17. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

17. Tagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung

Organisatoren
Schwerter Arbeitskreis für Katholizismusforschung
Ort
Schwerte
Land
Deutschland
Vom - Bis
14.11.2003 - 16.11.2003
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Von
Joachim Schmiedl, Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar

Die 17. Jahrestagung des Schwerter Arbeitskreises Katholizismusforschung versammelte vom 14. bis 16. November 2003 ca. 40 Historikerinnen und Historiker aus Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden und Frankreich. In bewährter Kooperation mit der Katholischen Akademie Schwerte (Dr. Johannes Horstmann und Markus Leniger) stand die Tagung unter der Leitung von Dr. Gisela Fleckenstein (Brühl) und Prof. Dr. Joachim Schmiedl (Vallendar).

Rainer Kohlschreiber (Tübingen) eröffnete die Vorträge mit einem Blick auf das katholische Leben in der Diaspora-Großstadt Stuttgart zwischen 1870 und 1933. Anhand von Kirchlichkeitsdaten, dem Wahl- sowie dem Heirats- und Wohnverhalten konnte er zwar bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs einen Anstieg der Gottesdienstbesucherzahlen feststellen, doch korreliert dazu kein gleichzeitiger Anstieg der Stimmen für die Zentrumspartei. Scharfe konfessionelle Abgrenzungen lassen sich für Stuttgart bis in die Weimarer Republik hinein nicht feststellen. Kohlschreiber plädiert für eine Ergänzung des Milieubegriffs im Blick auf Diasporastädte und für eine Ergänzung statistischer Daten durch kulturgeschichtliche, narrative Quellen.

Matthias Ring (Bonn) untersuchte das Selbstverständnis der deutschen alt-katholischen Kirche im Dritten Reich. Sie wollte eine katholische deutsche Nationalkirche, eine unpolitische Kirche und Gegnerin der römisch-katholischen Kirche sein. Auf der Basis dieser Elemente sah ein bestimmter Personenkreis um den späteren Bischof Erwin Kreuzer die Chance gegeben, das "völkische Lager" als Beitrittspotential zu erschließen. Dabei wurden die eigentlichen Ziele der NSDAP ausgeblendet, da man sich selbst als unpolitisch verstand. Bereits 1924 gab es die ersten Diskussionen, doch erst nach 1930 wurden konkrete Schritte unternommen, durch "Werbeveranstaltungen" "national gesinnte Katholiken" anzusprechen, die ab 1932 an verschiedenen Orten Erfolge zeitigten. Nach Hitlers Machtergreifung versuchte die alt-katholische Kirche, sich als staatstreue katholische Nationalkirche zu positionieren. Allerdings wurde von Seiten der NS-Führung sehr bald erkannt, dass - trotz teilweise beachtlicher Beitrittszahlen - die alt-katholische Kirche eine kleine Kirche bleiben würde und sich deshalb für die eigenen kirchenpolitischen Ziele nur begrenzt instrumentalisieren ließ.

Dr. Theo Salemink von der Katholischen Universität Utrecht (Niederlande) präsentierte die Ergebnisse seiner Forschungen zum Protest der niederländischen Bischöfe gegen die Massendeportation der Juden im Jahr 1942. Entgegen den seit den 1960er Jahren vertretenen, nicht an den Quellen geprüften Meinungen, der öffentliche Protest hätte 40000 Menschen das Leben gekostet und Papst Pius XII. habe zu den Judenverfolgungen geschwiegen, um Schlimmeres zu verhüten, zeigte Salemink, dass von den etwa 1000 zum Katholizismus konvertierten Juden in den Niederlanden 114 in Lager deportiert und getötet wurden. Damit stellte er klar, dass ein öffentlicher Protest wie derjenige der holländischen Bischöfe zwar Konsequenzen nach sich gezogen hätte, aber keine totalen Repressalien zur Folge gehabt hätte. Die nationalsozialistische Verfolgung in Holland richtete sich gegen die Juden, nicht gegen die Kirchen oder die ganze Bevölkerung. Die Forschungen von Salemink haben ergeben, dass das seit Rolf Hochhuths 'Der Stellvertreter' angemahnte Schweigen Papst Pius' XII. zum Holocaust zwar auf einer realen Angst vor einer verschärften Judenverfolgung beruhte, diese aber im Fall der Niederlande mit wesentlich niedrigeren Zahlen anzusetzen ist, als bislang angenommen und in kollektiver Erinnerung weiter tradiert wurde.

