Tourismus ergänzte, thematisierte ebenfalls die Enttäuschung der Besucher als Reaktion auf das heutige Erscheinungsbild von Gedenkstätten. Gedenkstätten sind keine unmittelbaren Schreckensorte. Diese Enttäuschung sei aus geschichtsdidaktischer Perspektive aber gerade eine Chance für die Gedenkstättenarbeit.

In der Diskussion wurde zunächst deutlich, dass es auf der Tagung außer um das explizite Thema um mindestens eine weitere Streitlinie ging, die nicht das Verhältnis Gedenkstätten – Museen betraf, sondern jenes der Gedenkstätten an die Opfer des Nationalsozialismus einerseits sowie der Gedenkstätten an die Opfer des Stalinismus und der DDR-Diktatur andererseits. Statt inhaltlich an die Vorträge anzuknüpfen, wurde wortreich und ungeduldig ausgeführt, dass auf dieser Tagung mit Gedenkstätten „wieder einmal“ nur jene gemeint seien, die an die Zeit des Nationalsozialismus erinnerten, die Gedenkstätten des SED-Unrechts aber ignoriert und die Verfolgten der Zeit nach 1945 damit zu „Opfern zweiter Klasse“ degradiert würden.

Im zweiten Panel sollte es um „Ausgangslage und Möglichkeiten“ von Besucherforschung in Gedenkstätten gehen. Deutlich wurde dabei, dass auch die „Museumsexperten“, hier vertreten durch die Besucherforscher Hans-Joachim Klein und Heiner Treinen, bescheidener an das Feld „Gedenkstätten“ herantraten als noch eine Woche zuvor in Ravensbrück und die einfache Übertragbarkeit der Methoden aufgrund der bisher gänzlich unzureichenden Erforschung des Feldes eher anzweifeln. Die Kriterien für Besucherforschungen in Gedenkstätten sollten, so Klein, in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe entwickelt werden. Der Politologe Bert Pampel (Stiftung Sächsische Gedenkstätten) schien dagegen schon zu wissen, welche Kriterien für die Besucherforschung relevant sind. Er appellierte jedenfalls so eindringlich wie fragwürdig an seine Kollegen, sich der Besucherforschung nicht länger zu verschließen, denn nur dadurch ergebe sich die Chance, die Kluft zwischen pädagogischem Angebot und seinen Wirkungen zu verringern. In seinem Plädoyer für die Stärkung der Besucherorientierung verwechselte Pampel jedoch Konzeption und Rezeption, da er von den Besuchern nicht nur erfahren will, was sie in Gedenkstätten sehen möchten, sondern glaubt, dass diese Seh(n)süchte auch befriedigt werden müssten. Daniel Gaede (Gedenkstätte Buchenwald) unterstrich anschließend, dass zumindest in Buchenwald die Interessen der Besucher sehr wohl abgefragt würden, die Antworten aber rar seien. Da im pädagogischen Bereich die Vorüberlegungen der Lehrerinnen und Lehrer und sonstigen Multiplikatoren entscheidend für ein gelingendes Programm seien, müsse darüber nachgedacht werden, wie diese besser einzubinden seien. Gaede betonte aber darüber hinaus, dass die Gedenkstättenarbeit auch und vor allem durch eigene Ziele definiert werden müsse, die nicht unbedingt mit den Erwartungen der Besucher im Einklang stünden. Insgesamt muss an dieser Stelle festgehalten werden, dass die Verengung des Blickes auf Besucherbefragungen im Hinblick auf eine Optimierung von Lernmöglichkeiten nur diejenigen Besucher erfasst, die Gedenkstätten aus einem Bildungsinteresse aufsuchen, und den weiten Bogen der Besuchermotive ignoriert, den Knigge zu Beginn der Tagung aufgespannt hatte.

