'Vom Frosch zum Prinzen'. Kommunikation sozialen Aufstiegs

'Vom Frosch zum Prinzen'. Kommunikation sozialen Aufstiegs

Organisatoren
Graduiertenzentrum Geistes- und Sozialwissenschaften, Philipps-Universität Marburg; Arbeitsgruppe „Frühe Neuzeit: Herrschaft – Kommunikation – Transfer“, Marburg
Ort
Marburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
09.07.2010 - 10.07.2010
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Von
Karola Brüggemann, Marburg

Durch die insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren intensiv betriebenen Forschungen zur sozialen Mobilität in der Frühen Neuzeit konnte aufgezeigt werden, dass verschiedene „Gesellschaftsschichten“ entgegen der weit verbreiteten Vorstellung von einer starren „Ständegesellschaft“ für Aufsteiger durchlässig waren. Gesellschaftliche Positionsveränderungen widersprachen aus Sicht der Zeitgenossen aber oftmals dem geltenden Normensystem, so dass Aufsteiger gezwungen waren, spezifische Repräsentationsstrategien zu entwickeln, um soziale Anerkennung zu erfahren. Obwohl dem Aspekt der Inszenierung und Kommunikation sozialen Aufstiegs bei der Erforschung des gesamteuropäischen Phänomens sozialer Mobilität eine dementsprechend große Bedeutung beizumessen ist, sind die Anerkennungsstrategien von Aufsteigern einerseits sowie die Statusbehauptungsstrategien von etablierten Eliten andererseits in den historischen Geisteswissenschaften bislang noch nicht systematisch erforscht worden. Dies nahm die Arbeitsgruppe „Frühe Neuzeit: Herrschaft – Kommunikation - Transfer“ des Graduiertenzentrums Geistes- und Sozialwissenschaften der Philipps-Universität Marburg zum Anlass, vom 9. – 10. Juli 2010 eine interdisziplinäre Tagung mit dem Titel „'Vom Frosch zum Prinzen'. Kommunikation sozialen Aufstiegs“ auszurichten. Ziel der Tagung war es, den Begriff der sozialen Mobilität und die mit ihr verbundenen kommunikationstheoretischen Implikationen sowohl empirisch als auch theoretisch zu schärfen.

Nach einem Grußwort von Christoph Kampmann stellte ANNIKA HÖPPNER (Marburg) in ihrem Eröffnungsreferat zunächst verschiedene mit der Tagungsthematik verbundene Begriffe zur Diskussion. So schlug Höppner vor, den Repräsentationsbegriff durch den Begriff des Lebensstils im Sinne Bourdieus zu ersetzen, da letzterer nicht an Herrschaftsdarstellung und –ausübung gebunden erscheine. Den Begriff des Aufstiegs definierte sie ebenfalls in Anlehnung an Bourdieu als Statuszunahme durch Erhöhung eines oder mehrerer Kapitalwerte. Abgesehen von den für die frühneuzeitliche Gesellschaft wesentlichen Werten Familienalter und Tradition sei die Höhe des Kapitalwertes einzelner kultureller Investitionen beim derzeitigen Forschungsstand aber nicht zu bestimmen.

Im Anschluss referierte MICHAEL HECHT (Münster) über sozialen Aufstieg und ständische Exklusivität in der frühneuzeitlichen Stadt am Beispiel der Lüneburger Familie Stern. Wie Hecht eingangs ausführte, sei unter dem Begriff „Patriziat“ in Anlehnung an die Institutionentheorie Karl-Siegbert Rehbergs eine symbolische Ordnung zu verstehen. Der problematische Aufstieg der Familie Stern mache deutlich, dass nicht allein rechtliche Sachverhalte für den sozialen Rang ausschlaggebend gewesen seien, sondern es auch symbolischer Praktiken der Anerkennung bedurfte. Die Aufstiegsbemühungen der Familie Stern zeigten darüber hinaus auf, dass durch die Konflikte um soziale Mobilität nicht nur die soziale Stellung der Aufsteiger verändert worden sei. So hätten die bereits etablierten Lüneburger „Patrizier“ auf den aus ihrer Sicht unerwünschten Aufstieg der Familie Stern mit der Ausbildung neuer Ordnungsideen reagiert, um sich weiterhin von den „Emporkömmlingen“ der Familie Stern abzugrenzen.

Der Vortrag der Kunsthistorikerin INGA BRINKMANN (Marburg) kreiste thematisch um die adelige Grablegen- und Grabdenkmalsgestaltung im Heiligen Römischen Reich des 16. und 17. Jahrhunderts. Wie Brinkmann darlegte, bestanden zwischen der Funeralrepräsentation von landsässigem und reichsunmittelbarem Adel verschiedene Wechselwirkungen, wobei dem landsässigen Adel bei der Entwicklung neuer Formen der Begräbnisplatzgestaltung eine Vorreiterrolle zufiel. Bei der Schaffung neuer herrschaftlich-repräsentativer Muster der Funeralrepräsentation handele es sich aber nicht im eigentlichen Sinne um die Kommunikation sozialen Aufstiegs, sondern vielmehr um eine Angleichung der Repräsentationsstrategien von hohem und niederem Adel, die eher als Selbstbehauptung des landsässigen Adels gewertet werden könne.

