Friedrich der Große: Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext

Friedrich der Große: Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext

Organisatoren
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG), Potsdam
Ort
Potsdam
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2010 - 25.09.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Ullrich Sachse, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG), Potsdam

Im Rahmen der wissenschaftlichen Vorbereitung auf den 300. Geburtstag Friedrichs des Großen im Jahre 2012 veranstaltete die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) am 24. und 25. September 2010 ihre vierte internationale Konferenz im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. In bewährter Weise wurde sie dabei auch in diesem Jahr unterstützt von der Stiftung Preußische Seehandlung und dem Deutschen Historischen Institut Paris (DHIP). Die etablierte Konferenzreihe wurde 2007 mit der Auftakttagung „Friedrich – eine historische Bestandsaufnahme“ ins Leben gerufen und mit den Themen „Friedrich und der Hof“ in 2008 und „Friedrich und die historische Größe“ in 2009 fortgesetzt. Die diesjährige Tagung widmete sich dem Thema „Friedrich der Große: Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext.” Referentinnen und Referenten aus Großbritannien, der Schweiz und Deutschland diskutierten mit dem Publikum die politischen und kulturellen Verflechtungen des friderizianischen Preußens mit Europa. Gefragt wurde dabei sowohl nach dem Bedeutungsrahmen des Begriffs Kulturtransfer, nach dem Bedingungsfeld, in dem sich überhaupt ein Kulturtransfer entwickeln kann, als auch nach den europäischen Vorbildern und Referenzbeispielen, an denen sich Friedrichs Wollen formte und die ihm als kulturelle und politische Orientierungspunkte dienten. Es zeigte sich, dass eine Aufnahme und Verarbeitung von auswärtigen Ideen, von Neuem und Anderem, auf ganz unterschiedlichen Gebieten, mit disparater Intensität und aus changierenden Intentionen erfolgte.

Friedrich war überzeugt, auswärtige Anregungen zur Entwicklung der Kultur in Brandenburg-Preußen aufnehmen zu müssen, wie JÜRGEN LUH (Potsdam) in seinem einführenden Vortrag erklärte. Friedrich verstand unter Kultur vorrangig das, was in Großbritannien als „production of wealth” bezeichnet wird, so Luh. Dem preußischen König sei es weniger um den „Transfer von Kultur” als um eine Aneignung von Ideen und Techniken gegangen, die Geld und Bildung und damit auch Wohlstand brachten. Der Transfer sollte das gute Abschneiden Preußens im europäischen „Kultur-Vergleich” befördern.

Mit dem Begriff Kulturtransfer, auch in Abgrenzung zu Akkulturation und kultureller Assimilation beschäftigte sich ULRICH GOTTER (Konstanz) in seinem Vortrag. So kennzeichneten Imitatio und Aemulatio bereits die Übernahme und Integration von Elementen der griechischen Kultur durch Rom. Die Wahrnehmungskonstellation und das Erkennen oder Konstruieren von kulturellen Grenzen in Abhängigkeit vom historischen Kontext und den kommunikativen Konstellationen sind dabei grundlegende Bedingungen, unter deren Berücksichtigung sich Transfer überhaupt erst vollziehen kann.

Der Frage nach Friedrichs Inszenierung als Philosoph in der europäischen Gelehrtenwelt ging ANDREAS PEČAR (Halle) nach. Zwar korrespondierte Friedrich eifrig mit der europäischen Gelehrtenwelt, eine Kritik der Philosophen an seiner Politik duldete er nicht. Mit der Inszenierung als Mark Aurel präsentierte er sich als Philosoph und Monarch, der als Herrscher auch innerhalb der Gelehrtenrepublik die Deutungshoheit über Politik und Moral für sich reklamierte. Über das Vorbild des römischen Kaisers wollte er den französischen Philosophen ihre Grenzen aufzeigen.

Friedrich beschäftigte sich mit dem Thema Wissenschaften wesentlich intensiver als sein Vater. Davon ausgehend befasste sich IWAN-MICHELANGELO D’APRILE (Potsdam) mit Friedrichs Rolle im europäischen Wissenschaftsnetzwerk. Zentrale Funktionen übernahm die Akademie der Wissenschaften in Berlin; von besonderer Bedeutung waren dabei deren Präsidenten, die zu dieser Zeit fast ausschließlich Franzosen waren. Die Akademie stieß in der Öffentlichkeit geführte wissenschaftliche Debatten an, die in dieser Offenheit andernorts in Europa undenkbar gewesen wären.

