Symbolisches Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft

Symbolisches Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft

Organisatoren
Arbeitskreis für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen / Hamburger Arbeitskreis für Regionalgeschichte
Ort
Hannover
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.11.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Hans-Werner Niemann, Universität Osnabrück

Die diesjährige Herbsttagung des Arbeitskreises für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen am 13. Nov. 2010 in Hannover befasste sich unter der wissenschaftlichen Leitung von Carl-Hans Hauptmeyer (Hannover) und Hans-Werner Niemann (Osnabrück) mit dem Thema „Symbolisches Handeln in Wirtschaft und Gesellschaft“.

In seiner Einleitung ordnete HANS-WERNER NIEMANN (Osnabrück) das Tagungsthema in den Kontext der „kulturalistischen Wende“ der Geistes- und Sozialwissenschaften ein und arbeitete die Erschließung der Welt durch sinngebende Phänomene wie Symbole, Mythen, Weltbilder, Sprach-, Handlungs- und Deutungsmuster, sowie Normen und Werte als deren zentrale Erkenntnisperspektive heraus.

In seinem nachfolgenden Referat über „Symbolik, symbolhaftes Handeln und symbolische Repräsentationen gesellschaftlicher Ordnung auf den Weltausstellungen“ befasste sich HANS-WERNER NIEMANN mit den Weltausstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts als Orten, an denen vorherrschende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Konfigurationen und kulturelle Normen in symbolisch arrangierter Form sichtbar gemacht und dadurch tendenziell auf Dauer gestellt wurden. Dies habe nicht zuletzt auch das Verhältnis des weltwirtschaftlichen Zentrums zur Peripherie betroffen. In diesem Sinne seien Weltausstellungen in hohem Maße affirmativ. Die ideologische Konfrontation zwischen Nationalsozialismus und Sowjetkommunismus sowie der nachfolgende „Kalte Krieg“ hätten diese Traditionslinie verlängert, indem die technologischen Leistungsschauen nunmehr im Zeichen der Konkurrenz der Systeme in einen ideologisch aufgeladenen Gigantismus mündeten, der die Überlegenheit des jeweiligen Lagers beweisen sollte. Erst das Zerbröckeln des naiven technischen Zukunftsoptimismus seit den späten sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts habe die Weltausstellungen zu Orten gemacht, an denen Zukunftsfragen der Menschheit thematisiert werden konnten.

BRAGE BEI DER WIEDEN, ROXANE BERWINKEL , MARTIN FIMPEL und SILKE WAGENER FIMPEL (Wolfenbüttel) berichteten über das am Staatsarchiv Wolfenbüttel angesiedelte Forschungs- und Editionsprojekt „Amtshandlungen im Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel 1735 .“ Bei der Wieden führte zunächst in Ansätze und Theorie des Projektes ein. Ziel sei es, das Spiel der Interessen und seine Bedingungen, die Leitvorstellungen und Handlungszwänge zu beschreiben und zu untersuchen. Weil der Anspruch bestehe, eine Totalität ohne vorherige Zergliederung vorzunehmen, werde nicht zwischen symbolischen und anderen Handlungen unterschieden. Überdies seien menschliche Handlungen, da von symbolisch kodierten Kognitionen gesteuert, nie aus dem „Symbolnetz“ (Ernst Cassirer) des Bewusstseins zu lösen.

