Deified – Damned – Depleted. Energy as Resource, Symbol and Consumer Good

Deified – Damned – Depleted. Energy as Resource, Symbol and Consumer Good

Organisatoren
Technische Universität München (TUM); Deutsches Museum (DM) München; Rachel Carson Center, München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.01.2011 - 22.01.2011
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Von
Simone Stirner / Katalin Tóth, Deutsches Museum München

Die Geschichte der westlichen Industrienationen und Konsumgesellschaften ist untrennbar verbunden mit der des Energiekonsums. Der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verbreitete Glaube an Modernisierung und Fortschritt war untrennbar geknüpft an eine Steigerung des Energieverbrauchs – die Erschließung natürlicher Ressourcen erschien nicht nur als Motor der Zukunft, sondern wurde auch zum Symbol des Fortschritts. Die Illusion der unendlichen Verfügbarkeit von Energie förderte die Entwicklung energieintensiver Lebensgewohnheiten. Erst die Ölpreiskrise der 1970er Jahre und ein aufkommendes Bewusstsein über die Begrenztheit der Ressourcen konnten diese Einstellung bremsen und rückten die Privathaushalte als Energieverbraucher in den Vordergrund.

Ausgehend von der Annahme, dass Energie nicht nur Maschinen, sondern auch kulturelle Weltanschauungen prägt, legte der englischsprachige Workshop im Rahmen des seit Mai 2009 laufenden Forschungsprojekts „Objekte des Energiekonsums“ den Fokus auf die Einstellungen und Werte, welche mit Energie verbunden sind, sowie auf ihre Verankerung in sozialen und kulturellen Praktiken.

Das Ziel des Verbundprojektes, die Haushaltstechnisierung anhand von Objekten aus technikhistorischer, umwelt-, geschlechter- und konsumgeschichtlicher sowie museologischer Perspektive zu erforschen, spiegelte sich auch in der Interdisziplinarität der ReferentInnen wider.

Der eröffnende Beitrag von SILVANA BARTOLETTO (Parthenope) analysierte die Rolle von Energie in Zusammenhang mit wirtschaftlichem Wachstum in Europa über die letzten zwei Jahrhunderte und bot damit eine historisch-ökonomische Perspektive. Aufbauend auf die Konzepte Energie-Produktivität und Energie-Intensität, analysierte Bartoletto den Weg moderner Gesellschaften von der Nutzung traditioneller Energiequellen wie Holz, Wind oder Wasserkraft hin zur Nutzung von Kohleenergie, Öl oder Elektrizität. Bartoletto betrachtete Veränderungen in der Energienutzung zu Zeiten der Ölpreiskrise sowie aktuelle Tendenzen im Umgang mit schwindenden Rohstoffen.

Die beiden Beiträge von TIMO MYLLYNTAUS (Turku) und MATHIAS MUTZ (Berlin) setzen sich mit Reaktionen auf Energiekrisen auseinander. Timo Myllyntaus Beitrag beschrieb, wie die staatliche Kampagne „billett campaign“ in der Nachkriegszeit in Finnland verlief: Radioprogramme über den Mythos des Waldarbeiters und Pakete mit rationierten Konsumwaren gaben den Anreiz für die Stadtbewohner, an der Bewältigung der Energiekrise durch Holzfällertätigkeit teilzunehmen. Dies führte mit der Identifikationsfigur des Holzfällers zu einem neuen nationalen Selbstbild. Mathias Mutz nahm einen ländervergleichenden Blick in seiner Analyse ein. Mit der Einführung der Daylight Saving Time nach der Ölpreiskrise in Ost- und Westdeutschland verdeutlichte er die Relevanz verschiedener politischer und wirtschaftlicher Systeme für den Umgang mit Energie.

VALENTINA ROXO (München) beschrieb den Wandel der Provinz Tjumen in West-Sibirien von einer rückständigen Gegend hin zur Ölmetropole, deren Fortschrittlichkeit jedoch in den 1990er Jahren von immer schlechteren sozialen Bedingungen überschattet wurde. Die Analyse des Erbes der sowjetischen Umweltpolitik, institutionellen Maßnahmen und der Interaktion zwischen Umwelt und Gesellschaft zeigte, wie die Ressource Erdöl, die einst die Lösung vieler Probleme zu sein versprach, in der post-sowjetischen Zeit zum Auslöser ökonomischer und politischer Probleme geworden war.

