Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Themen – Foren – Medien

Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Themen – Foren – Medien

Organisatoren
Dr. Henning P. Jürgens; Dr. Thomas Weller
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.11.2010 - 20.11.2010
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Von
Kerstin Weiand, Fachgebiet Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Historiker haben seit jeher eine besondere Vorliebe für Streit. Anders als Eintracht und Konsens finden Kontroversen und Auseinandersetzungen vielfältigen Niederschlag in den Quellen und sind daher leicht zugänglich. Zudem fungieren sie als eine Art Brennglas, das den Blick auf soziale, strukturelle und kulturelle Deutungsmuster in verdichteter Weise erlaubt. Aber nicht allein die Inhalte, auch die Formen des Streitaustrags bieten wichtige Einblicke in die Strukturen von Kommunikation und Öffentlichkeit in einem bestimmten Zeitalter. Diesen Phänomenen widmete sich die Tagung, „Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter“ am Institut für Europäische Geschichte, die von Henning P. Jürgens und Thomas Weller organisiert wurde.

Seit Habermas' Studie zum 'Strukturwandel der Öffentlichkeit' 1962 erstmals erschien, gibt es eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzept von 'Öffentlichkeiten'. Insbesondere von geschichtswissenschaftlicher Seite ist immer wieder Kritik an Habermas geäußert worden, der für weite Teile der Frühen Neuzeit lediglich eine 'repräsentative Öffentlichkeit' in Abgrenzung zu der moderne Gesellschaften prägenden 'bürgerlichen Gesellschaft' feststellt. In diesem Zusammenhang wurde sowohl auf bestimmte frühbürgerliche Aspekte von Öffentlichkeit als auch auf eine 'reformatorische' Öffentlichkeit des Reformationszeitalters hingewiesen. Während zu diesen Epochen mittlerweile umfangreiche Forschungen vorliegen, wurde die zwischen Reformation und Aufklärung liegende Epoche bislang wenig beachtet: Das konfessionelle Zeitalter wird in der Forschung unter den Leitkategorien von Konfession und Staatsbildung gesehen. Die Untersuchung der spezifischen Öffentlichkeit dieser Epoche zwischen etwa 1550 bis 1650 bleibt hingegen ein Desiderat. Entsprechend ging es den Veranstaltern auch darum, auf eine Forschungslücke hinzuweisen und einen Beitrag zu deren Überwindung zu leisten. Der Ansatz, Streitkulturen und Öffentlichkeit gemeinsam in einer Tagung zu erörtern, überzeugte dabei, schließlich konstituiert die Auseinandersetzung über und Diskussion von Themen gesellschaftlichen oder gruppenspezifischen Interesses Kommunikationsräume, die als Nuclei sich entwickelnder Öffentlichkeiten funktionieren können.

Der Begriff der 'Streitkultur' umfasst zwei Bedeutungsebenen: Zum einen versteht er im Sinne eines kulturgeschichtlichen Verständnisses den Streit als Medium der Sinnproduktion und betrachtet zum anderen die Ausprägung von Verfahrensweisen zur Steuerung und Einhegung von Konflikten und damit gewissermaßen eine 'Kultivierung' von Streit. Im Mittelpunkt standen drei Kategorien: Gefragt wurde nach den Themen, den Foren und Rahmen, innerhalb derer Streit nach bestimmten Regeln ausgetragen wurde, und schließlich nach der Bedeutung der Medien für Veränderungen in der Streitkultur. In einem struktur- und kulturgeschichtlichen Zugriff sollten Grundmuster und Gemeinsamkeiten von Auseinandersetzungen, das Verhältnis von Streit und Öffentlichkeit, die Wahrnehmung von Streit durch die Zeitgenossen sowie die Entwicklung von Streitkulturen im Untersuchungszeitraum herausgearbeitet werden.

