Helden in der Renaissance. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

Helden in der Renaissance. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung

Organisatoren
Achim Aurnhammer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Manfred Pfister, Freie Universität Berlin
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.10.2010 - 06.10.2010
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Von
Achim Aurnhammer, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; Manfred Pfister, Freie Universität Berlin

„Helden in der Renaissance“, die Jahrestagung 2010 des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Renaissanceforschung, fand unter der Leitung von Achim Auernhammer und Manfred Pfister vom 4. bis 6. Oktober 2010 in Wolfenbüttel statt. In seiner Einführung stellte MANFRED PFISTER (Berlin / Montepescali) für die Frühe Neuzeit eine Pluralisierung des Heroischen heraus, die mit dessen Prägnanzverlust einhergehe: Bezeichnet der „Heros“ in der griechischen Antike einen “Halbgott“, der zwischen Göttern und Menschen vermittelt und sich vor allem im epischen Kampf auszeichnet, so kann im 16. Jahrhundert schon jeder als Held gelten, der sich einer großen Aufgabe, auf welchem Gebiet auch immer, mutig stellt; seit dem späten 17. Jahrhundert, in England seit Dryden, heiße „Held“ schließlich nicht mehr nur derjenige, dem eine übermenschliche Tat zugeschrieben wird, sondern der Protagonist jeglichen Romans oder Dramas. Der unterschiedliche Gebrauch des Begriffs „Held“ in der Renaissance spiegelt die Proliferation des Heroischen in den Bereichen Kriegswesen, Politik, Religion oder Kunst und Wissenschaft wider, dem die Tagung nachzuspüren suchte.

In ihrem Abendvortrag, der das Kolloquium eröffnete, wies INA SCHABERT (München / Paris) auf den Gender-Aspekt des Themas hin. Ausgehend von den kriegerischen Frauen im italienischen Renaissanceepos (Boiardo, Ariost und Tasso), die als Heldinnen des christlichen wie paganen Heeres (Bradamante, Clorinda) Heldentaten vollbringen, erörterte sie die sukzessive Entkoppelung militärischer und heroischer Qualitäten vom männlichen Geschlecht. Die Feminisierung des Heldentums führte, so Schabert, in der bildenden Kunst und Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts zum Kult von heroic women, dem die Inszenierung schwacher Männer korrespondierte. Dies wurde oft begleitet von einer sukzessiven Spiritualisierung und Christianisierung des Heroischen.

Den schwachen, liebenden Helden präsentiert bereits Giovanni Boccaccio in seinem den Troja-Stoff aufgreifenden Stanzenepos Filostrato (um 1335), das RAINER STILLERS (Marburg) vorstellte. Der von der Liebe zu Criseida ›gestürzte Held‹ ist der trojanische Prinz Troiolo, der in seinem Liebeswahn die militärischen Pflichten vergisst und dessen schmählicher Tod auf dem Schlachtfeld im Epos fast übergangen wird.

Bringt Boccaccio in seinem Epos Liebe und Krieg in einen unversöhnlichen Gegensatz, so sucht das 16. Jahrhundert den Heroismus als charakterliche Disposition zur Leidenschaft, als furor heroicus, zu bestimmen. Damit einher geht eine philosophische Nobilitierung der Leidenschaften als heroischer Erkenntnisinstrumente. Auch wenn solche philosophischen Spekulationen an die Platonische Enthusiasmos-Lehre und mehr noch an den neuplatonischen Humanismus anknüpften, der die göttliche manía, den furor divinus, schon Dichtern und Philosophen zuschrieb, nobilitierte erst Giordano Brunos epochaler Dialog De gli heroici furori (1585) die Leidenschaften zum heroischen „Willen zur Erkenntnis“. Dass dieser erkenntnistheoretische Heroismus unabhängig vom Erfolg ist, erläuterte HANNA KLESSINGER (Freiburg im Breisgau) paradigmatisch an dem Aktäon-Sonett, mit dem Bruno den „Höhepunkt des heroischen Wegs“ illustriert: Die „Wahrheitsjagd“ gipfele in der Emanzipation des Schauens und im Opfer als tragischem Triumph.