Während Friedrich den Universitäten in Preußen, an denen Deutsch und Latein die Wissenschaftssprachen waren, kaum Interesse entgegenbrachte, förderte er umso intensiver die Akademie der Wissenschaften in Berlin, an der das Französische die Verkehrs- und Wissenschaftssprache war. Wie KATRIN KOHL (Oxford) ausführte, avancierte Berlin durch die Akademie zum deutschen Wissenschaftszentrum, und sie verschaffte der deutschen Kultur in Europa und der Gelehrtenwelt Reputation. Somit ist gerade die Akademie ein prominentes Beispiel für eine enge Verflechtung von deutscher und französischer Kultur.

Die neogotische Architektur englischer Prägung stand Pate für die Errichtung des Nauener Tores in Potsdam. Dieses Bauwerk ist somit das erste Beispiel für die Rezeption neogotischer Einflüsse auf dem europäischen Festland. ALFRED HAGEMANN (Potsdam) zeigte, dass Friedrich dieses Tor 1754/55 errichten ließ, um die Grenze zwischen dem kultivierten urbanen Raum, der Residenz Potsdam, und dem „barbarischen” Land zu markieren. Wer Potsdam verließ, so die architektonische Botschaft des Tores, der betrat das rückständige Land.

Die Errichtung der Bildergalerie im Park Sanssouci, so ALEXANDRA BAUER (Potsdam) in ihrem Vortrag, sollte Friedrich in den Olymp der europäischen Herrscher erheben. Persönlich entschied der preußische König über das gezeigte Gemäldeensemble, dessen Qualität die gewachsenen Repräsentationsansprüche erfüllte. Die Sammlung zeigte vorrangig die „Alten Meister”, Werke berühmter niederländischer und italienischer Maler. Unmittelbar nach Einrichtung der Galerie erschienen die ersten Hängepläne und Kataloge in deutscher und französischer Sprache.

Über Friedrichs Gemäldeankäufe in Italien referierte NINA SCHEPKOWSKI (Berlin). Im Auftrag Friedrichs erwarb der Berliner Kunsthändler Johann Ernst Gotzkowsky Gemälde in Italien. Durch seine engen Kontakte zum Intendanten der Dresdner Kunstsammlungen, Karl Heinrich von Heineken, konnte er auf die Kommunikations- und Händlernetzwerke des Dresdner Hofes zurückgreifen, was sich vor allem für seine Ankäufe in Venedig nachweisen lässt.

In ihrem Vortrag zur preußischen Seidenkunst zeigte SUSANNE EVERS (Potsdam), dass Friedrich in diesem Metier keinen preußischen oder „fritzischen“ Stil intendierte. Sein Ziel war es, europäisches Niveau zu erreichen. In Berlin hergestellte Seiden sollten von solchen aus Paris in der Qualität nicht unterscheidbar sein. Deshalb wurden französische Seidenweber angeworben, denen es schließlich gelang, signifikante Merkmale für die preußischen Seiden zu entwickeln. Doch sollte die produktive Zeit der Berliner Seidenindustrie trotzdem bereits um 1800 ein Ende finden.

Die preußische Gartenkunst im europäischen Kontext thematisierte ANNETTE DORGERLOH (Berlin). Sie zeigte am Beispiel des Parks Sanssouci, wie Friedrich in der Verbindung des Schönen mit dem Nützlichen aufklärerische Forderungen ebenso einlöste wie er antike, französische und englische Gestaltungsideen in das gartenplanerische Gesamtkonzept sowie in die Ausführung einzelner Gartenpartien und Gartenbauwerke integrierte.

Des Themas Kulturtransfer in den preußischen Agrarreformen nahm sich HEINRICH KAAK (Hannover) an. In seiner Regierungszeit hatte sich Friedrich um den Bauern- und den Adelsschutz bemüht. Das englische und das holländische Modell sollten die Agrarstrukturen in Preußen modernisieren. Den spezifischen Bedingungen in ihren Ländern angepasst, ließen sich beide Modelle nur rudimentär an die strukturellen und sozialen Gegebenheiten in Brandenburg-Preußen adaptieren.

