Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen

Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen

Organisatoren
Zentrum für Demokratie (ZDA), Aarau
Ort
Aarau
Land
Switzerland
Vom - Bis
09.09.2010 - 10.09.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
René Roca, Zentrum für Demokratie, Aarau

Am 9. und 10. September 2010 fand im Kultur- und Kongresshaus Aarau eine wissenschaftliche Konferenz zum Thema „Wege zur direkten Demokratie in den schweizerischen Kantonen“ statt. Die Konferenz wurde vom Zentrum für Demokratie (ZDA, Aarau) organisiert und vom Schweizerischen Nationalmuseum (SNM) sowie vom Staatsarchiv Aargau mitgetragen. Sie knüpfte an die Resultate einer ersten wissenschaftlichen Tagung, die der heutige Direktor des ZDA, Andreas Auer, 1995 in Genf organisiert hatte, an.

Nach einer Begrüßung von Andreas Auer und Andreas Spillmann, Direktor des SNM, umriss der Konferenzleiter RENÉ ROCA (Aarau) die Ziele der Tagung. Die Konferenz wolle sich anhand spezifischer Beispiele und Zugänge einen Überblick über den historischen Forschungsstand verschaffen. Das Ziel der Konferenz, für die Zeitspanne von 1789 bis 1874 Erklärungsversuche für die Entstehung und Entwicklung der direkten Demokratie in der Schweiz auf kantonaler Ebene zu finden, müsse möglichst umfassend angestrebt werden. Diese Auslegeordnung solle dann der Historiographie als Basis für die weitere Forschung dienen.

MARTIN SCHAFFNER (Basel) führte in seinem einleitenden Votum aus, dass die Demokratiegeschichte der Schweiz als europäische Geschichte geschrieben und auch theoretisch reflektiert werden müsse.

Das anschließende erste Panel stand unter dem Titel „Vormoderne Demokratie: Traditionsbildungen?“ Die Referent/innen gingen der Frage nach, inwiefern der gesellschaftlich-politische Transformationsprozess vom Ancien Régime zur Moderne in der Schweiz durch Kontinuitätslinien (longue durée) gekennzeichnet sei. Sie zeigten die Bedeutung von republikanischen und kommunalistischen Kontinuitätslinien auf, die in unterschiedlicher Weise die einzelnen Orte der Alten Eidgenossenschaft geprägt hätten. Die vormoderne Landsgemeindedemokratie wirke vor, während und nach der Helvetik als zwar ambivalentes, aber durchaus zentrales Referenzmodell oppositioneller Gruppen.

Das zweite Panel widmete sich dem Einfluss der Französischen Revolution auf die demokratische Entwicklung in der Schweiz. Die Referenten betonten die Bedeutung des historischen Bruches von 1789 und den damit zusammenhängenden Übergang von der vormodernen zur modernen, naturrechtlich verankerten Demokratie in der Schweiz.

Die Abendveranstaltung fand im Staatsarchiv Aargau statt. Die Vorsteherin des Staatsarchivs, ANDREA VOELLMIN, gab den Anwesenden einen Einblick in diesen Forschungsstandort und Andreas Spillmann stellte Facetten der neuen Dauerausstellung „Geschichte der Schweiz“ des Landesmuseums vor.

Der zweite Konferenztag war vor allem geprägt von kantonalen Beispielen, die exemplarisch den jeweiligen „Weg zur direkten Demokratie im 19. Jahrhundert“ aufzeigten. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass der Transformationsprozess des politischen Systems und der politischen Kultur seit dem 18. Jahrhundert von teilweise sehr unterschiedlichen Bedingungen in den schweizerischen Kantonen ausging. Die Ergebnisse hinsichtlich der demokratischen Institutionen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren dagegen sehr ähnlich. Einzelne kantonale Beispiele zeigten, wie wichtig es ist, die historisch gewachsene politische Kultur jedes Kantons zu untersuchen. Der Weg zur direkten Demokratie war jeweils eigenständig und auch geprägt von überkantonalen und europäischen Einflüssen. Gleichzeitig sind Gemeinsamkeiten festzustellen, wie die Bedeutung von ländlichen Volksbewegungen bei der Durchsetzung der direktdemokratischen Instrumente oder der Einfluss sowohl von frühsozialistischen als auch von katholisch geprägten Oppositionellen.

Abschließend betonte ANDREAS SUTER (Bielefeld), dass die heutige direkte Demokratie der Schweiz ihr Entstehen sowohl tiefen Zäsuren als auch wirkungsvollen Kontinuitätslinien verdanke. Die direkte Demokratie sei eine kreative, im Horizont der eigenen Werte und Erfahrungen formulierte Antwort auf die Herausforderungen der Französischen Revolution gewesen.

