Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er-Jahre

Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er-Jahre

Organisatoren
Friedrich-Ebert-Stiftung; Archiv für Sozialgeschichte
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.11.2010 - 30.11.2010
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Von
Anna Neuenfeld, Historisches Institut, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Was ist die Signatur der 1980er-Jahre? Welche Möglichkeiten der Periodisierung dieser jüngsten Zeitgeschichte gibt es? Wo lassen sich Brüche oder auch Kontinuitäten in Wirtschaft, Politik und Kultur ausmachen? Diese Fragen stellten sich Anja Kruke (Bonn) und Meik Woyke (Bonn), als sie am 29. und 30. November 2010 unter der Überschrift „Wandel des Politischen: Die Bundesrepublik Deutschland während der 1980er-Jahre“ zu einem Workshop in die Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn einluden. Anlass war die Vorbereitung des für 2012 geplanten Bandes des Archivs für Sozialgeschichte.

In seinem Eröffnungsvortrag stellte AXEL SCHILDT (Hamburg) Überlegungen zur Erforschung der 1980er-Jahre an. Allein schon im Hinblick auf seine Periodisierung stelle dieses Jahrzehnt eine methodische Herausforderung dar. Die ohnehin umstrittene Zäsur anhand bestimmter Jahreszahlen erweise sich als immer schwieriger, vielmehr würde sich die Zeit von ca. 1974 bis 1989/90 als relative Einheit darstellen. Es gelte daher, auch solche Entwicklungen in den Blick zu nehmen, die ihren Anfang/ ihr Ende in den 1980er-Jahren hatten. Die Themenfelder, die Axel Schildt aufmachte, unterstützten seine Feststellung, dass die Forschung der 1970er/80er-Jahre zu einer Renaissance der Wirtschaftsgeschichte und der klassischen sozialhistorischen Forschung führe und Zeitgeschichte im Sinne H.G. Hockerts immer stärker als „Problemgeschichte der Gegenwart“ 1 geschrieben werde.

Das erste Panel steckte mit seinen Vorträgen in gewisser Weise die Spannbreite der politischen Ideen in den 1980er-Jahren ab. Mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag 1983 veränderte sich die deutsche Parteienlandschaft grundlegend. Gleichzeitig sei die „Anti-Parteien-Partei“ (Petra Kelly) mit der Entscheidung für Parlamentsarbeit vor neue Aufgaben gestellt worden, die für den Rest des Jahrzehnts zu heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen führten. Dabei ging es, so SILKE MENDE (Tübingen), um Fragen über den Umgang mit politischer Macht (Realo-Fundi-Debatte), über außerparlamentarisches Engagement und über Möglichkeiten von Koalitionen mit anderen Parteien. Zeitgleich fand der Begriff „Elite“ wieder Eingang in die politische Sprache. 1980 sprach der Wissenschaftsrat in einer Veröffentlichung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses von der Notwendigkeit von Elitenbildung, auch als Antwort auf die Wandlungsprozesse der 1970er-Jahre. Auf Seiten konservativer Politiker, Publizisten und Wissenschaftler sei der Begriff fortan zur Erklärung natürlicher sozialer Ungleichheiten genutzt worden. Ebenso hätten die Diskussionen über den Begriff auch die Entwicklungen durch den erweiterten Zugang zur Bildung und die damit verbundenen Ansprüche auf Selbstverwirklichung durch Kreativität gezeigt. Insofern lasse sich die Debatte, wie MORTEN REITMAYER (Trier) ausführte, auch nicht als einfaches konservatives Roll-back beschreiben, sondern vielmehr zeige sie die Transformation der Demokratisierungs- und Partizipierungsentwicklungen seit den 1970er-Jahren.

