Facilius enim est extendere verbum quam manum - die Papsturkunde als Mittel der Integration im Mittelalter

Facilius enim est extendere verbum quam manum - die Papsturkunde als Mittel der Integration im Mittelalter

Organisatoren
Projekt "Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.-13. Jh.) - Universale Einheit oder vereinheitlichte Vielfalt?", Pécs, Ungarn; Regionalzentrum der Ungarischen Akademie der Wissenschaften Pécs (PAB)
Ort
Pécs
Land
Hungary
Vom - Bis
06.12.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Claudia Alraum / Andreas Holndonner, Lehrstuhl für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften, Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg

Am 6. Dezember 2010 fand im Regionalzentrum Pécs (PAB) der Ungarischen Akademie der Wissenschaften der Studientag „Facilius enim est extendere verbum quam manum - die Papsturkunde als Mittel der Integration im Mittelalter“ statt. Das durch die Volkswagenstiftung geförderte Projekt „Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.-13. Jahrhundert)“ unter der Leitung von Herrn Klaus Herbers kooperiert eng mit der europäischen Karls-Universität Prag, der Central European University Budapest und der Universität Pécs. Nachdem bereits am 16. Oktober 2009 ein Studientag in Erlangen unter dem Titel „Legationen und Reisen – Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert“ stattgefunden hatte1, wurde diese Veranstaltung nun im ungarischen Pécs, der europäischen Kulturhauptstadt 2010, unter der organisatorischen Leitung von Frau Márta Font (Pécs) fortgesetzt. Im Zuge des Projektes erforschen die vier Nachwuchswissenschaftler/-innen Claudia Alraum (Erlangen), Marcel Elias (Erlangen/Brünn), Gabor Barabás (Erlangen/Pécs) und Andreas Holndonner (Erlangen) die Wechselbeziehungen zwischen der päpstlichen Kurie und geographischen Randgebieten der hochmittelalterlichen Christenheit – Apulien, Ungarn und Kastilien.

Das Papsttum trug in ganz entscheidender Weise zur Integration der geographischen Randgebiete Europas in die hochmittelalterliche christianitas bei. Die Bischöfe von Rom versuchten seit der so genannten „papstgeschichtlichen Wende“ (Rudolf Schieffer), die aus ihrem veränderten Selbstverständnis heraus entstandenen Einheits- und Primatsvorstellungen überall mit ähnlichen Instrumentarien durchzusetzen. Dabei wurde das Papsttum auch entlegeneren Zonen des hochmittelalterlichen Europas früher oder später als Legitimation spendende und Streitfälle entscheidende Institution wahrgenommen und angerufen. Auf die immer zahlreicher werdenden Anfragen reagierend löste es komplexe und sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer jeweiligen regionalen Ausformung unterschiedliche Integrationsprozesse aus, die zahlreiche Parallelen zum modernen europäischen Einigungsprozess aufweisen, insbesondere zur Diskussion um die Bedeutung religiöser Werte für ein vereinigtes Europa und deren Einfluss auf die Entwicklung politischer Strukturen. Dabei fiel bereits den Zeitgenossen auf, dass das Papsttum nicht mit dem Schwert, sondern durch das Wort seine Wirkung entfaltete. Die Papsturkunde als Medium der Kommunikation über geographische Distanzen hinweg, als Produkt komplexer Aushandlungsprozesse und als Streitfälle entscheidendes bzw. Legitimation spendendes Schriftstück erwies sich dabei als mindestens genauso wirksam wie die militärische Stärke von Kaiser und Königen. Johannes Quidort von Paris stellte bereits im Jahre 1302 fest, dass es leichter sei, das Wort zu verbreiten, als seine Hand überall hin auszustrecken: facilius enim est extendere verbum quam manum.

Aus diesem Grund stand die Papsturkunde im Fokus der Vorträge und Diskussionen auf dem diesjährigen Studientag in Pécs, an dem unter anderem auch Werner Maleczek (Wien), Herr Dániel Bagi (Pécs) sowie die ortsansässigen Doktorandinnen Katalin Wittman, Margit Pálffy und Tünde Árvai teilnahmen. Nach der Begrüßung und Vorstellung der Teilnehmer dankte MÁRTA FONT vom Lehrstuhl für Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit der Universität Pécs den Teilnehmern und berichtete kurz von der Präsentation des Projektes anlässlich einer internationalen Konferenz der Volkswagen-Stiftung in Warschau im Juni 2010. KLAUS HERBERS betonte die integrative Kraft der Papsturkunde und plädierte dafür, den Beitrag des Papsttums zur Einheit Europas differenziert und vergleichend zu betrachten. Er rief daraufhin die zentralen Ergebnisse des vergangenen Studientags 2009 in Erlangen noch einmal in Erinnerung und deutete mit Verweis auf Johannes Quidort auf die Diskussionsgrundlage des heutigen Studientages hin, die Vorteile der potestas spiritualis gegenüber der potestas temporalis.

