Privatheit. Interdisziplinäre Tagung

Privatheit. Interdisziplinäre Tagung

Organisatoren
Interdisziplinärer Forschungsschwerpunkt Privatheit (IFSP), Universität Passau
Ort
Passau
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.11.2010 - 20.11.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Steffi Krause, Passau

Was regulieren wir mit Privatsphäre-Einstellungen bei Facebook? Sind wir öffentlich, sobald wir das Haus verlassen? Und wenn ja, was ist dann privat und wer schützt das, was wir als Privatheit bezeichnen? Diese und andere Fragen stellten sich die Teilnehmer der Interdisziplinären Tagung Privatheit in Passau. Mit dem Ziel einer Bestandsaufnahme der verschiedenen Formen und Funktionen von Privatheit war man dort vom zusammen gekommen, um herauszustellen, inwiefern eine Umkodierung des Prädikats Privatheit stattgefunden hat bzw. wie eine für die Zukunft gültige Definition des Begriffs lauten könnte.

Einleitend hob HANS KRAH (Passau) den Standort Passau als geeigneten Ort der Tagung hervor, da die Universität aufgrund einiger interdisziplinär konzipierter Studienangebote weitreichende Erfahrung mit fachübergreifender Kooperation und Kommunikation habe. Er verwies weiterhin auf vorangegangene Veranstaltungen an der Universität, die sich bereits mit der Vielschichtigkeit des Privatheitsbegriffs befasst haben und regte die Vortragenden an, in der Abschlussdiskussion eine Synthese aus den unterschiedlichen Konzepten zu bilden.

Eine erste Perspektive stellte MARION ALBERS (Hamburg) mit ihrem Beitrag zum "Privatheitsschutz als Grundrechtsproblem" vor, der das breite Spannungsfeld des juristischen Umgangs mit Privatheit problematisierte. Die Rechtsprechung als ein Bereich, der an öffentliche Debatten und andere wissenschaftliche Disziplinen anknüpfe, sei in der Pflicht, aktuelle Privatheitsbedürfnisse normativ festzuhalten. Bisher sei dies noch nicht geschehen, vielmehr werde Privatheit als Schutzgut nur in Facetten durch das Grundgesetz widergespiegelt; so zum Beispiel durch die Religionsfreiheit und das Recht am eigenen Bild. Albers fokussierte vor allem die informationelle Privatheit, deren Schutz, vor allem durch die Verbreitung von Informationen durch Neue Medien, erschwert werde und vermehrt zu Kasuistik, das heißt zur Orientierung an Präzedenzfällen, führe. Die Referentin forderte daher eine Modernisierung des Grundrechtsverständnisses, wodurch dem Gesetzgeber eine neue Rolle zufiele, indem er aktiv eingreife, um Privatheit zu schützen.

Am Beispiel der Türkei hinterfragte ÜNAL BILIR (Çanakkale/Türkei) "Die Verletzung der Privatsphäre im Namen der politischen Ethik". Dabei rekonstruierte er anhand eines Medienskandals um einen türkischen Politiker wesentliche Unterschiede zwischen der Medienmacht in der Türkei und in Deutschland. Diese bestünden, so Bilir, vor allem darin, dass das moralische Vergehen des Politikers höher bewertet wurde als die Veröffentlichung höchst privater Daten, die in der Folge auch nicht juristisch geahndet wurde. Der erzwungene Rücktritt dieses Politikers aufgrund seiner moralischen incorrectness ohne Rücksicht auf die political incorrectness seiner Gegner, sei in einer entwickelten Demokratie wie Deutschland nicht möglich. Bilir leitete aus diesem und weiteren 16 Skandalfällen in der Türkei die These ab, dass politische Immunität weitgehend dem Wertesystem der Kultur folge, nicht nur den Gesetzen. Sei eine Demokratie mittels progressiver Werte strukturiert, wäre die Einhaltung der politischen correctness höher bewertet als die Bestrafung der moralischen incorrectness. Dies wurde vor allem in Hinblick auf den Fall Seehofer intensiv vom Plenum diskutiert.

KIRSTEN BRUKAMP (Aachen) befasste sich mit dem Thema "Privatheit des Körpers. Privatheit des Gehirns", wobei sie fragte, inwiefern Gedanken in Zukunft noch privat sein werden. Dieses untersuchte sie vor allem in Hinblick auf die Haynes-Experimente, die aufgrund der Auswertung neuronaler Aktivitäten einfache binäre Entscheidungen von Probanden bis zu circa 60 Prozent voraussagen konnten. Die Möglichkeiten der Neurotechnologie würden, so Brukamp, viele Vorteile vor allem für körperlich eingeschränkte Personen mit sich bringen, aber auch die Gefahren der Einflussnahme auf kognitive Abläufe und Zustände in sich bergen. Ein Problem sah Brukamp vor allem in der Rechtsprechung zum Straftatbestand der Körperverletzung, die zwar häufig den Körper allgemein, nicht aber Gehirnfunktionen vor Eingriffen schützt. Sie schlug in der Folge vor, dass juristische Maßnahmen zum Schutz von Privatheitsbedürfnissen moderne neurowissenschaftliche Forschung berücksichtigen und somit zukunftsfähig Eingriffen in neuronale Prozesse vorbeugen können.