Die zweite Sektion befasste sich mit verschiedenen Feldern der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Zur These einer stabilen und kaum veränderten Wirtschaftspolitik in den 1980er-Jahren stellte CHRISTOPHER KOPPER (Bielefeld) eine Gegenthese auf. Der Erlass der Einheitlichen Europäischen Akte (1986) habe zu einer Liberalisierung der Dienstleistungsmärkte und zur Öffnung der nationalen Bankenmärkte geführt. Dadurch seien ausländische Investitionen ermöglicht worden, welche Internationalisierung und Deregulierung der Bankenmärkte zur Folge hatten. MARC BUGGELN (Berlin) stellte fest, dass die europäischen Staaten, trotz der neoliberalen Politik in Großbritannien und den USA, grundsätzlich an ihrer Steuerpolitik festhielten. Es sei eher zu kleineren Veränderungen gekommen, die in der Rückschau eine gewisse Konvergenz erkennen ließen. In der Bundesrepublik sei die von der Regierung Kohl angekündigte Steuerreform ausgeblieben, was in erster Linie den starken Arbeitnehmerflügeln der Regierungsparteien geschuldet sei. Die Arbeitnehmervertreter selber wurden in den 1980er-Jahren von Krisen erschüttert. Der Skandal um die „Neue Heimat“ 1982 stellte den Beginn einer Krise dar, die später auch zur Zerschlagung/ zum Verkauf der Einzelhandelskette Coop und der Bank für Gemeinwirtschaft führte. PETER KRAMPER (Freiburg) erklärte den Niedergang der gewerkschaftseigenen Unternehmen als Symptome für die Auflösung der traditionell sozialpolitischen Problemlagen der gewerkschaftlichen Klientel, für die politischen und wirtschaftlichen Grenzen damit einhergehender Vorstellungen von Sozialreform und für die öffentliche Durchsetzung des Glaubens an Deregulierung und die Selbstheilungskräfte des Marktes. Auf sozialpolitischem Feld etablierte sich in den 1980er-Jahren die Altenhilfepolitik neben der Rentengesetzgebung. NICOLE KRAMER (Potsdam) zeigte, dass trotz zunehmender Kritik am Sozialstaat, die Wohlfahrtsstaatlichkeit nicht ab-, sondern vielmehr umgebaut wurde. Die Regierung Kohl habe am Modell der sozialen Marktwirtschaft festgehalten. Der Ausbau der sozialen Dienste habe einerseits dem traditionellen Subsidiaritätsprinzip der christlich-konservativen Parteien entsprochen, andererseits aber auch den Forderungen der neuen sozialen Bewegungen nach einer persönlicheren Altenpflege.

Die dritte Sektion behandelte im weitesten Sinne Proteste gegen die „Macht“. Die vieldiskutierte „Krise des Staates“ sei eben auch eine „Krise der Macht“ gewesen. Vor allem seitens der links-oppositionellen Bewegung sei in den 1980ern Kritik aufgekommen: gegen die Träger der Macht, im Sinne von Staatsmacht- und Technikkritik, gegen „destruktive“ Macht und Machtkonzentration. Stattdessen habe man einen „Anti-Macht-Diskurs“ angestrebt. Dabei ging es, wie SUSANNE SCHREGEL (Darmstadt) beschrieb, um eine neue Qualität staatlichen Handelns und auch um den Wunsch nach Handlungsformen jenseits von Staatlichkeit. Eine andere Form des Protestes stellten die Volkszählungsboykotte von 1983/87 dar. LARRY FROHMAN (New York) beschrieb die Boykotte in erster Linie als Teil der Gegenwartsgeschichte und weniger als Teil der Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Sie seien Teil einer breiten sozialen Bewegung gewesen, die sich der Privatheit und dem Datenschutz verschrieben hatte, und insofern sei es auch bei diesen Protesten um das gesellschaftliche Verhandeln von Individualität und Privatheit gegangen. Auch hinter den urbanen Unruhen in den frühen 1980er-Jahren verbargen sich, wie KLAUS WEINHAUER (Wassenaar) ausführte, tiefgreifende Transformationsprozesse. Einerseits habe sich der Wandel staatlich-politischer Herrschaft und auch der Einstellungswandel gegenüber staatlichem Handeln gezeigt. Andererseits sei es um die Artikulation der Aneignung urbaner Räume, um Aktionen für die Zukunft der Städte und die Entwicklung städtischer Gesellschaften gegangen.

