Gender in Modern Jewish History: Rethinking Jewish Women's and Gender History

Gender in Modern Jewish History: Rethinking Jewish Women's and Gender History

Organisatoren
Dr. Kirsten Heinsohn; Dr. Stefanie Schüler-Springorum (Institut für die Geschichte der deutschen Juden, Hamburg)
Ort
Hamburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
20.10.2003 - 22.10.2003
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Von
Angelika Schaser, Historisches Seminar, Universität Hamburg

Studien zur deutsch-jüdischen Frauengeschichte thematisieren Marginalisierung als historische Erfahrung in doppelter Perspektive: die Geschichte der Frauen in Bezug auf die Geschichte der Männer und die Geschichte der jüdischen Minderheit, die sich innerhalb der christlichen Mehrheitsgesellschaft einrichten mußte. So wie die Frauen- und Geschlechtergeschichte Erhellendes über die Männergeschichte und Männlichkeit zu Tage förderte, so tragen die Forschungen zur Geschichte der Juden in Deutschland direkt oder indirekt immer auch etwas zur Geschichte der nichtjüdischen Bevölkerung bei. Im Mittelpunkt der Hamburger Tagung standen ein Resümee, welche Ergebnisse die Frauen- und Geschlechterforschung zur deutsch-jüdischen Geschichte bislang vorgelegt hat und die Frage, in welche Richtungen sich dieser Zweig der Geschichtswissenschaft fortentwickeln könnte.

Einen weitgespannten und anregenden Rahmen für die Tagung boten zwei Abendvorträge, die sich mit den zentralen Fragen, was denn den Mensch zum Menschen, den Mann zum Mann, die Frau zur Frau und den Juden zum Juden mache, auseinandersetzten. Barbara Hahn (Princeton) ging ethischen und existenziellen Fragen an ausgewählten Werken von Margarete Susman und Hannah Arendt nach, während Liliane Weissberg (Pennsylvania) Überlegungen zur Männlichkeit am Beispiel der Korrespondenz von Sigmund Freud und Wilhelm Fließ anstellte. In fünf Sektionen wurden die Themenkreise "Gender and Modernity", "Gender Relations: Women, Work and the Family", "Performing Identities", "Beyond Kinder, Küche, and Kehille: The New Jewish Woman" und "Gender in Modern Jewish History" vorgestellt. Deborah Hertz (Bronxville) ließ in ihrem Vortrag die Entwicklung der Frauengeschichtsschreibung zur Geschlechterforschung am Beispiel der deutsch-jüdischen Geschichte Revue passieren und plädierte dafür, in biographischen Arbeiten weitere Frauen der Vergessenheit zu entreißen, um eine "Geschichte der Frauen" zu erarbeiten, und sich nicht jetzt schon auf die Umschreibung der "allgemeinen Geschichte" zu konzentrieren. Monika Richarz (Berlin) untersuchte die Geschlechterhierarchie und die Frauenarbeit im jüdischen Bürgertum des 19. Jahrhunderts und fragte, ebenso wie Harriet Pass Freidenreich (Philadelphia), danach, welche Veränderungen die zunehmende Frauenerwerbstätigkeit in den jüdischen Familien nach sich zog und inwieweit diese Entwicklung repräsentativ für das deutsche Bürgertum war. Im Mittelpunkt des Vortrags von Harriet Pass Freidenreich standen ledige, berufstätige jüdische Akademikerinnen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Typus der jüdischen "Neuen Frau" verkörperten. Diese konnten auf den Errungenschaften der "neuen jüdischen Frauen" aufbauen, die sich im Kaiserreich Freiräume innerhalb ihrer Familie und der jüdischen Gemeinde erobert hatten. Doch im Unterschied zu den "neuen jüdischen Frauen" ließen die gebildeten jüdischen "Neuen Frauen" zu Beginn des 20. Jahrhunderts nicht nur Kinder und Küche, sondern auch die Kehilla, und damit die jüdische Tradition hinter sich.

