Vom Musikwinkel zum Musicon Valley? Geschichte und History Marketing im Musikinstrumentenbau

Vom Musikwinkel zum Musicon Valley? Geschichte und History Marketing im Musikinstrumentenbau

Organisatoren
Vereinigung Deutscher Wirtschaftsarchive e. V.; Gesellschaft für Unternehmensgeschichte e. V.
Ort
Markneukirchen
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.09.2010 - 03.09.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Dirk Schaal, Leipzig

Die Suche nach angewandtem History- und Regional-Marketing führte die Veranstalter nach Markneukirchen ins Vogtland. Der in der Region seit dem 17. Jahrhundert ansässige Musikinstrumentenbau hat die Mittelgebirgsregion am westlichen Erzgebirgsrand ähnlich geprägt wie beispielsweise die Schmuckherstellung das nordböhmische Gablonz oder die Glas- und Spielzeugherstellung Teile des Thüringer Waldes. Der Musikinstrumentenbau ist bis heute ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und – auch aufgrund seiner Geschichte – Markenkern für das hiesige Regionalmarketing. Letzteren in seiner historischen Dimension zu ergründen, schickte sich dieses Treffen von Historikern, Archivaren, Museologen, Marketingexperten sowie mit dem Musikinstrumentenbau verbundenen Unternehmern, Handwerkern und Wissenschaftlern an.

Ins firmeneigene Framus Museum lud am Vorabend die Warwick GmbH & Co. Music Equipment KG ein. Hier stellte SIMONE VON DER OHE (Erlebniswelt Musikinstrumentenbau Musicon Valley) die Aktivitäten des regionalen Marketings unter der Marke „Musicon Valley“ vor, anschließend führte CHRISTIAN HOYER (Framus Museum) kenntnisreich und kurzweilig durch das 2009 mit dem Preis der Vereinigung deutscher Wirtschaftsarchivare (VdW) ausgezeichnete Museum. Den informations- und stimmungsreichen Abend schloss ein hochklassiges Jazzkonzert ab. Die museal umgesetzte Geschichte des Musikinstrumentenbaus bildete die Klammer der Tagung, so besuchten die Teilnehmer im Anschluss an das wissenschaftliche Programm am Folgetag noch das städtische Musikinstrumentenmuseum und ein historisches Sägewerk.

Zum wissenschaftlichen Teil waren die Teilnehmer beim Studiengang Musikinstrumentenbau der Westsächsischen Hochschule Zwickau in der „Villa Merz“ zu Gast. Die repräsentative ehemalige Villa eines Musikinstrumentenhändlers ist ein herausragendes Denkmal für die Hochzeit des Musikinstrumentenbaus im „Musikwinkel“ vor dem Ersten Weltkrieg. Als Teil des regionalen Clusters Musikinstrumentenbau ist in Markneukirchen der einzige Studiengang für Instrumentenbau in Europa ansässig. Hausherr EBERHARD MEINEL (Westsächsische Hochschule Zwickau) gab in seiner Begrüßung eine kurze Einführung über die Ausbildung und den Ausbildungsort. Mit ihrer Begrüßung und Vorstellung der Referenten leiteten Andrea Schneider von der Gesellschaft für Unternehmensgeschichte (GUG) und Michael Jurk von der VdW im Namen der Veranstalter die Fachvorträge ein.

Den Auftakt machte ENRICO WELLER (Markneukirchen), der das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Forschung und Regionalpatriotismus aufzeigte, in dem man sich als ein in der Region verwurzelter, arbeitender und über ein regional relevantes Thema forschender Historiker bewegt. In seinem quellenkritischen Beitrag über den westböhmisch-vogtländischen Musikinstrumentenbau schlug Weller den Bogen von der Heimat-, Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte über die Kultur- und Musikgeschichte bis hin zur Marken- und Marketinggeschichte. Er riss verschiedene Marktphasen des Instrumentenbaus an und zeigte die Anpassungsfähigkeit, mit welcher die Branche auf zum Teil einschneidende Marktveränderungen und wirtschaftlich-politische Brüche reagierte, so durch die Zeitläufte hinweg überlebensfähig blieb und ihre Bedeutung bis in die heutige Zeit behaupten konnte. Weller bot ein anschauliches Beispiel dafür, wie anhand des im Vogtland konzentrierten Musikinstrumentenbaus nicht nur eine Branchengeschichte abzuleiten ist, sondern auch globale Aspekte für die Geschichte der Musik und der Musikinstrumente rekonstruiert werden können. Hinsichtlich des Marketings mit historischen Inhalten machte Weller aus seiner Lebenspraxis deutlich, dass Historiker zwar ein wichtiger Baustein im Regionalmarketing sind, deren Einflussmöglichkeiten jedoch begrenzt bleiben, wenn oberflächlich betriebenes Marketing ohne fachliche Expertise fragwürdige und widersprüchliche historische Inhalte nutzt und verbreitet. Die Bedeutung von Marken im Musikinstrumentenbau wurde an zwei Beispielen deutlich. Einmal anhand der Pflege der Marke „Framus“ durch die Firma Warwick und deren Ansiedlung in der historischen Ursprungsregion, welche die späteren Gründer der Framus-Werke nach 1945 verlassen mussten. Und zum anderen die Gründe für die Rückbesinnung auf eine DDR-Marke, deren (internationales) Renommee mehr wog als die von den Privatunternehmern empfundene Rufschädigung durch die Geschichte eines verstaatlichten Betriebes, dem diese Marke einstmals entsprang. Nach Reprivatisierung des VEB Blechblas- und Signalinstrumentenfabrik (B&S), in dem 1953 zahlreiche Traditionsfirmen nach ihrer Verstaatlichung zusammengeschlossen worden waren, belebte man die in den 1950er Jahren geschaffene und weltweit bekannte Marke „B&S“ vor einigen Jahren wieder, um auf die Tradition des Herstellers und seiner prämierten Produkte zu verweisen.