Der religiösen Usurpation des Helden-Gedankens waren zwei Vorträge gewidmet. THOMAS KAUFMANN (Göttingen) zeigte in einer genauen Analyse des reformatorischen Bilderkampfs die Stationen der Heroisierung Luthers. Wurde Luther zunächst als frommer Mönch und Gelehrter dargestellt, so wurde er nach 1521 heroisiert und sanktifiziert, um nach 1524 zum Junker Jörg und Ordnung stiftenden Tatmenschen monumentalisiert zu werden. Zur Stilisierung Luthers zum Helden trugen mythologische Anspielungen (Herkules) und vor allem der Anspruch bei, er erfülle als Reformator eine göttliche Mission. Die große Bedeutung der Medien und die entscheidende Rolle der Verehrergemeinde für die Heroisierung, die diese Fallstudie hervorhob, gelte auch für die postume Heroisierung des Ignatius von Loyola. JOST EICKMEYER (Heidelberg) zeigte in einer textnahen Analyse, wie Johannes Vincartius (Jean Vincart) SJ die Gattung des christlichen Heroidenbriefs nutzt (Sacrarum heroidum epistolae, 1640), um den Gründer des Jesuitenordens zu glorifizieren und dessen Absage an die Familie zum heroischen Akt aufzuwerten.

Was aber geschieht mit dem Andenken heroischer Ikonoklasten, die durch die Entmythologisierung früherer Helden und die Zerstörung ihrer Denkmäler Freiraum für die eigenen heroischen Selbstinszenierungen zu schaffen suchten? Das fragte TOBIAS DÖRING (München) und diskutierte das Wirken der ars oblivionis an vier Beispielen unterschiedlicher medialer Vermittlung aus der englischen Renaissance: John Stowe’s topographischem „Survey of London“ (1598), einem anonymen allegorischen Gemälde zur Tudor-Reformation mit Edward VI. und dem Papst, Christopher Marlowes Doppel-Tragödie „Tamburlaine the Great“ und Andrew Marvells „Horatian Ode Upon Cromwell’s Return from Ireland“.

Dass sogar Feinde heroisiert werden konnten, erläuterte ANDREAS BIHRER (Freiburg im Breisgau) an turkophilen Tendenzen des italienischen Humanismus, exemplarisch an Giovanni Mario Filelfo, der Sultan Mehmet II., dem „Großen Türken“, in dem lateinischen Heldenepos „Amyris“ (1471–1476) huldigte. Auch wenn Filelfo den Sultan durch einen Abstammungsmythos nobilitierte, indem er Mehmet II. auf den Trojanerkönig Priamos zurückführte, relativierte er ihn andererseits insofern, als er ihn zu einem bloß militärischen Helden vereiseitigt. Inwieweit ein solch partieller Heroismus den Lobpreis zu einer impliziten Warnung vor dem epischen Helden umdeutet, wurde im Gespräch kontrovers diskutiert.

Die Wandlungen des Heroischen in den Florentiner David-Plastiken erläuterte HANS W. HUBERT (Freiburg im Breisgau). Im kontrastiven Vergleich mit den David-Skulpturen, die Donatello und Verrocchio geschaffen haben, zeige sich die konzeptionelle Umdeutung Michelangelos: In einem selbstbewussten, geradezu heroischen Wettstreit mit dem antiken Menschenbildner Phidias schaffe Michelangelo zwischen 1501 und 1504 aus einem fast verdorbenen Marmorblock eine Kolossalstatue, die David als nackten Helden unmittelbar vor dem Kampf mit Goliath zeigt. Präsentieren die vorgängigen bildkünstlerischen Lösungen David mit dem Haupt des Goliath als Sieger, so verlege Michelangelo die Heldentat vor in den Entschluss zum Kampf. Dass diese innovative Deutung des Heroischen als Inbegriff republikanischen Selbstbewusstseins galt, bekunde der despektierliche Umgang mit der Plastik unter der Herrschaft der Medici.

Um „genre- und genderspezifische Heldenkonstitution“ ging es UTE BERNS (Hamburg) in ihrer differenzierten Lektüre von Shakespeares Versepyllion „The Rape of Lucrece“ (1594). Was geschieht, wenn der Held eine Frau ist und als solche, vom männlichen Heldenstereotyp abweichend, in private Bezüge eingebunden und auf Passivität festgelegt scheint? Dass Shakespeare ihr ein Epyllion und eben kein Epos widmet, übersetzt diese Gender-Differenz schon in eine generische, und dass im Zentrum dieses Kurzepos eine ausladende Ekphrase steht, in der Lukrezia vor einem Troja-Bildes im Spiegel der leidenden Hekuba ihr eigenes Leid zu ergründen sucht, vertieft die Verinnerlichung des Heroischen hier, so Berns. Aus ihr führe jedoch Lukrezias Selbstmord als heldenhafter „Römertod“ zurück in die politische Welt: ihre Vergewaltigung, ihr Selbstmord als auslösendes Moment und Gründungsmythos der römischen Republik.