Anschließend stellte Martin Fimpel den Teilbereich „Fürst und Regierung“ anhand von Quellen aus der kurzen Regierungszeit von Herzog Ferdinand Albrecht II. (1680-1735) vor. Die zwischen März und September 1735 eigenhändig gefertigten Protokolle von Sitzungen des Geheimen Rates zeigen, so Fimpel, dass der Blick des Fürsten offensichtlich mehr nach außen als nach innen ging. Die Truppen am Rhein im Reichskrieg gegen Frankreich, aber auch Angelegenheiten des Reichstags und Kaiserhofs scheinen ihn mehr beschäftigt zu haben, als innere Fragen seines Territoriums. In Ferdinand Albrechts eigenhändig verfassten Reflexionen über seine Rolle als Reichsfürst und Landesherr habe er sein Fürstentum realistisch als Mindermacht eingestuft, dessen Existenz angesichts des Machtgefälles innerhalb des Reiches stark gefährdet schien. Nur die Aufrechterhaltung der Reichsjustiz und gute Beziehungen zum Kaiser und anderen Höfen haben hier seiner Ansicht nach auf Dauer für Stabilität sorgen können. Am Anfang seiner Regentschaft hätten drei Formen der symbolischen Kommunikation gestanden: Huldigung durch die Untertanen, Lehnsakt vor dem Kaiser, Ersetzung sämtlicher Wappen im Land durch individuelle Wappen des neuen Regenten. Auffallend sei, dass sich der Fürst bei diesen Anlässen nicht persönlich in Szene setzte, sondern sich durch Kommissare vertreten ließ. Fürstliche Repräsentation vor den Untertanen sei offenbar nachrangig gewesen.

SILKE WAGENER-FIMPEL bearbeitet in dem Wolfenbütteler Projekt den thematischen Schwerpunkt „Hofleben, Hofstaat und Hofgesellschaft im Jahre 1735“. Eine zentrale Quelle stellt das Journal des Hofbeamten von Praun dar, das die Ereignisse am Hof für das Jahr 1735 schildert und derzeit für eine Edition vorbereitet wird. In chronologischer Reihenfolge berichtet Praun von den wichtigen Ereignissen bei Hofe. Schauplätze höfischen Lebens seien neben dem Residenzschloss in Wolfenbüttel und dem Lustschloss Salzdahlum auch die Residenzen der drei Herzogswitwen in Braunschweig, Blankenburg und Antoinettenruh sowie das Erbprinzenpalais in Wolfenbüttel gewesen. Empfänge und Besuche von Mitgliedern anderer Adels- und Fürstenhäuser, von Gesandten und sonstigen Besuchern boten Gelegenheit zur Repräsentation. Als Beispiel stellte Silke Wagener-Fimpel das bereits näher untersuchte Begräbnis des Herzogs Ludwig Rudolf zu Braunschweig-Lüneburg im Hinblick auf Repräsentation und Herrschaftssymbole, z. B. den Fürstenhut, vor. Dabei falle der Kontrast zu den Beerdigungen seiner Vorgänger auf. Viel bescheidener und kostengünstiger habe sich der Fürst bestatten lassen. Rudolf August habe sich in dieser Zeremonie scheinbar bewusst dem symbolreichen Wettbewerb mit anderen Fürstenhöfen entzogen. Inwieweit hier individueller Geschmack, Sparzwänge oder doch schon ein gewandelter Zeitgeist eine Rolle spielte, soll ebenfalls im Projekt untersucht werden.

„Symbolisch-politisches Handeln von Harzer Bergmannsvereinen in der Revolution 1848“ untersuchte der Göttinger Kulturwissenschaftler ULRICH REIFF. Schon bei Ausbruch der Revolution wählten die Bergleute eine bemerkenswerte symbolische Praxis, die ihnen als traditioneller Huldigungsakt aus der ständischen Ordnung bestens vertraut war, so Reiff. Sie überreichten ihre Petition an das Bergamt im Rahmen einer erstmals selbst organisierten nächtlichen bergmännischen Aufwartung - Beschwichtigung und Druckmittel zugleich. Handwerker-, Bergmanns- und Arbeitervereine führten diese symbolische "Politik der Straße" fort, wie Vereinsfahnen in Schwarz-Rot-Gold sowie in der "Harzer Trikolore" Schwarz-Grün-Gold im Bestand des Oberharzer Bergwerksmuseums bezeugen. Neben zielgerichteter Petitionspolitik seien die Harzer Vereine im unruhigen Frühjahr 1849 mit Massenumzügen und Straßendemonstrationen hervorgetreten. Höhepunkt dessen war am 13.5.1849 ein imposantes Verbrüderungsfest innerhalb der so genannten Reichsverfassungskampagne, eines der größten in Norddeutschland. Dass sich die Vereine bis zur polizeilichen Unterdrückung in der "Allgemeinen deutschen Arbeiterverbrüderung" assoziierten, interpretierte der Referent als Anfänge einer kaum erforschten Arbeiterbewegung im Oberharzer "Bergwerksstaat", deren Zentren jedoch in Lauterberg und Osterode zu suchen seien.

