Geschichte des Fußballs. Neue Forschungen und Ansätze

Geschichte des Fußballs. Neue Forschungen und Ansätze

Organisatoren
Stefan Rinke, Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin; Christina Peters, Lateinamerika-Institut, Freie Universität Berlin; gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.07.2010 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Christina Peters, Lateinamerika-Institut/Geschichte Lateinamerikas, Freie Universität Berlin

Fußballhistoriker/innen bedienen sich unterschiedlicher Instrumentarien und Theorien, um den Gegenstand Fußball zu erforschen. Diese umfassen Ansätze der Kulturgeschichte und der Sozialgeschichte und reichen von Vereinsgeschichten bis hin zu transnationalen Verflechtungsgeschichten. Fußballhistoriker/innen beschäftigen sich zum Beispiel mit dem transnationalen Transfer und Austausch von Fußballwissen, Spielern und Kapital, erforschen den Zusammenhang von Fußball und nationalen, regionalen und lokalen Identitäten und interessieren sich für Dynamiken ethnischer und geschlechtlicher Ausgrenzung im und durch den Sport.

Ziel der Tagung war es unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen an den Gegenstand Fußball mit Nachwuchsforscher/innen und Expert/innen zu diskutieren. Dabei wurde ein Austausch angeregt, wie er bisher noch zu selten stattfindet. Vergleichend diskutierten die Teilnehmer/innen neuere Forschungen im Bereich Fußballgeschichte aus der Perspektive verschiedener Regionen, wie dem lateinamerikanischen, dem westafrikanischen sowie dem ost- und westeuropäischen Raum.

Die Tagung stand im Kontext des Teilprojekts „Fußballenthusiasmus. Die Anfänge des Fußballs in Lateinamerika als transnationales Phänomen - Argentinien, Brasilien und Uruguay im Vergleich, 1867-1930“ der DFG-Forschergruppe „Akteure der kulturellen Globalisierung, 1860-1930“.

KAY SCHILLER (Durham University) eröffnete die Tagung mit einer anregenden Betrachtung des Verhältnisses der Sportgeschichte zur Fußballgeschichte. Obwohl es, so Schiller, inzwischen keiner besonderen Rechtfertigung mehr bedarf, dass sich Wissenschaftler/innen mit dem Phänomen Sport und besonders dem Fußball beschäftigen, schwanke der/die Sporthistoriker/in „noch immer zwischen wissenschaftlichem Ehrgeiz auf der einen Seite und Minderwertigkeitsgefühlen auf der anderen“. Dies liege zum einen daran, dass die Mainstream-Geschichte den Sport nicht als wirkungsmächtig wahrnehme und zum zweiten, das er rein „funktionalistisch“ betrachtet werde, als symbolhaft für Dahinterliegendes. Die Sportgeschichte lasse sich eben allzu gut in Meisternarrative wie das der deutsch-deutschen Geschichte einschreiben.

Versuche, beide Ansätze zu verbinden, den Fußball sowohl aus sich heraus als auch aus seinen Zusammenhängen zur Gesellschaft zu erklären, unternahm Schiller denn auch im zweiten und dritten Teil seines Vortrags, in dem er Überlegungen zu dem wechselvollen und widersprüchlichen Verhältnis des Fußballs zu den Olympischen Spielen am Beispiel des Münchner Olympia-Stadions darstellte. Das Olympiastadion, so Schillers These, habe sich als Erinnerungsort der alten Bundesrepublik konstituiert und sei symbolisch und semiotisch zu offen gewesen, um als reines Fußballstadion zu funktionieren – Gründe, weshalb sich zum Beispiel Fußballfans von Bayern München und 1860 München dort nicht wohl fühlten.

Im Panel „Regionale und urbane Identitäten“ nahm WOLFRAM PYTA (Universität Stuttgart) in seinem Vortrag den roten Faden aus dem Eröffnungsreferat auf und fragte nach der Rolle des „performative turn“ für die Fußballgeschichte in Deutschland. Er wollte Fußball nicht nur als einen performativen Akt verstanden wissen. Pyta meinte, dass auch eine Entzeitlichung und Entkörperlichung des Fußballs stattfinden könne, die ihn über seine reine Präsenz hinaus mit Sinn beladen könne. Pyta schlug die Verwendung eines Symbolbegriffes vor, der Ordnungsvorstellungen eine Gestalt gebe. Für die mediale Seite stellte er heraus, dass Sport und Fußball erst durch Überführung in Text, Ton und Bild hermeneutisch fassbar würden und hier die Germanistik in der Deutung schon große Schritte gemacht habe. Vor allem eine inhaltliche Analyse der Fernsehberichterstattung stehe aber noch aus.

