Ökonomische Freiheitsrechte: Deutsche, europäische und amerikanische Normen (und ihre Wirkungen) im Vergleich

Ökonomische Freiheitsrechte: Deutsche, europäische und amerikanische Normen (und ihre Wirkungen) im Vergleich

Organisatoren
BMBF-Verbundprojekt „Gestaltung der Freiheit – Regulierung von Wirtschaft zwischen historischer Prägung und Normierung“, Zentrum für Historische Grundlagen der Gegenwart, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn in Kooperation mit der Georg-August-Universität Göttingen und der London School of Economics
Ort
Bonn
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.09.2010 - 24.09.2010
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Von
Cathrin Kronenberg, Institut für Geschichtswissenschaft, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität, Bonn

Der zweite Workshop des BMBF-geförderten Verbundprojektes „Gestaltung der Freiheit – Regulierung von Wirtschaft zwischen historischer Prägung und Normierung“ nahm unter dem Titel „Ökonomische Freiheitsrechte: Deutsche, europäische und amerikanische Normen (und ihre Wirkungen) im Vergleich“ die rechtshistorische Dimension der Regulierung in den Blick. Auch diesmal bot die Veranstaltung einigen Nachwuchswissenschaftlern die Gelegenheit, ihre Konzepte der Kritik einer Reihe von Regulierungsexperten aus Wissenschaft und Praxis auszusetzen, die das Projekt nicht nur durch ihren Sachverstand, sondern auch durch Vorträge während der Workshops unterstützen. Am zweiten Workshop nahmen unter anderem als Diskutanten teil: Stephan Bredt (Deutsche Bahn AG, Berlin), Andreas Fier (Deutsche Telekom AG, Bonn), Rainer Fremdling (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Berlin), Rolf Geserick (Projektträger im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Bonn), Pascal Koppetsch (Deutsche Telekom AG, Bonn), Matthias Maetschke (Universität Bonn), David v. Mayenburg (Universität Bonn), Niclas Meyer (Deutsche Telekom AG, Bonn), Kai Schmidt (Monopolkommission, Bonn), Urs Schweizer (Universität Bonn) und Miguel Vidal (Deutsche Telekom AG, Bonn).

Die erste Sektion unter der Leitung von Günther Schulz (Universität Bonn) hatte Grundlagen und aktuelle Probleme des Regulierungsdiskurses zum Gegenstand. KNUT-WOLFGANG NÖRR (Universität Tübingen) betrachtete in seinem einführenden Vortrag die ökonomischen Freiheitsrechte im Kontext: Anhand verschiedener Gesetzestypen aus den letzten hundert Jahren zeigte er wie sich wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen im Recht manifestieren können. Angefangen beim „Gesetz über den Absatz von Kalisalzen“ aus dem Jahr 1910 bis hin zum „Gesetz zur Förderung der Stabilität der Wirtschaft“ von 1967 analysierte er beispielhaft Rechtsquellen, in denen ökonomische Ordnungskonzeptionen maßgeblich die Feder geführt haben und wies damit auf die enge Verknüpfung von Wirtschaft und Recht hin, die in diesem Projekt interdisziplinär nutzbar gemacht werden soll.

Anschließend stellte CHRISTIAN MAURER (Universität Göttingen) das Konzept seines Dissertationsprojekts vor, das Regulierung als Transformator der Wirtschafts- und Eigentumsstruktur im Kontext des europäischen Wirtschaftsverfassungsrechts und damit der europäischen Integration in den Blick nimmt. Im Mittelpunkt der Analyse steht die Frage, inwiefern Regulierungsrecht seiner Konzeption nach die Wirtschafts- und Eigentumsstrukturen in den regulierten Sektoren beeinflusst und in welchem Verhältnis die Regulierungsziele dazu stehen. Der Integrationsansatz der Europäischen Union dient bei dieser Untersuchung als analytische Folie. Die Beantwortung der Fragen, inwieweit Regulierung Integrationserfolge hervorbringt und welches Potential das Steuerungsinstrument Regulierung möglicherweise noch birgt, soll den Schlusspunkt der Studie bilden.