Mit dem Verhältnis der Schweizer zu Friedrich und dem preußischen Staat beschäftigte sich THOMAS LAU (Freiburg, Schweiz) am Beispiel des Arztes und Aufklärers Johann Georg Zimmermann. Zimmermann pflegte seine Kontakte zu Eidgenossen und knüpfte neue zu den Berliner Aufklärern um Mendelssohn und Lessing. Dem preußischen König huldigte er, sprach ihn von jeder Verantwortung an staatlichen Fehlentwicklungen frei, die vielmehr das Werk der schlechten französischen Berater seien. Damit stand er auch in Opposition zum Zirkel um den Prinzen Heinrich.

Zum Abschluss der Tagung widmete sich ULLRICH SACHSE (Potsdam) der Kulturpolitik Friedrichs. Das Thema war in Friedrichs Briefen an europäische Gelehrte und in seinen Schriften präsent. Hier inszenierte er sich als Mäzen und Patron der Künstler und Gelehrten, und nur hier konnte er die kulturellen Errungenschaften im preußischen Staat bereits mit denen im augusteischen und ludovizianischen vergleichen. Dabei wird deutlich, dass Friedrichs Kulturpolitik nicht vorrangig dem Volk oder dem Staat, sondern dem Ansehen und Ruhm des Königs diente.

Durch die Aufnahme auswärtiger Ideen und Fertigkeiten, die Orientierung an Frankreich, Großbritannien, Italien, den Niederlanden oder auch an den Vorstellungen europäischer Aufklärer, wie an den zahlreich angeführten Beispielen zu sehen war, beförderte Friedrich vielfältig und nachhaltig die kulturelle Entwicklung des preußischen Staates. Die auswärtigen Einflüsse zeigen die engen kulturellen und politischen Verflechtungen Preußens mit den europäischen Staaten im 18. Jahrhundert. Imitation und Adaption waren aus Sicht des preußischen Königs bewährte und in der Geschichte legitimierte Methoden zur Anhebung des kulturellen Niveaus. Allerdings wurden auch die Grenzen dieses Vorgehens erkennbar, ließen sich doch Ideen und Fertigkeiten, die in einem bestimmten kulturellen, sozialen und politischen Milieu ausgeprägt worden sind, nicht ohne Weiteres auf den preußischen Staat übertragen. Unverkennbar ist schließlich, dass Friedrich sicher das kulturelle Niveau in Preußen heben und erst an europäische Maßstäbe heranführen wollte, dabei aber vor allem das wachsende Repräsentationsbedürfnis der preußischen Monarchie zu befriedigen im Sinn hatte.

Konferenzübersicht:

Jürgen Luh (SPSG, Potsdam)
Einführung in die Thematik

Ulrich Gotter (Universität Konstanz)
Konzepte von Kulturtransfer und Akkulturation

Andreas Pečar (Universität Halle)
Friedrich der Große als Roi Philosophe. Rom und Paris als Bezugspunkte für das königliche Herrscherbild

Iwan-Michelangelo D’Aprile (Universität Potsdam)
Friedrich und die Netzwerke der Wissenschaften

Katrin Kohl (University of Oxford)
Die Rolle der Berliner Akademie im europäischen Kontext

Alexandra Bauer (SPSG, Potsdam)
Kanon der Kunst: Die Bildergalerie von Sanssouci im europäischen Kontext

Nina Schepkowski (Stiftung Preußischer Kulturbesitz, SPK, Berlin)
Venezianisch-preußischer Kulturtransfer. Die friderizianischen Gemäldeankäufe aus Italien (um 1750)

Susanne Evers (SPSG, Potsdam)
Luxusimport und Berlinische Fabrikation. Zur textilen Raumausstattung in friderizianischen Schlössern

Annette Dorgerloh (Humboldt-Universität zu Berlin)
Die preußischen Gärten. Maßstab und Manier

Heinrich Kaak (Universität Hannover)
Kulturtransfer und Agrarreform. Die Aufgeschlossenheit der preußischen Junker für landwirtschaftliche Innovationen

Thomas Lau (Universität Freiburg, Schweiz)
Wie fälscht man einen König? Johann Georg Zimmermann und der Friedrichmythos

Ullrich Sachse (SPSG, Potsdam)
Erstarrt oder zukunftsfähig? Chancen und Grenzen der königlichen „Kulturpolitik”


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Deutsch
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