Stadtkultur - Kultur(haupt)stadt

Stadtkultur - Kultur(haupt)stadt

Organisatoren
Österreichischer Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung; Ludwig Boltzmann Institut für Stadtgeschichtsforschung; Archiv der Stadt Linz
Ort
Linz
Land
Austria
Vom - Bis
09.11.2010 - 11.11.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Maria Jenner / Cathrin Hermann, Archiv der Stadt Linz

In einer Kooperation des Österreichischen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung, des Ludwig Boltzmann Instituts für Stadtgeschichtsforschung und des Archivs der Stadt Linz fand die internationale Tagung „Stadtkultur - Kultur(haupt)stadt“ in Linz statt. Wie der Vorsitzende Walter Schuster (Linz) in seiner Eröffnungsrede anmerkte, griff der Österreichische Arbeitskreis für Stadtgeschichtsforschung in seiner diesjährigen Tagung ein in der Stadtgeschichtsforschung bisher wenig berücksichtigtes Forschungsfeld auf. Ausgehend von einem modernen und weit gefassten Kulturbegriff stand die Untersuchung der Themen Kultur und Stadt unter einer historischen Perspektive an. Leitende Fragen waren die konkreten, stadtspezifisch kulturellen Praktiken und die Verbindungen zwischen Wirtschaft und Kultur. Bisherige Ergebnisse aus der Stadtgeschichtsforschung sollten ergänzt und zugleich erstmalig das Kulturhauptstadtjahr Linz 2009 kritisch gewürdigt werden.

Die ersten zwei Vorträge behandelten unterschiedliche Kulturaspekte in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten anhand der Beispiele von Zürich und des oberösterreichischen Freistadt. In ihrem Referat widmete sich MARTINA STERCKEN (Zürich) religiösen und politischen Inszenierungen der städtischen Bevölkerung in Zürich vor dem Hintergrund einzelner herrschaftlicher sowie bürgerlicher Siedlungsgebiete. Zentral war dabei die Frage nach vormoderner Öffentlichkeit, ihren Abstufungen, ihren Orten und der Teilnahme der Stadtbevölkerung. Anhand von Beispielen für Prozessionen und Theateraufführungen verdeutlichte Stercken die einzelnen politischen Akteure sowie deren Einflussbereiche. Dementsprechend wurde den Orten und Symbolen bürgerlicher Identität, wie beispielsweise der Wasserkirche stärkere Beachtung geschenkt. Letzterer kam im Vortrag wegen ihrer hohen Bedeutung für die Identität der Züricher Bürger und der spezifisch bürgerlichen Vorstellungen über die Geschichte Zürichs ein breiter Raum zu. Fragen nach bürgerlicher Identität und deren Erinnerungsformen bildeten eine thematische Überleitung zu ELISABETH GRUBER (Wien). Diese stellte ihr aktuelles Forschungsprojekt zu Transfer und Vernetzung anhand der Memorialkultur in Freistadt dar. Ausgehend von der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Auffassung von Verstorbenen als Rechtssubjekten und deren Gegenwart in Stiftungen wurde der zentrale Ort der Freistädter Memorialkultur, die Kirche St. Katharina, behandelt. Anhand der Verfügungen Anna Zinispans und Georg Fuchseders arbeitete die Vortragende die lokale Vernetzung und die Bedeutung von Stiftungen heraus. Neben der Relevanz des Totengedenkens als Legitimation sowie Weiterführung familiärer Ansprüche betonte sie die darüber vermittelten Statusrepräsentationen und Gruppenzugehörigkeiten.

Mit der Stadt als Ort von Kultur und Kunst sowie der Stadt als kulturellem Phänomen setzten sich die nachfolgenden Vorträge auseinander. Ein Desiderat aufgreifend regte PETER JOHANEK (Münster / Westfalen) in seinem Beitrag die stärkere Beachtung von Musik und ihrer Bedeutung für die städtische Gesellschaft an. Ausgehend von der langen Vernachlässigung von Musik und musikalischer Praxis in der Geschichtsschreibung im Allgemeinen und in der Stadtgeschichtsforschung im Speziellen legte Johanek einen Abriss der städtischen Musikpraxis seit dem Mittelalter dar. Gerade die Frage nach der obrigkeitlichen Regulierung der Musikausübung biete einen Ansatz zur Erschließung der Musikkulturen und der bürgerlichen Repräsentation, weswegen Obrigkeit und städtische Verwaltung in ihrer Funktion als Regulative behandelt wurden. Einen weiteren Schwerpunkt stellte der Wandel in der städtisch-bürgerlichen Kultur und die zunehmende Professionalisierung des Musikbetriebes im 19. Jahrhundert dar. Anknüpfend an die baulichen wie städteplanerischen Veränderungen im 19. Jahrhundert lenkte ROMAN SANDGRUBER (Linz) den Blick auf Museen, Bibliotheken und Theater als zentrale Elemente der städtischen, bürgerlichen Kultur. Vor dem Hintergrund des Bedeutungsverlust einer Stadt im rechtlichen Sinne legte der Vortragende den einsetzenden kulturellen Aufschwung dar. Die parallel dazu stattfindende Positionierung als Zentrum von Verwaltung, Information, Kapital, aber vor allem von Kultur dokumentierte Sandgruber durch einzelne Beispiele. Er betonte, dass besonders im 19. Jahrhundert die genannten Institutionen Kennzeichen einer modernen Stadt gewesen seien und als Symbole der veränderten Vorstellungen des erstarkten Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums gegolten hätten.