Die soziale Mobilität städtischer Eliten im Spannungsfeld von imperialer Dominanz und kolonialer Abhängigkeit am Beispiel des venezianischen Kolonialreiches des 16. Jahrhunderts bildete den Untersuchungsgegenstand von STEPHAN KARL SANDER (Wien). Anhand des Beispiels der Eliten der Stadt Zadar (Zara) zeigte Sander auf, dass es sich bei der Gesellschaft Venedigs sowohl um ein Vorbild als auch bis zu einem gewissen Maße um ein Spiegelbild der Kolonialgesellschaften gehandelt habe. Die Ähnlichkeit mit der stadtvenezianischen Sozialstruktur habe dazu geführt, dass auch in den Kolonialgesellschaften Zadars und Dubrovniks insgesamt nur eine geringe soziale Mobilität erkennbar sei.

Den letzten Vortrag am ersten Tag bestritt RUTH SCHILLING (Berlin), die in ihrem Vortrag am Beispiel der Biographie Johann Friedrich Glasers (1701-1789) der Frage nachging, welche Strategien Scharfrichtersöhne anwandten, um aus ihrer prekären und ambivalenten Position zu einer dauerhaft gefestigten Stellung als angesehener Mediziner zu gelangen. Vor dem Hintergrund der Abgrenzung der akademisch definierten Medizin gegenüber nicht-akademischen Heilkundigen wie den Scharfrichtern sowie der reichsrechtlichen Öffnung von vorher als „unehrlich“ klassifizierten Gruppen sei es für den Scharfrichtersohn Glaser nahe liegend gewesen, das Heilgewerbe akademisch zu erlernen. Seine beispiellose Karriere spiegle sowohl Möglichkeiten als auch Grenzen des sozialen Aufstiegs aus der sozialen Gruppe der Scharfrichter wider. So sei es Glaser gelungen, sich eine ranghohe Position in der Medizinallandschaft seiner Heimat zu erobern und sich auf der Ebene der Gelehrtenkultur zu profilieren, doch habe er für die Aufnahme in eine medizinische Kanonbildung nicht die nötigen standesgemäßen Voraussetzungen mitgebracht.

Den Auftakt einer Reihe von kunsthistorischen Beiträgen bildete am zweiten Tag der Vortrag von MARIEKE VON BERNSTORFF (Rom), die in ihrem Beitrag Inszenierungsstrategien malender Aristokraten und nobilitierter Künstler unter der Fragestellung untersuchte, ob die in der Frühen Neuzeit zu verzeichnende Zunahme aristokratischer Kunstpraxis auf der einen und der Künstlernobilitierungen auf der anderen Seite auf die soziale Mobilität der Ständegesellschaft hindeute. Sie gelangte zu dem Schluss, dass zwar eine Annäherung von Künstler und adeligem Auftraggeber über das Medium der Kunst feststellbar sei, von einem tatsächlichen Rollentausch zwischen beiden Gruppen aber keine Rede sein könne. So seien beispielsweise nobilitierte Künstler von den übrigen Adeligen nicht vorbehaltlos anerkannt worden, was auf die Grenzen der sozialen Mobilität hinweise.

Die Architektur adeliger Aufsteiger in Frankreich und deren europäischer Modellcharakter bildeten das Thema von MONIKA MELTERS (München). Den neuadeligen Financiers der französischen Krone sei es in der Zeit Ludwigs XIV. gelungen, eigene innovative architektonische Repräsentationsformen zu entwickeln, die sich ab 1650 auch in den Ländern der böhmischen Krone für die mitteleuropäischen Neuadeligen zur Kommunikationsform sozialen Aufstiegs entwickelt hätten. Der Modellcharakter der architektonischen Neuerungen der neuadeligen Bürgerlichen in Frankreich für die Neuadeligen in den von Habsburg regierten Ländern sei bislang in der Forschung kaum berücksichtigt worden.

KATJA HEITMANN (Marburg) stellte in ihrem Vortrag zunächst die Bedeutung einer Analyse von Schlossausstattungen in ihrer Gesamtheit heraus. Der Frage nach der Funktionsweise der raumkünstlerischen Einheit im deutschen Schlossbau als Kommunikationsinstrument des sozialen Aufstiegs ging Heitmann sodann am Beispiel des Hauptsaals von Schloss Heidecksstadt in Rudolstadt nach, bei dessen Auftraggeber es sich um die von ihren Standesgenossen nicht als gleichberechtigt wahrgenommenen Fürsten von Schwarzburg-Rudolstadt handelte. Der prachtvoll gestaltete Saal habe vor dem politisch-gesellschaftlichen Hintergrund der Fürstenfamilie und deren Prestigekampf der Kommunikation sozialen Aufstiegs gedient.

