Mars und die Musen - Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit

Mars und die Musen - Das Wechselspiel von Militär, Krieg und Kunst in der Frühen Neuzeit

Organisatoren
Arbeitskreis Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit e. V., Jutta Nowosadtko (Universität GH Essen), Matthias Rogg (Militärgeschichtliches Forschungsamt)
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2003 - 24.09.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Jutta Nowosadtko, Universität GH Essen

Im Zentrum der Tagung standen die Fragen nach den gemeinsamen Schnittflächen, der möglichen Instrumentalisierung sowie der wechselseitigen Perzeption und Rezeption von Kunst, Militär und Krieg in der Frühen Neuzeit. Auf der einen Seite binden Militär und Krieg wertvolle Ressourcen und entwickeln als entfesselte Bellona eine Zerstörungskraft, die gerade vor der Kunst nicht Halt macht. Neben aller Zerstörung schaffen Militär und Krieg aber auch ihre eigene kunstvolle Welt. An erster Stelle ist dabei an die kritische Auseinandersetzung mit militärischer Gewalt zu denken. Bildende Kunst, Literatur und Musik können Ventilfunktionen übernehmen, dem unaussprechlichen eine Sprache geben und in Zeiten der Not den Menschen Trost spenden. Der Künstler selbst kann in eine Doppelrolle schlüpfen, als Maler, Architekt oder Komponist zugleich dem Mars und auch der Muse dienen. Und schließlich ist es das Militär selbst, dass nicht als abgesonderter gesellschaftlicher Körper sondern in vielfältiger Überschneidung zur zivilen Gesellschaft zu sehen ist und durch Militärmusik, Militärarchitektur, militärisches Schrifttum und Vieles mehr selbst zum Träger von Kultur wird.

Die unterschiedlichen, sich aber keinesfalls ausschließenden Welten von Mars und den Musen
sollten im interdisziplinären Diskurs von LiteraturwissenschaftlerInnen, Musik- und ArchitekturhistorikerInnen, Kunst- und MilitärhistorikerInnen und vielen kulturgeschichtlich arbeitenden Kollegen und Kolleginnen aus der Frühen Neuzeit einer Überprüfung unterzogen werden. Dabei konnte der Blick auf das scheinbar Gegensätzliche alte Vermutungen durch neue Argumente erhärten oder durch überraschende Sichtweisen zum Nachdenken anregen. Die Komplexität der Beziehungen zwischen Krieg, Militär und Kunst spiegelte sich allenthalben im Verlauf der Tagung.

Der Einstieg erfolgte über eben jene Literaturgattungen, die im Umfeld des Militärs selbst gedeihen. Rainer Leng stellte die militärspezifische gelehrte Fachliteratur zu Beginn der Frühen Neuzeit vor. Neben den prachtvoll illustrierten Kriegslehren, die eher auf Repräsentation denn auf Praxisnähe abzielten, entwickelte sich mit den Büchsenmeisterbüchern eine auf den überregionalen fachlichen Austausch unter Experten und die Weitergabe und Vermittlung von Wissen angelegte Spezialliteratur. Iris Becker informierte über den Aufbau und die Bestände der sog. Kriegsbibliotheken des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Die bei einzelnen preußischen Regimentern zugänglichen Bücherbestände und Subskriptionslisten bieten Aufschluss über die den Offizieren in der Aufklärung zugängliche Bildung sowie Interessenschwerpunkte und die Verbreitung bestimmter Autoren. Danach leuchtete Dirk Niefanger am Beispiel von Georg Greflingers Versen zum Ende des Dreißigjährigen Kriegs "Der Mars ist nun im Ars" und der ‚Maulhelden', die in bester Miles-Gloriosus-Tradition die deutschen Bühnen und Romane des 17. Jahrhunderts bevölkerten, die anspielungs- und facettenreichen Tiefen der Militär- und Kriegssatire aus. Die Wortspiele lebten vor allem vom Gegensatz zwischen humanistisch geschulter Rhetorik und dem bewussten Einsatz von Vulgärsprache und diskreditierten den kriegerischen Superioritätsanspruch als lauttönende Sprachlosigkeit.

Das produktive Spannungsverhältnis zwischen historischem Quellenwert und künstlerischer Aussage beschäftigte die TagungsteilnehmerInnen am Dienstagvormittag. Die modernen Vorstellungen über das frühneuzeitliche Militärwesen sind häufig sehr stark durch die zahlreichen zeitgenössischen Bildquellen und Artefakte beeinflusst. Dennoch stellen die "Bilder" im weitesten Verständnis des Begriffs keine objektiven Abbilder einer historischen Realität dar. Die Mehrzahl der Darstellungen präsentiert sich in ihrer Aussage und bei der Wahl der Stilmittel als komplex, vor allem wenn es um das Verhältnis von zeitgenössischem Dokument und der späteren historisierenden Darstellung geht. Nachdem Peter Paret zu diesem Komplex einen umfassenden Überblick bot, spürte Godehard Janzing am Beispiel der "preußischen" Mars-Skulptur am Brandenburger Tor gegen Ende des 18. Jahrhunderts den künstlerischen Verankerungen im Zeitgeist nach. Die nächste Sektion befasste sich schwerpunktmäßig mit dem Niederländischen Sezessionskrieg und dem Dreißigjährigen Krieg. Zuerst erörterte Martina Dlugaiczyk die Medialität des Waffenstillstands zwischen 1609 und 1621, durch den die Nördlichen Provinzen der Niederlande de facto Souveränität erlangten. Der politische Konflikt zwischen Gegnern und Befürwortern des Waffenstillstandes schlug sich in einem parallelen Kampf um die angemessene Bildsprache nieder. Daran anschließend folgte Beate Engelens Beitrag zur Jacques Callots "Belagerung von Breda" von 1625. Das Werk, das von der Infantin Isabella von Spanien bestellt worden war, sollte an den Sieg der spanischen Armee erinnern und wurde an europäische Fürstenhäuser verschickt, um die Leistungen des Feldherrn Ambrosio Spinola zu feiern. Entsprechend ließen sich die dargestellten Übergriffe der Soldaten auf die Zivilbevölkerung nicht als generelle Kriegsanklage interpretieren. Callot beschönigte die Verbrechen nicht, ließ ihnen aber das Kriegsgericht auf dem Fuße folgen. Auch das seit Jakob Burckhardt immer wieder als Ausdruck der Kriegsabscheu gedeutete Gemälde von Peter Paul Rubens "Folgen des Krieges" (1637/1638), erwies sich in seiner Aussage als deutlich subtiler und differenzierter. Ulrich Heinen führte Rubens als versierten Diplomaten ein, der mit diesem Bild in Florenz um politische Unterstützung für Antwerpen nachsuchte.