THOMAS WAITZ (Köln) stellte seinem Beitrag "Privatfernsehen. Fernsehen als Agentur des Privaten" mehrere Annahmen voran. Er begreife gegenwärtiges Fernsehen zum einen als eine Agentur, die fortlaufend Privatheit verhandle, adressier- und bearbeitbar mache und er rekonstruierte zum anderen eine Struktur der Entgrenzung und Re-Privatisierung in heutigen Fernsehformaten, die der allgemeinen Annahme widerspreche, Privatheit sei eingeebnet worden. Der Prozess der Re-Privatisierung, so Waitz, sei mithilfe mehrerer Faktoren gewährleistet: Zum einen sei das Fernsehen qua Dispositiv (Foucault) ein Teil der Privatsphäre, zum anderen sei es vielmehr als training ground für Bürgerlichkeit zu sehen, durch welches den Zuschauern Sinngebungsangebote für ihr Leben vorgeführt würden, aus denen sich in der Auseinandersetzung und Reflexion, Privatheit konstruiere als das, was das Individuum am Meisten entschieden habe.

HANS KRAH (Passau) gab einen Einblick in seine aktuelle Forschungsarbeit zu "Der Papst privat. Mediale (Re)Präsentation". Dabei führte er anhand verschiedener Formate vor, wie die Privatsphäre des Papstes medial inszeniert wird, wobei er besonders hervorhob, dass eine solche Privatheit eben nur in der medialen Inszenierung existieren könne. Das Paradox der medial inszenierten Privatsphäre, die somit ihren Privatheitsanspruch verliere, führte Krah mithilfe medialer (Re)Präsentationen vor. Es sei von den Formaten demnach nicht angestrebt, etwas Privates im Sinne der kulturell verankerten Bedeutung des Begriffs vorzuführen. Der Papst als genuin öffentliche Person habe eben keine Privatsphäre als solche, weshalb die privateste Perspektive seine Rückenansicht blieb. Habe eine qua Amt öffentliche Person eine Privatsphäre, würde dies, wie im Falle Mixa, per se als problematisch empfunden.

ELENA ZANICHELLI (Berlin) erörterte die "Rhetorik des Privaten als Kunststrategie der 1990er-Jahre", wobei sie sich mit dem Fokus auf zwei Künstler vor allem mit der Frage beschäftigte, warum Privatheit in den 1990er-Jahren ins Zentrum des medialen Interesses gerückt sei. Zanichelli stellte dabei fest, dass die Rhetorik des Privaten vor allem auf dem Effekt des Authentischen in der Wiedergabe privater Dinge und Gefühle beruhe, die scheinbar undifferenziert von realen Dingen und Gefühlen in den Bildern zurückblieben. Sie hob hervor, dass der gezeigten Kunst nur im Kontext der paratextuellen Elemente eine Bedeutung zugewiesen werden konnte, die aus der Auseinandersetzung dieser privaten Szenen mit öffentlichen Räumen und Situationen entstanden. Vor allem hinsichtlich dieser Abgrenzung schienen die Kunstwerke geeignet, eine Rekonzeptualisierung des Privatheitsbegriffs aufzuzeigen.

Mit dem Beitrag "Vom Tagebuch zum Blog. Eine (sehr) kurze Mediengeschichte der Privatsphäre" erläuterte JENS RUCHATZ (Erlangen) den diachronen Wandel des scheinbar privaten Diarischen. Ruchatz stellte heraus, dass Privatheit aus frühmoderner Perspektive im Sinne der Entfaltung von Subjektivität zu verstehen sei, die jedoch an die Öffentlichkeit, in der sie publiziert, bzw. vorgelesen wurde, geknüpft war. Den modernen Blog wollte Ruchatz als medienspezifische Form des Diarischen verstanden wissen, dem aufgrund eines intendierten Adressaten die Veröffentlichung ebenfalls inhärent wäre. Blogs nähmen die Funktion der Subjektbildung wahr, wobei die Informationen vor allem über Anonymisierungsinstrumente gesichert seien. Es bestünde damit ein „Database-Modell“ der Identität, das stark der Reflexion der Schreiber und der virtuellen aber begrenzten Adressaten unterläge. In dieser virtuellen Öffentlichkeit müsse Anonymität als Grundpfeiler der Veröffentlichung gewährleistet sein. Wo dies nicht der Fall sei, wäre ein häufiger Rückzug der Schreiber ins tatsächlich Private zu beobachten.