Theologische bzw. kirchenpolitische Auseinandersetzungen machten – den Spezifika des konfessionellen Zeitalters entsprechend –einen wichtigen Teil aus. So unternahm es IRENE DINGEL (Mainz), die Streitkultur der Zeit nach dem Augsburger Interim 1548 zu präzisieren. Die theologischen Kontroversen seien von verschiedenen hermeneutischen Zugängen und von dem Anspruch getragen gewesen, die Wahrheit zu vertreten. Dies habe die Suche nach einem Kompromiss erschwert, da sie zu einer zunehmenden Abgrenzung und Identitätsbildung der verschiedenen Gruppen geführt und damit auch entscheidenden Anteil an der Ausbildung der Konfessionen gehabt habe. Dass die Parteien tatsächlich die Hoffnung auf Durchsetzung der Wahrheit gehabt hätten, bestritt MARCUS SANDL (Zürich) in einem theoretisch komplexen Zugriff, der ebenfalls die innerprotestantischen Kontroversen der 1550er - und 1560er - Jahre untersuchte. Dabei hob er die Ereignishaftigkeit des Streits hervor, der durch zunehmende Verschriftlichung klassischer akademischer Streitbeilegungsmechanismen entbehrt habe und somit prinzipiell entgrenzt worden sei. Erst die historisierende Betrachtung habe den Streit als abgeschlossene Einheit thematisieren können.

Neben diesen eher systematisierenden Darstellungen untersuchte HENNING P. JÜRGENS (Mainz) mit dem 'Urteil der Kirche' im Osiandrischen Streit eine singuläre Kontroverse, die das komplexe Verhältnis von Obrigkeit und Öffentlichkeit beleuchtete. Im zunächst lokal beschränkten Streit um die Rechtfertigungslehre zwischen Andreas Osiander und Theologen der Universität und der Stadt Königsberg versuchte Herzog Albrecht von Preußen zu Gunsten Osianders einzugreifen, indem er protestantische Experten und Gremien auch außerhalb von Preußen mit einem Brief zu einem Gutachten aufforderte. Als deren Voten anders als erwartet ausfielen, versuchte er, deren Bekanntwerden zu unterdrücken, was allerdings aufgrund der medialen Verbreitung der verschiedenen Urteile und die dadurch konstituierte überregionale Öffentlichkeit nicht gelang. Die Obrigkeit konnte somit zwar Öffentlichkeit evozieren, sie jedoch nur schwer kontrollieren. Der Referent beschrieb die theologische Kontroverse als ein komplexes Wechselspiel von Kommunikation unter Anwesenden, etwa durch Anhörungen oder Predigten, und medial vermittelter Debatte.

Ebenfalls mit der Frage nach Einhegung von Öffentlichkeit in religionsgeschichtlicher Perspektive beschäftigte sich auch URSULA PAINTNER (Münster/Berlin), die die öffentliche Debatte um den 'Index Librorum Prohibitorum' der katholischen Kirche untersuchte. Gegen die These vom konfessionellen Zeitalter als 'Zeitalter der Zensur' führte sie die Debatten um und die Kritik an zeitgenössischen Zensurversuchen ins Feld. Scheinbar paradoxerweise sei der 'Index Librorum Prohibitorum' in erster Linie durch Editionen seiner Kritiker bekannt geworden. Die Zensur habe also im Untersuchungszeitraum Öffentlichkeit nicht nur behindert, so Paintner, sondern die Entstehung einer kritischen Öffentlichkeit auch befördert.

Die Möglichkeit der Teilnahme von Frauen an den theologischen Kontroversen der Zeit und deren spezifische Ausdrucksformen thematisierte BARBARA MAHLMANN-BAUER (Bern). In einem genderzentrierten Ansatz, den sie mit Konzepten aus dem postkolonialen Kontext der 'subaltern studies' ergänzte, stellte sie vier Frauen vor, die auf theologische und kirchenstrukturelle Debatten der Zeit einwirkten: Caritas Pirckheimer, Argula von Grumbach, Marie Dentière sowie Katharina Schütz-Zell. Während sich Frauen zu Beginn der Reformation noch an den Auseinandersetzungen beteiligte, nahm dies ab 1524 ab, wofür Mahlmann-Bauer gesteigerte Polemik ihrer Gegner und Furcht der Autorinnen vor Repressalien und Verfolgung verantwortlich machte.