Der stärker theoretisch ausgerichtete Vortrag von WOLFGANG MADERTHANER (Wien) beschäftigte sich mit den ArbeiterInnenmilieus und deren Kulturvorstellungen in Großbritannien, Deutschland und Österreich. Zentral war die Frage nach der Ausbildung eigenständiger Kulturformen, wie Maderthaner dies in Großbritannien und Teilen der deutschsprachigen Linken verwirklicht sah, und nach der Übernahme bürgerlicher Kulturvorstellungen. In diesem Sinne wurden die Arbeiterkulturvereine, welche die Demokratisierung des Bildungskanons und darüber hinaus eine freie Entfaltung des Individuums forderten, als Phänomen des deutschsprachigen Raumes hervorgehoben. Bei der Frage nach den eigenständigen Arbeiterkulturen kam der Sportausübung eine zentrale Stellung zu, woran sich ein Vergleich zwischen der Fußballkultur in Österreich und im faschistischen Italien und im nationalsozialistischen Deutschland anschloss. Beschlossen wurde der erste Tag durch den öffentlichen Vortrag von KONRAD PAUL LIESSMANN (Wien) über die Stadt als kulturelles Phänomen. Ebenfalls unter Rückgriff auf die so zentrale Entwicklung europäischer Städte seit dem 19. Jahrhundert und die damit verbundenen Änderungen in der Stadtwahrnehmung stellte er die grundlegenden Elemente städtischer Kultur in den Mittelpunkt. Hauptaugenmerk legte Liessmann auf die spezifische Ausformung von Mentalität, Sprache und Verhalten, welche er mit der besonderen Bedeutung von Geschichtlichkeit, der Differenzierung innerhalb der städtischen Besiedlung und der Abgrenzung vom nicht städtischen Umfeld verband. Zugleich stellt nach Ansicht des Vortragenden die zunehmende Verstädterung ländlicher Gebiete, die dortige Übernahme städtischer Lebensformen und die Aufweichung der Stadtgrenzen die bisherige räumliche Trennung zunehmend in Frage.

Der Eröffnungsvortrag des zweiten Tages von WILFRIED LIPP (Linz) und die Referate KARL VOCELKAs (Wien) und OLIVER RATHKOLBs (Wien) wurden durch die thematische Klammer „Stadt und Erinnerung“ verbunden. Einführend setzte Lipp in seinen theoriebasierten Ausführungen Schlaglichter auf die Bedeutung der Begriffe Stadt – Image – Identität im Fokus der Denkmalpflege. Dabei legte er seine Auffassung von der Stadt als Identitätskonzentration dar und entwickelte daraus die Frage, welchen Anteil Geschichte am Image beziehungsweise an der Identität einer Stadt tatsächlich habe. So zeige sich gerade am Begriff der Identität wiederum die Spannung zwischen der eigentlichen Wortbedeutung – Übereinstimmung mit dem, was ist – und der Verwendung als Begriff der Abgrenzung. Als bedeutenden Wandel führte der Vortragende abschließend aus, dass die Gegenwartsmoderne zwar eine Hochphase der Identitätskrisen sei, zugleich aber Kultur und historische Denkmäler als identitätsstiftende Werkzeuge heranziehe. Als erster der zwei auf konkreten Themenbereichen beruhenden Vorträge sprach Karl Vocelka zu Denkmälern und Bauwerken in Wien, Budapest und Prag als Ausdruck zeitgebundenen Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert. Von der Position Wiens als Maßstab für städtebauliche Konzeptionen in der Habsburgermonarchie ausgehend legte er die sich daraus ergebenden baulichen Angleichungen in Budapest und Prag dar. Als entscheidenden Unterschied hob Vocelka hervor, dass sich in Wien bei den Denkmälern ein deutlicher dynastischer Charakter zeige, in Prag und Budapest jedoch eine Ausrichtung der Erinnerungsorte und Kulturinstitutionen auf das tschechische oder ungarische Bürgertum bestehe. Zu Erinnerungsobjekten des Nationalsozialismus und des Kommunismus sowie der europäischen Geschichtspolitik sprach anschließend Oliver Rathkolb. Nach der grundlegenden Feststellung, dass für Denkmäler aus Diktaturen die Reduktion ansonsten mehrdeutiger Lesarten auf eine einzige Möglichkeit kennzeichnend sei, ging er auf die mit Systemwechseln einhergehende Usurpation oder Zerstörung bislang vorhandener Erinnerungsobjekte ein. Zentral stelle sich die Frage nach dem Umgang mit diesen Denkmälern und Erinnerungsorten in Europa. Ausführlich ging der Vortragende anhand der Beispiele Thury-Hof (Wien) und „Haus des Terrors“ (Budapest) den länderspezifischen Debatten um eine Kontextualisierung sowie den damit verbundenen nationalen Geschichtsbildern nach.