HANNAH JONAS (Universität Tübingen) beschäftigt sich in ihrem Dissertationsprojekt mit eben dieser Ebene des symbolischen Ausdrucks von Ordnungen, indem sie den Vereinsfußball von 1970 bis heute als Projektionsfläche zwischen regionaler Identität und globalen Märkten untersucht. Jonas fragte danach, wie es in den 1980er-Jahren zu dem dramatischen Zuschauerrückgang bei Bundesligaspielen sowohl in Deutschland als auch in England kam. Die gängigen Antworten würden von einer Entfremdung zwischen Nation und Spielern, Imageschädigungen durch Stadionkatastrophen und Finanzierungsschwierigkeiten der Profivereine als Ursache ausgehen. Diese Annahmen will sie mit Hilfe der Feldtheorie Pierre Bourdieus überprüfen. Dabei betrachtet sie Profivereine als Feld, die durch Kommerzialisierung und Medialisierung in zunehmenden Widerspruch zu dem Habitus der Zuschauer gerieten. Letztere beriefen sich in den 1980er-Jahren auf Vereine als Orte einer verloren gegangenen Authentizität und regionalen Identität. Diesen durch Modernisierung und Wandel zur Konsumgesellschaft entstandenen Widerspruch untersucht Jonas im internationalen Vergleich zwischen Vereinen aus dem Ruhrgebiet in Deutschland und dem Nordosten Englands.

Im postkolonialen Senegal haben sich die Mitglieder von Stadtviertelmannschaften über die Jahre gegen den Zugriff von Geld, Politik und Magie zu wehren versucht, wie SUSANN BALLER (Universität Basel) in ihrem Vortrag ausführte. Seit den 1950er-Jahren existieren in Senegal Fußballturniere zwischen Stadtviertelmannschaften, mit denen sich vor allem Jugendliche im Senegal stärker identifizieren als mit Ligamannschaften oder der Nationalmannschaft. Fußball sei im Senegal schon früh zu einer Arena politischer Aushandlungsprozesse geworden. Die Politik der 1960er- und 1970er-Jahre habe versucht, ihn als Instrument zur Bildung einer „Nation“ zu nutzen. Die Stadtviertelmannschaften böten aber auch einen Einblick in kulturelle und politische Bezüge und Vorstellungen von Jugendlichen im Senegal. Darüberhinaus habe die Popularisierung der Mannschaften und ihr zunehmender Einfluss dazu geführt, dass die Stadtviertel insgesamt zum Zentrum des Interesses wurden und über ihre Gestaltung und Ressourcennutzung diskutiert wurde. Diese Debatten und die Partizipationsansprüche äußern Jugendliche jedoch nicht nur in Bezug auf die lokale Ebene, sondern sie übertragen diese auch auf die nationale Ebene.

INGRID KUMMELS (Freie Universität Berlin) leitete das Panel „Fußball in globaler Perspektive“ mit einer Betrachtung des Fußballs der 1930er-Jahre im transnationalen Kontext zwischen Deutschland und Uruguay ein. Sie ging der Frage nach, wie um den Fußball „Gender“ und „Nation“ konstruiert wurden. In Uruguay, so stellte Kummels heraus, habe Fußball früh als Integrationsinstrument fungiert, da auch Afro-Uruguayer in Klubs aufgenommen wurden. In England und Deutschland war Frauenfußball populär, ab der Mitte der 1950er-Jahre sei er allerdings verboten und Frauen aktiv ausgeschlossen worden. Zu Uruguay ließen sich zwar keine Quellen finden, jedoch sei dort, auch im Zusammenhang mit der Förderung männlicher Einwanderung, eine Stilisierung des Fußballs als maskuliner Sport sehr vorangetrieben worden. Dort wurde eine Abgrenzung zu England in der Betonung einer positiven Südländigkeit wesentlich über Körperperformances ausgehandelt, in die auch Körperbewegungen des Tanzes hineingetragen worden seien. Darüber sei ein positives Bild männlicher Einwanderer gezeugt worden. Insgesamt habe Ende der 1920er-Jahre, als Lateinamerika einen festen Platz im internationalen Fußball einnahm, eine Konstruktion des Anderen über Fußballstildiskurse stattgefunden.

