Frühe Neue Zeiten. Zeitkonzepte zwischen Reformation und Revolution

Frühe Neue Zeiten. Zeitkonzepte zwischen Reformation und Revolution

Organisatoren
Forschungsschwerpunkt Historische Kulturwissenschaften; Achim Landwehr, Mainz/Düsseldorf
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.09.2010 - 24.09.2010
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Von
Stefan Hanß, Freie Universität Berlin

Die Beobachtung, dass Zeiten in der Geschichtswissenschaft häufig unreflektiert vorausgesetzt werden und einer vergleichbaren kulturwissenschaftlichen Revision bedürften, wie dies im Umgang mit Räumen stattfand, war Ausgangspunkt der Tagung. ACHIM LANDWEHR (Mainz/Düsseldorf) betonte daher, dass historische Zeitkonzeptionen in ihrer Funktionalität innerhalb des menschlichen Zusammenlebens im Kontext sozialer Gruppen thematisiert werden müssten. Die Tagung sollte weiterführende Einblicke in die Hypothese einer Transformation frühneuzeitlicher Zeitmodalisierungen liefern, wonach im Laufe des 17. Jahrhunderts die Gegenwart aufgewertet, die Autorität der Vergangenheit gesenkt und die Zukunft als gestaltbar imaginiert worden sei. Diese Transformationen haben allerdings keinen absoluten Charakter besessen, sondern gingen mit einer umfassenderen Pluralisierung einher. Dieses Phänomen bezeichnete Achim Landwehr als „Pluritemporalität“.

THOMAS WELLER (Mainz) untersuchte die verschiedenen Zeitwahrnehmungen anhand der Audienzen Lübecker und Stralsunder Kaufleute beim Zaren (1603) sowie verschiedener Hansevertreter aus Lübeck, Hamburg und Danzig in Madrid (1606). Er verdeutlichte Mittel der Zeitraffung und -dehnung, die im Zusammenspiel von Zeitwahrnehmungen und deren literarischer Wiedergabe sowie Uminterpretation entstanden. Anhand der Reisen(den) konnten Zeit und Raum als historische und historiografische Kategorien nutzbar gemacht werden. Vor allem zeigte der Beitrag die Bedeutung zeremonieller Zeitwahrnehmungen auf, die im Kontext von Alteritätskonstruktionen gestanden haben. Wartezeiten und die Länge der gewährten Audienzzeiten korrelierten mit Ehrzuweisungen sowie Rangrepräsentationen, die den Diplomaten zugestanden oder abgesprochen wurden. Der ökonomische Vorwurf der Zeitverschwendung fand dabei nicht nur auf außerhanseatische Akteure (z. B. beim Zaren), sondern auch innerhalb der Hanse in der Aushandlung eigener Machtansprüche Anwendung.

TOBIAS WINNERLING (Düsseldorf) verglich Zeit, Religion und Wissenstransfer zwischen dem frühneuzeitlich europäischen und chinesisch beeinflussten, ostasiatischen Raum in deren historischen Eigenarten. Sowohl Konfuzius als auch Bacon beschrieben Zeit mit Flussmetaphern, in zyklischen Mustern und qualifizierten sie punktuell. Die Frage nach der Wissensverzeitlichung, also dem Aufbrechen von Gewissheiten, lenke den Blick auf jesuitische Übersetzungen naturphilosophischer Werke in die chinesische Sprache (beginnendes 17. Jahrhundert). Die Frage nach der in Ostasien nicht stattgefundenen „wissenschaftlichen Revolution“ (Needham) könne einen Anhaltspunkt zu ihrer Beantwortung in den unterschiedlichen Zeitkonzeptionen finden. Im Konfuzianismus sei Zeit parallelprozessual als ursprungslos ewig gedacht worden, während Bacon diese als (heils-)gerichtet interpretiert habe. Die Schriften des japanischen Rekonvertiten Fabian Fukan verdeutlichten dies ebenfalls. Verzeitlichungen sind demnach unterschiedlich interpretierbar gewesen und wirkten sich auf Wissensformationen verschieden aus.

