Deák und seine Ausgleiche

Deák und seine Ausgleiche

Organisatoren
Collegium Hungaricum und Geisteswissenschaftliches Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO)
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.11.2003 -
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Von
Juliane Brandt

Am 10. November 2003 fand in Leipzig ein vom Collegium Hungaricum Berlin und dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) veranstaltetes Kolloquium zum Thema "Deák und seine Ausgleiche" statt. Dem vor 200 Jahren geborenen Politiker Ferenc Deák, der maßgebliche Verdienste um Zustandekommen und Gestaltung des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 hatte, ist das "Deák-Gedenkjahr" der Republik Ungarn gewidmet, in dessen Programm sich auch die Leipziger Veranstaltung einreihte.

Über den mit dem Jubiläum gegebenen Anlaß hinaus hat die fortdauernde Faszination, die Deáks Person und Werk ausüben, mehrere Bezugspunkte: In erster Linie ist es das Projekt des Ausgleichs selbst, dessen staatsrechtliche Regelungen einen Interessenausgleich zwischen beiden Reichshälften der Monarchie sowie den politischen Ambitionen ihrer Führungsschichten schufen und dabei zugleich erfolgreich zwischen Traditionslinien der Interpretation des staatsrechtlichen Verhältnisses beider Seiten vermittelten. Hatte der allmähliche Positionsverlust der Habsburger in der europäischen Politik in den 1860er Jahren äußere Voraussetzungen für diese Neuregelung geschaffen, blieb es doch eine Herausforderung, im Widerstreit von imperialen Ansprüchen Wiens und ungarischen Souveränitätsaspirationen zu vermitteln. Hinzu kamen die Differenzen innerhalb der ungarischen politischen Klasse zwischen radikalen und gemäßigten Reformern, verkompliziert durch die Position der aus Standesinteressen gegen allzu tiefgreifende Reformen positionierten und zu Wien haltenden Altkonservativen. Wichtiger Bezugspunkt anhaltenden Interesses an Deák ist dessen Lebensweg als Politiker, der zwar weder ähnlich groß angelegte gesellschaftliche Konzeptionen wie István Széchenyi entwarf noch zum Führer einer Massenbewegung wie Lajos Kossuth avancierte, jedoch seit den 1830er Jahren zur allseits anerkannten Autorität der politischen Debatten aufgestiegen war. An seiner menschlichen und moralischen Integrität gab es allgemein keinen Zweifel. Weiter ist es der Lebensweg eines liberalen Politikers, der wohl auf dem Weg zur bürgerlichen Umgestaltung des Landes im Interesse der territorialen Integrität des historischen ungarischen Staates die Notwendigkeit einer Einigung mit den Habsburgern anerkannte, der aber innerhalb dieser, als staatsbürgerlicher konzipierten Nation an den allen gegenüber gleichermaßen geltenden liberalen Prinzipien festhielt. Vor dem Hintergrund der heutigen Debatten um die europäische Einigung findet Deáks Lebenswerk aktuelles Interesse. Dies schließt ein, die historischen Voraussetzungen seines Wirkens in ihrer Spezifik und Einzigartigkeit zu begreifen. Deáks Leistung in ihrem historischen Umfeld zu untersuchen war Anliegen der Leipziger Tagung, an der Referenten und Gäste aus Budapest, Berlin, Frankfurt und Leipzig teilnahmen.

Gábor Pajkossy (Budapest) analysierte das Auftreten Deáks auf dem Landtag 1839/40 und fragte, mit welcher Berechtigung die danach einsetzenden politischen Veränderungen der 1840er Jahre als Ergebnis eines ersten "Ausgleichs" bezeichnet werden können. Angesichts der Begrenztheit der ausgehandelten Anliegen - mit der Redefreiheit im Mittelpunkt -, ohne strukturelle Veränderungen, sowie der ausbleibenden institutionellen Verankerung scheint das Wort vom "Ausgleich" für den ersten zwischen Hof und Landtagsmehrheit erreichten Kompromiß als übertrieben. Auch in der Folgezeit konnte Deák seine Vorhaben einbringen, aber nicht substantiell umsetzen (z.B. die Strafrechtsreform). Dennoch, so Pajkossy, wäre Deák allein aufgrund seiner Tätigkeit in den Reformlandtagen ein Platz unter den wichtigsten Politikern Ungarns im 19. Jahrhundert sicher. Der Vortrag erhellte zudem, wie Deák es verstanden hat, unter den Kommunikationsbedingungen der adligen politischen Elite, außerhalb einer breiten, auf Printmedien gestützten Öffentlichkeit breite Zustimmung für seine Anliegen zu mobilisieren und sie so auf der politischen Agenda zu halten.