In den 1970er-Jahren sei durch Adaptionen von Fanbildern und Organisationen zwischen westlichen und sowjetischen Fans eine transnationale Fankultur entstand, so MANFRED ZELLER (Helmut-Schmidt- Universität Hamburg). Insbesondere durch den Einfluss neuer Medien hätten sowjetische Fans begonnen Praktiken zu imitieren. In der Sportpresse und im Fernsehen seien Idealtypen von Fußballfans konstruiert worden, so des „wohlerzogenen“ und des „schlecht erzogenen“ Fans. Allerdings hätten sich sowjetische Fans zunehmend an Darstellungen westlicher Fans, die ebenfalls in der sowjetischen Presse veröffentlicht wurden, orientiert und mit der Übernahme von Symbolen, auch aus der Jugend- und Popkultur, die Konformität zu den konstruierten Idealtypen herausgefordert und subjektive und partikulare Leidenschaften ausgedrückt. Die Auseinandersetzung fand dabei aber nicht nur symbolisch statt, sondern zum Beispiel auch bei Auswärtsfahrten durch Gewaltpraktiken. Der Vortrag zeigte dabei eine Facette des enormen Einflusses kulturellen Transfers in einer globalisierten Welt und die Möglichkeiten von Abgrenzung in einem Staat kollektiver Normen durch die Fankultur.

Im dritten Vortrag des Panels ging THOMAS FISCHER (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) der Frage nach, wie Maradona zu einem Mythos werde konnte und warum sich der Mythos bis heute halten konnte. Dabei verwies er auf den Fußball als konstitutives Element einer „argentinidad“. Maradona sei wiederholt zum Referenzpunkt kollektiver Erinnerung gemacht worden, weil er sowohl Teil der immigrierten Gesellschaft als auch der nationalen Erzählung sei und damit Bezugspunkt für „argentinidad“ schlechthin. Verschiedene Erinnerungsvehikel arbeiteten daran den Mythos aufrechtzuerhalten: Sowohl Medien als auch Erinnerungsorte, an denen sein Leben erzählt werde. Seine Authentizität und Einmaligkeit, dass er als einer der „Ihrigen“ angesehen wurde, habe dazu geführt, dass sein Mythos nicht zerstört werden konnte. Maradona sei eine Parabel argentinischer Kollektiverfahrung seit den 1990er-Jahren – jemand, der sich immer wieder aus eigener Kraft aufrichte.

Das Panel „Fußball als transnationales Phänomen“ begann ANKE HILBRENNER (Universität Bonn) mit einem Vortrag über alternative Zugriffe auf die Sportgeschichte Osteuropas. Ihr war es ein besonderes Anliegen diese von einem westlichen Zugriff abzugrenzen. Dabei verwies sie auf das Konzept der „multiple modernities“, da in Osteuropa selbst eine Vielfalt nationaler Sporträume bestehe, die durch Multiethnizität und Migration geprägt seien. Dies verdeutlichte Hilbrenner am Beispiel Polen, wo nach dem Ersten Weltkrieg drei unterschiedlich geprägte Sportkulturen zusammenwachsen mussten. Daraus entstand letztlich das Konzept des Donaufußballs als transnationales Netzwerk. Der Fußball entwickelte sich gerade im ländlichen Galizien und nicht in den urbanen Zentren. Hilbrenner machte deutlich, dass ein alternativer Zugriff auf die Sportgeschichte unilaterale Ansätze in Frage stellt.

Ähnlich argumentierte BERND REICHELT (Universität Kassel), der in seinem Vortrag sein Dissertationsprojekt vorstellte: Eine Geschichte des Fußballs im deutsch-französischen Grenzraum Saarland-Moselle im Zeitraum 1900-1950 als transregionale Studie. Reichelt geht mit einem raumbezogenen Ansatz vor, da die Region ständig wechselnde Grenzverläufe aufweise und durch Verflechtungen geprägt sei. Er will dabei in einer Langzeitstudie Kontinuitäten und Brüche aufzeigen und untersucht den Fußball sowohl als politischen Raum als auch als Faktor von Identitätskonzepten. Wichtig ist auch ihm Fußball nicht als abgeschotteten Kosmos, sondern als mit gesellschaftlichen und politischen Prozessen verschränkten Raum zu verstehen.