ZSOLT HUNYADI (Szeged) stellte in seinem Vortrag die lange und wechselhafte Geschichte der Entstehung der Hungaria Pontificia dar und konnte zeigen, dass die Päpste des 12. Jahrhunderts die unterschiedlichen Ritterorden in ganz ähnlicher Art und Weise privilegierten. Er betonte, dass besonders angesichts der zahlreichen Konflikte zwischen der lokalen Kirchenhierarchie und den Ritterorden letztere nicht als verlängerter Arm des Papsttums zu verstehen seien. Herr Hunyadi schloss mit der Frage, warum es zwar mit den Templern, nicht aber mit den Hospitalitern zu Konflikten über die Zehnteinnahmen der von den Ritterorden organisierten Gebiete gekommen sei. In der anschließenden Diskussion hob Herr Herbers die allgemeine Problematik im Umgang mit universalen Organisationen wie den Ritterorden innerhalb eines regional gegliederten Unternehmens wie der Pontificia hervor. Herr Maleczek betonte auch im Zusammenhang mit den Ritterorden die Wichtigkeit der päpstlichen Legaten vor Ort, die in allererster Linie das Papsttum mit Wissen über die entsprechenden Räume versorgt hätten.

GERGELY KISS (Pécs) betonte in seinem Vortrag zunächst die Inkohärenz der ungarischen Metropolitanverfassung im 12. Jahrhundert und skizzierte die langwierige und konfliktreiche Ausformung der ungarischen Kirchenhierarchie unter den Erzbischöfen von Esztergom und Kalocsa. Bereits im 11. Jahrhundert habe der Erzbischof von Esztergom den Titel archiepiscopus Ungarie in Anspruch genommen, sei jedoch erst im 13. Jahrhundert mit dem Titel primas bedacht worden. Die Erzbischöfe von Esztergom und Kalocsa konkurrierten nicht nur um die Vorrangstellung in der ungarischen Kirche, sondern auch um das Recht der Krönung der ungarischen Könige. Herr Kiss zeigte die häufig in den Formeln der Papsturkunden für ungarische Empfänger ablesbare Unsicherheit des Papsttums hinsichtlich der exakten Verhältnisse in Ungarn. Herr Herbers unterstrich in der anschließenden Diskussion noch einmal die Abhängigkeit der päpstlichen Kurie von genauen Informationen über die jeweiligen Regionen, Herr Maleczek regte eine genaue Analyse der Funktionen beider Erzbischöfe am ungarischen Königshof an.

CLAUDIA ALRAUM (Erlangen) untersuchte in ihrem Vortrag die Privilegien zur Verleihung des Palliums für apulische Empfänger zwischen 1063 und 1122. Dabei ging sie von der These aus, dass das Pallium von den Reformpäpsten als Mittel der Kontrolle über die Metropoliten und deren Bindung an das Papsttum genutzt worden war. Sie zeigte auf, dass die urkundliche Verleihungen von Pallien in der untersuchten Zeit im Raum Apulien stets mit einer Besitzbestätigung im gleichen Schriftstück einhergingen, wobei ausschließlich die Erzbischöfe der Metropolen Trani, Bari und Brindisi das Pallium zu bestimmten Hochfesten und Heiligenfesten tragen durften. Bilanzierend erklärte Frau Alraum, dass das Pallium in Apulien wohl weniger als Mittel der Kontrolle und Schwächung der Metropolitangewalt eingesetzt wurde, sondern vielmehr als von erzbischöflicher Seite anerkanntes Symbol der Bindung an Rom und Legitimationsgrundlage für die Metropoliten, die sich in vielfältigen Konflikten in ihren Diözesen behaupten mussten.