Die Architektursektion der Tagung wurde durch eine Mauerschau von der Antike bis zum Spätmittelalter eingeleitet, in welcher Dethard von Winterfeld einen Überblick über die imposante Vorgeschichte und die Vorbilder der frühneuzeitlichen Fortifikationen entfaltete. Mit den Einflüssen der Militärarchitektur auf Jagdschlösser und Jagdbauten, die Heiko Laß behandelte, war ein zentrales Terrain adligen Selbstverständnisses in der Frühen Neuzeit angesprochen. Vielfach unterstrich die Ausstattung mit militärischem Dekor die hoheitliche und repräsentative Funktion der Jagd. Mit den Kriegsingenieuren des 17. und 18. Jahrhunderts, die Silke Törpsch und Hans-Joachim Kuke vorstellten, begegnete den TagungsteilnehmerInnen eine der spannendsten Statusgruppen beim frühneuzeitlichen Militär. Anhand ihrer Biographien ließ sich das komplexe wechselseitige Verhältnis zwischen Kriegstechnik und Kunst auf persönlicher, individueller Ebene im Berufsbild des Artilleriegenerals und Architekten nachvollziehen oder umgekehrt das militärische Handeln ganz konkret in den allgemeinen Kontext genereller "epochetypischer" Verhaltens- und Wahrnehmungsnormen einordnen.

Den Abschluss der Tagung bildeten die Beiträge zum Verhältnis von Militär, Krieg und Musik. Akustische Phänomene wie das Rufen, Schreien und Singen der Soldaten waren im militärischen Bereich ebenso selbstverständlich und unentbehrlich wie das Lärmen mit Waffen und musikalische und rhythmische Signale zur Befehlsübermittlung. Werner Kümmel wies zunächst nach, dass die Zweckbestimmung militärischer Musik vor allem darin gesehen wurde, die eigenen Soldaten aufzumuntern. Nur gelegentlich sei die Absicht verfolgt worden, die Feinde zu erschrecken. Die Annahme einer psychischen Mobilisierung und körperlichen Kräftigung durch Musik stützte sich auf zeitgenössische physiologische und psychologische Konzepte und verwies damit auf wissenschaftlich abgesicherte Funktionszusammenhänge. Sascha Möbius ging danach der Frage nach, welche Musik in den Feldzügen des 18. Jahrhunderts denn realiter gespielt wurde. Neben den Signalen und den Märschen, die im eigentlichen Kampf nicht gespielt wurden, gerieten dabei vor allem die Choräle als wichtige Grundtypen der Militärmusik in den Blick, welche überzeugend als Antwort religiöser Menschen auf eine existentielle Bedrohung gedeutet wurden. Michael Schramm demonstrierte die Entwicklung und den Aufbau der Militärmusik ausgehend von den Trommlern und Pfeiffern des Fußvolks und den Paukern und Trompetern der Reiterei des 16. Jahrhunderts bis zu den Musikkorps des 19. Jahrhunderts, welche erst die heute noch geläufige Besetzung aufwiesen. Vor allem das Bemühen um die Einführung des Gleichschritts veränderte die Marschmusik nachhaltig. Anselm Gerhard verfolgte schließlich die militärischen Einflüsse auf zivile Kompositionen, wie sie sich etwa an Puccinis Ouvertüre zur "Diebischen Elster" und Beethovens Vertonung der "Ode an die Freude" ablesen ließen. Die "Militarisierung" der Musik schlug sich ebenfalls im Wandel der Aufführungskonventionen nieder, wie am Beispiel der Marseillaise demonstriert wurde. Umgekehrt konnten eben diese Konventionen aber auch dafür sorgen, die militärische Herkunft bestimmter Musikelemente zu verschleiern.

Insgesamt lieferte die Tagung zahlreiche Belege für die vielfältigen Verschränkungen zwischen Krieg, Militär und Kunst, die es nicht zulassen, Mars und die Musen als einander ausschließendes Gegensatzpaar zu behandeln. Die Ergebnisse der drei Tage und die Anregungen während der ausführlichen Diskussionen werden Eingang in einen Sammelband finden.

Die Tagung wurde durch die Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung unterstützt.

Kontakt

Dr. Jutta Nowosadtko
Universität GH Essen
Fachbereich 1, Geschichte
45117 Essen
Tel. 0201 / 183 - 3550
jutta.nowosadtko@uni-essen.de

Dr. Matthias Rogg
Militärgeschichtliches Forschungsamt
Abteilung Forschung
Zeppelinstrasse 127/128
14471 Potsdam
Tel. 0331 / 9714 -566
MatthiasRogg@bundeswehr.org


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