Auch CHRISTINA PETERS (Freie Universität Berlin) stellte in Überlegungen zu ihrem Dissertationsprojekt über die Anfänge des Fußballs in Brasilien als transnationales Phänomen die unterschiedlichen räumlichen Bezüge von Fußballakteuren in den Vordergrund. In den 1920er-Jahren wurde Fußball in Brasilien zunehmend politisiert und internationale Sportgroßveranstaltungen als eine Möglichkeit wahrgenommen Brasilien als „zivilisierte Nation“ darzustellen. Jedoch ging mit der gleichzeitigen Popularisierung des Fußballs auch eine Zunahme an gewaltsamen Ausschreitungen und emotionaler Entladungen von Fans einher. Fußball geriet somit als Möglichkeit diplomatischer Annäherung in den 1920er-Jahren in Brasilien beim brasilianischen Außenministerium und beim nationalen Sportverband zunehmend in Misskredit. Die Internationalisierung des Sports in den 1920er-Jahren wurde deshalb maßgeblich von privaten Akteuren, wie Fußballklubpräsidenten, den sich professionalisierenden Sportjournalisten und Fußballspielern, getragen. Sie prägten und verhandelten die Außendarstellung Brasiliens über den Fußball im Zusammenhang mit Konzepten wie „Nation“, „Rasse“ und „Zivilisierung“.

Der Anspruch der Tagung, unterschiedliche Herangehensweisen in der deutschen Fußballgeschichtsschreibung zusammen zu bringen, konnte eingelöst werden. Die Panels waren aus Forscher/innen zusammen gesetzt, die über unterschiedliche Regionen arbeiten und dies erwies sich an verschiedenen Stellen als äußerst fruchtbar: In allen Studien ging es um Fragen nach der Funktion des Fußballs als identitätsstiftendes Symbol – sei es für nationale Identitätskonzepte oder für solche spezifischer ethnischer, sozialer und geschlechtlicher Gruppen. In den Diskussionen wurde schnell klar, dass sich die Verhandlung von Identitätsentwürfen über den Fußball nicht ausschließlich in abgrenzbaren, zum Beispiel nationalen, Räumen denken lässt. Fußball ist geprägt von transnationalen Dynamiken, wie zum Beispiel Migrationsbewegungen, Jugendkultur und transnationaler Medienkommunikation. Aus diesem Grund arbeiteten die anwesenden Nachwuchswissenschaftler/innen mit methodischen Ansätzen, die diese Dynamiken am Besten zu erfassen vermögen, wie der „Histoire Croisée“, der Transnationalen Geschichte und dem historischen Vergleich. Diesem Ergebnis entsprechend äußerten mehrere Tagungsteilnehmer/innen den Wunsch sich mit transnationalen Dynamiken in der Fußballgeschichte vertieft in einer weiteren Tagung zu beschäftigen.

Konferenzübersicht:

Kay Schiller (Durham), „Football History and the History of Sport”

Wolfram Pyta (Stuttgart), „Der Beitrag des Fußballs zur Stiftung kollektiver Identität“

Hannah Jonas (Tübingen), „Vereinsfußball als Projektionsfläche zwischen regionaler Identität und globalen Märkten, 1970 bis heute“

Susann Baller (Basel), „Geld, Magie und Politik auf dem Fußballfeld. Stadtviertelmannschaften und ihre Meisterschaften im postkolonialen Senegal“

Ingrid Kummels (Berlin), „Körper, Gender, Fußball: Ethnologische Perspektiven auf das Spiel der 1930er-Jahre“

Manfred Zeller (Hamburg), „Russian Fever Pitch. Glokale Fankultur, Fanatische Jugend und Öffentlichkeit in der späten Sowjetunion“

Thomas Fischer (Eichstätt-Ingolstadt), „Mythos Maradona: Entstehung und Bedeutung für die argentinische Gesellschaft“

Anke Hilbrenner (Bonn), „Abseits der Modernisierung – Fußball in Osteuropa“

Bernd Reichelt (Kassel), „Die Geschichte des Fußballs als transregionale Studie. Der deutsch-französische Grenzraum Saarland-Moselle, 1900-1950“

Christina Peters (Berlin), „Die Anfänge des Fußballs in Brasilien als transnationales Phänomen, 1894-1930“


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