Die Resultate der wissenschaftlichen Konferenz bieten einen guten Ausgangspunkt, um nun weitere Forschungsinitiativen im Sinne von mikrohistorischen kantonalen Studien zu lancieren. Nur so wird sich letztlich makrohistorisch der soziale, wirtschaftliche und politische Wert der schweizerischen direkten Demokratie erschließen und würdigen lassen.

Konferenzübersicht:

Begrüßung:
Andreas Auer, Direktor ZDA und c2d: Rückblick und Anknüpfung an Genfer Tagung 1995.
Andreas Spillmann, Direktor des Schweizerischen Nationalmuseums (SNM).

Ziele der Konferenz:
René Roca, Leiter Konferenz: Schweizerische Geschichtswissenschaft und Demokratieforschung – Vom Mythos über die Ignoranz zum historischen Untersuchungsgegenstand“.

Einleitung:
Martin Schaffner, Universität Basel: „Krise der Demokratie – Krise der Demokratiegeschichte?“

Panel 1: Vormoderne Demokratie: Traditionsbildungen?
Chair: U. Serdült

Simone Zurbuchen, Universität Fribourg: „Freiheit der Alten – Freiheit der Modernen. Der Republikanismus im Zeitalter der Aufklärung“.

Randolph C. Head, University of California, Riverside: „’Er ist Herr, und die puren sind meister’. Practicing and Representing Popular Power in Early Modern Graubünden”.

Andreas Würgler, Universität Bern: „Unruhen und Demokratie? Protestbewegungen und mediale Öffentlichkeit im schweizerischen Ancien Régime“.

Daniel Brühlmeier: „1776: das plötzliche, aber stille Verschwinden der republikanischen Demokratie, am Beispiel Isaak Iselin“.

Fabian Brändle: „’Ich mag aber diese verfassten Namen, weil sie obrigkeitlich verbotten sind, in diesem Werckh nicht brauchen’. Vergessen und Erinnern in den Landsgemeindekonflikten des 18. Jahrhunderts“.

Panel 2: Die Bedeutung der Französischen Revolution
Chair: M. Schaffner

Andreas Kley, Universität Zürich: „Der Gironde-Verfassungsentwurf vom 15./16.2.1793“.

Rolf Graber, Universität Zürich: „’Der verruchte, alles ekelhaftmachende Sansculottismus’. Plebejische Bewegungen als Wegbereiter einer Fundamentaldemokratisierung“.

Heinrich Staehelin: „Von der indirekten zur (halb-)direkten Demokratie im Kanton Aargau“.

Sandro Guzzi-Heeb, Universität Lausanne: „Sex, Revolte und Demokratie. Zur sozialen Dynamik politischer Konflikte in der italienischen Schweiz und im Wallis (18. und 19. Jahrhundert)“.

Abendveranstaltung

Staatsarchiv Aargau: Andrea Voellmin, Leiterin Staatsarchiv Aargau: „Historische Forschung im Staatsarchiv und die Historische Gesellschaft Aargau (HGA)“.

Andreas Spillmann, Direktor Schweizerisches Nationalmuseum SNM: Schweizerisches Nationalmuseum: „Facetten der neuen Ausstellung zur Schweizer Geschichte“.

Panel 3: Wege zur direkten Demokratie im 19. Jahrhundert I
Chair: R. Graber

Josef Lang, Nationalrat: „Das Paradox der Schweizer Demokratie“.

Bruno Wickli: „Politische Kultur, Erfahrungen und der Durchbruch der direkten Demokratie im Kanton St. Gallen 1831“.

Marco Arni:„Die katholische Opposition im aargauischen Verfassungsstreit 1839 bis 1841“.

Barbara Weinmann: „Die Entwicklung von demokratischen Strukturen im Kanton Zürich“.

René Roca: „Die Vetodebatte im Kanton Luzern“.

Panel 4: Wege zur direkten Demokratie im 19. Jahrhundert II
Chair: A. Auer

Irène Herrmann, Univ. Fribourg und Genf: „Perception et réception de la démocratie directe à Genève“.

Markus Ries, Universität Luzern: „Religion und demokratische Gegenaufklärung in der Innerschweiz“.

Ralf Prescher, DISUD Dresden: „Der Beitrag deutscher Immigranten zur Demokratieentwicklung in der Schweiz“.

Ausblick und Schluss-Diskussion:

Andreas Suter, Universität Bielefeld
„Direkte Demokratie – historische Reflexionen zur aktuellen Debatte“.