Das letzte Panel des ersten Tages beschäftigte sich mit dem politischen Umgang gegenüber Bedrohungsszenarien. CHRISTOPH WEHNER (Bochum) machte sich für den Begriff „Sicherheit“ als neue Leitkategorie der zeithistorischen Forschung stark. Im Zuge eines veränderten Fortschritts- und Modernisierungsglaubens sei es auch zu einer verstärkten Wahrnehmung der „Grenzen der Versicherbarkeit“ gekommen. Das Versicherungswesen habe sich in diesem Zusammenhang zu einem zentralen Akteur der Risikokonflikte in der Bundesrepublik entwickelt. Eine weitere Bedrohungssituation entstand, als 1980 in den USA mehrere Männer an einer bis dahin noch namenlosen Krankheit erkrankten. Aids habe sich schnell zu einem grenzüberschreitenden Phänomen entwickelt, das die Politik zu raschem Handeln zwang. HENNING TÜMMERS (Tübingen) fragte nach einer möglichen „Erfolgsgeschichte“ des politischen Handelns angesichts einer außergewöhnlichen Bedrohungssituation. In den Diskussionen über Aids seien Moral und traditionelle Werte ebenso thematisiert worden wie Sexualität und unterschiedliche Lebensentwürfe. Insofern lasse sich Aids auch als Initiator eines Demokratisierungsprozesses verstehen. Ebenso bedeutsam sei der gemeinsame Austausch zwischen Bundesrepublik und DDR auf verschiedenen Ebenen, denn die Krankheit machte natürlich auch vor der Mauer keinen Halt.

Der zweite Workshoptag begann mit einem Überblick über die Kommunikations- und Medienkultur. Die Reform des Post- und Fernmeldewesens gehörte zu den großen Vorhaben der Regierung Kohl, die das Poststrukturgesetz von 1989 zum Ergebnis hatten. Wie GABRIELE METZLER (Berlin) zeigte, blieben die bundesdeutschen Reformen jedoch weit hinter den Liberalisierungsbestrebungen im angloamerikanischen Raum zurück. Echte Liberalisierungen hätten lediglich im Endgerätebereich stattgefunden. Die öffentlichen Debatten thematisierten die „Informationsgesellschaft“. Schon in den 1970er-Jahren wurde das Video als „Bürgermedium“ entdeckt. TOBIAS HAUPTS (Siegen) beschrieb, wie dem Video mit dem Videothekenboom in den 1980er-Jahren der Durchbruch zum Massenmedium gelang. Dadurch hätte sich auch das Medium Film gewandelt: Film sei besitzbar geworden und der Filmkonsum habe in der Privatheit der eigenen vier Wände stattgefunden. Die „Neue Deutsche Welle“, eine sehr heterogene Musikrichtung, entwickelte sich zunächst in der DDR und wurde anschließend auch in der Bundesrepublik populär. ANNETTE VOWINCKEL (Potsdam) beschrieb sie als „ästhetischen Ausdruck eines Lebensgefühls der 1980er-Jahre“.

Die zweite Sektion dieses Tages beschäftigte sich mit den Themen Planung, Legitimation und Integration. PHILIPP HERTZOG (Darmstadt) konstatierte nach Planungseuphorie und Krisenbewusstsein einen neuen Pragmatismus politischer Planung in den 1980er-Jahren. Neue technische Innovationen und das große Thema Umweltschutz hätten neue Handlungsmöglichkeiten eröffnet. Der Glaube an die rationale Handhabbarkeit der neuen Herausforderungen hätte von einem neuen gesellschaftlichen Selbstbewusstsein gezeugt. Schon seit den 1970er-Jahren ließ sich eine wachsende Zahl informeller Bürgerinitiativen verzeichnen. Doch erst in den 1980ern, so MICHAEL RUCK (Flensburg), fanden die eigentlichen Themen der neuen sozialen Bewegungen dort Eingang. Die Gründe dafür sah Ruck in der fortgeschrittenen Erosion von traditionellen Milieus und Parteibindungen und in einer organisierten Zivilgesellschaft, die Einfluss auf politisches Handeln zu nehmen suchte. ALEXANDER CLARKSON (London) zeigte die komplexe Interaktion und die gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen linken Subkulturen und Einwanderermilieus in der Bundesrepublik, so dass man sich schon in den 1980er-Jahren fragen konnte: wer integriert eigentlich wen?