Eine Reihe von Referenten zeigte die enge Verzahnung von Politik und Religion im konfessionellen Zeitalter auf. So stellte SILVIA SERENA TSCHOPP (Augsburg) im öffentlichen Abendvortrag anhand der publizistischen Debatte zwischen dem sächsischen Hofprediger Matthias Hoë von Hoenegg und dem Mainzer Jesuiten Johann Reinhard Ziegler im Zuge des Leipziger Konvents von 1631 dar, wie mittels theologischer Debatten Kritik am und Zustimmung zum kaiserlichen Restitutionsedikt von 1629 verbalisiert wurde.

Politische Konflikte und insbesondere das komplexe Verhältnis von Obrigkeiten zu neuen Formen öffentlicher Konfliktaustragung bildeten einen weiteren Schwerpunkt der Tagung. Die Rolle und das Selbstverständnis protestantischer Hofprediger etwa nahm LUISE SCHORN-SCHÜTTE (Frankfurt am Main) in den Blick. Diese hätten entsprechend ihrem theologischen und ständischen Selbstverständnis ein Sonderbewusstsein als Mahner und Wächter gegenüber den Obrigkeiten entwickelt. Dabei hätten sie innerhalb verschiedener Foren Wirkung entfalten können: nicht nur in der Sphäre des Hofes und der Universität, sondern über volkssprachliche Druckschriften auch in weiteren Bereichen einer literaten Öffentlichkeit.

Um die Reichweite und Funktion von Obrigkeitskritik ging es auch MARIANO DELGADO (Fribourg/CH), der die Debatte um den Umgang mit den Ureinwohnern Südamerikas im Spanien des 16. Jahrhunderts untersuchte, die besonders von dem Dominikaner Bartolomé de las Casas getragen wurde. Während die spanische Krone der Sache gegenüber durchaus aufgeschlossen und bemüht war, Missstände abzuschaffen, wurde die sich entwickelnde publizistische Debatte zunehmend reglementiert. Die verschärfte Zensur öffentlicher Debatten ab den 1550er Jahren und die abnehmende Offenheit für öffentlich geäußerte Herrschaftskritik habe, so Delgados bilanzierende These, den Abstieg Spaniens im 17. Jahrhundert begünstigt. Die semantische Dimension der Auseinandersetzungen zwischen Obrigkeit und mediaten Gewalten nahm KOLJA LICHY (Gießen) in den Blick, indem er die Publizistik der polnischen Adelsopposition im Kontext der Reform des Sejms durch Sigismund III. nach 1605 untersuchte. Aus der Beobachtung, dass häufig verwendete antijesuitische Topoi in keinem Bezug zu den inhaltlichen Anliegen der Opposition standen und sowohl von katholischer wie von protestantischer Seite verwandt wurden, folgerte Lichy, ihre Bedeutung habe nicht in ihren inhaltlichen Aussagen, sondern vielmehr in ihrer Funktion als überkonfessionelles, semantisches Bindeglied zwischen den Angehörigen der Opposition bestanden.

