Bilderwelten. Fotografie, Film und künstlerische Bildproduktion in den nationalsozialistischen Lagern und Ghettos und deren Rezeption

Bilderwelten. Fotografie, Film und künstlerische Bildproduktion in den nationalsozialistischen Lagern und Ghettos und deren Rezeption

Organisatoren
KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Team "Bilderwelten" Hamburg
Ort
Neuengamme
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.02.2011 - 13.02.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Annika Wienert, Kunstgeschichtliches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Der Workshop in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme versammelte Forschungsprojekte, die sich aus unterschiedlicher disziplinärer Perspektive mit Bildern der NS-Lager und Ghettos beschäftigen. Dabei wurde der methodischen Reflexion ausdrücklich eine zentrale Stellung zugedacht, um interdisziplinär und intermedial diskutieren zu können. Ausgangsthese des Organisationsteams war, dass Bilder in besonderer Weise die Vorstellung der Konzentrationslager und Ghettos bestimmen, sowohl in der Öffentlichkeit, als auch in der wissenschaftlichen Community. Wie der Tagungstitel andeutet, wurde der Bildbegriff hierbei in einem engen Verständnis auf visuelle Quellen mit einer materiellen Substanz angewendet. Hinsichtlich ihrer Erforschung bestünden noch viele Desiderate, so die Organisator/innen. Selbsterklärtes Ziel der Tagung war es in diesem Zusammenhang, eine sorgfältige Quellenkritik mit der Untersuchung der ästhetischen Dimension zu verbinden. Die sechs Panels wurden zur Hälfte bestimmten Medien zugeordnet (Künstlerische Bildproduktion, Fotografie, Film), zur Hälfte thematisch bestimmt (Ästhetik und Ikonografie, Perspektiven, Gebrauchsweisen/Rezeption). Dem Charakter eines Workshops wurde Rechnung getragen, in dem die Referate von Nachwuchswissenschaftler/innen bestritten wurden, die jeweils von einem/einer etablierten Wissenschaftler/in kommentiert wurden.

Den Eröffnungsvortrag im Hamburger Rathaus hielt CORNELIA BRINK (Freiburg im Breisgau). Ihr Fokus lag dabei auf methodologischen Fragen. Sie appellierte an die Historiker/innen, sich mit fototheoretischen Untersuchungen von kunstgeschichtlicher und philosophischer Seite zu beschäftigen und bei der Arbeit mit Fotografien dieselbe quellenkritische Sorgfalt wie bei Texten anzuwenden. Sie selber verortete sich in der durchaus kontroversen fototheoretischen Diskussion, indem sie in Anschluss an Roland Barthes das Foto als eine Spur/einen Index ohne Bedeutung auffasste. Als „Botschaft ohne Code“ erlange das Foto Bedeutung erst durch eine Kontextualisierung. Weitere theoretische Bezugspunkte waren die phänomenologisch orientierte Ansätze des Kunsthistorikers Gottfried Boehm und des Philosophen Bernhard Waldenfels. So widersprach Brink der Vorstellung, dass ein Bild restlos in Sprache zu überführen sei. Gerade deswegen aber sei das Augenmerk auf eine Bildbeschreibung zu legen, die Grundlage jeglicher weiterer Argumentation sei. Dabei müsse die eigene Position als Deutende/r reflektiert und gekennzeichnet werden. Brink wandte sich gegen die inflationäre und diffuse Rede von der „Macht der Bilder“ und plädierte für eine Kontextualisierung und Differenzierung der Bildwirkungen, der Betrachter/innen und der einzelnen Bildmedien.

Das erste Panel des Workshops beschäftigte sich mit künstlerischen Bildproduktionen. VERONIKA SPRINGMANN (Berlin) befasste sich in ihrem Vortrag mit Zeichnungen und Aquarellen, die von ehemaligen Lagerinsassen erstellt wurden. Sie zeigen den „Lagersport“ als Gewaltpraxis. In der Diskussion wies Detlef Hoffmann (München) darauf hin, dass die ungeklärte Provenienz einiger Zeichnungen auch Ausdruck von einer mangelnden institutionellen Professionalität seitens der Institutionen, die diese Quellen aufbewahren (in erster Linie die Archive der Gedenkstätten), sei. Dort seien über lange Zeit nicht die ansonsten üblichen Standards im Umgang mit Archivalien praktiziert wurden.