Um Geschichtspolitik und Erinnerungskultur ging es im dritten Panel. Die sogenannte „Preußenwelle“ ging, wie CHRISTIAN HAASE (Nottingham) ausführte, letztlich auf Entwicklungen zurück, die schon in den 1960er/1970er-Jahren begonnen hatten. Insofern sei die konservative Wende erinnerungspolitisch weniger einschneidend. Doch sie habe in den 1980er-Jahren eine neue Dynamik erhalten durch das verstärkte Zusammenwirken von Publizistik, Medien, Museen, Stiftungen und Politik. Mit Blick auf die DDR sei es durch die „Preußenwelle“ zu einem Wandel, zu Verflechtung und Abgrenzung der beiden deutschen Erinnerungskulturen gekommen. JACOB S. EDER (Philadelphia/Jena) erklärte, dass sich die Regierung Kohl vorgenommen hatte, die NS-Vergangenheit zu historisieren. Durch einen „unbefangeneren“ Umgang mit der eigenen Vergangenheit, habe man auch außenpolitisch eine neue Rolle einnehmen wollen. Zur gleichen Zeit sei es international jedoch zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit dem Holocaust gekommen, der vor allem in den USA in den 1980ern auch zu einer Institutionalisierung des Themas geführt habe. Die deutsche Regierung habe befürchtet, dass ein negatives Deutschlandbild eine Schwächung für die deutsche Außenpolitik bedeuten könnte. Daher habe sie versucht stattdessen ein positives Bild zu schaffen, das die erfolgreiche Demokratisierung und die Integration in die westliche Gemeinschaft seit Ende des zweiten Weltkrieges in den Vordergrund schob. Auf ganz andere Weise setzten sich die Protestbewegungen der 1980er-Jahre mit den USA auseinander. REINHILD KREIS (Augsburg) legte dar, dass die USA zentraler Referenzpunkt vieler Proteste dieser Zeit war. Die Politik der USA sei auf vielen Gebieten als unmittelbare, globale Bedrohung wahrgenommen worden. Die amerikakritischen Proteste seien damit auch Selbstverständigungsdebatten über eine neue Verortung der Bundesrepublik im westlichen Wertesystem gewesen.

Die letzte Sektion behandelte schließlich die Anti-Atomproteste. Dabei stellte PHILIPP GASSERT (Augsburg) eine neue Intensität der Friedensbewegung in den 1980er-Jahren fest. Es habe eine Vielzahl lokaler Ereignisse gegeben („protest goes local“) und die Friedensbewegung habe auch eine qualitative Verbreiterung gefunden (prominente Friedenskette Mutlangen). Die Proteste seien so auch ein Katalysator der Selbstverständigungsdebatten innerhalb der Gesellschaft gewesen und hatten identitätsstiftende und integrierende Funktion. Wie kaum eine andere Partei wurde die SPD von der Nachrüstungsdebatte erschüttert. JAN HANSEN (Berlin) machte dies vor allem an dem Widerspruch fest, dass sie einerseits (zu Beginn der 1980er-Jahre) noch Regierungspartei war, andererseits aber in großen Teilen mit der Friedensbewegung sympathisierte. Für die SPD habe dies eine Neuaushandlung von Selbst- und Fremdbildern bei sich verändernden Perzeptionen der beiden Supermächte bedeutet. Erneut sei die tiefe Skepsis der Sozialdemokratie gegenüber der technischen Moderne zutage getreten. Und schließlich sei es bei diesen Debatten auch um eine grundsätzliche Neuverhandlung der Legitimität staatlichen Handelns und um neue Formen der Kommunikation des Politischen, sozusagen um eine „Demokratisierung der Demokratie“ gegangen. Im Jahr 1980 wurde die IPPNW gegründet, die „Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges“, die für ihre Tätigkeit 1985 den Friedensnobelpreis erhielt. Diese unterhalb der nationalen Ebene agierende internationale Organisation von Fachleuten habe nationale Anliegen des Protestes mit größerer Internationalität verknüpft. Neu an dieser Form des Protestes, so CLAUDIA KEMPER (Hamburg), waren vor allem die globalen Ziele und die abstrakten Organisationsstrukturen dieser vernetzten Expertengemeinschaft, die gleichsam als „Gegenexpertenkultur“ bezeichnet werden konnte. Bedeutsam sei auch gewesen, dass sich sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR Sektionen der IPPNW gründeten, so dass auf dieser Ebene ein deutsch-deutscher Austausch möglich wurde.