Die Idealisierung des Gelehrten zum humanistischen Geisteshelden führte LOTHAR SCHMITT (Zürich) am Beispiel des Johannes Reuchlin vor. Die Parallelisierung von Dichter und Herrscher zeige sich zum einen in der Umwidmung des militärischen Triumphs auf den Sieg des Gelehrten über die Dunkelmänner, den Ulrich von Hutten in dem „Triumphus Capnionis“ (1518) als triumphalen Einzug in die Heimatstadt Pforzheim feiert; zum andern in der Apotheose Reuchlins, in der Erasmus von Rotterdam in Form einer Vision den Einzug des verstorbenen Gelehrten ins Paradies schildert.

JANET CLARE (Hull, England) erläuterte das „Heroic Revival of 1599“, indem sie die spektakulären heroischen Selbstinszenierungen des Earl of Essex und deren Scheitern in einen Dialog mit den Heldeninszenierungen des elisabethanischen Theaters brachte, dessen Apologeten es als patriotisches Medium der Erinnerung und Vergegenwärtigung heldenhafter Vorbilder der Nationalgeschichte feierten. Im Zentrum standen dabei die differenzierte und durchaus auch problematisierende Darstellung des mythischen Volkshelden Heinrichs V. in Shakespeares Königsdramen und die Entmythologisierung des Heroischen in dessen Troja-Drama „Troilus and Cressida“.

Selbstinszenierung französischer und englischer Herrscher um 1600 verglich am Beispiel von Heinrich IV. von Frankreich und Jakob I. von England RONALD ASCH (Freiburg im Breisgau). Während Heinrich IV. als heroischer roi connetâble auftrat, der durch herkulische Tatkraft und Bereitschaft zum Selbstopfer den Bürgerkrieg befriedete, suchte Jakob I. durch seine Selbstinszenierung als rex pacificus und „neuer Salomon“ den konfessionellen Heroismus zu unterlaufen und die Rolle des heroischen Kriegers auf Thronfolger und Favoriten zu übertragen. Da im Frühabsolutismus die Sakralität des Königtums eng mit der Stilisierung des Monarchen zum heldenhafter Gotteskrieger verbunden war, mussten die heroischen Selbstinszenierungen der Monarchen, um glaubwürdig zu wirken, situationsgerecht ausfallen und durch militärische oder politische Praktiken immer wieder unter Beweis gestellt werden.

ACHIM AURNHAMMER (Freiburg im Breusgaz) behandelte die Heroisierungsstrategien in deutschsprachigen Epicedien auf König Gustav II. Adolf von Schweden. In der kurzen Zeitdauer der Heroisierung König Gustav Adolfs verdichtet sich der Prozess einer Heroisierung auf paradigmatische Weise, so Aurnhammer: Die Heroisierung setzte um 1630 mit dem Kriegseintritt ein, gipfelte im November 1632, nachdem Gustav Adolf in der Schlacht bei Lützen gefallen war, um schon bald darauf wieder nachzulassen. Zum einen wurde deutlich, dass sich die postume Heroisierung von der Glorifizierung zu Lebzeiten kaum unterscheidet, zum andern wurden die intertextuellen und intermedialen Bezüge bis hin zu polysemen Überblendungen erhellt, und zum dritten wurde die maßgebliche Deutung der Autorinstanz hervorgehoben, die das bleibende Heldengedenken in einer Art Sprechakt zu stiften beansprucht.

Abschließend wurden die Ergebnisse des Arbeitsgesprächs rekapituliert und Ansätze zu Definitionsmodellen des Heroischen über die Renaissance hinaus erprobt. Als inadäquat zurückgewiesen wurden sowohl „essentialistische“ Definitionen als auch Prototypen-Bestimmungen oder Strukturmodelle, die das Wesen des Helden überzeitlich zu fassen suchen. Favorisiert wurden konstruktivistische Bestimmungen, die vor allem auf die Zuschreibung von heroischen Qualitäten als Sprechakte abheben. Um der Individualität und Vielfalt der heroischen Phänomene im historischen Wandel gerecht zu werden, scheint es ebenso praktisch wie sinnvoll zu sein, eine Art „Familienähnlichkeit“ (Ludwig Wittgenstein) der „heroischen Qualitäten“ anzunehmen, die zugeschrieben werden. So ist es plausibel, ein Bündel von Merkmalen anzunehmen wie: Übermenschliche Größe / Leistung, Überwindung von Widerstand, Bereitschaft zur Selbstaufgabe, Vorbildhaftigkeit / Identifikationsfigur, Schutz / Rettung / Befreiung anderer, Tugend / Ehre /Großmut, Verehrung / Kult. Diese Merkmale, die sich erweitern ließen, müssen im Einzelfall nicht vollständig repräsentiert sein, sondern können auch nur partiell vorkommen.