Die Beiträge von KARL DITT (Münster) und JORDAN P. HOWELL (East Lansing) behandelten Strategien zur Steigerung des Energieverbrauchs. Karl Ditt zeigte in seinem Vergleich, dass neben der unterschiedlichen wirtschaftlichen Situation deutscher Haushalte auch unterschiedliche Einstellungen zu Konsumkreditprogrammen und Werbestrategien zu einer schnelleren Diffusion von Haushaltstechnik in Großbritannien um die Jahrhundertwende geführt hat. Jordan P. Howell analysierte in seinem Vortrag zwei gegenläufige Dynamiken in den USA von den 1880er Jahren bis zur Gegenwart. Während Energiedienstleister die physisch abstrakte Elektrizität durch personifizierte Darstellungen (Filmen oder Comic-Büchern) zu materialisieren suchten, wurden die Produktionsstätten in immer größere Distanz zum Endnutzer gelegt. Der gegenwärtige Trend hin zur „grünen Energie“ vollzieht sich für Howell ähnlich im Spannungsfeld von Materialisierung und Dematerialisierung.

Die Marketing-Strategie der Elektrizitätsunternehmer, die Elektrizität als "unsichtbares" Konsumgut darzustellen, wurde auch in den Beiträgen von SOPHIE GERBER (München) und YVES BOUVIER (Chambery) deutlich. Gerber konzentrierte sich auf das Fallbeispiel der Berliner Bewag und beschrieb den Einfluss von Elektrizitätsversorgern auf Verbrauchsmuster und die Werbe- und Aufklärungskampagnen in den 1950er Jahren, die den Grundstein für unsere heutige "Energie-Mentalität" legten. Der Beitrag von Bouvier behandelte die Werbefilm-Kampagnen des größten französischen Elektrizitätsversorgers EDF. Beide ReferentInnen beschrieben den Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Elektrizität als abstraktes Luxusgut zum essenziellen Teil des Privathaushalts.

NINA LORKOWSKI (München) und THOMAS BERKER (Trondheim) wandten sich dem Badezimmer als Austragungsort der Einflussnahme von Unternehmen auf Energieverbrauchsmuster zu. Das von Lorkowski ausgewählte Beispiel der Miet- und Ratenkauf-Kampagne für Warmwasserspeicher des Berliner Elektrizitätsunternehmens Bewag zeigte, wie die Angebote in Verbindung mit niedrigen Preisen für Nachtstrom die Verbrauchsmuster nachhaltig beeinflussten. Mit der Aufhebung der Begrenzung für Nachtstrom und einem gleichzeitigen Wandel der Hygiene-Gewohnheiten wurde der Weg für anhaltenden Gebrauch von Elektrizität frei. Thomas Berker untersuchte, wie der Energieverbrauch in der Wahrnehmung der KonsumentInnen von ihrem tatsächlichen Verbrauch abweicht. In Anlehnung an Jaques Rancières "Aufteilung des Sinnlichen" entwarf Berker das Konzept des "Energie-Sinnlichen". An Stelle von Bildern des Badezimmers, die das Verlangen nach der morgendlichen heißen Dusche aufgreifen, solle derselbe Raum mit Hygieneritualen in Verbindung gebracht werden, die weniger energielastig sind.

Die Gender-Prägungen von Haushaltsgeräten am Beispiel von Heimwärmevorrichtungen wie Kachelöfen und Zentralheizungen betrachtete URSULA OFFENBERGER (St. Gallen). Ausgehend von empirischen Verbraucherstudien zeigte sie, wie die Technologien über ihre Oberfläche geschlechtsspezifische Identifikationsmuster anbieten und Heimwärmevorrichtungen so zum "Spielplatz" von Männlichkeit werden können. Die energiebetriebenen Haushaltsgeräte erfüllen nicht nur ihren technischen Zweck, sondern sind Träger kultureller Codes, welche die Verbrauchsmuster nachhaltig mitbestimmen.

Die Ergebnisse der soziologische Studie „Nachhaltiger Energieverbrauch und Lebensstile in armen und armutsgefährdeten Haushalten“ (NELA) aus Wien wurden von ANJA CHRISTANELL (Wien) präsentiert. Da Haushalte mit geringem Einkommen stark von steigenden Energiekosten betroffen sind, werden unterschiedliche Strategien eingesetzt, diesen Kosten auszuweichen. Während manche Haushalte auf Steigerung der Effizienz setzen, reduzieren andere die Nutzung von Energieanwendungen auf ein Minimum. Die kontextuellen Bedingungen sind dabei unvorteilhaft: Der Versuch Energie zu sparen muss sich auf Verhaltensmuster im Alltag beschränken, der Kauf von energiesparenden Geräten oder die Wärmeisolation von Wohnungen kann selten finanziell bewältigt werden.