Die zweite Sektion, geleitet von Frank Schorkopf (Universität Göttingen), widmete sich sektorspezifischer Regulierung mit dem Fallbeispiel der Eisenbahn. MARKUS PATT (Universität Bonn) skizzierte sein Dissertationsprojekt zur Preisbestimmung bei der Bahn. Zentraler Begriff seiner Untersuchung ist die Rechtsfigur des „iustum pretium“, des gerechten Preises – eine Vorstellung, die so alt ist wie das Eisenbahnwesen selbst und doch nie an Aktualität verloren hat. In der Untersuchung werden vier Zeitabschnitte unterschieden, die das Eisenbahnwesen bis heute durchlaufen hat: eine liberale Phase zu Beginn (1830er- bis 1870er-Jahre), die von einer Phase der Verstaatlichung und des Staatsbahnsystems auf Länderebene abgelöst wurde (1870er- bis 1920er-Jahre). Dieser folgte eine Phase des Übergangs vom Staatsbahnsystem zum Konzept eines Staatsunternehmens in Reichs- bzw. Bundeseigentum (1920er- bis 1990er-Jahre) und endete letztlich wieder in einer Liberalisierung des Eisenbahnmarkts (seit 1993). Im Fokus der Untersuchung stehen hier Genese und Konzeption der in den einzelnen Phasen zu beobachtenden Instrumente, mit denen auf die Bestimmung des Preises für Eisenbahndienstleistungen Einfluss genommen wurde und die sich zwischen Wettbewerbssimulation, Gemeinwohlförderung und Betriebswirtschaftlichkeit bewegen.

In der dritten, von Mathias Schmoeckel (Universität Bonn) geleiteten Sektion, die Regulierung im 19. Jahrhundert zum Thema hatte, erläuterte PETER COLLIN (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte, Frankfurt) die Organisation wirtschaftlicher „Selbstverwaltung“ zwischen Regulierung, Deregulierung und Selbstregulierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Wirtschaftliche Selbstverwaltung wurde hier als Problem sowie als Ergebnis, aber auch als Instanz von Regulierung in den Blick genommen. Im Hinblick auf die ökonomischen Freiheitsrechte bilanzierte er, dass Freiheit im Sinne einer Freiheit zur Interessenartikulation und zur Organisation der kollektiven Belange eines bestimmten Sektors oder Berufsstandes durch Verkammerung, öffentlich-rechtliche Vergenossenschaftung und die Mitarbeit von Wirtschaftsvertretern in der Staatsverwaltung durch Beiräte von Staats wegen institutionalisiert wurde. Durch diesen amtlichen Status hätten die Einrichtungen der regulierten Selbstregulierung besondere Autorität genossen und zunehmend an Funktionsfähigkeit gewonnen. Allerdings müsse konstatiert werden, dass der Staat auf diese Weise mehr Einblick und faktische Kontrollmöglichkeiten erhielt als ihm bei privaten Vereinigungen zugestanden hätten.

MILOŠ VEC (MPI für europäische Rechtsgeschichte Frankfurt am Main) widmete sich am Beispiel des Vereins deutscher Eisenhüttenleute (VDEh) der Frage nach regulierter oder unregulierter Selbstregulierung im Bereich der technischen Normung und Normalisierung im Kaiserreich. Auch wenn der Erste Weltkrieg als Katalysator für Vereinheitlichungen der deutschen Industrie gewirkte habe, seien maßgebliche Standardisierungsbemühungen bereits im Kaiserreich zu verorten. In der Normung durch technisch-wissenschaftliche Vereine wie den VDEh erblickt Vec ein Musterbeispiel gesellschaftlicher Selbstnormierung, das im Eisenhüttenwesen und in der Materialprüfung bis heute eine wichtige Rolle spiele, wenn auch institutionalisierter und internationalisierter als noch im 19. Jahrhundert. Freiheit und Regulierung stünden hier in einem engen wechselseitigen Verhältnis, ohne die industrielle Normierung fehlten für Verbraucher wie Industrie Vergleichbarkeit und Orientierung, also wichtige Voraussetzungen für das Funktionieren einer freien Wirtschaft.