Entgegen älterer Vorstellungen von Diplomatie als einem Arkanbereich, zeigen neuere Arbeiten, dass Öffentlichkeit auch in den Konflikten der Mächte eine zentrale Rolle spielte. Dies verdeutlichen auch die verschiedenen Medien und Institutionen, mittels derer in diesem Bereich Öffentlichkeit generiert wurde und die in zwei Referaten vorgestellt wurden. So untersuchte LAURA MANZANO BAENA (Madrid) die spanisch-französischen Verhandlungen über eine Heirat zwischen Ludwig XIV. und der Infantin Maria Theresia auf zwei Ebenen, dem überlieferten Archivmaterial und der die Verhandlungen begleiteten Flugschriftenpublizistik. Manzano Baena konnte zeigen, wie bestimmten politischen Zielen durch die Publizistik Nachdruck verliehen wurde bzw. wie letztere auf den Verlauf der Verhandlungen Einfluss nehmen konnte. Auf die verschiedenen Ebenen diplomatischer Konfliktaustragung verwies auch THOMAS WELLER (Mainz), der den spanisch-französischen Präzedenzstreit im Rahmen einer europäischen Öffentlichkeit untersuchte. Neben der symbolischen Kommunikation, die den jeweiligen Anspruch im Zeremoniell zu manifestieren suchte und dem Bereich der Anwesenheitskommunikation zuzurechnen ist, habe sich auch eine publizistische Debatte entfaltet, in der die spanische bzw. französische Präzedenz mit historischen oder religiösen Argumenten belegt wurden. Zur Lösung des Konfliktes trug nach Weller auch die Verlagerung des Streits von einer kirchlichen auf eine säkulare Ebene bei, auf der erstmals die Gleichrangigkeit von Mächten abgebildet werden konnte.

Mit der theologischen Öffentlichkeit eng vernetzt war die Öffentlichkeit der frühneuzeitlichen Universität, in der sich spezifische Formen des Streitaustrags herausbildeten. Der klassischen Form akademischer Kontroverse, der Disputation, waren gleich zwei Vorträge gewidmet. KENNETH APPOLD (Princeton) untersuchte die kontroversen Beurteilungen und die Verortung der Disputation im Spannungsfeld zwischen Konfessionalisierungsstreben der Obrigkeit und der Wahrheitssuche der akademischen Akteure. Gegen die Ansichten, die Disputation verursache Streit bzw. sie diene in erster Linie der Vermittlung feststehender Wahrheiten, hob etwa Jakob Andreae ihre streitlindernde Wirkung, die aus dem kollektiven Bemühen um die Wahrheit erwachse, hervor. Appolds These, die Disputation sei als besonderes Ereignis und durch feststehende Regeln aus dem Bereich der Alltagskommunikation herausgehoben, unterstrich auch MARIAN FÜSSEL (Göttingen), der den agonalen Grundcharakter der Disputation durch Analogien aus dem Bereich des Kampfes verdeutlicht sah. Auch Füssel ging auf die medienbasierte Dynamisierung einer Streitaustragungspraxis durch den Wechsel von Anwesenheitskommunikation zur Verschriftlichung und die daraus folgenden Entgrenzungen ein.

Die Studenten als Teil einer universitären Öffentlichkeit machte BARBARA KRUG-RICHTER (Münster) zum Gegenstand ihres Vortrages. Dabei zeigte sie anhand von Gerichtsprotokollen über blasphemische Äußerungen durch Studenten, wie bestimmte Formen des Streits der Konstituierung und Behauptung einer ständischen und gruppeninternen Identität dienten. So gehörten Regelverstöße wie Blasphemie zum Kern einer spezifisch studentischen Kultur, die von der „Devianz als Norm“ (Füssel) geprägt war. In ähnlicher Weise fragte ARNE KARSTEN (Wuppertal) nach der Bedeutung der sozialen Stellung des Künstlers im Barock für die Ausprägung einer bestimmten Form der Streitaustragung. So habe Gian Lorenzo Bernini erstmals das Medium der Karikatur als soziale Waffe ohne Rücksicht auf die Stellung des Gegenübers eingesetzt. Aus der Beobachtung, dass diese Praxis am französischen Hof zur selben Zeit noch unbekannt gewesen sei, schloss Karsten, der häufige Wechsel in den Machtkonstellationen in Rom durch die päpstliche Wahlmonarchie habe die Emanzipation des Künstlers begünstigt. Beide, Krug-Richter und Karsten, berührten mit ihren Vorträgen den Bereich der ständischen bzw. individuellen Ehre, der neben theologischen Grundfragen zentrale Bedeutung in der Entstehung von Streit und Konflikten im Untersuchungszeitraum zukam.