Im Mittelpunkt ihres Vortrages stellte CLAUDIA RESCH (Wien) die im 16. Jahrhundert publizierten, kleinformatigen Sterbebüchlein, welche der direkten theologischen Vorbereitung auf den eigenen Tod dienten und bei der Kranken- und Sterbeseelsorge verwendet worden seien. Die ars moriendi verweise, so die Referentin, auf historische Zeiterfahrungen, deren Beschreibung oder Modellierung durch die Autoren, welche zumeist selbst seelsorgerisch tätig waren, beabsichtigt gewesen sei. Im Zuge der Reformation erschienen vor allem volkssprachliche Ausgaben, die der Vermittlung grundlegender protestantischer Glaubensinhalte dienten. Die Sterbebüchlein kommunizierten die nach theologischen Maßstäben sinnvolle Nutzung der Zeit (nämlich die Vorbereitung auf den Tod und somit die Sicherung des Seelenheils) und wurden selbst im Laufe der Jahrzehnte in ihrer Textgestaltung immer übersichtlicher, was einer effizienteren und flexibleren Zeitnutzung im Angesicht des Todes gedient haben könnte.

WOLFGANG BREUL (Mainz) untersuchte die Zeitwahrnehmungen führender Persönlichkeiten des lutherischen Pietismus um 1700. Die Kritik bestehender kirchlicher Organisationsformen und die eingeforderten Reformprogramme seien mit einer Neuorientierung der Eschatologie einhergegangen. Mit Spener rücke ein innerweltlicher Orientierungspunkt besseren Handelns innerhalb der Kirche in das Zentrum, obwohl er seine Reformvorschläge argumentativ mit dem Verweis auf frühchristliche Vorstellungen verknüpfte, um Heterodoxievorwürfen zu entgehen. Demgegenüber vertrat Johanna Eleonore Petersen chiliastische Ansichten. Ihr Ziel habe weniger in der Kirchenreform, als in der Bekehrung der Menschen zur Sicherung deren individuellen Heils bestanden. Dieser Vorstellung sei Francke zu Beginn zugeneigt gewesen. Mit dem Erfolg seiner Stiftungen habe er sich aber zunehmend Speners Eschatologie angenähert, die als Triebfeder seines Reformprogrammes gesehen werden könne.

MICHAEL DENGLER (Konstanz) thematisierte spätmittelalterliche sowie frühneuzeitliche, im Kirchenraum häufig im Querhaus oder im Scheitelpunkt des Chorumganges, mitunter auch an der Rückseite des Altars, angebrachte Zeitmaschinen. Sie verzeitlichten nicht nur die liturgischen Akte, sondern wurden auch von Obrigkeiten verschiedener Konfessionen als Medien der Selbstdarstellung genutzt. Innerhalb des heilsgeschichtlichen Deutungsrahmens präsentierten sie aktuelle und speicherten zukünftige Daten in mannigfaltigen Verknüpfungen symbolischer Elemente und mechanisch-performativer Sicht- und Hörordnungen. Im Zuge der Reformation sei der sakrale Charakter der Zeitmaschinen nicht abhanden gekommen, wie die ikonoklastischen Übergriffe zeigten. Vielmehr hätten Sie als Apparate gegolten, welche die Betrachter zu frommen Praktiken anleiten sollten. Auf der Ebene der zeitgenössischen Wahrnehmungen seien die Zeitmaschinen am sinnvollsten mit dem Wort „Spektakel“ zu beschreiben, das eine umfassendere Deutung ermögliche, als dies sakral-profan-Dichotomien zuließen.

Wie genealogisches Wissen pro- oder retrospektiv gegliedert, geordnet und veranschaulicht wurde, präsentierte VOLKER BAUER (Wolfenbüttel). Arboreske Darstellungen fanden sich aufgrund ihrer Kostspieligkeit nur selten in für Druckmärkte produzierten Universalgenealogien. In hofpublizistischen Partikulargenealogien traten Baumvisualisierungen häufiger auf. Generell sei im Verlaufe des 17. Jahrhunderts eine Tendenz zur Einschränkung des Zeitraumes und der stärkeren Betonung der Aktualität feststellbar. Die räumliche Anordnung temporaler Zusammenhänge beinhalte bei Baumdarstellungen häufig biblische Konnotationen. Stammbäume hierarchisierten die agnatische Folge, wohingegen virtuelle Baumsysteme auch synchrone Beziehungen verbildlichen konnten. Stammtafeln waren nicht nur kostengünstiger, sondern auch von der festgelegten Wachstumsrichtung des Baumes als Leserichtung emanzipiert. Ahnentafeln wurden ebenfalls in Baumschemata gezwungen, obwohl sie gegen den Zeitstrahl verliefen. Stammlisten verzichteten weitgehend auf Baummetaphern. Zu der relativ breiten, mannigfaltigen Anwendung dieser Metaphern in Genealogien habe ihre lange Wissensordnungstradition beigetragen.