Die Abschlussdiskussion des Workshops wurde eingeleitet durch einen Vortrag von ANDREAS WIRSCHING (Augsburg), der sich mit Blick auf das Konzept der „Wende“ der Regierung Kohl mit der paradoxen Signatur der 1980er-Jahre auseinandersetzte. Schon das Wendekonzept selber sei durchweg widersprüchlich: es verknüpfte einen neuen, auf Modernität orientierten Fortschrittsoptimismus mit der Rückbesinnung auf traditionelle Werte; die Rede von Subsidiarität und Solidarität stand der Entfesselung der Marktkräfte gegenüber; die Leistung des Einzelnen war ebenso wichtig wie der Wettbewerb der Vielen.
Zum Einstieg in die anschließende Diskussion machte Wirsching außerdem einen Periodisierungsvorschlag. Ihm erschiene es durchaus sinnvoll, die Zeit von 1975 bis 1985 als Einheit zu betrachten, da nach 1985 viele der Entwicklungen wieder abflauten. Dieser Vorschlag fand einigen Zuspruch, denn, dies machte der Workshop ganz deutlich, eine Periodisierung anhand der Jahreszahlen 1980 und 1990 macht für die zeithistorische Forschung wenig Sinn. Viele der Entwicklungen begannen schon in den 1970er-Jahren, einige begannen oder endeten in den 1980ern und wieder andere setzten sich noch bis in die 1990er-Jahre fort. Wo und ob genaue Zäsurpunkte zu setzen sind, wird erst die detailliertere historische Erforschung zeigen. Deutlich wurde außerdem, dass es bei der Betrachtung dieser direkten Zeitgeschichte zu einer Renaissance der wirtschaftsgeschichtlichen und klassisch sozialgeschichtlichen Themen zu kommen scheint. Dies konnte auch schon an der Themenauswahl für diesen Workshop abgelesen werden. Eine weitere Erkenntnis war die Widersprüchlichkeit und Ambivalenz der Epoche. Immer wieder ging es um gesellschaftliche Selbstverständigungsdebatten, um eine neue Qualität staatlichen Handelns, um politische Legitimation, um Demokratisierungs-, Partizipierungs- und Politisierungsschübe. Von einem „langweiligen Jahrzehnt“, wie es Axel Schildt einleitend provozierend formuliert hatte, lässt sich da schwerlich sprechen. Schließlich zeigten die Beiträge, dass für die Betrachtung dieser Zeit der Blick auf die deutsch-deutschen Verflechtungen sowie auf die europäische und die transnationale Ebene unerlässlich ist und noch stärker ausgebaut werden muss.

Konferenzübersicht:

Anja Kruke/Meik Woyke (Bonn): Begrüßung und Einführung

Eröffnungsvortrag
Axel Schildt (Hamburg): Das letzte Jahrzehnt der Bonner Republik. Überlegungen zur Erforschung der 1980er-Jahre

Panel 1
Moderation: Meik Woyke (Bonn)

Silke Mende (Tübingen): Von der „Anti-Parteien-Partei“ zum „ökologischen Block der 90er“? Die Grünen in den 1980er-Jahren zwischen Symbol- und Realpolitik

Morten Reitmayer (Trier): Die Rückkehr der Elite. Comeback einer politischen und sozialen Ordnungsvorstellung

Sektion 2
Moderation: Michael Schneider (Kalenborn)

Christopher Kopper (Bielefeld): Der langsame Abschied von der Deutschland AG? Die deutschen Banken und die beginnende Globalisierung des Kapitalmarktes in den 1980er-Jahren

Marc Buggeln (Berlin): Europäische Steuerpolitik(en) in den 1980er-Jahren. Neoliberale Konvergenz oder Heterogenität?