Der Leipziger Historiker Stefan Voges gab Einblick in seine Forschungen zum Engagement der deutschen Katholiken auf weltkirchlicher Ebene. Vor allem auf Initiative des Kölner Kardinals Josef Frings entstanden in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre Partnerschaften zwischen Diözesen (beispielgebend zwischen Köln und Tokio), ein Hilfswerk zur entwicklungspolitischen Unterstützung der Länder der Dritten Welt (Misereor) sowie aus einer Weihnachtskollekte das Bischöfliche Hilfswerk Adveniat für Lateinamerika. Voges ordnete diese Prozesse in die etwa zeitgleiche Entstehung der staatlichen Entwicklungshilfe ein.

Die Vorträge zum Generalthema "Begleit- und Erinnerungskulturen im konfessionellen Zusammenhang" begannen mit der Präsentation seines Dissertationsthemas durch Martin Wald (Berlin). Anhand dreier Beispiele analysierte er unterschiedliche konfessionelle Diskurskulturen über geschichtliche Ereignisse, die er in das Spannungsfeld von protestantischem Messianismus und katholischer Apokalyptik stellte. Die Zerstörung Magdeburgs wurde im 19. Jahrhundert als zeitkritische Anklage gegen eine Staatsreligion interpretiert, symbolisiert durch die protestantische Erhöhung der "Jungfrau von Magdeburg". Die Staatlichkeit als Gegenmodell zur Kirchlichkeit präsentierte die katholische Geschichtsschreibung auch in bezug auf den Hexenwahn, als dessen Gegner der Jesuit Friedrich von Spee hochstilisiert wurde. Selbst in der Kontroverse um die Rolle des Schwedenkönigs Gustav Adolf und des kaiserlichen Feldherrn Tilly gab es ein konfessionsübergreifendes Ziel der Unterstützung des wilhelminischen Militarismus. In den Diskursen erschließen sich nach Wald die konfessionellen Milieus, ihre Integration und Stabilisierung, aber auch die als notwendig erachteten strategischen Machtkonstellationen.

Ein Beispiel aktueller Erinnerungskultur präsentierte Privatdozentin Dr. Barbara Stambolis (Paderborn / Siegen). An Hand der Tourismuswerbung für das "Hochstift Paderborn" ging sie dem Identitätsmanagement dieser über Jahrhunderte in ihren Grenzen weitgehend unveränderten Region nach. In der Bezugnahme auf das Mittelalter, vor allem die Begegnung Karls des Großen mit Papst Leo III. 799 in Paderborn, wurde die ideale Einheit von Staat und Kirche beschworen. Die sächsisch-christliche Vergangenheit wurde mit der Erinnerung an Heinrich II. und Bischof Meinwerk glorifiziert. Die bis heute fortdauernde Erinnerungspolitik dient dazu, "mental maps" zu konstruieren, aufgrund derer das Image und die Identität einer Region sowohl konfessionellen als auch kulturellen Zielen zu dienen vermag.

Wie selektiv Erinnerung ist, zeigte Stefanie Faber (Bochum) in ihrem Beitrag über die Wahrnehmung Papst Pauls VI. in der deutschen Presse. Galt Paul VI. nach seiner Wahl als ausgleichende Persönlichkeit zwischen Reformern und Konservativen, so setzte sich im Verlauf des Zweiten Vatikanischen Konzils eine skeptische Beurteilung durch. Paul VI. galt als Zauderer. Die Presse reagierte vor allem auf die Enzyklika Humanae vitae (1968), die als historischer Irrtum und selbstzerstörerisches Werk am Bau der Kirche beurteilt wurde. Die ambivalente Beurteilung während seines Pontifikats wird jedoch durch eine angemessene Würdigung in der Presse anlässlich seines Todes ergänzt.