REBEKKA VON MALLINCKRODT (Berlin) untersuchte Wahrnehmungen und soziale Situierungen schnellen Laufens. Die Hypothese einer Schnelligkeitsdynamisierung um 1800 (Eichberg) sei differenzierter auf Perspektivität und soziale Gruppen zu betrachten. Die normative Literatur verzeichne im Verlauf der Frühen Neuzeit eine Aufwertung des Laufens (Il libro del cortegiano, Ritterakademien, Gutsmuths), die jedoch aufgrund medizinischer Vorbehalte im deutschsprachigen Raum in der Praxis – im Gegensatz zu England – nicht in Erwachsenenläufen mündete. Insbesondere soziale Abgrenzungsstrategien gegenüber burlesken, volksfestlichen Kontexten (Schützenfeste, Karneval), die Alltagsdistinktionen überwanden, sowie gegenüber den entehrenden und erotischen Aspekten der Juden- und Prostituiertenläufe seien als Gründe hierfür zu berücksichtigen. Ebenfalls habe eine Funktionsänderung aristokratischer Botengänger in der Postwesen-Ausbildung stattgefunden, wie an Laufgesellenprüfungen exemplifiziert wurde. An Wettläufen waren auch Adlige durch das Abschließen von Wetten beteiligt. Demnach sei eine etwaige Dynamisierung in unterschiedliche Tempi zu differenzieren.

JAN KUSBER (Mainz) fragte, inwiefern die Maßnahmen Zar Peters I., der seitens mancher Raskolniki in Usurpator- oder Antichrist-Legenden diffamiert wurde, Russlands Eigenzeiten änderten. Die auf Eliten abzielenden Bart- und Kaftanverbote sowie die Kleidungsordnungen und Neuorganisation der Begegnung zwischen Männern und Frauen bei Hofe hätten zu einer Beweglichkeit, Dynamisierung und Beschleunigung im Militär und Hofzeremoniell geführt. Der am 1.1.1700 zeremoniell eingeführte Julianische Kalender rhythmisierte den Jahresverlauf neu und reduzierte Festtage. Gerüchte, Aufstände und Proteste (auch in Kanzleidatierungen) folgten. Doch die Dichotomie zwischen Reformwilligen und Oppositionellen sei nicht absolut. Vielmehr gab es auch Synkretisierungsversuche der Zeitlichkeiten innerhalb der eigenen Lebenswelten. Europäische Ausländer beurteilten vor allem die Schnelligkeit der Änderungsmaßnahmen positiv. Die Herrschaft Peters I. sei demnach als Bruch und Beschleunigung zugleich, als Dynamisierung der Zeiten zu verstehen.

Die ideengeschichtliche Operationalisierung der Begriffe genius saeculi und Zeitgeist thematisierte MARKUS MEUMANN (Halle an der Saale). Nachdem er die Vorgeschichte des lateinischen Begriffes bei Bacon, Barclay, Saint-Évremond, Perrault, den Magdeburger Zenturien, Calvin, Piscator, Gottsched, den Enzyklopädisten u. a. kontextualisierte, betrachtete der Referent den Stellenwert der barocken Geschichtsmnemonik für den Begriff genius saeculi. Deren Merkreime sowie die Epitheta für einzelne Zeitabschnitte wie Jahrhunderte hätten zu dessen Popularisierung stark beigetragen. Die Frage nach der Urheberschaft des Begriffes Zeitgeist sei aufgrund der langen Tradition seiner Vorläufer wenig sinnvoll. Ebenso liefere der Diebstahlvorwurf gegenüber Herder, der angeblich Klotz plagiiert habe (Hiery), keine Erträge und sei zudem zu revidieren: Bereits zwei Jahre vor den Kritischen Wäldern verwandte Herder das Wort „Sekulargeist“ mit Bezug auf den „esprit du siècle“ und schon 1730 war bei Bertram vom „Zeit-Geist“ zu lesen.

THEO JUNG (Bielefeld) sprach sich für eine Überarbeitung der Hypothese einer Sattelzeit (Koselleck) aus, da ein etwaiger semantischer Wandel als autonome Sphäre menschlichen Lebens zu betrachten sei. Mit Montesquieus De l’esprit des lois sei eine Referenzvokabel genutzt worden, die in der folgenden Debatte um adlige Handelstätigkeiten bei Pro- und Kontraargumentationen wesentliche Verwendung fand. Es handele sich um einen geschichtlichen Erklärungsmodus, welcher die phänomenale Vielfalt unter ein einheitliches Prinzip subsumiert habe, der aber auch praktische Konsequenzen besaß, wie am Beispiel der Französischen Revolution verdeutlicht wurde. Insbesondere die zeitgenössische Kritik am ontologischen Status, an der kognitiven Legitimität und unter Berücksichtigung pragmatischer Aspekte standen im Zentrum des Vortrages. Diese hätten jedoch das semantische Interpretationsmuster der Zeitgeist-Rhetorik aufgegriffen und somit unabsichtlich dessen Rezeption intensiviert.