Einen weiteren Beitrag zu dem Thema "neue jüdische Frau" leistete Ruth Abusch Magder (Maplewood) mit ihrer Untersuchung über Autorinnen jüdischer Kochbücher, die sich auf diese Weise in die jüdische Tradition und in eine deutsch-jüdische Moderne einschrieben. Sharon Gillerman (Los Angeles) wies darauf hin, wie in den eugenischen Diskursen der Weimarer Zeit innerhalb des Kreises jüdischer Experten die Reproduktionsfähigkeit der Frau zum zentralen Moment des "Jüdischseins" avancierte und die "Andersartigkeit" des jüdischen Körpers im biologischen Sinne propagiert wurde.

Miriam Gebhardt (Konstanz) zog in ihrem Beitrag über die Rolle der jüdischen Frau im Kaiserreich, die von (der ebenfalls anwesenden) Marion Kaplan (New York) vertretene These in Zweifel, im jüdischen Bürgertum seien es vor allem die Frauen gewesen, die jüdische Traditionen wahrten und weiterentwickelten und damit das Judentum modernisierten. Gebhardt löste eine lebhafte Diskussion aus, indem sie den Blick auf das von Marion Kaplan herausgegebene Buch "Geschichte des jüdischen Alltags in Deutschland. Vom 17. Jahrhundert bis 1945" (München 2003) lenkte und nach dem Stellenwert, der Interpretation und dem Quellenwert von autobiographischen Texten in Kaplans Arbeiten fragte. Alison Rose (Providence) erweiterte den Quellenkorpus in ihrem Vortrag "Inventing a ‚New Jewish Family': Gender Images in Austrian Zionism" um die Rubrik fiktionale Literatur und zeichnete die zionistische Vision einer jüdischen Familie, die gefeit sein sollte gegen Assimilation, Antisemitismus, niedrige Geburtsraten, Scheidungen und "Mischehen". In diesem "Macho-Zionismus" (Marion Kaplan) der österreichischen Zionisten steckte ein unverblümter Antifeminismus, der sich dezidiert gegen die assimilierte jüdische Frau richtete.

In der Abschlußdiskussion kamen noch einmal die von Maria Ben Baader (Halifax) entworfenen Perspektiven einer neuen "gender-sensitiven" deutsch-jüdischen Geschichtsschreibung zum Tragen. Die Kategorien "weiblich", "männlich", "jüdisch", "christlich" und "deutsch" erwiesen sich bei näherer Betrachtung in ihrer Veränderbarkeit und teilweisen Angleichung als wenig trennscharf. Wiederholt wurde nach den Überschneidungen des religiös-jüdischen Geschlechtermodells und des säkularen bürgerlichen Geschlechtermodells gefragt sowie nach dem Verhältnis der "kleinen (jüdischen) Geschichten" ("case-studies") zur Geschichte der Mehrheitsgesellschaft. In diesem Zusammenhang wurde debattiert, welche Handlungsspielräume sich dem Individuum boten, welche Rolle Konvertiten spielten und wie schließlich die beiden Narrative angemessen zusammen gefügt werden könnten, um die deutsch-jüdische Geschichte neu zu konzipieren. Karin Hausen (Berlin) forderte, die unterschiedliche Rechtssituation der Juden in den verschiedenen deutschen Territorien zu berücksichtigen und näher zu untersuchen. Steven Lowenstein (Los Angeles) mahnte an, die Vergleichsebene über die Deutschland hinaus zu erweitern und eine Langzeitperspektive zu entwickeln. Die Tagungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sprachen sich mehrheitlich für einen multiperspektivischen Zugang aus und verlangten eine genauere Untersuchung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen, Marginalisierung und Unterdrückung von Frauen und Juden in der deutschen Gesellschaft unter kritischer Hinterfragung der bislang erarbeiteten Kategorien.

Die zahlreichen Vorschläge und Anregungen der Referentinnen, Kommentatorinnen und Kommentatoren sowie weiterer Tagungsteilnehmer ließen Pläne für einen zweiten Workshop im Jahr 2005 entstehen. Eine Veröffentlichung der Tagungsbeiträge ist geplant.


Redaktion
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Deutsch
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