Der dritte Block beleuchtete „Aktuelle Herausforderungen und Problemstellungen der Arbeit in Gedenkstätten“. Dazu wurden in drei Vorträgen unterschiedliche Aspekte relativ zusammenhanglos hintereinander gestellt, die keinen direkten Bezug zum Thema der Tagung hatten und wohl auch nur mittelbar in die Überlegungen zur Besucherforschung einfließen werden. Bernd Faulenbach zeichnete die Geschichte der Gedenkstätten seit der Wiedervereinigung nach und bekräftigte noch einmal, dass ein eigenes Instrumentarium entwickelt werden müsse, um Wirkungen der Gedenkstättenarbeit zu erheben. Er wies außerdem auf die Bedeutung der erst durch den Prozess der Deutschen Einheit verbindlich festgelegten Gedenkstättenförderung des Bundes hin und kritisierte in diesem Zusammenhang, dass ein aktueller Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion auf bevorzugte Förderung von Gedenkstätten des SED-Unrechts in Anbetracht der vergangenen zehn Jahre eher einen Rückschritt bedeute, weil er die Zentralisierung des Gedenkens anstrebe. Damit bezog Faulenbach neben anderen Rednern klar Stellung zum inoffiziellen Streitthema des Symposiums. Als erste Referentin widmete sich Elke Gryglewski (Haus der Wannseekonferenz) in der männerdominierten Tagung auf erfrischende Weise dem völlig unterbelichteten Thema „Gedenkstätten in der multi-ethnischen Gesellschaft“. Während es in der konkreten pädagogischen Praxis vor allem darum gehe, Themen so zu vermitteln, dass sich nicht nur Besucher mit deutschem Pass angesprochen fühlten, müsse bei der Konzeption von pädagogischem Material und Besucherforschungen gefragt werden, welche Geschichtsbezug für Jugendliche mit Migrationshintergrund relevant seien und wie der Geschichtshintergrund von Minderheiten überhaupt zu ermitteln sei, wenn – wie angenommen wurde – die (Familien-)Geschichte in der Mehrheitsgesellschaft verkümmere. Im letzten Vortrag des Tages versuchte sodann der Kunsthistoriker Detlef Hoffmann wieder einmal an amüsanten Beispielen, der Gedenkstättenszene die Fragwürdigkeit des Begriffs der „Authentizität“ im Kontext der Bewahrung von Orten zu verdeutlichen und sie mit dem Vorwurf der „Geschichtsfälschung“ zu provozieren. Eine solche finde statt, wenn versucht werde, nur eine einzige Zeitschicht in Erinnerung zu behalten, die Nachnutzungsgeschichte ehemaliger Lagergelände aber auszuklammern. Möglicherweise hilft Hoffmanns Vortrag, die Kategorie der „Authentizität“, die Gedenkstätten wie Museen so attraktiv mache, in Frage zu stellen.

Der zweite Tag stand unter dem Thema „Besucherorientierte Gedenkstättenarbeit – Erfahrungen, Impulse, Perspektiven“. Thomas Lutz (Stiftung Topographie des Terrors) wiederholte hier zunächst deutlich, dass Gedenkstätten vor allem vermittlungsorientierte Einrichtungen seien, weshalb Besucherforschung vorrangig dazu dienen müsse, die Bildungsarbeit zu verbessern, deren Ziele vorab zu definieren wären. Hier sei vor allem (selbst)kritisch zu prüfen, ob die „traditionellen“ Erziehungswerte des „Nie wieder!“ oder der „Verantwortung für die Geschichte“ am Übergang der dritten zur vierten Generation nach 1945 noch sinnvolle Zugänge seien. Auch Multiplikatoren, die häufig mit überzogenen Erwartungen an die Gedenkstätten heranträten, müssten im Vorfeld besser auf den Besuch vorbereitet werden. Eine Evaluation im engeren Sinne sei für den Bereich der politischen Bildung, die in Gedenkstätten stattfinde, kaum möglich. Besucherforschung könne aber zumindest Basisdaten erheben (Alter, Geschlecht, Bildungsstand, Verweildauer etc.) und in einer breiteren Umfrage Gründe dafür ermitteln, warum viele Menschen keine Gedenkstätte(n) besuchen. Durch den zweiten Beitrag des Vormittags, den Maria Nooke (Dokumentationszentrum Berliner Mauer) kurzfristig übernommen hatte, wurde es in der langen Diskussion im Anschluss schwierig, beim Thema der Tagung zu bleiben, da sie das Forum vor allem dazu nutzte, die Schwierigkeiten der Gedenkstätten darzustellen, die an die SED-Diktatur erinnern. Neben vielen anderen begrifflichen Unklarheiten war vor allem ihre Verwendung des Opferbegriffs äußerst problematisch, der für die SED-Diktatur angeblich wesentlich differenzierter sei als für den Nationalsozialismus und darum die Anerkennung des Opferstatus erschwere.

Als Resümee der Tagung wäre daraufhin Detlef Hoffmanns Kommentar zu verstehen: Besucherforschung sei vor allem eine Frage der Prioritätensetzung in der Gedenkstättenarbeit und vermutlich nicht ihr derzeit wichtigstes Thema. Möglicherweise wäre ein drängenderes Problem, innerhalb der Gedenkstättenszene die Auseinandersetzung über Selbstverständnis, Konkurrenz und Status, vor allem aber über die Verwendung des Opferbegriffs fortzusetzen. Ob Besucherforschung und Gedenkstätten in Zukunft zusammen gedacht und wie Besucherforschungen in Gedenkstätten tatsächlich durchgeführt werden, ist nach diesem Symposium nicht absehbar. Wenn sie aber sensibel konzipiert werden, mag diese Tagung dazu beigetragen haben. Eine Publikation der Referate ist in Vorbereitung.


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