Auf den Ursprungsort des westböhmisch-vogtländischen Musikinstrumentenbaus konzentrierte sich SONJA PETERSEN (Offenbach) in ihrem Beitrag über Strukturwandel und Produktionsnetzwerke im Geigenbauerhandwerk im böhmischen Schönbach. Petersen räumte zunächst mit dem Mythos des Geigenbaumeisters auf, der in kontemplativer Arbeit seine Meisterstücke schuf. Der Erfolg des hiesigen Musikinstrumentenbaus gründete vielmehr auf Arbeitsteilung. Ohne die im 19. Jahrhundert erfolgte Entwicklung eines arbeitsteiligen Produktionsnetzwerks wären die steigenden Stückzahlen, die der Markt nachfragte, nicht erreichbar gewesen. Im Zentrum des regionalen Netzwerks standen teilweise international agierende Händler sowie Geigenbauer, an der Peripherie verschiedene als Zulieferer auftretende Spezialisten. Die von letzteren in Heimarbeit – zumeist unter Mitwirkung der ganzen Familie – gefertigten Komponenten und Zubehöre wurden letztlich von den Geigenbauern „nur“ zusammengebaut. Auf diese Weise waren hohe Stückzahlen möglich, die letztlich auch die wirtschaftliche Bedeutung des Musikinstrumentenbaus in der Region ausmachten. In diesem Netzwerk erfolgte auch die Wissensvermittlung für den Nachwuchs: informell im Netzwerk der Familien und formalisiert in einer eigens eingerichteten staatlichen Musikfachschule.

Das Regionalmarketing in Theorie und Praxis beleuchtete GÜNTER SILBERER (Göttingen) und entwickelte anhand zweier Beispiele Aufgaben und weiterzuverfolgende Ansätze für das Regional- und History-Marketing. Nach einer Bestandsanalyse der in vielen für das Regionalmarketing relevanten Punkten disparaten Regionen Freiburg im Breisgau und Göttingen leitete er Fragen und Eckpunkte für ein erfolgreiches Regionalmarketing ab, das auch die Geschichte einer Region in ein zu entwickelndes und langfristig angelegtes Marketingkonzept aufnehmen sollte. Deutlich machte Silberer, dass erfolgreiches Regionalmarketing eine äußerst komplexe Aufgabe für eine Vielzahl zu integrierender Akteure darstelle. Diese müssten zunächst eine Region aus marketingtheoretischer Sicht bestimmen und eine gemeinsame Position für den Markenkern einer Region verabreden. Allein dies dürfte schwierig werden, stelle aber eine erstrebenswerte Aufgabe dar. Regionalgeschichte versteht Silberer dabei als Ressource und Aufgabe sowie als Bestandteil von Markenreputation. Im komplexen wie dynamischen System Region bergen prägende historische Epochen und Ereignisse zum Teil ungenutztes Potential für das Marketing. Damit die Ressource Geschichte nicht durch ihre alleinige Nutzung als Ideengeberin für Werbung und Events aufgeweicht wird, fordert Silberer einen sorgsamen Umgang mit ihr und eine Nutzung auch über die Werbung hinaus.

In der abschließenden Diskussion interessierte die Wirtschaftsarchivare naturgemäß die Quellenüberlieferung. Schließlich ist der Instrumentenbau eine Branche, von der man aufgrund ihrer Organisation ausgehen kann, dass sie keine Unternehmensarchive im herkömmlichen Verständnis geführt hat. Für das von Sonja Petersen geschilderte Beispiel der im böhmischen Schönbach ansässigen Instrumentenbauer stellte sich die Frage umso mehr, als diese nach dem Zweiten Weltkrieg aus ihrer angestammten Region vertrieben worden waren und ihr Hab und Gut bis auf wenige Habseligkeiten hatten zurücklassen müssen. Neben den beständig sammelnden Museen der Region, die auf zufällige Privatabgaben angewiesen sind, und einigen Zufallsüberlieferungen stehen dem Historiker daher oft nur individuelle Erinnerungen zur Verfügung, die mit Methoden der „oral history“ gewonnen und verglichen werden müssen.

Die sich dann insbesondere unter den Teilnehmern aus der Region entzündete Diskussion zeigte, dass eine der wichtigsten Aufgaben für erfolgreiches Regionalmarketing zunächst die Schaffung einer regionalen Identität sein müsse. Ob die von Max Schmerler (1873–1960) bereits im Jahr 1913 geschöpfte Marke „Musikwinkel“ dereinst das heutige Branding „Musicon Valley“ beerben wird, blieb in der zum Teil hochemotionalen Diskussion leider ungefragt.

Konferenzübersicht:

Enrico Weller, Markneukirchen: Zwischen Musik-, Gesellschafts- und Wirtschaftsgeschichte – vogtländischer Musikinstrumentenbau in fünf Jahrhunderten.

Sonja Petersen, Hochschule für Gestaltung, Offenbach am Main: Tradiertes Erfahrungswissen und arbeitsteilige Produktionsnetzwerke. Der Schönbacher Geigenbau im 19. und 20. Jahrhundert.

Günter Silberer, Universität Göttingen: Regionen, Marken und Markengeschichte.


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