Die beiden nächsten Beiträge beschäftigten sich mit der Filmarbeit. Dr. Johannes Horstmann (Schwerte) skizzierte die Entwicklung des "Katholischen Filmdienstes", der aus einer freien Initiative von Studierenden hervorging und sich dem Dialog zwischen Film und Theologie widmen wollte. Dabei waren innerkirchliche Konflikte nicht zu vermeiden, wie sich an der positiven Bewertung an der kirchlichen Basis umstrittener Filme durch den Filmdienst zeigte. Der Filmdienst wird heute von den Filmjournalisten als wichtige Kulturzeitschrift ernst genommen. Die publizistische Entwicklung wurde ergänzt durch die Präsentation mehrerer Filmausschnitte durch Dr. Thomas Kroll (Berlin), der die explizite Darstellung von Kirche in Kinofilmen sowie implizite religiöse Botschaften und die Verwendung liturgischer Symbolsprache in säkularen Zusammenhängen aufzeigte.

Franziska Metzger (Freiburg/Schweiz) analysierte die Erinnerungsgemeinschaft des Schweizerischen katholischen Milieus zwischen 1850 und 1950. Die gemischt-konfessionelle Ausgangslage führte zur Überlagerung konkurrierender Erinnerungs- und Geschichtskonstruktionen. Konnte mit der Bezugnahme auf die mittelalterliche Schweizer Geschichte noch eine gemeinsame Ursprungserzählung geschaffen werden, so traten die Deutungen der Reformationsepoche weit auseinander. Während auf der einen Seite eine national-liberale Nationalgeschichte geschaffen wurde, förderte auf der anderen Seite die Popularisierung von Figuren wie Bruder Klaus, Petrus Canisius und Karl Borromäus die Binnenintegration der katholischen Kommunikationsgemeinschaft und ihre Öffnung auf internationale Kontexte.

Christian Schmidtmann (Bochum) beschrieb den Wandel katholischer Erinnerungskultur in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg am Beispiel Heinrich Bölls und der Katholischen Studenteneinigung, am Böckenförde-Aufsatz über die katholische Kirche im Jahr 1933 und an den katholischen Reaktionen auf Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter". Er konstatierte ein Auseinandertreten von Christlichkeit und Kirchlichkeit und den Verlust der Definitionsmacht der Kirche in den 1960er Jahren. Die Kirche verlor ihr Deutungsmonopol und wurde säkularen Logiken unterworfen. Dadurch zerbrach auch die Möglichkeit, eine Gemeinsamkeit stiftende Erzählung zu formulieren.

In ihrem Kommentar zu den Beiträgen hob Dr. Antonia Leugers (München) hervor, dass Geschichte sich wohl aus Primärerfahrungen zusammensetze, die jedoch in der Erinnerung eine bestimmte Geschichtskultur formten. Diese wiederum werden instrumentalisiert durch eine Geschichtspolitik. Am Beispiel des Umgangs mit dem Nationalsozialismus unterschied sie die Kontroverspunkte: Manche Schuldige hätten geschwiegen; manche Helfer hätten geschwiegen; manche Zeugen hätten nach 1945 geschwiegen. Auf dem Hintergrund der Publikationen von Konrad Löw und der aktuellen Hohmann-Debatte zeigte Leugers die Koalition einer nachträglich verfälschenden Deutung der NS-Zeit auf.

Die nächste Jahrestagung des SAK vom 12.-14. November 2004 in der Katholischen Akademie in Schwerte wird sich im Rahmen der Generaldebatte mit dem Thema "Körperlichkeit und Körpererfahrungen im katholisch-konfessionellen Diskurs" beschäftigen. Dazu sind Beiträge ebenso willkommen wie für die Präsentation laufender Projekte zur Katholizismusforschung.

Kontakt

Kontaktadressen:

Dr. Gisela Fleckenstein
Auguste-Victoria-Str. 27
50321 Brühl
E-Mail: gfl@wtal.de

Prof. Dr. Joachim Schmiedl
Philosophisch-Theologische Hochschule
Postfach 1406
56174 Vallendar
Tel.: 0261-6402261
Fax: 0261-6402300
E-Mail: jschmiedl@pthv.de