Kolloquien zum Nachleben des Origenes: Die "Cambridge Origenists"

Kolloquien zum Nachleben des Origenes: Die "Cambridge Origenists"

Organisatoren
Christian Hengstermann, Katholisch-Theologische Fakultät, Seminar für Alte Kirchengeschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster; in Kooperation mit der Forschungsstelle Origenes
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
12.11.2010 - 13.11.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Ulrike Weichert, Exzellenzcluster Religion und Politik, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Im Mittelpunkt der einmal jährlich stattfindenden Tagungsreihe „Kolloquien zum Nachleben des Origenes“ steht die bewegte Rezeptionsgeschichte der origeneischen Hauptlehren, darunter vor allem derjenigen der Freiheitsmetaphysik. Diese wurde im 17. Jahrhundert vor allem in der englischen Theologie der so genannten „Schule von Cambridge“ aufgenommen und trat vor allem in den Jahren 1658 bis 1662 verstärkt in Kommentaren und Systementwürfen hervor. Dies ist umso erstaunlicher, als Origenes immer noch der offiziellen kirchlichen Verketzerung unterlag, was insbesondere seine Lehre von der Präexistenz der Seelen betraf. Die 1661 anonym erscheinende Schrift „Letter of Resolution“, die vermutlich von dem Theologen George Rust verfasst wurde, bemüht sich daher, die Hauptlehren des Origenes zu verteidigen und zugänglich zu machen. Dieses Manifest des neuzeitlichen Origenismus sowie die vereinzelten „origeneischen Momente“ in den Systemen anderer Denker waren prägend für die Entstehung des neuzeitlichen Menschenbildes und einer freiheitlichen Gewissensethik. Die Teilnehmer der Tagung begeben sich daher auf rezeptionsgeschichtliche Spurensuche von origeneischem Denken. Dies geschah in dieser Veranstaltung nicht anhand eines der großen Hauptwerke der „Schule von Cambridge“, sondern im anonymen und umstrittenen, dafür aber Origenes umso näheren „Letter of Resolution“ von George Rust.

Mit einem einleitenden Abendvortrag über die Debatte der Freiheitsmetaphysik im 17. Jahrhundert eröffnete DOUGLAS HEDLEY (Cambridge) die Tagung. Er skizzierte dafür origeneische Grundgedanken bei den Hauptvertretern der „Schule von Cambridge“, Henry More und vor allem Ralph Cudworth. Die Metaphysik der Freiheit leitet sich aus Cudworths Gottesverständnis her, dass dieser gut sei und daher notwendig gute Dinge tue. In scharfer Abgrenzung zum Calvinistischen Voluntarismus stellt Cudworth einen rationalistischen Ansatz auf, der Gottes Freiheit insofern einschränkt, dass er nicht handeln könne, wie es seinem willkürlichen Willen gefalle, sondern, dass er eine Verpflichtung habe, eine gute Welt gemäß seiner unendliche Güte, Weisheit und Macht kreiert haben müsse. Das „origeneische Moment“ in Cudworths Denken ist das führende Prinzip in der Seele eines jeden (hegemonikon), das die Ursache für alle freiheitlich entschiedenen Taten ist. Dieser Begriff stammt aus der antiken Stoa, wird von Cudworth allerdings im origeneischen Sinne übernommen, indem er dem hegemonikon eine vernünftige Natur zuschreibt. Der Wille ist demnach nicht, wie bei Hobbes, von außen determiniert, sondern durch ein „Internal Ought“, einem moralischen inneren Gesetz, bestimmt. Moralisch handeln hieße dann, gemäß seinem wahren inneren Selbst zu handeln. So sei das Ziel von Cudworths freiheitlicher Ethik, den Intellekt (nous) mit dem eigenen Willen mit dem in Einklang zu bringen, der sich wiederum am Guten orientieren soll. Dieser Ansatz eines inneren, leitenden Prinzips, das freie moralische Entscheidungen zulässt, sei im angelsächsischen Idealismus noch analog mit Jesus Christus als innerem, moralischem Gesetzesgeber identifiziert worden. Mit der Bezugnahme auf das Denken des Origenes weist es einen bedeutenden Schritt für das Denken der Gewissensfreiheit auch für den deutschen Idealismus auf.

Der zweite Teil der Tagung konzentrierte sich vornehmlich auf die Schriften des anglikanischen Bischof George Rust, vor allem auf seinen „Letter of Resolution Concerning Origen and the Chief of his Opinions“, der 1661 anonym veröffentlicht wurde.