"Ausgleich der Reichshälften oder der Staaten?", fragte Katalin Gönczi (Frankfurt/M.) und untersuchte historische Vorbilder sowie Traditionslinien des europäischen politischen Denkens, die Deáks Konzept bzw. den zeitgenössischen Deutungen des österreichisch-ungarischen Verhältnisses zugrunde lagen. Durch sein Studium an der königlichen Akademie in Gyor war Deák vom Kantianischen Vernunftrecht und der Tradition des Naturrechts geprägt. Wichtigen Einfluß auf ihn hatten zudem der süddeutsche Liberalismus, insbesondere die Schriften Welckers und Mittermaiers, sowie die in Göttingen entwickelte Tradition einer europäischen Staatengeschichte. Die Zusammenführung dieser Linien ermöglichte es ihm, eine Interpretation der historischen Rechtsstellung Ungarns in der Habsburgermonarchie zu entwickeln, auf der sich die staatsrechtliche Lösung des Ausgleichs als Kompromiß aufbauen ließ.

Zoltán Szász (Budapest) sprach über Deák, den Ausgleich und die Nationalitätenfrage. Angesichts der heterogenen Zusammensetzung der Bevölkerung Ungarns, wie auch der territorialen Verteilung der Nationalitäten und ihrer soziostrukturellen Unterschiede, zählte diese Frage zu den Dauerproblemen des dualistischen Staates. Schon im Vormärz hatte Deák darauf hingewiesen, daß ein Auseinanderbrechen der Monarchie angesichts der politischen Aspirationen der Nationalitäten, der russischen Unterstützung für die slawischen Völker und des weitgehenden europäischen Desinteresses für die Ungarn, notwendig auch die territoriale Einheit Ungarns gefährden würde. Wie andere liberale Politiker hoffte er jedoch auf eine allmähliche Integration der Nationalitäten durch die Bindung ihrer Interessen an einen bürgerlichen ungarischen Staat und die Assimilation ihrer aufstiegswilligen Eliten. Gerade im Bewußtsein der möglichen Gefahren, die die Verschiedenheit der Einwohner für das Projekt der Staatsbürgernation bedeutete, war er immer wieder in konkreten politischen bzw. gesetzgeberischen Vorhaben bereit, den Angehörigen der Nationalitäten sehr weitgehende Rechte einzuräumen. Diese reichten bis hin zur Einbeziehung der Rumänen in die siebenbürgische Nationsuniversität, oder aber bis zur Fortexistenz lokaler Landtage unterhalb der Ebene des ungarischen Reichstags. Mit diesen Ideen konnte sich Deák in der ungarischen Führung nach 1867 jedoch nicht durchsetzen, und bezeichnend für Deáks Vorgehen dürfte es sein, daß der alternde Politiker derartige Konzepte zugunsten des Ausgleichsprojekts insgesamt zurückstellte.

Tibor Frank (Budapest/Berlin) betrachtete das Verhältnis Preußens zum österreichisch-ungarischen Ausgleich und stellte dabei insbesondere zahlreiche Dokumente aus dem Nachlaß Otto von Bismarcks vor. Für Preußen waren die Habsburger naturgemäß ein Konkurrent auf dem Weg zur Einigung Deutschlands. Unter der Voraussetzung ihres Rückzugs aus der deutschen Politik, bzw. nach der Niederlage gegen Preußen wurden sie jedoch zu einem Bündnispartner im europäischen Mächtespiel. Der Referent demonstrierte, wie diese Vorstellung bereits das Denken des jungen Bismarcks vor Beginn seiner politischen Karriere prägte. Insbesondere die österreichische Einigung mit Ungarn, bzw. die geschickte Berücksichtigung der ungarischen Interessen durch die Habsburger - nicht nur im Sinne eines Wien unterstellten wohlverstandenen Eigeninteresses, sondern auch mit deutlicher, aus eigenen Eindrücken geprägter Sympathie für Ungarn (wie er sie u.a. dem Schriftsteller Mór Jókai 1874 schilderte) - war in seinen Vorstellungen bereits 1860 präsent.

Der Vortrag von Vilmos Voigt (Budapest) thematisierte jenen Anekdotenschatz, der um die Person Deáks angehäuft wurde. Der "Weise der Nation", der die Möglichkeiten der Casinos und privaten Gespräche intensiv in seiner politischen Arbeit genutzt hatte, war oft auch selbst ein geschickter Erfinder und Verbreiter von Anekdoten. Je nach den Möglichkeiten öffentlicher politischer Meinungsbildung im Vormärz, nach der Niederschlagung der Revolution von 1848/49 bzw. rund um den Ausgleich von 1867, lassen sich Veränderungen feststellen, die auf die spezifischen Strukturen der Öffentlichkeit und die ihnen gemäßen Kommunikationsstrategien verweisen.

Im Namen der Veranstalter brachten Winfried Eberhard und Frank Hadler für das GWZO bzw. András Masát und Márton Méhes für das Collegium Hungaricum abschließend ihre Absicht zum Ausdruck, die mit diesem gemeinsamen Leipziger Kolloquium begonnene institutionelle Zusammenarbeit künftighin fortsetzen und ausbauen zu wollen.


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