ANNIKA HÖPPNER (Marburg) beschäftigte sich mit der auffälligen Thematisierung des neu erworbenen Adelstitels in neuadeligen Ausstattungen in Venedig um 1700. Unter Bezugnahme auf Bourdieus Konzept des sozialen Raums hinterfragte Höppner, warum der neue Titel nicht einfach verschwiegen oder ignoriert wurde. Sie stellte die These auf, dass es sich bei der bewussten Thematisierung möglicherweise nicht um eine Substitution für nicht imitierbare altadelige Bildprogramme handele, sondern vielmehr um eine bewusst gewählte Distinktionsstrategie, die die neuadelige Oberschicht vor dem Hintergrund ihres hohen sozialen und ökonomischen Kapitals entwickelt habe.

Einen methodischen Bezug zu Bourdieu wies auch der Beitrag von BETTINA MORLANG (Mainz) auf, der sich mit den Aufstiegsstrategien der Seidenhändlerfamilie Balbi in Genua beschäftigte. Der soziale und politische Aufstieg der Familie Balbi habe eine der neu erreichten Position der Familie entsprechende Repräsentation erfordert, die zum Bau der repräsentativen Strada Balbi geführt habe. Das Projekt der Strada Balbi sei als Distinktions- und Etablierungsinstrument zu verstehen, durch das das Ansehen der Familie Balbi in der Republik gesteigert und gefestigt worden sei.

CHRISTINE FOLLMANN (Florenz) setzte sich in dem letzten Vortrag der Tagung mit den Repräsentationsstrategien der toskanischen Aufsteigerfamilie Feroni auseinander. Francesco Feroni, der Begründer der Familiendynastie, sowie sein Sohn Fabio Feroni hätten mit zwei spektakulären Bau- und Ausstattungsprojekten, einer Familienkapelle und einer Villa, auf den neu erreichten Status der Familie aufmerksam gemacht und auf diesem Wege ihre Integration in die Florentiner Adelsschicht vorangetrieben. Bei allen Inszenierungsunterschieden zwischen Vater und Sohn sei den Feronis die Orientierung an der Architektur- und Bildsprache der Medici gemeinsam, die eine besondere Nähe zur herrschenden Fürstenfamilie signalisiert habe.

Insgesamt können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf eine gelungene und anregungsreiche Tagung zurückblicken. Das Aufeinandertreffen verschiedener methodischer Ansätze führte im Anschluss an die jeweiligen Vorträge zu intensiven Diskussionen, bei denen auch immer wieder die Frage, was unter der „Kommunikation sozialen Aufstiegs“ konkret zu verstehen sei, selbst im Mittelpunkt stand. Durch die thematisch vielfältigen Beiträge aus Geschichte und Kunstgeschichte, die sich allesamt mit dem Phänomen der vertikalen Mobilität auseinandersetzten, konnte der Begriff des Aufstiegs aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden.

Konferenzübersicht:

Christoph Kampmann (Marburg): Begrüßung und Einleitung

Annika Höppner (Marburg): Eröffnungsreferat

Michael Hecht (Münster): Wie man vom „Bürger“ zum „Patrizier“ wurde. Sozialer Aufstieg und ständische Exklusivität in der frühneuzeitlichen Stadt – das Beispiel der Lüneburger Familie Stern

Inga Brinkmann (Marburg): Landsässige Familien als Impulsgeber memorialer Repräsentationsstrategien des hohen Adels – Grablegegestaltungen im Heiligen Römischen Reich im 16. und frühen 17. Jahrhundert

Stephan Karl Sander (Wien): Soziale Mobilität zwischen kolonialer Abhängigkeit und imperialer Macht: Venedig im 16. Jahrhundert

Ruth Schilling (Berlin): Amtsträger und Wissenschaftler – die Repräsentationsstrategien eines Scharfrichtersohns in der Mitte des 18. Jahrhunderts

Marieke von Bernstorff (Rom): Soziale Mobilität oder Rollenspiel? Zur Bedeutung und Form von Inszenierungsstrategien malender Aristokraten und nobilitierter Künstler in der Frühen Neuzeit

Monika Melters (München): Innovation und Imitation: die Architektur adeliger Aufsteiger in Frankreich und ihr europäischer Modellcharakter

Katja Heitmann (Marburg): Bel Composto, Beinseance, Decorum. Die raumkünstlerische Einheit im deutschen Schlossbau des sozialen Aufstiegs?

Annika Höppner (Marburg): Des Parvenüs „neue Kleider“: Der neu erworbene Adelstitel als Teil neuadeliger Repräsentation in Venedig um 1700

Bettina Morlang (Mainz): Strada Balbi – die Straße zur Macht. Aufstiegs- und Etablierungsstrategien der Familie Balbi in Genua

Christine Follmann (Florenz): Soziale Mobilität im Florenz des 17. Jahrhunderts: Repräsentationsstrategien der Aufsteigerfamilie Feroni


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