In dem Panel, das der Ästhetik und Ikonografie gewidmet war, sprach CHRISTIANE HESS (Hamburg/Bielefeld) über die Darstellung von Funktionshäftlingen in Zeichnungen ehemaliger Lagerinsassen. Sie stellte unter anderem Zeichnungen vor, die im Lager Neuengamme von René Baumer und Per Ulrich, zwei ausgebildeten Künstlern, angefertigt wurde. Ihre Porträts von Funktionshäftlingen seien nach Heß in der Tradition der „Kriminellen-Porträts“, wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet habe, zu verorten. Die stereotypisierende Darstellung, bei der groteske Gesichtszüge und andere visuelle Auffälligkeiten betont werden, deutete Heß als Mittel der Distanzierung der Zeichner von diesen Häftlingen.

VIOLA RÜHSE (Hamburg) untersuchte ausgewählte Fotografien Lee Millers. Sie beschäftigte sich dabei mit dem von der kunsthistorischen Forschung bislang kaum beachteten Einfluss des Surrealismus auf Millers Bildästhetik und zeigte anhand von Bildvergleichen exemplarisch die vielfältigen Bezüge zu kunsthistorischen Vorbildern auf. Die Diskussion drehte sich jedoch hauptsächlich um die Frage, ob bzw. inwiefern Millers Fotos inszeniert seien. Dabei wurde deutlich, dass der Begriff der Inszenierung durchaus unterschiedlich verstanden wurde und zum Teil etwas unreflektiert schlicht als Synonym für „gefälscht“ oder „vorgespielt“ verwendet wurde.

Im Panel zur Fotografie beschäftigte sich HARRIET SCHARNBERG (Hamburg) mit den Bildern der Ghettos in den NS-Printmedien. Sie erläuterte, dass es einen Wandel im Propagandanarrativ gegeben habe. Bis zum Winter 1940 sei das Ghetto im Sinne der traditionellen antisemitischen Rede von „jüdischen Elendsviertel“ thematisiert worden. Kennzeichnend dafür sei das „Gewimmel“ im Ghetto gewesen, das mit Kriminalität, permanentem Handel, Dreck und Unordnung assoziiert wurde. Diese „jüdischen Slums“ seien so präsentiert worden, dass keinerlei Empathie bei den Betrachter/innen geweckt werden sollte. Erst ab 1940/41 sei das spezifisch nationalsozialistische Ghetto ins Bild gesetzt worden. Hier wurden nun auch jüdische Opfer gezeigt, vor allem arme, hungernde Kinder, für deren Elend die vermeintliche reiche Ghetto-Oberschicht verantwortlich gemacht wurde. Das jüdische Gemeinwesen wurde so als ein asoziales präsentiert. Als zweites wichtiges Kriterium dieser neuen Bildsprache stellte Scharnberg die Ikonografie der (Eigen-) Staatlichkeit heraus. Diese machte sie an der Darstellung der Grenzen des Ghettos und der dort stattfindenden Grenzkontrollen sowie weiterer hoheitlicher Ausgaben wie Post oder Polizei fest.

In dem thematischen Panel mit der Überschrift „Perspektiven“ stellte ANDREAS EHRESMANN (Hamburg) ausgewählte Häftlingskartierungen des KZ Neuengamme als kognitive Karten vor. Diese subjektiven, in der Regel laienhaften Zeichnungen sind als eine besondere Form von Ego-Dokumenten zu betrachten. Sie wurden in der Regel rückwirkend aus dem Gedächtnis angefertigt und stellen abstrakte, komplexe und gefilterte Visualisierungen des wahrgenommenen Lagerraums dar. Mit dem Begriff der kognitiven Karte oder „mental map“ übertrug Ehresmann Theorien der Wahrnehmungsgeografie auf das Erleben der Konzentrationslager. Im Vergleich der verschiedenen Karten von Neuengamme stellte sich heraus, dass vieles allen Karten gemeinsam ist (so die grobe Lagerstruktur und das Krematorium), einiges aber auch völlig individuell, dem persönlich gegangenen Weg entsprechend. Ehresmann betonte das Potenzial dieser Karten für die Baugeschichtsforschung. Der Quellenwert sei trotz der vordergründigen „Fehler“ enorm, weil die Karten Aufschluss über die Wahrnehmung des Lagers durch die Häftlinge geben könnten. Darüber hinaus stellten sie eine wichtige Ergänzung zu den offiziellen NS-Plänen dar, da sie Informationen enthalten, die dort entweder fehlen oder gar nicht dargestellt werden können.