Ergänzend scheint es sinnvoll, mit Norbert Elias von „Helden-Figurationen“ zu sprechen, um die Pluralisierung und Proliferation des Heroischen vom militärischen Tatmenschen bis zum Märtyrer, mit Blick auf die sozialen Kontexte, in denen sie sich ausprägen, adäquat zu erfassen. Zur Bestimmung der Heldenfiguration scheinen folgende Akteure, Mechanismen und Interessen von Belang, die für den Akt der Heroisierung konstitutiv sind: Erstens die Autor-Instanz: der heroisierende Autor (Historiker, Schriftsteller, Künstler), der zum Zweck der Verewigung einen Helden und dessen Heldentaten (Heldentod) beschreibt/konstruiert und sich dabei auch selbst heroisieren kann; zweitens das Objekt: die zu heroisierende Person oder Figur, der Heldentaten zugeschrieben werden; drittens das Publikum: Jede Heroisierung hat ein präsumtives Publikum, ein Kollektiv - das kann eine bereits etablierte oder eine dadurch zu begründende Gruppe oder Verehrergemeinde sein, deren kollektive Identität durch den geteilten Heldenkult profiliert und bestärkt wird - ; viertens Motiv / Interesse: der Heroisierung liegt immer ein Motiv bzw. Interesse zugrunde, in dem sich das ›soziale Geflecht‹ der Figuration und ihr Mechanismus der Abhängigkeiten manifestieren; fünftens das Medium: Die Heroisierung bedarf der medialen Repräsentation, dies kann ein literarisches, bildkünstlerisches oder hybrides Medium wie das Theater oder Maskenspiel sein.

Die Themen- und Methodenvielfalt des Kolloquiums ließ, um ein vorläufiges Fazit zu ziehen, deutlich werden: In der Verbindung von historischen, phänomenologischen, sprachanalytischen (pragmatischen bzw. performativen) und soziologischen Ansätzen, wie sie in den Tagungsbeiträgen erprobt und im Gespräch diskutiert wurden, liegt die Chance, sich dem vieldiskutierten Phänomen des Heroischen künftig differenzierter zu nähern und seiner Komplexität – jenseits vereinfachender essentialistischer Zuschreibungen – gerecht zu werden.

Konferenzübersicht:

Ina SCHABERT (München): Weiblicher Held oder Heldin? Die heroische Frau in der Imagination der Shakespearezeit (Öffentlicher Abendvortrag)

Rainer STILLERS (Marburg): Der elegische Held: Zu Giovanni Boccaccios „Filostrato”

Hanna KLESSINGER (Freiburg): Giordano Bruno: „De gli eroici furori“ (wurde verlesen)

Thomas KAUFMANN (Göttingen): Heroisierungen Luthers in Wort und Bild in den frühen Jahren der Reformation

Jost EICKMEYER (Heidelberg): Ignatius, heros contra familiam. Der Gründer des Gesellschaft Jesu als rinaszimentaler Held im barocken Heroenbrief des Johannes Vincartius SJ

Tobias DÖRING (München): Heroic erasures: how to commemorate iconoclasts

Andreas BIHRER (Freiburg) : Der Feind als Held. Türkische Heroen in der italienischen Renaissance

Hans W. HUBERT (Freiburg): Wandlungen des Heroischen in den Florentiner David-Plastiken

Ute BERNS (Berlin): Heroism, Gender and Genre: Female Vengeance in „The Rape of Lucrece”

Lothar SCHMITT (Zürich): Zwischen Triumph und Apotheose. Johannes Reuchlin als humanistischer Geistesheld

Janet CLARE (Hull, Great Britain) : „His bruised helmet and his bended sword”: Henry V., Essex and the Heroic Revival of 1599

Ronald ASCH (Freiburg): Monarchen zwischen Heroisierung und Heroismus-Defizit. Ein Vergleich zwischen England und Frankreich (1587-1625)

Achim AURNHAMMER (Freiburg): „Der Löwe aus Mitternacht“: Zur Heroisierung König Gustav II. Adolfs in der deutschen Literatur

Diskussion und Schlusswort


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