JAN-HINRIK SCHMIDT (Hamburg) befasste sich mit dem Thema "Persönliche Öffentlichkeiten und Privatsphäre im Web 2.0", wobei er ebenfalls eine Umkodierung des Privatheitsbegriffes herausstellte: Was als privat gelte, sei nicht mehr von kulturellen Kodierungen, sondern von persönlicher Relevantsetzung abhängig. Vor allem Netzwerke wie Facebook zeigten diese Tendenz, da sich dort eine Plattform des Daten- und Informationsaustausches biete, die vor allem an persönliche Beurteilung der Daten geknüpft sei. Ebendieses Geflecht der persönlich relevanten Äußerungen in der Öffentlichkeit, mit dessen Hilfe Personen Aspekte ihrer selbst darstellen, bezeichnete Schmidt als "persönliche Öffentlichkeiten". Er stellte weiterhin heraus, dass sich die Inszenierung der Person an bestimmte Publika knüpfe, was sich in den variierenden Selbstdarstellungen in Social Networks niederschlage. Den Rahmen dieser Inszenierungen biete das jeweils erwartete Publikum, zum Beispiel potentielle Arbeitgeber oder Freunde, wobei der Referent die Diskrepanz zwischen erwartetem und faktischem Publikum heraushob. Diese Diskrepanz sei es, die wiederum Privatheit einschränke, da es sich hierbei um eine große unbekannte Öffentlichkeit handle.

Mit dem Fokus auf zwei Portale für homosexuelle Männer untersuchte JAN-OLIVER DECKER (Kiel) die "Konzeption der privaten Person in Internetportalen". Dabei stellte auch er eine Umkodierung des Privaten fest. Die besprochenen Portale, so Decker, seien vor allem auf sexuelle Kontakte und Pornografie ausgerichtet, Privatheit konstituiere sich hier folglich anhand des Austausches des letzten, im Profil der Nutzer nicht gezeigten Körperteils, welcher hier entweder das Genital oder aber der Kopf sei. Durch die vorher nicht gegebene Zuordnung des Subjektes zu einem Genital oder der Sexualität zu einem Subjekt sei also eine Abgrenzung des Privaten möglich. Diese Abgrenzung sei aber nur kurzzeitig, da das fehlende Bild, laut Decker, meist bereits nach sehr kurzem Chat freigegeben werde. Es finde demnach eine medienspezifische Umkodierung des Privaten in den Foren statt.

Die Tagung verdeutlichte in eindrucksvoller Weise, dass eine interdisziplinäre Herangehensweise an den Privatheitsbegriff nötig ist, ergaben sich doch in allen vertretenen Fachdisziplinen ähnliche theoretische wie methodische Herausforderungen. Diese konzentrieren sich, und das wurde in allen Vorträgen deutlich, vor allem auf der Ebene der informationellen Privatheit (nach Rössler). Insbesondere das Internet und technologische Errungenschaften der letzten Jahrzehnte seien Katalysatoren für eine Erweiterung der Kernbedeutung des Privaten, wodurch der Schutz dieser Sphäre sowohl individuell als auch gesetzlich erschwert werde. Soll ein Schutz zukünftig besser gewährleistet werden, müsse man auch die Definition von Privatheit anpassen. Privatheit etabliert sich, so könnte man die Beiträge zusammenfassen, demnach als ein kontinuierlich dynamischer Wert, der kultur-, alters- sowie auch schichtspezifisch ist, und sich, dies wurde besonders betont, vor allem durch individuelle Distinktionsprozesse ständig neu konstituiert.

Konferenzübersicht

Hans Krah (Passau): Begrüßung

Marion Albers (Hamburg): Privatheitsschutz als Grundrechtsproblem

Ünal Bilir (Çanakkale/Türkei): Die Verletzung der Privatsphäre im Namen der politischen Ethik

Kirsten Brukamp (Aachen): Privatheit des Körpers. Privatheit des Gehirns

Thomas Waitz (Dortmund): Fernsehen als Agentur des Privaten

Hans Krah (Passau): Der Papst privat. Mediale (Re)Präsentation

Elena Zanichelli (Berlin): Rhetorik des Privaten als Kunststrategie der 1990er-Jahre

Jens Ruchatz (Erlangen): Vom Tagebuch zum Blog. Eine kurze Mediengeschichte des Privaten

Jan-Hinrik Schmidt (Hamburg): Persönliche Öffentlichkeiten und Privatsphäre im Web 2.0

Jan-Oliver Decker (Kiel): Die Konzeption der privaten Person in Internetportalen