In dem Panel, das sich dem Medium Film widmete, gab ANJA HORSTMANN (Bielefeld) einen Einblick in ihr Dissertationsprojekt zu nationalsozialistischen Filmen aus verschiedenen Ghettos. Ihr Vortrag widmete sich dem Filmmaterial zum Warschauer Ghetto von 1942, das im Rohschnitt vorliegt. Der Film wurde nicht fertiggestellt, über den Auftrag und die Intention der Macher ist bis heute nichts bekannt. Horstmann betonte, dass das vom Genre Dokumentarfilm suggerierte „realistische Abbild“ erst mittels verschiedener filmischer Strategien hergestellt werde. Die bildlichen Motive legten einen Vergleich mit der Arbeit von Scharnberg nahe, vor allem die Gegenüberstellung der angeblichen zwei Klassen im Ghetto. Im Medium Film sei jedoch die sequenzielle Struktur, also eine spezifische Anordnung von Zeitlichkeit in die Untersuchung miteinzubeziehen, so Horstmann. Ihr Hinweis darauf, was nicht dargestellt wird, nämlich einerseits solidarisches Handeln auf jüdischer Seite und andererseits die Zwangsarbeit, wurde in der Diskussion von Alf Lüdtke (Erfurt) um den Hinweis ergänzt, dass keinerlei Arbeit oder produktive Tätigkeit gezeigt werde. Der Zweck dieses mit hohem Produktionsaufwand und Kosten verbundenen Filmprojektes und mögliche Gründe für seinen Abbruch wurden intensiv diskutiert. Horstmann ging dabei nicht von einem Propagandafilm aus, da zum Zeitpunkt der Arbeiten die Liquidierung des Ghettos kurz bevorstand. Sie vertrat die These der Produktion einer medialen Erinnerung für ein mögliches nationalsozialistisches Archiv einer „ausgestorbenen Rasse“.

In dem Panel zur Rezeption stellte ALEXANDRA KLEI (Berlin) drei Gruppen von Fotografien vor, die sich auf das Konzentrationslager Buchenwald beziehen. Als erstes besprach sie, wie historische Fotografien im Gedenkstättengelände auf Informationstafeln präsentiert werden und welche Vorstellung des historischen Ortes dadurch evoziert werde. Die zweite Bildgruppe waren Postkarten, die in der Gedenkstätte erworben werden können. Als drittes beschäftigte sie sich exemplarisch für künstlerische Auseinandersetzungen mit der Arbeit des Berliner Fotografen Christian Herrnbeck. Die beiden letzten Bildgruppen verdeutlichten, dass weiterhin (fotografische) Bilder von den ehemaligen Lagern produziert werden, die das (vorgestellte) Bild der historischen Lager beeinflussen. Die andauernde Bildproduktion sei des Weiteren als eine eigenständige Form der Annäherung an die Geschichte der Lager zu bewerten. Die kritische Reflektion, die in Bezug auf explizit künstlerische Bilder üblich ist, solle als Haltung auch auf die Untersuchung historischer Fotografien übertragen werden, so Klei.

CHARLOTTE MEINDERS (Berlin) konzentrierte sich in ihrem Referat auf eine einzelne Installation des französischen Künstlers Christian Boltanski. Dessen Œuvre sei gekennzeichnet durch die Beschäftigung mit dem Tod und der Erinnerung. Seine Arbeit „Réserve: Canada“ frage nach dem Verhältnis von Museum und Konzentrationslager. Anknüpfend an Boris Groys’ These vom Kunstwerke als Leiche spitzte die Referentin den Bezug dahingehend zu, dass beide Einrichtungen Leichen „produzierten“. In ihrem Kommentar wies STEFANIE ENDLICH (Berlin) darauf hin, dass es die besondere Qualität von Kunstwerken sei, keine eindeutige Überwältigung der Betrachter/innen zu intendieren, sondern die Möglichkeit für vielschichtige und vieldeutige Reflektionen zu eröffnen.