BORIS GEHLEN (Universität Bonn) leitete die vierte Sektion, die sich mit Regulierungsansätzen in anderen Staaten beschäftigte. ANDREAS THIER (Universität Zürich) stellte das interessante Beispiel des schweizerischen Kartellrechts vor. Die hochkartellierte Schweizer Wirtschaft habe bis 1926 eine ähnliche Wettbewerbsgesetzgebung wie das Deutsche Reich verfolgt, ohne jedoch die individualgerichtete Perspektive Preußens oder Frankreichs einzunehmen, stattdessen habe sie den Wohlstand ganzer Wirtschaftszweige im Blick gehabt. Im Jahrzehnt zwischen 1910 und 1920 konnte in der Schweiz ein sprunghafter Anstieg von Kartellorganisationen verzeichnet werden, anschließend ein weiterer, langfristiger Anstieg. In der Wahrnehmung der Zeitgenossen seien sowohl Verbraucher- als auch Produzenteninteressen durch Marktversagen gefährdet gewesen, weshalb Kartelle – anders als heute – nicht in erster Linie als wettbewerbsfeindlich, sondern als volkswirtschaftlich wünschenswerte Regulierung betrachtet wurden. Zwar habe es seit dem Ersten Weltkrieg auch in der Schweiz Dekartellierungstendenzen gegeben, diese seien jedoch lange Zeit nicht durchsetzbar gewesen. Deshalb trat das erste Kartellgesetz in der Schweiz erst 1964 in Kraft. Aber auch dieses Gesetz verbot keine Kartelle, sondern sollte zur reinen Missbrauchsbekämpfung dienen und sah weitreichende Ausnahmevorbehalte vor. Erst in den 1990er-Jahren setzte im Interesse des Außenhandels ein ordnungspolitisches Umdenken ein.

CHUN DING (Fudan University Shanghai) sprach zu Regulierung in China am Beispiel des chinesischen Gesundheitswesens. Unter den sich wandelnden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von der Planwirtschaft zur Marktorientierung änderte sich auch das chinesische Gesundheitssystem, das er in drei Phasen unterteilte. Von 1949 bis 1985 habe es sich um ein traditionelles, planwirtschaftliches Gesundheitssystem gehandelt. Die darauffolgende Phase von 1985 bis 1998 bezeichnete er als „pionierhafte Versuche einer Gesundheitsreform“. Hier habe der eigentliche Wandlungsprozess zu einer marktorientierten Wirtschaft stattgefunden. Die dritte Phase dauere bis heute an. Das landesweit eingeführte Gesundheitswesen stand jedoch 2009 vor dem Zusammenbruch, da es die unterschiedlichen Bedürfnisse in der Stadt und auf dem Land zu wenig berücksichtigt habe, so dass sich das chinesische Gesundheitswesen noch weiter reformieren müsse. Das neue Gesundheitssystem steht nun unter dem Motto „Gesundheit für alle“.

Die fünfte und letzte Sektion hatte Regulierung im 20. Jahrhundert zum Thema und wurde von Albrecht Ritschl (London School of Economics) geleitet. KATJA FUDER (Universität Bonn) stellte ihr Dissertationsprojekt zum Thema öffentliche Unternehmungen und staatliche Marktlenkungen im wissenschaftlichen Diskurs der 1930er- bis 1950er-Jahre vor, mit dem sie nach der ideengeschichtlichen Entstehung und Rezeption von Regulierungskonzepten im volkswirtschaftlichen Denken fragt. Sie geht davon aus, dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen nicht allein auf ordoliberalem Gedankengut basiert, sondern auf Überlegungen, die bis in die Weimarer Republik und das Kaiserreich zurückreichen. Zur Untersuchung des Diskurses wählt sie daher, ausgehend von personellen Kontinuitäten und starken Wechselwirkungen zwischen Politik, Verwaltung und Wissenschaft, einen kollektivbiographischen Ansatz.