ANDREAS HOLNDONNER (Erlangen) stellte am Beispiel der vier auf den 15. Oktober 1088 ausgestellten Papsturkunden, die im Zusammehang mit der Wiederaufrichtung des kastilischen Erzstuhles von Toledo und der päpstlichen Bestätigung des Ranges dieser Stadt als Sitz des Primas’ für alle iberischen Reiche stehen, dar, wie Papstprivilegien als Produkte eines Aushandlungsprozesses zwischen Papsttum und Empfänger zu verstehen seien und wie womöglich Angehörige der päpstlichen Kanzlei auf diese Prozesse einwirkten. In den vier Urkunden wurde nämlich die Frage nach dem konkreten Rechtsinhalt der Primatswürde unterschiedlich und teilweise widersprüchlich beantwortet, was auf das Zusammentreffen zweier unterschiedlicher Rechtsvorstellungen, nämlich der westgotischen Rechtstradition, wie sie sich in Form der Collectio Hispana erhalten hatte, und den pseudoisidorianischen Fälschungen, zurückzuführen sei. Die Konsequenzen dieser Privilegien bestanden in einer papstähnlichen Position des Erzbischofs von Toledo, die sowohl zu einer krisenhaften Verschlechterung der Verhältnisse zwischen Toledo und dem Papsttum als auch zur Verzögerung der Integration der Toledaner Kirche in die päpstlich geleitete Universalkirche führte.

GÁBOR BARABÁS (Erlangen/Pécs) stellte mittels einer Auswertung der entsprechenden Papsturkunden in seinem Vortrag die päpstlichen Legaten vor, die in den 20er-Jahren 13. Jahrhunderts in Ungarn anwesend und tätig waren. Das Ziel seiner Untersuchung war es, nachzuweisen, dass in den päpstlichen Legatenbeauftragungen verschiedene Zwecke des Papsttums zu erkennen seien und die Legaten in Ungarn verschiedene Rollen spielen sollten. Dies beweisen die Tätigkeiten der Legaten: Magister Acontius war vor allem mit diplomatischen Aufgaben betraut, während Subdiakon Aegidius am meisten in kirchenrechtlichen Angelegenheiten als Richter wirkte. Zuletzt betonte Herr Barabás, dass der Papst im Jahre 1232 nach diesen jurisdiktionell und zeitlich beschränkten Legationen einen bevollmächtigten Legat, nämlich den Kardinalbischof von Palestrina, Jakob von Pecoraria, als legatus a latere nach Ungarn schickte.

MARCEL ELIAS (Erlangen/Brünn) beschäftigte sich mit Wirkung Byzanz’ auf die ungarische Kirchenorganisation und das dortige Kirchenrecht. Laut der ungarischen Forschung hatte Byzanz keinen Einfluss auf die Kirchenorganisation Ungarns. In den ersten ungarischen Synodaldekreten ist jedoch anhand einiger canones dieser Einfluss nachweisbar, besonders die Fragen zu liturgischen Festen und der Priesterehe betreffend. Darüber hinaus existierten in Ungarn auch orthodoxe Klöster, deren griechische Anfänge noch im 15. Jahrhundert bekannt waren. Nachdem die einzelnen Beiträge in einer Diskussion im Speziellen gewürdigt worden waren, wurden abschließend von Herrn Herbers die Ergebnisse des Studientages zusammengefasst. Vor allem wurde eindringlich dazu aufgefordert, die Papsturkunde nicht nur in inhaltlicher, sondern auch in formaler Hinsicht als Integrationsmedium zu verstehen und zu untersuchen.

Konferenzübersicht:

Zsolt Hunyadi: Papal-Hungarian Relations: Remarks on the Hungaria Pontificia

Gergely Kiss: "Iurisdictionem in abbatibus regalibus" Hésitations judiciaires de la Papauté envers la hiérarchie de l'église hongroise aux XIIe-XIIIe siecle

Claudia Alraum: Pallienprivilegien für Apulien: symbolische Bindung und reale Kontrolle.

Andreas Holndonner: Die Papsturkunde als Produkt unterschiedlicher Rechtsvorstellungen am Beispiel der päpstlichen Beziehungen zum Erzbistum Toledo Ende des 11. Jahrhunderts

Gábor Barabás: Päpstliche Beauftragungen der Legaten im Zusammenhang mit Ungarn in den zwanziger und dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts

Marcel Elias: Zwischen Rom und Byzanz. Kirche und Kirchenrecht Ungarns im 11. Jahrhundert

Anmerkung:
1 Tagungsbericht Legationen und Reisen - Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert. 16.10.2009, Erlangen, in: H-Soz-u-Kult, 25.11.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2890> (11.01.2010).


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