Die Vorträge von HELENA EKERHOLM (Umeå) und THOMAS MOE SKJØLSVOLD (Trondheim) trugen zum Verständnis von der Symbolik von Energieformen in den skandinavischen Staaten bei. Helena Ekerholm berichtete über das Holzgas als Kraftfahrzeugs-Treibstoff in Schweden aus historischer Perspektive. Während sich die Politik auf dem Weg zur Energieautarkie am Holzgas interessiert gezeigt habe, sei es im öffentlichen Bewusstsein immer mehr zum Symbol von Kriegs- und Mangelzeiten und einem Emblem technischer Rückständigkeit geworden. Skjølsvold betrachtete vergleichend die symbolische Repräsentation von Bioenergie in den Nachbarländern Schweden und Norwegen. Erklärung für den bemerkbar differierenden gesellschaftlichen Zugang bieten Unterschiede in der Infrastruktur und der Medienberichterstattung. Während letztere in beiden Ländern positiv ist und Bioenergie als Symbol einer neuen, „grünen“ Modernität vermittelt, berichten schwedische Medien gleichzeitig wesentlich stärker verbraucherorientiert als die norwegischen. Der Vortrag zeigte, welchen Einfluss kulturelle Wahrnehmung einer Energieform auf ihren Konsum haben kann.

Eine andere Form der Vermittlung von Energie behandelte NINA MÖLLERS (München) in ihrem Vortrag zur Repräsentation von Energie in Weltausstellungen von 1893 bis 1958. Am Beispiel der Ausstellungen wurde dargestellt, wie Energie in Narrative von Modernität, Wissenschaft und wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Fortschritt einbettet wurde. Möllers machte deutlich, wie Energie über verschiedene Ausstellungsdesigns und Präsentationsmodi für die BesucherInnen zugänglich gemacht und mit Diskursen von Fortschritt und Wohlstand verknüpft wurde. Auf diese Weise prägten die Ausstellungen die öffentliche Wahrnehmung von Energie als unendlich verfügbare Ressource.

Der Beitrag von OLE W. FISCHER (Salt Lake City) beschrieb wie der Gedanke von Modernität und Urbanität in der Architektur untrennbar mit der breiten Verfügbarkeit fossiler Energiestoffe verknüpft ist. Beginnend mit der Wende zum 20. Jahrhundert, als die Architektur im Zuge der Bereitstellung von Materialien auf Erdölbasis eine neue formale Sprache entwickelte, zeichnete Fischer nach, wie die „Affäre“ zwischen Architektur und fossilen Energiestoffen bis heute anhält und sich ein verändertes Verhältnis der Gesellschaft zu Energie bislang nur in Ansätzen in veränderten architektonischen Formen niedergeschlagen hat – ein Phänomen, das jedoch im aktuellen Trend zum nachhaltigen, „grünen“ Bauen eine Chance zur Veränderung erfährt.

Zusätzlich zum Vortragsprogramm wurde am ersten Konferenzabend in einer Podiumsdiskussion aus verschiedenen Perspektiven die Macht oder Ohnmacht der VerbraucherInnen im privaten Energiekonsum diskutiert. Florian Bieberbach brachte als Kaufmännischer Geschäftsführer der Stadtwerke München die Perspektive der Energieversorger ein, während Hermine Hitzler, selbständige Energieberaterin der BAYERNenergie e. V. den Blick auf die Schnittstelle zwischen Versorgern und VerbraucherInnen eröffnen konnte. Nina Lorkowski, Doktorandin im Projekt „Objekte des Energiekonsums“, erweiterte den Diskussionsrahmen um die kulturwissenschaftlich-historische Perspektive. Ausgehend von der Erfahrung, dass Energieberatung bei VerbraucherInnen bislang nur wenige Erfolge zeigte, betonte Bieberbach die Bedeutung staatlicher Regulierungsmaßnahmen. Hitzler wies verstärkt auf die fehlende Nachvollziehbarkeit des Energieverbrauchs für die VerbraucherInnen hin und betonte die Notwendigkeit einer höheren Transparenz bei der Bereitstellung von Produkten und Leistungen, die Träger von versteckter Energie sind. Lorkowski legte den Fokus auf die kulturellen Werte, welche in Verbrauchsmustern eingebettet sind und forderte die Berücksichtigung der sozio-kulturellen Determiniertheit von Konsumgewohnheiten beim Versuch, letztere zu verändern.