Eine klassische Austragungsform von Ehrkonflikten, das Duell, untersuchte GERD SCHWERHOFF (Dresden). Er wies dabei auf die enge Verflechtung von Anwesenheits- und Schriftkommunikation in der Entwicklung von Streitkulturen hin. So habe sich das Duell nach Schwerhoff nicht aus Formen mittelalterlichen Zweikampfes entwickelt, sondern sei aus dem romanischen Kulturkreis übernommen und im Reich maßgeblich durch einschlägige publizistische Kontroversen und insbesondere der Anti-Duell-Schriften bekannt und als Streitaustragungsform etabliert worden.

Den Abschluss dieser Tagung bildeten zwei Schlusskommentare, die in einem synoptischen Zugriff das breite Panorama der Vorträge auf einige wiederkehrende Fragen und Aspekte hin reflektierten. ANDREAS GESTRICH (London) zog Bilanz unter drei Punkten. Zum einen fragte er nach dem Strukturwandel der Öffentlichkeit, den er vor allem durch die Ausweitung und Perpetuierung der Druckmedien beeinflusst sah. Ein breiterer Zugriff und die Entstehung von Wissensarchiven hätten so den Übergang von einer „okkasionellen“ zu einer „strukturellen Öffentlichkeit“ befördert. Deren Bedeutung innerhalb des Herrschaftssystems bedürfe weiterer Untersuchung. Daneben wies er auf den Wandel der Mechanismen zur Streitbeilegung und auf die Vielfalt der sich entwickelnden Streitkulturen hin. Das Spezifische in der Streitkultur des konfessionellen Zeitalters sah Gestrich in der Art und Weise, wie Religion bzw. Konfession zum Politischen wurde. Diesen Kommentar ergänzte MARKUS WRIEDT (Frankfurt am Main/Milwaukee) mit einer theologiegeschichtlichen Gesamtschau, in der er sich für eine grundlegende Theoriebildung aussprach. So forderte er eine weitergehende theoretische Reflexion und Begriffsschärfung in den Bereichen der Diskurstheorie, der Medialität, der Öffentlichkeit, der Frage nach der Emanzipation und warnte davor, die Streitkultur des konfessionellen Zeitalters im Kontext eines Freiheitsparadigmas zu sehen. In der sich anschließenden lebhaften Diskussion wurde eingehend auf die Besonderheit einer Streitkultur des konfessionellen Zeitalters eingegangen, die insbesondere in der Entgrenzung von publizistisch ausgetragenen Streit und dessen Perpetuierung gesehen wurde.

Insgesamt bot die Tagung in inhaltlicher wie methodischer Hinsicht ein breites Panorama. So wurden verschiedene 'Streitkulturen' untersucht, die sich etwa im Bereich der Obrigkeitskritik, der wissenschaftlichen Wahrheitsfindung, der theologischen Kontroversen, der ständischen bzw. individuellen Ehre oder der Beziehungen der europäischen Mächte entwickelten. Dabei wurde zum einen das Paradigma vormoderner Öffentlichkeiten mit Blick unter anderem auf eine akademische, eine konfessionelle oder eine ständische, bestätigt, aber auch durch den Blick auf deren Vernetzung untereinander bzw. deren Auflösung in eine sie transzendierende, nunmehr schwer fest zu umreißende Öffentlichkeit erweitert. Der kreative, identitätsbildende Aspekt von öffentlich ausgetragenem Streit stand ebenso im Fokus wie die Reaktion der Obrigkeiten auf diese neuen Formen der Öffentlichkeit. Dabei wurden neuere Strömungen der Geschichtswissenschaft gewinnbringend aufgegriffen, deren individuelle Perspektiven das Thema von unterschiedlichen Richtungen zu beleuchten vermochten. Trotz oder gerade wegen der Pluralität der Objekte wie der Methoden wurden Grundzüge und Strukturen ebenso wie Entwicklungslinien, Kontinuitäten und Brüche von Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter deutlich. Neben dem Wandel der Streitkultur im Kontext des aufkommenden Marktes für Druckschriften wurde vor allem die reziproke Bedingtheit von Streitkultur und Öffentlichkeit evident. Zum einen nämlich bildete Streit und insbesondere die zunehmend publizistisch ausgetragenen Auseinandersetzungen von übergeordnetem Interesse einen Motor der Entwicklung, Ausweitung, Vernetzung und Perpetuierung von Öffentlichkeiten. Zum anderen besaßen die öffentlichen Austragungsforen auch Implikationen für die Ausgestaltung der Streitkultur. Durch die potentielle Entgrenzung des Streits nämlich ergaben sich neue Strukturen der Streitaustragung und mussten neue Mechanismen zu deren Einhegung gefunden werden. Die Einblicke in die Fragmentierung in verschiedene Öffentlichkeiten sowie deren partielle Überwindung schärfte das Verständnis von Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Damit aber bot die Tagung wichtige Einblicke nicht nur in den Wandel von Streitkulturen, sondern auch die Rolle der Medien und die die heterogenen Deutungs- und Bewertungsmuster der Zeitgenossen. Es ist wünschenswert, dass die vielfältigen Anregungen, die im Verlauf der Tagung formuliert wurden, von der Forschung aufgegriffen und fortgeführt werden.