Im ersten Vortrag befasste sich MARGIT WASMAIER-SAILER (Münster) mit Rusts Religionsphilosophie. Wie Cudworth habe sich auch Rust gegen einen calvinistischen Voluntarismus gewendet und einen ethischen Realismus des Guten postuliert, das auch jedem göttlichen Beschluss vorgängig sei. Das Gute stehe selbst vor dem Willen Gottes, so dass wiederum Gott sich, seinem Wesen entsprechend, an diesem Guten orientiere. Rust bestimmt somit das Gute als intrinsisch gut, so dass hinsichtlich Gottes unbedingter Güte auch das Verhältnis zwischen Mensch und Gott als ein notwendig ethisches betrachtet werden müsse. Die Güte Gottes zeige sich jedoch wiederum in seiner Liebe, die sowohl das Ziel menschlichen Lebens als auch der Schöpfung darstelle. Hierin folge George Rust der origeneischen Apokatastasis-Lehre.

THOMAS KARMANN (Regensburg) untersuchte origeneische Einflüsse in der Trinitätstheologie im „Letter of Resolution“. Rust betone insbesondere die subordinatianistischen Aussagen: Durch ihre größere Partikularität, durch die sich die beiden logisch späteren Hypostasen „Sohn“ und „Geist“ gegenüber der ersten auszeichnen, können sie zwischen der Ureinheit von Gottes Güte und der Vielheit der gegebenen Schöpfungswirklichkeit vermitteln. Obwohl Rust die biblischen Bezüge aus der Trinitätstheologie vernachlässige, arbeite er die heilstrinitaristische Grundidee origeneischen Theologie treffend heraus. Schöpfung und Heil seien der trinitarischen Gottheit nicht äußerlich, sondern bestimmen ihr inneres Wesen. Umgekehrt wiederum stelle sich die Welt im Ganzen als Selbstmitteilung der trinitarischen Gottheit dar. Bei aller Betonung der Ungleichheit, durch die allein die Irrlehren von Modalismus und Tritheismus abgewendet werden können, bemühe sich Rust auch, die Übereinstimmung der origeneischen Trinitätstheologie mit dem nizänischen homoousios aufzuzeigen und Origenes zu verteidigen. Zwar betone Origenes einerseits die Partikulariät von „Sohn“ und „Geist“, doch seien diese zugleich notwendige Seinsweisen der im „Vater“ beschlossenen Wirklichkeitsfülle. Zusammen bilden die drei Personen die eine göttliche Natur, die durch ihr gemeintrinitarisches Schöpfungs- und Heilswirken allesamt zu Recht als Gott verehrt werden.

ANDREAS REITINGER (Köln) stellte sich die Frage, wie die postulierte Güte Gottes mit dem moralischen und auch metaphysischen Bösen in Einklang gebracht werden könne. Rust übernehme in seiner Theodizeestrategie den neuplatonischen Emanationsgedanken sowie die umstrittene, origeneische Lehre von der Präexistenz der Seelen. Mit dieser Lehre könne die schnelle Hinwendung zum Bösen aus freiheitlicher Entscheidung erklärt werden, da die menschliche Natur eine wesensmäßige Neigung zum Bösen hat, die bereits in einem präexistenten Zustand ausgebildet worden sein müsse. Des Weiteren erklärt Rust moralische Übel wie Krieg und Bosheit des Menschen mit der jeweiligen Sozialisation, die des freien und an sich zum Guten wie auch zum Schlechten fähigen Menschen prägen. Rust richtet sich mit diesem Ansatz auch gegen die dogmatische Vorstellung einer durch den Sündenfall fundamental verdorbenen Menschheit. Damit wird Gott die Schuld zumindest am Bösen Handeln abgesprochen, jedoch fragt Rust auch nach dem Ursprung des Bösen und dem scheinbaren Widerspruch zwischen der Güte und Gerechtigkeit Gottes. Die Existenz des Bösen leitet er aus dem Emanationismus her, dass alle Dinge notwendigerweise schlechter werden mussten, je weiter sie sich von dem Urquell des Guten entfernt hätten. Wie Origenes sieht Rust in diesem natürlichen Übel zugleich den therapeutischen Aspekt, dass das Erleiden von Bösen als eine pädagogische göttliche Maßnahme zu betrachten sei, die den Menschen in freier Wahl gotteswürdig erziehen sollen. Rust legt dabei die origeneische Idee von einem kosmischen Erneuerungsprozess dar, in dem alle Menschen das Ziel göttlichen Grundes anstreben. Reitinger untersuchte vor diesem Hintergrund die diskussionswürdige Nähe zu prozesstheologisch orientierten Theodizeestrategien und Eschatologien.