Die zentrale These SEBASTIAN HANSENs (Düsseldorf) war, dass Verzeitlichungstendenzen ein konstitutives Merkmal des Josephinismus seien. Eine stärkere Akzentuierung der nicht als fremdbestimmt gedachten Gegenwart und die Form einer erwarteten und erwartbaren Zukunft zeichne demnach diese Jahrzehnte aus. Joseph II. habe demzufolge die eigene historische Situation als einmalig empfunden und die Zukunft aus der Gegenwart heraus zu gestalten beabsichtigt. Auch kirchliche Angelegenheiten seien im Bezugspunkt der eigenen Gegenwart und Zukunft beurteilt worden. Eine Loslösung dieser von der traditio habe zugunsten staatlicher Vereinheitlichung stattgefunden. Den Josephinismus charakterisiere somit auch wesentlich das Bestreben, plurale Zeitmodelle unter eine herrschaftliche Allzeit zu subsumieren.

JOSEPH S. FREEDMAN (Montgomery) untersuchte die komplexe Bedeutung von Zeitkonzeptionen innerhalb der zentraleuropäischen Schulphilosophie um 1600. Zeit, Dauer und Ewigkeit zu definieren, fiel nicht einfach und auch Aristoteles’ Charakterisierungen wurden sehr unterschiedlich gebraucht. Wesentlich für diese Quellen war die Unterscheidung zwischen intrinsischen und extrinsischen Zeitkonzeptionen, die jedoch in einem gegenseitigen Bezug standen. Letztere umfasste natürliche Zeiten, die vom Lauf der Gestirne u. a. beeinflusst wurden, und artifizielle Zeiten, die wiederum durch Personen und Autoritäten bestimmt gewesen seien und in Uhrwerken ein Spiegelbild funktionierender Ordnung gefunden haben. Zeitvorstellungen umfassten Vergangenheit und Zukunft, häufig jedoch nicht die Gegenwart und mitunter wurde auch die Frage gestellt, ob Zeit überhaupt existiere oder ob es nur einen Glauben an sie gäbe. Zeit und Ewigkeit seien in den zeitgenössischen Kategorien zunehmend getrennt worden.

Der Frage, welche Bedeutung Zeiten in frühneuzeitlichen juristischen Argumentationen besaßen, ging CHRISTIAN WIELAND (Freiburg/Konstanz) nach. Zwei Fallbeispiele verdeutlichten, dass zurückliegende Geschehnisse und die Erinnerung an diese mit Alter, Dauer und Traditionen rhetorisch kombiniert werden konnten und in der rechtlichen Auseinandersetzung (de)legitimatorische Funktionen einnahmen. Vergangenheiten wurden somit im Gedächtnis und Vortrag konstruiert und ausgehandelt, um eigene Ansprüche im „Wettbewerb der Vergangenheiten“ stärker zu gewichten und letztlich auch durchzusetzen. Die zunehmende Festschreibung dieser in Dokumenten der Justiz, die Archivierung solcher Schriften und die Autorität landesherrlicher Obrigkeiten seien Ausdruck einer stärkeren Institutionalisierung und Hierarchisierung frühneuzeitlicher Jurisprudenz im Vergleich zu mittelalterlichen Weistümern. In gerichtlichen Verhandlungen des 16. Jahrhunderts sei der Jurist vielmehr als Historiker aufgetreten, um Vergangenheiten freizulegen, sinnstiftend zu belegen und argumentativ anzubringen.

RALF-PETER FUCHS (München) zeigte, dass die Bemühungen um einen Frieden den Teilnehmern des Frankfurter Kompositionstages so gewichtig waren, dass sie die apokalyptischen Argumentationen zeitgenössischer Flugschriften nicht teilten, obwohl sie diese kannten. Solche Bestrebungen einer Festschreibung der konfessionellen Gebiete kamen im Wunsch einer friedlichen Mehrkonfessionalität des Reiches zum Ausdruck, nach der die Ausbreitung der jeweiligen Konfession allein bei Gott läge. Während der Friedensverhandlungen in Frankfurt, Prag, Münster und Osnabrück wurde mit der Vereinbarung der Dauer des Abkommens auch Zukunft („posteritet“) konstruiert. Apokalyptische Deutungsmuster hätten im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges gegenüber dem Konzept einer paritätischen Zukunftssicherung mit dem Ziel eines langfristigen friedlichen Konsenses innerhalb einer zeitlich definierten Mehrkonfessionalität an Bedeutung verloren. Ein ewiger Friede sei im Verlaufe der Verhandlungsdynamiken entstanden, was dazu anrege, die „Entdeckung der Zukunft“ (Hölscher) im 18. Jahrhundert zu überdenken.