Unter die Schlagwörter „Stadt – Kultur – Wirtschaft“ kann der letzte thematische Block der Tagung gestellt werden, stand doch neben einer Abklärung, in welchem Rahmen sich Kultur als wirtschaftlicher Faktor für Städte anbiete, eine kritische Auseinandersetzung mit städtischer Kulturpolitik an. Eben diese kulturpolitischen Bestrebungen Amsterdams umriss JAN BOOMGAARD (Amsterdam), wobei sein Schwerpunkt im Bereich der städtischen Organisation lag. Diese gehe von einer steigenden Bedeutung von Kultur als Wirtschaftsfaktor in modernen Großstädten aus und nutze eine auf langfristige Entwicklungen ausgerichtete Schwerpunktförderung. Als Beispiele führte der Vortragende dann auch, neben einzelnen Kulturinstitutionen, besonders die Einbindung von kulturellen Projekten bei der Aufwertung und Revitalisierung von Stadtvierteln an. Kritik übte Boomgaard einerseits an der etwas einseitigen Förderung der klassischen Kunst sowie der weitläufigen Verteilung der Entscheidungsverantwortlichkeit und der somit fehlenden Kompetenzbündelung. Eine weitere Untersuchung der kulturellen wie wirtschaftlichen Ausrichtung von Städten und Gebieten legte REINHARD KANNONIER (Linz) vor. Ausgehend von den Beispielen Linz, Dornbirn und dem Ruhrgebiet zeichnete er die kulturellen Reaktionen auf wirtschaftliche Umstrukturierungen nach, um die Entscheidungsfaktoren und Auswirkungen zu vergleichen. Während Linz im Zuge der Stahlkrise dezidiert den Kulturbereich als einen Faktor der Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft auffasste und eine Auseinandersetzung von Kunst und Technologie förderte, schilderte Kannonier die aus der Krise der europäischen Textilindustrie resultierende Situation in Dornbirn als gegenläufig. Hier sei der Schwerpunkt bei der Bewältigung auf einer möglichst raschen Ansiedelung anderer Wirtschaftssparten gelegen, ohne jedoch Kultur als einen möglichen Wirtschaftsfaktor hervorzuheben. Der hohe Stellenwert von Kultur und Bildung als wirtschaftliche Faktoren zeige sich besonders bei der langfristigen Umstrukturierung des Ruhrgebietes, welche dort zu einem ausgeprägten Ausbau des Bildungs- und Kultursektors geführt habe. Das Thema der Bedeutung von Kultur zur wirtschaftlichen Belebung von Städten führte BERNHARD DENSCHER (Wien) in seinem Beitrag fort. Ausgehend von der Feststellung, dass Kulturbereich und Kunst beim Stadtmarketing zunehmend an Bedeutung gewinnen, behandelte er mehrere europäische Versuche, das kulturelle Kapital einer Stadt zu steigern. Überzeugende Beispiele positiver Auswirkungen einer sich auf lokale Gegebenheiten und Personen beziehenden Entwicklung und Fortführung von Kulturinstitutionen stellten für den Vortragenden die Städte Liverpool und Salford bei Manchester dar. Dabei erregte gerade das nach dem Maler Laurence Stephen Lowry benannte Kulturzentrum in Salford durch seine Einbindung von Freizeitgestaltung und Bildung besondere Aufmerksamkeit. Wesentlich kritischer sah Denscher die Errichtung des Guggenheim-Museums für moderne Kunst in Bilbao, dies vor allem, da der wirtschaftlich belebende Aspekt des Konzeptes bislang an keinem anderen Standort mehr wiederholt werden konnte. Ebenso hob er hervor, dass die Stadt wegen der fehlenden Verbindung des Museums zur lokalen Bevölkerung und der starken Ausrichtung auf Tagesgäste nur wenig profitiere.