THOMAS SCHWARK (Hannover) berichtete aus einem von der Volkswagenstiftung geförderten Forschungsprojekt, das das Historisch Museum Hannover gemeinsam mit dem Historischen Seminar der Leibniz-Universität Hannover betreibt ("Die innerdeutsche Grenze als Realität, Narrativ und Element der Erinnerungskultur") und das vor allem der bildlichen und filmischen Überlieferung der niedersächsischen DDR-Grenze gewidmet ist. Schwark referierte zu einem bei den DDR-Grenztruppen entstandenen Fotoalbum, das 1973 aus Anlass der Schaffung eines neuen Grenzübergangs bei Salzwedel angelegt wurde; Hintergrund war die Vorbereitung auf den so genannten ‚Kleinen Grenzverkehr‘. Unter Bezug auf Ansätze einer Visual History skizzierte er nicht nur die klassische Erinnerungsfunktion des Fotoalbums, sondern kennzeichnete auch die signifikanten Bildelemente der im Album dramaturgisch als "Storyline" angeordneten Fotos und verwies auf deren komplexen Symbolgehalt. Neben den vordergründig als Inventar von Grenze beschreibbaren Elementen (Grenzanlagen, Metallgitterzaun, Wachturm, Uniformen) wurde ihre Bedeutung für die "Vergewisserung" durch Symbole, marxistische Traditionselemente und durch Präsenz der militärischen Führungselite erkennbar. Die Diskussion des Beitrags vertiefte insbesondere Aspekte der Wirkmächtigkeit von Fotografien und deren Quellenwert im Lichte ihrer bildkünstlerischen Veränderbarkeit (Perspektive, Komposition, Bildausschnitt).

Die Referate und zahlreichen Diskussionsbeiträge der Tagung zeigten, dass der kulturgeschichtliche Ansatz in der Politik- und Sozialgeschichte auf breiter Front angekommen ist und dabei insbesondere die Bedeutung von symbolhaftem Handeln in seinen verschiedenen Formen große Aufmerksamkeit gefunden hat. Deutlich anders stellt sich der Befund in der Wirtschaftsgeschichte dar, die sich ungeachtet der in den letzten Jahren von Hartmut Berghoff und Jacob Vogel 2004 mit ihrem Sammelband „Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte. Dimensionen eines Perspektivenwechsels“ unternommenen Versuch einer Neuorientierung der Disziplin und ungeachtet der kulturalistischen Frageperspektiven durchaus Raum gebenden Grundannahmen der so genannten Neuen Institutionenökonomik, diesen Fragestellungen bisher kaum geöffnet hat.

Konferenzübersicht:

Hans-Werner Niemann (Osnabrück): Einführung in das Tagungsthema.

Hans-Werner Niemann (Osnabrück): Symbolik, symbolhaftes Handeln und symbolische Repräsentationen gesellschaftlicher Ordnung auf den Weltausstellungen.

Brage Bei der Wieden / Roxane Berwinkel / Martin Fimpel, Silke Wagener-Fimpel (Wolfenbüttel): Symbolische und andere Amtshandlungen im Fürstentum Wolfenbüttel 1735.

Ulrich Reiff (Göttingen): Symbolisch-politisches Handeln von Harzer Bergmannsvereinen in der Revolution von 1848.

Thomas Schwark (Hannover,): „Wachtürme sind vergesslich...“ Von Bildern und Symbolen der niedersächsischen DDR-Grenze. Ein Werkstattbericht.