Die Einbettung der Fragestellungen des Workshops in die verschiedene wissenschaftliche Disziplinen - Geschichte, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Architektur, Gender-Studies - offenbarte die Weite des Definitionsspektrums von Energie und ihre diversen Erscheinungsformen innerhalb sozialer und kultureller Praktiken. Die Beiträge zogen verbindende Linien zwischen der kulturellen Wahrnehmung von Energie, dem Einfluss wirtschaftlicher und politischer Interessen auf ihren Verbrauch, ihrer medialen Darstellung und ihrer Einbettung in historisch-kulturelle Diskurse. Sie verknüpften die Rolle von Gender mit der Prägung von Konsummustern, setzten architektonisches Design mit Energieverbrauchsverhalten in Verbindung und verdeutlichten so, dass die Verhandlung von Energie als Ressource ihre symbolische Dimension genauso einbeziehen muss, wie ihre sozio-kulturelle Verankerung, öffentliche Repräsentation und ihren Status als Konsumgut.

Konferenzübersicht:

Session I: Energy as Resource

Silvana Bartoletto (University of Naples Parthenope): Energy Productivity and Energy Intensity in Europe Over the Last Two Centuries

Timo Myllyntaus (University of Turku): Relating Rationed Foodstuffs and Popular Culture to Energy Policy: Tackling a Fuel Shortage in Postwar Finland

Comments: Frank Uekötter (Deutsches Museum, Rachel Carston Center Munich)

Mathias Mutz (Humboldt University, Berlin): Saving Energy by Shifting Clocks? Energy Consumption and the Introduction of Daylight Saving Time in East and West Germany

Valentina Roxo (Rachel Carson Center, Munich): From Catalyst for Progress to National Security Threat: Public Discourse on West Siberian Oil Production from the 1970s to the Present

Comments: Julia Herzberg (Rachel Carson Center Munich)

Panel Discussion: “Energy Use Then and Now: Power or Powerlessness of the Consumer?”

Florian Bieberbach (SWM, Munich), Hermine Hitzler (BAYERNenergie e. V.), Nina Lorkowski (TU Munich)

Moderator: Karin Zachmann (Technical University Munich)

Session II: Energy as Consumer Good—Part 1

Karl Ditt (LWL-Institute for Westphalian Regional History, Münster): Household Technology in Germany and Great Britain, 1880-1940

Jordan P. Howell (Michigan State University, East Lansing): (De)Materializing Electricity Consumption and Conservation in the United States

Comments: Elizabeth Jones (Rachel Carson Center Munich)

Sophie Gerber (Technical University Munich): “Live the Carefree Electric Way”? Power Companies and their Strategies of Advising, Marketing and Educating, 1945-1990

Yves Bouvier (University of Savoie, Chambéry): Filming Electrical Consumption: EDF’s Promotional Films (1946-2004)

Comments: Thomas Hengartner (Zurich University)

Session II: Energy as Consumer Good—Part 2

Nina Lorkowski (Technical University Munich): Leasing and Hire-Purchase Appliances for the Bathroom: Expectations on Users and (Diverging) Consumer Behaviour

Thomas Berker (Norwegian University of Science and Technology, Trondheim): “In the Morning I Just Need a Long, Hot Shower”: A Sociology of the (Re)Distribution of the Energy Sensible

Comments: Maj-Britt Quitzau (Technical University of Denmark)

Ursula Offenberger (University of St. Gallen): Home Heating Technologies as a Masculine Playground? Co-Constructions of Gender and Technology

Anja Christanell (Vienna University of Economics and Business/Austrian Institute for Sustainable Development, Vienna): Energy Consumption, Social Structure and Sustainable Development

Comments: Karin Hausen (Technical University Berlin)

Session III: Energy as Symbol

Helena Ekerholm (Umeå University): Past and Present Cultural Perceptions of Wood Gas Fuel

Tomas Moe Skjølsvold (Norwegian University of Science and Technology, Trondheim): Green Hero or Old Bastard? Representations of Bioenergy in Norway

Comments: Sophia Nyborg (Technical University of Denmark)

Nina Möllers (Deutsches Museum, Munich): Electrifying the World: Representations of Energy and Modern Life at World’s Fairs, 1893-1958

Ole W. Fischer (University of Utah, Salt Lake City): Is the Modern Project Running Out of Gas? – Preliminary Thoughts about Energy, Architecture and Urban Space in 20th and 21st Century

Comments: Helmuth Lackner (Technical Museum Vienna)


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