Die Annahme, dass Zeiten als vorsemantische Wahrnehmungsstrukturen in Sicherheitsregime eingeschrieben sind und Vergleiche zwischen der Frühen Neuzeit und Spätmoderne ermöglichen, war Ausgangspunkt der Überlegungen CORNEL ZWIERLEINs (Bochum). In Bezug auf Versicherungen zeichnete sich 1700 als Epochenschwelle ab, die eine vermehrte Thematisierung von „Sicherheit“, die Gründung von Feuerversicherungen und eine intensivere Visualisierung der Großstadtbrände charakterisiert habe. In den zeitgenössischen Wahrnehmungen wurden diese in Kategorien des Wachstums, der Wertstabilisierung und des Kosmopolitismus beschrieben. Auch der Begriff der „Nachhaltigkeit“ trete um 1700 erstmalig auf und sei mit dem Konzept sustainable development hinsichtlich der Zukunftsorientierung, Formung neuer Kollektive und Werterhaltung vergleichbar. Fortschritts- und Wachstumsdenken sowie Entwicklungskritik seien als aufklärerische und neuere Phänomene ebenfalls zu bedenken. Daran anschließend entwarf der Referent einen Periodisierungsvorschlag von Vormoderne, Klassischer Moderne und Spätmoderne in Bezug auf Sicherheits- und Zeitregime.

Diese Tagung verdeutlichte mit ihren vielschichtigen Vorträgen vor allem, welch aufschlussreiche Erkenntnisse in der Untersuchung frühneuzeitlicher Zeitkonzeptionen erlangt werden können. Sie veranschaulichte aber auch, dass weitere Arbeiten unerlässlich sind, um dieses Forschungsdesiderat zu erschließen und die geschichtswissenschaftliche Nutzung der Kategorie Zeit selbst zu reflektieren.

Konferenzübersicht:

Jan Kusber (Mainz): Begrüßung
Achim Landwehr (Mainz/Düsseldorf): Einleitung

Interkulturelle Zeiten

Thomas Weller (Mainz): Gleichzeitiges und Ungleichzeitiges. Zeitwahrnehmung und Interkulturalität in frühneuzeitlichen Reise- und Gesandtschaftsberichten

Tobias Winnerling (Düsseldorf): Nova sub sole? Verzeitlichungen des Wissens zwischen Europa und Ostasien

Letzte Zeiten

Claudia Resch (Wien): zeyt ynnd zil zuo sterben. Theologische Terminisierungen zur Vorbereitung auf den Tod

Wolfgang Breul (Mainz): „Hoffnung besserer Zeiten“. Der Wandel der „Endzeit“ im lutherischen Pietismus um 1700

Zeit machen

Michael Dengler (Konstanz): Zeitmaschinen im Kirchenraum. Zur Produktion sakraler Zeiten in der Vormoderne

Volker Bauer (Wolfenbüttel): Baum und Zeit. Datenorganisation, Zeitstrukturen und Darstellungsmodi in frühneuzeitlichen Universalgenealogien

Rebekka von Mallinckrodt (Berlin): Gehen, Laufen, Marschieren. Tempi und subjektive Zeiterfahrung menschlicher Fortbewegung

Jan Kusber (Mainz): Beschleunigung, Bruch und Dauer. Die Veränderung der Zeiten im Russland Peters I.

Zeitgeister

Markus Meumann (Halle an der Saale): Genius saeculi. Der Zeitgeist vor dem Zeitgeist

Theo Jung (Bielefeld): Historisch-kulturelle Selbstbesinnung auf den Begriff gebracht: „Zeitgeist“ im langen 18. Jahrhundert

Sattelzeiten

Sebastian Hansen (Düsseldorf): Verzeitlichungstendenzen des Josephinismus

Vergangenheiten & Zukünfte

Joseph S. Freedman (Montgomery): The Concept of Time (tempus) within Early Modern Writings on Academic Philosophy

Christian Wieland (Freiburg/Konstanz): Gute Zeiten – schlechte Zeiten. Der Umgang mit Vergangenheit in der juristischen Argumentation des 16. Jahrhunderts

Ralf-Peter Fuchs (München): Gegen die Apokalypse? Zukunftsdiskurse im Dreißigjährigen Krieg

Cornel Zwierlein (Bochum): Sicherheitsregime und Zeitregime in Früher Neuzeit und Spätmoderne


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