Zum Ende der Tagung befasste sich CHRISTIAN HENGSTERMANN (Münster) mit den origeneischen Aspekten in den Endzeitentwürfen in Rusts „Letter of Resolution“. Die Frage über den Ablauf der letzten Dinge und die damit verbundene Suche nach einem Kriterium des Heils stellte nicht nur ein leitendes Anliegen der englischen Theologie des 17. Jahrhunderts dar, sondern prägte ebenfalls literarische wie auch naturwissenschaftliche Spekulationen. Für die Universalität des Heils argumentiere Rust im Zuge einer Soteriologie göttlicher Strafe, die den Begriff einer ewigen Hölle als in sich widersprüchlich zurückweise: Eine ewige Strafe widerspreche nicht nur der Zwecksetzung jeder Bestrafung, der Besserung des Schuldigen, sondern verletze auch das Prinzip distributiver Gerechtigkeit. So handle es sich bei der Hölle lediglich um eine von Gott eingesetzte pädagogische Maßnahme, die dem Sünder die Gelegenheit biete, seine Verfehlungen einzusehen und sich in einem neuen Leben erneut um Gottebenbildlichkeit zu bemühen. Rust teilt jedoch nicht die gänzlich optimistische Auffassung des Origenes und spekuliert über den Tod des Menschen in der Hölle. Doch auch dieser erhalte ebenfalls eine neue Lebenschance, um sich erneut zu bewähren und ganzheitliche Vollendung anstreben zu können. Mit dem Denken der Hölle als zeitlich begrenzter pädagogischer Maßnahme wendet sich Rust ebenfalls gegen die calvinistische Auffassung von fundamental heilloser Verderbtheit, die ewige Höllenstrafen rechtfertige. Stattdessen nehme Rust, wie auch die anderen „Cambridge Platonists“, ein immanentes geistiges Potential in aller Materie (plastic nature) an, das wie im origeneischen und neuplatonischen Denken darauf ausgerichtet sei, sich zu verwirklichen. Rust übertrage dieses Bestreben auf den gesamten Kosmos und übernehme daher auch die Apokatastasis-Lehre des Origenes.

Bereits aus dem einleitenden Vortrag zeichneten sich in dieser Tagung sehr gut die zwei Seiten heraus, die sich um die Frage nach dem Einfluss des origeneischen Denkens der allgemein als „Cambridge Platonists“ benannten Denker drehen: So übernimmt Ralph Cudworth, der Hauptvertreter dieser Schule, origeneische Gedanken und Ansätze nur selektiv und nahezu eklektisch für bestimmte Argumentationswege. George Rust hingegen übernimmt selbst die gefährlichen Hauptlehren der Apokatastasis als auch der umstrittenen Präexistenzlehre und setzt sich intensiv und defensiv mit diesen auseinander. Obwohl die Veranstalter von einem „origeneischen Moment“ in den Jahren 1658 bis 1662 innerhalb der englischen Theologie ausgehen und die Denker der Schule von Cambridge als „Cambridge Origenists“ benennen, wird deutlich, dass die Denker dieser Schule hinsichtlich dieses Ansatzes klar unterschieden werden müssen. Während bei George Rust eine eindeutige Übernahme origeneischen Denkens postuliert werden kann, so liegt der Origenenismus bei Cudworth in seiner starken Aversion gegen das calvinistische Denken begründet, weswegen er den alexandrinischen Kirchenvater als argumentative Quelle Augustinus vorziehe. Cudworth benutzt Origenes vielmehr instrumentell für seine intellektuelle Argumentation gegen die kontemporären Auffassungen. So nimmt er, ganz anders als Rust und More, nicht die typisch origeneische Lehre von Präexistenz der Seelen an, die Origenes auch noch im 17. Jahrhundert zu einem gefährlichen Denker machte und Cudworth in eine prekäre Lage hätte bringen können. Den Referenten der Tagung gelang es in der rezeptionsgeschichtlichen Spurensuche sowohl, einzelne Gedanken mit ihrer origeneischen Herkunft abzuwägen als auch die Neudeutung origeneischer Gedanken als philosophisches Verdienst zu würdigen.

Konferenzübersicht:

Douglas Hedley (Cambridge): The problem of freedom and the legacy of Origen in 17th century Cambridge

Margit Wasmeier-Sailer (Münster): Ethischer Realismus und das Universalitätsprinzip in der Religionsphilosophie George Rusts

Thomas Karmann (Regensburg): Güte, Weisheit und Allmacht – Platonismus und Origenismus in der Trinitätstheologie des „Letter of Resolution“

Andreas Reitinger (Köln): Emanatianismus und Präexistentianismus – George Rusts origeneische Theodizee-Strategie

Christian Hengstermann (Münster): Der Niedergang der Hölle – Auferstehung und die Wiederherstellung aller Dinge im „Letter of Resolution“


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