NIELS KRIEGHOFF (London School of Economics) erläuterte das Konzept seines Dissertationsprojekts zu den politischen Entscheidungsprozessen und der Genese der Kreditwesengesetze von 1934 und 1961. Trotz politischer Brüche im Betrachtungszeitraum seien beide Gesetze sehr ähnlich. Deshalb werden auch hier starke personelle Kontinuitäten in den relevanten Entscheidungsgremien wie der Reichs- bzw. Bundesbank oder den zuständigen Ministerien vermutet, in denen möglicherweise ein Grund für den gescheiterten Versuch der Alliierten erkannt werden könne, die deutsche Bankenordnung im Sinne einer Angloamerikanisierung zu beeinflussen. Verstärkend könne hier auch ein so genannter Lock-in-Effekt gewirkt haben: Nach der Etablierung eines (Banken)systems sei ein Wechsel in ein anderes kaum noch möglich. Die zweite Arbeitshypothese ist, dass das deutsche Universalbankensystem sich de facto wie ein Trennbankensystem angloamerikanischer Prägung verhielt und sich unterschiedliche Banken auf bestimmte Dienstleistungen konzentrierten, was eine Trennung per Gesetz überflüssig machte.

Als Ergebnis bleibt, dass die facettenreichen Vorträge einmal mehr die Disparität aber auch die Relevanz der Regulierungsthematik aufgezeigt haben, deren interdisziplinäre Erforschung dadurch umso lohnenswerter erscheint.

Konferenzübersicht:

Sektion I – Grundlagen und aktuelle Probleme
Leitung: Günther Schulz, Universität Bonn

KNUT-WOLFGANG NÖRR (Universität Tübingen): Ökonomische Freiheitsrechte im Kontext: Ein Blick auf wirtschaftliche Ordnungsvorstellungen in Rechtsquellen des 20. Jahrhunderts

CHRISTIAN MAURER (Universität Göttingen): Regulierung als Transformator der Wirtschafts- und Eigentumsstruktur

Sektion II – Sektorspezifische Regulierung: Die Eisenbahn
Leitung: Frank Schorkopf, Universität Göttingen

MARKUS PATT (Universität Bonn): Preisbestimmung bei der Bahn

ERIK STAEBE (Deutsche Bahn AG, Berlin): Entgeltregulierung im Eisenbahnsektor

ROMAN MICHALCZYK (Universität Bonn): Kommentar

Sektion III – Regulierung im 19. Jahrhundert
Leitung. Mathias Schmoeckel, Universität Bonn

PETER COLLIN (MPI Frankfurt): Die Organisation wirtschaftlicher ‚Selbstverwaltung‘ zwischen Regulierung, Deregulierung und Selbstregulierung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

MILOŠ VEC (MPI Frankfurt): Regulierte oder unregulierte Selbstregulierung? Technische Normung und Normalisierung im Kaiserreich am Beispiel des Vereins deutscher Eisenhüttenleute

BORIS GEHLEN (Universität Bonn): Kommentar

Sektion IV – Regulierungsansätze in anderen Staaten
Leitung: Boris Gehlen, Universität Bonn

ANDREAS THIER (Universität Zürich): Kartellrecht – Das Beispiel Schweiz

CHUN DING (Fudan University Shanghai): Regulierung in China am Beispiel des chinesischen Gesundheitswesens. Von der Planwirtschaft zur Marktorientierten Wirtschaft

Sektion V – Regulierung im 20. Jahrhundert
Leitung: Albrecht Ritschl, London School of Economics

KATJA FUDER (Universität Bonn): Öffentliche Unternehmungen und staatliche Marktlenkungen im wissenschaftlichen Diskurs der 1930er bis 1950er Jahre

NIELS KRIEGHOFF (London School of Economics): Politische Entscheidungsprozesse und Genese der Kreditwesengesetze von 1935 und 1962


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