Als letzte Referentin der Tagung sprach BRIGITTE KEPPLINGER (Linz) über Linz als Europäische Kulturhauptstadt 2009 und die darin umgesetzten Zeitgeschichteprojekte. Einleitend stellte sie eine Kurzfassung des Werdegangs der Kulturhauptstadt 2009 und die zentralen Leitlinien der Europäischen Union für den Umgang mit der NS-Geschichte dar. Besondere Betonung fand die Sicht auf den Nationalsozialismus als negativer Gründungsmythos der Europäischen Union. Ausgehend von diesen Rahmenbedingungen ging die Vortragende näher auf einige realisierte zeitgeschichtliche Projekte und ihre Resonanz in der Öffentlichkeit ein. Im Zentrum der Ausführungen standen die Ausstellungen „Kulturhauptstadt des Führers“, „Unter uns“, die Visualisierungen nationalsozialistischer Verfolgungen durch das Projekt „In Situ“ sowie das sogenannte „GeschichteBuch“, eine inhaltlich sehr umstrittene Darstellung der Linzer Geschichte während des Nationalsozialismus. Als Resümee gab Kepplinger zu bedenken, dass trotz des durchweg positiven medialen Echos eine kritische Betrachtung vor allem seitens der lokalen Presse fehlte, und stellte des Weiteren die Nachhaltigkeit der Projekte in Frage.

Die Tagung zeigte durch ihre unterschiedlichen Blickwinkel auf den Themenkomplex Kultur und Stadt neue Forschungsmöglichkeiten und bestehende Desiderate, wie beispielsweise die noch wenig erforschten musikalischen Praktiken der städtischen Bevölkerung, auf. In den sich an die einzelnen Vorträge anschließenden regen Diskussionen wurden die Anregungen aufgegriffen, wobei vor allem jene Beiträge, die sich mit theoretischen Ansätzen und dem wirtschaftlichen Faktor von Kultur befassten, große Beachtung hervorriefen. Bei der Besprechung der kulturellen Ausrichtung einzelner Städte traten – wohl auch beeinflusst von der Situation der Wirtschaft allgemein und der österreichischen Forschungsförderung – die Fragen nach den ökonomischen Rahmenbedingungen und nach der zukünftigen finanziellen Unterstützung der vielfältigen städtischen Kulturen durch Staat und Verwaltung immer wieder in den Mittelpunkt. Dabei wurde gerade das offensichtliche Interesse von Städten an ihrer Geschichte und Kultur als neue Chance für Kulturbetriebe sowie als noch weiter zu untersuchendes Forschungsfeld erachtet.

Konferenzübersicht:

Walter Schuster (Linz): Eröffnung

Martina Stercken (Zürich): Die Stadt als Bühne. Öffentliche Inszenierungen im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Zürich

Elisabeth Gruber (Wien): Memoria – bürgerliches Selbstverständnis im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit am Beispiel Freistadt

Peter Johanek (Münster/Westfalen): Stadtgesellschaft und Musik vom Mittelalter bis zur Gegenwart

Roman Sandgruber (Linz): Museum, Bibliothek und Theater als zentrale Orte einer Stadtkultur des 19. und 20. Jahrhunderts

Wolfgang Maderthaner (Wien): Städtische Arbeiterkultur von der Jahrhundertwende bis nach 1945 im internationalen Vergleich

Konrad Paul Lissmann (Wien): Urbanität oder Die Stadt als kulturelles Phänomen

Wilfried Lipp (Linz): Stadt – Image – Identität. Fokus Denkmalpflege

Karl Vocelka (Wien): Denkmäler und Bauwerke als Konstrukt des Nationalbewusstseins im 19. Jahrhundert (Wien – Prag – Budapest)

Oliver Rathkolb (Wien): Kommunistische und NS-Denkmäler als Beispiel von Geschichtspolitik in Europa

Jan Boomgaard (Amsterdam): (Welt)Stadtkultur. Ambition und Organisation

Reinhard Kannonier (Linz): Kultur als Motor von urbanen Transformationsprozessen

Bernhard Denscher (Wien): Kultur-Kapitalen. Kultur als Marketingfaktor im Wettbewerb der Städte

Brigitte Kepplinger (Linz): Die Europäische Kulturhauptstadt Linz 2009 und ihr Zeitgeschichteprogramm

Lutz Musner (Wien): Die Kulturhauptstädte Graz und Linz – Versuch einer kritischen Bilanz (Vortrag entfiel)