Peter Kramper (Freiburg): Das Ende der Gemeinwirtschaft: Krisen und Skandale gewerkschaftseigener Unternehmen in den 1980er-Jahren

Nicole Kramer (Potsdam): Die Politik der Nähe? Altenhilfepolitik in der Bundesrepublik und der Wandel von Wohlfahrtsstaatlichkeit während der 1980er-Jahre

Sektion 3
Moderation: Ute Planert (Wuppertal)

Susanne Schregel (Darmstadt): Die „Macht der Mächtigen“ und die „Macht“ der „Machtlosen“ – Zum Formwandel von Politik und Macht in den 1980er-Jahren

Larry Frohman (New York): “Nur Schafe werden gezählt”. Informationelle Selbstbestimmung, politische Kultur und die Volkszählungsboykotte 1983/87

Klaus Weinhauer (Wassenaar): Urbane Unruhen der 1980er-Jahre: Transnationale Perspektiven auf Staat, soziale Bewegungen und Raumaneignungen

Sektion 4
Moderation: Anja Kruke (Bonn)

Christoph Wehner (Bochum): Die neuen Spannungsfelder des Politischen? Sicherheit und Versicherung in bundesrepublikanischen Risikokonflikten seit den 1970er-Jahren

Henning Tümmers (Tübingen): Aids als Politikum: Die politische Auseinandersetzung mit einer neuen Bedrohung in Deutschland während der 1980er-Jahre

Sektion 5
Moderation: Beatrix Bouvier (Bonn)

Gabriele Metzler (Berlin): Auf dem Weg in die Kommunikations- und Informationsgesellschaft. Die Debatten über die Privatisierung der Telekommunikation in der Bundesrepublik

Tobias Haupts (Siegen): Videoboom im eigenen Haus. Video und Videothek als Beispiel der neuen Massenmedien in der Bundesrepublik Deutschland der 1980er-Jahre

Annette Vowinckel (Potsdam): Neue Deutsche Welle: Vom Kalten Krieg ins digitale Zeitalter

Sektion 6
Moderation: Patrik von zur Mühlen (Bonn)

Philipp Hertzog (Darmstadt): Nach Euphorie und Krise: Ein neuer Pragmatismus politischer Planung?

Michael Ruck (Flensburg): Regionale Verwaltungs-, Repräsentations- und Partizipationskulturen im (Werte-)wandel

Alexander Clarkson (London): Integration und Transformation: Migranten, Subkulturen und urbaner Wandel in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre

Sektion 7
Moderation: Dieter Dowe (Sankt Augustin)

Christian Haase (Nottingham): Die „Preußenwelle“: Kontinuität und Wandel in der ost- und westdeutschen Erinnerungskultur der 1980er-Jahre

Jacob S. Eder (Philadelphia/Jena): Auf der Suche nach Normalität. Die auswärtige Kulturpolitik der Bundesrepublik und der Umgang mit dem Holocaust in den USA, 1982-1990

Reinhild Kreis (Augsburg): Gegen „das System“: Amerikakritik in den Protesten der 1980er-Jahre

Sektion 8
Moderation: Friedhelm Boll (Bonn)

Philipp Gassert (Augsburg): Die Nuklearkrise: Nachrüstungsdebatte, politischer Protest und gesellschaftliche Selbstverständigung in den 1980er-Jahren

Jan Hansen (Berlin): Zwischen Staat und Straße: Zur Kulturgeschichte des Nachrüstungsstreits in der SPD (1979-1983)

Claudia Kemper (Hamburg): Ärzte für den Frieden – Die „Internationalen Ärzte zur Verhütung des Atomkrieges“ (IPPNW) in der BRD und der DDR

Abschlussdiskussion
Moderation: Meik Woyke (Bonn)
Andreas Wirsching (Augsburg): „Wende“ in die gesellschaftliche Realität: Zur paradoxen Signatur bundesdeutscher Politik von 1982 bis 1990

Anmerkung:
1 Hans Günter Hockerts, Zeitgeschichte in Deutschland. Begriff, Methoden, Themenfelder, in: Historisches Jahrbuch 113 (1993), S. 98-127.


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