Konferenzübersicht

Heinz Duchhardt (Mainz): Begrüßung

Henning P. Jürgens / Thomas Weller (beide Mainz): Streitkultur und Öffentlichkeit im konfessionellen Zeitalter. Einführung in das Thema der Tagung

Irene Dingel (Mainz): Zwischen Disputation und Polemik – Streitkultur in den nachinterimistischen Kontroversen

Marcus Sandl (Zürich): „Von dem Anfang der Zerrüttung“. Streit und Erzählung in den innerprotestantischen Kontroversen der 1550er und 1560er Jahre

Luise Schorn-Schütte (Frankfurt am Main): Hofprediger und Öffentlichkeit. Überlegungen zum 16. und frühen 17. Jahrhundert

Mariano Delgado (Fribourg/CH): Die Kontroverse De Indis als Paradigma für den Wandel von Streitkultur und Öffentlichkeit im Spanien des 16. Jahrhunderts

Öffentlicher Abendvortrag
Silvia Serena Tschopp (Augsburg): Kampf mit publizistischen Waffen. Kontroversschrifttum jesuitischer und lutherischer Theologen im Kontext des Dreißigjährigen Krieges

Barbara Mahlmann-Bauer (Bern): Die Bedeutung von „Gender“ in der Kontrovers-Literatur der Reformationszeit. Das Beispiel der Kontroverse zwischen Ludwig Rabus und Katharina Zell

Kenneth Appold (Princeton): Disput und Wahrheitsfindung im konfessionellen Zeitalter

Marian Füssel (Göttingen): Zweikämpfe des Geistes. Die Disputation als Schlüsselpraxis vormoderner gelehrter Streitkultur

Barbara Krug-Richter (Münster): 'Rotzsapperment'. Blasphemie in der studentischen Konfliktkultur der Frühen Neuzeit

Gerd Schwerhoff (Dresden): Das frühneuzeitliche Duell als Element einer öffentlichen Streitkultur

Thomas Weller (Mainz): Trés chrétien oder católico? Der spanisch-französische Präzedenzstreit und die europäische Öffentlichkeit

Laura Manzano Baena (Madrid) : Diplomats and pamphleteers. Debating the proposed marriage of the Infanta Maria Teresa and Louis XIV in archival and printed sources (1644-1648)

Henning P. Jürgens (Mainz): Das „Urteil der Kirche“ im Osiandrischen Streit. Theologische Öffentlichkeit als Schiedsinstanz

Kolja Lichy (Gießen): Jesuiten als Zankapfel. Ein Beispiel für das Streiten im Konsensprinzip des polnisch-litauischen Sejms

Ursula Paintner (Münster/Berlin): Streiten über das, was Streit verhindern soll – Die öffentliche Debatte um den Index Librorum Prohibitorum

Arne Karsten (Wuppertal): Die Karikatur als Medium sozialer Konflikte

Andreas Gestrich (London) / Markus Wriedt (Frankfurt am Main./Milwaukee): Schlusskommentare


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