Ein immer wiederkehrender Diskussionspunkt, der vom Organisationsteam auch bereits in der Einleitung benannt wurde, war die Frage, ob die untersuchten Bilder als Kunst oder Dokumentation einzuordnen seien. Diese Opposition wurde mehrfach als Irrweg zurückgewiesen, tauchte aber implizit oder explizit immer wieder auf. Dabei schwang zum Teil die Annahme mit, dass Kunstbilder im Gegensatz zu dokumentarischen Bildern in gewisser Weise defizitär, da weniger aussagekräftig oder präzise seien. Hier schien es noch Klärungsbedarf in Bezug auf die Begriffe zu geben. Eventuell zeigt sich darin auch ein Nachholbedarf auf geschichtswissenschaftlicher Seite, sich für die Auseinandersetzung mit Bildern kunsthistorische Grundlagen anzueignen. So fiel auch die angestrebte Beschäftigung mit Ästhetik und Ikonografie der Bilder in der Mehrzahl der Referate und Diskussionen eher kurz aus. Hierbei scheint teilweise eine methodische Unsicherheit zu bestehen. Es ist ein Verdienst des Workshops, diesen Klärungsbedarf offengelegt zu haben und Impulse für eine weiterführende Beschäftigung gegeben zu haben. Davon zeugten auch die kollegialen Diskussionen, die sowohl interdisziplinär, als auch „quer“ zum Programm geführt wurden.

Tagungsübersicht:

Begrüßung und Einleitung: Oliver von Wrochem (KZ-Gedenkstätte Neuengamme), Jörn Wendland (Köln / Wien)

Panel 1: Künstlerische Bildproduktion
Moderation: Jörn Wendland (Köln / Wien)

Veronika Springmann (Berlin):
„Darstellungen des Lagersports als Praxis der Gewalt auf Häftlingszeichnungen“
Kommentar: Corinna Tomberger (Berlin / Hildesheim)

Marguerite Rumpf (Marburg):
„Ein Geschenk zu Neujahr 1944“
Kommentar: Michaela Haibl (Wien / Augsburg)

Panel 2: Ästhetik und Ikonographie
Moderation: Corinna Tomberger (Berlin / Hildesheim)

Christiane Heß (Hamburg / Bielefeld):
„Funktionshäftlinge im Bild. Zeichnungen aus Ravensbrück und Neuengamme.“
Kommentar: Detlef Hoffmann (München)

Viola Rühse (Hamburg):
„Lee Millers Ästhetik in ihrer Kriegsberichterstattung zu den Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald 1945“
Kommentar: Alf Lüdtke (Erfurt)

Panel 3 : Fotografie
Moderation: Axel Dossmann (Jena)

Harriet Scharnberg (Hamburg):
„Propagandanarrative. Fotografische Ghettobilder in den NS-Printmedien und die Bildproduktion der Propagandakompanien.“
Kommentar: Cornelia Brink (Freiburg im Breisgau)

Anne Kunze (Haifa):
„Lagerwelten“
Kommentar: Tanja Kinzel (Berlin)

Panel 4: Perspektiven
Moderation: Detlef Garbe (KZ-Gedenkstätte Neuengamme)

Andreas Ehresmann (Hamburg):
„Kognitive KZ-Pläne. Häftlings-Kartierungen als visuelle Quellen zur Baugeschichtsforschung zum KZ Neuengamme.“
Kommentar: Thomas Rahe (Gedenkstätte Bergen-Belsen)

Julia Werner (Berlin):
„Bilder aus dem ‚Judenlager Konstancia‘ in Kutno“
Kommentar: Petra Bopp (Hamburg / Jena)

Panel 5: Film
Moderation: Lars Jockheck (Hamburg)

Anja Horstmann (Bielefeld):
„‚Ghetto‘ (1942) – Unvollendetes dokumentarisches Filmmaterial aus dem Warschauer Ghetto“
Kommentar: Karin Gludovatz (Berlin)

Axel Dossmann (Jena):
„Archivbilder de/montieren, z.B. aus Westerbork. Oder: Was wir von Filmemachern lernen können“
Kommentar: Frank Stern (Wien)

Panel 6: Gebrauchsweisen/Rezeption
Moderation: Ole Frahm (Hamburg)

Alexandra Klei (Berlin):
„Der Ort im Bild. Fotografien des (ehemaligen) Konzentrationslagers Buchenwald“
Kommentar: Detlef Hoffmann (München)

Charlotte Meinders (Berlin):
„frz.: Réserve: Canada / dt.: Lager: Kanada. Kleidungsexposition im Schau- und Effektenlager“
Kommentar: Stefanie Endlich (Berlin)

Abschlussdiskussion und Beobachtungen zum Workshop:
Harald Schmid (Kiel) / Annika Wienert (Bochum)


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts