Tagung zur Wochenschauforschung

Tagung zur Wochenschauforschung

Organisatoren
Dirk Alt, Leibniz Universität Hannover; Hans-Peter Fuhrmann, Hamburg
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.07.2010 -
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Von
Dirk Alt, Leibniz Universität Hannover; Hans-Peter Fuhrmann, Hamburg

Bis zur allmählichen Ablösung durch das Fernsehen in den 1950er- bis 1970er-Jahren waren Kinowochenschauen das dominierende Medium zur filmischen Aktualitätenvermittlung und besaßen aufgrund ihrer Massenwirksamkeit einen besonderen politischen Stellenwert, der wohl am eindrucksvollsten in ihrer propagandistischen Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten dokumentiert ist. Während Wochenschau-Material nach wie vor in großem Umfang zur Bebilderung zeithistorischer TV-Dokumentationen verwendet wird, steht eine Erforschung ihrer Entstehung, Gestaltung und Wirkung vielfach noch aus oder ist bislang nur in Ansätzen vorhanden.

Die Tagung sollte zum einen der Orientierung über laufende Wochenschau-relevante Forschungsprojekte, zum anderen einer zukünftigen Bündelung gemeinsamer Forschungsinteressen dienen. Die ausschlaggebende Überlegung der Initiatoren Dirk Alt und Hans-Peter Fuhrmann bestand darin, dass nach der Tagung „Schuss – Gegenschuss“ (Dezember 2001 / Haus des Dokumentarfilms, Stuttgart) fast neun Jahre vergingen, bis der Wochenschauforschung mit dem thematisch ähnlich ausgerichteten Symposium der Stiftung Deutsche Kinemathek „Die Kamera als Waffe“ (September 2009, Berlin) wieder ein vergleichbares Forum gegeben wurde. Vor diesem Hintergrund bestand die Absicht, sowohl an den produktiven Diskurs des Symposiums anzuknüpfen als auch eine stärkere personelle Zusammenführung der Forschenden zu befördern. Die Tagung fand nicht-öffentlich mit einem geladenen Kreis von Gästen statt. Räumlichkeiten, Technik und weitergehende Unterstützung wurden durch das Bundesarchiv-Filmarchiv gewährt.

In seiner Begrüßungsansprache unterstrich KARL GRIEP, Leiter der Abteilung Filmarchiv des Bundesarchivs, die gesellschaftliche Relevanz der Wochenschauforschung, die er mit der allgemeinen Bedeutungszunahme audiovisueller Medien begründete. Griep hob die Gattung „Wochenschau“ als eine besondere zeitgeschichtliche Quelle hervor, deren Funktion als historisches Beeinflussungsmittel ihre kritische Erforschung erforderlich mache. Anschließend begrüßte Hans-Peter Fuhrmann die Tagungsteilnehmer/innen auch im Namen von Dirk Alt zur Eröffnung der Veranstaltung. Zunächst stellten sich die Teilnehmer/innen jeweils kurz mit ihren Tätigkeitsfeldern und ihren einschlägigen Forschungsprojekten bzw. -interessen vor. Alexander Zöller appellierte an alle Beteiligten, noch lebende, auskunftsbereite Zeitzeugen der Wochenschauproduktionsgeschichte bekannt zu geben.

Sieben Referate über noch laufende Forschungsprojekte, -ergebnisse und -perspektiven bildeten den Hauptteil der Veranstaltung. HANS-GUNTER VOIGT (Potsdam) eröffnete die Reihe der Vorträge mit Ausführungen über den von Hitler ausgezeichneten PK-Filmberichter Hans Juppenlatz, der ab Mitte der 1930er-Jahre Amateurfilme gedreht hatte, Ende 1940 zur „Propagandakompanie“ (PK) gelangte und am 31. August 1942 durch eine Mine zu Tode kam. Dabei stellte Hans-Gunter Voigt die These von Juppenlatz‘ Urheberschaft für den Farbschmalfilm aus dem Warschauer Ghetto auf, der am Rande zu offiziellen Dreharbeiten dort entstand, und berichtete, dass aufgrund der Vernichtung von Schlüsseldokumenten durch die Familie eine letzte Klärung nicht mehr möglich sei.

Anschließend stellte DIRK ALT (Hannover) ein gemeinsam mit Alexander Zöller vorbereitetes Projekt zur Erschließung des durch die Agentur Karl Höffkes (Gescher) zugänglich gemachten Filmnachlasses des PK-Filmberichters Götz Hirt-Reger vor und zeigte Ausschnitte aus dessen Privatfilmen, die unter anderem motivische Überschneidungen mit Hirt-Regers zeitgleich entstandenen Wochenschauaufnahmen dokumentieren.

GÜNTER AGDE (Berlin) trug seinen Wunsch nach einer Internationalisierung der Wochenschauforschung vor und veranschaulichte den Wert einer international vergleichenden Wochenschauforschung am Topos „Kriegsgefangene“ mittels Vorführung der sowjetischen Wochenschau (06.04.1945) von der Einnahme Königsbergs und Aufnahmen aus dem belagerten Leningrad 1941 (aus dem abendfüllenden Dokumentarfilm „Blockade“ von Sergej Loznica).

Der Einsatz von O-Ton in den frühen Tonwochenschauen stand im Mittelpunkt des Vortrags von JEANPAUL GOERGEN (Berlin), der durch zahlreiche Filmausschnitte illustriert wurde. Demonstriert wurden unterschiedliche Ausprägungen wie etwa der Wechsel von O-Ton und Kommentarsprecher mit harten Tonschnitten, daneben Varianten des Zwischentitels anstelle eines Sprechers, sowie eines ohne oder mit Tonmischung eingespielten Kommentars. Der These Jeanpaul Goergens zufolge sollte der Einsatz von O-Tönen den Authentizitätsanschein der Wochenschaubeiträge erhöhen und dabei, wie in einigen gezeigten Beispielen, eine Abbildung sozialer Realität ermöglichen. Daraus ergab sich die ausgehende Frage, wann und weshalb der O-Ton aus den Tonfilm-Wochenschauen verschwand. Die anschließende Diskussion behandelte zum einen die schrittweise Evolution der Tonfilmtechnik und ihre maßgeblichen Faktoren, zum anderen die Frage der Unterscheidbarkeit von authentischen O-Tönen und Archiv-Tönen. Ralf Forster bezog zu diesem Problem dahingehend Stellung, dass einzig die Sprachsynchronizität untrüglich den O-Ton bezeuge.

Vor der Mittagspause stellte HANS-PETER FUHRMANN (Hamburg) die „Europa-Woche“ vor und gab mittels Vorführung einer Sujetzusammenstellung einen Querschnitt durch die Themen dieses Periodikums. Diese für das europäische Ausland produzierte Wochenschau-Reihe, deren Erforschung durch den Mangel an schriftlichen Quellen erschwert und daher an eine Gesamtstudie zur DW angeschlossen werden wird, weise eine stilistische Heterogenität auf, die sich in einer „Mischstruktur“ von quantitativ überwiegenden Unterhaltungs-, ergänzenden politischen und Frontsujets niederschlage. Hier sollte anscheinend über die Ufa-Auslandstonwochen (ATW) hinaus unter dem Blickwinkel der nationalsozialistischen Europa-Propaganda der zweiten Kriegshälfte ein „gesamteuropäischer Rundblick“ geboten werden. In der anschließenden Diskussion wies Hans-Gunter Voigt auf den Parallelfall der Descheg-Monatsschau hin, die für Fremdarbeiter hergestellt wurde, über deren Auswertung aber wenig bekannt sei.

Nach der Mittagspause widmete sich RALF FORSTER (Berlin) in seinem Vortrag „Der News-Berichter an der Arriflex“ dem österreichischen Kameramann Otto Pammer, der die Österreich-Sujets für die Fox Tönende Wochenschau der Nachkriegszeit beisteuerte. Seine Ausführungen veranschaulichten die technischen und wirtschaftlichen Bedingungen, die die Wochenschau als Auslaufmodell kennzeichneten und die mit der Rationalisierung in den 1960er-Jahren zu einem vollständigen Verzicht auf den O-Ton – als die „Krone der Wochenschau“ (Ralf Forster) – führten.

Im letzten Referat der Tagesordnung bot JOACHIM PASCHEN einen Überblick über die Seminare und Übungen seiner inzwischen 20 Jahre umfassenden Lehrtätigkeit am Historischen Seminar der Universität Hamburg. Seine Zielsetzung, so erläuterte er, besteht auf zwei Ebenen: zum einen in der Vermittlung des methodischen Rüstzeugs, Filme als Quelle nutzen zu können, zum anderen in der Interpretation der Filmquelle und dem Erkennen ihres Quellenwertes, wobei die Filme fast immer einen propagandistischen Charakter haben. Dies mache ihre kritische Befragung erforderlich, etwa nach dem Verhältnis von Wirklichkeitswiedergabe und propagandistischer Absicht oder den Techniken, mit denen der Film als „Transportmittel“ hierfür eingesetzt wurde. Daneben bestehe das Ziel der Lehrveranstaltungen immer auch darin, die Kenntnisse über die dargestellten Ereignisse und ihre Hintergründe zu vertiefen.

Im nun folgenden Gespräch sollten gemeinschaftliche Forschungsperspektiven für die Zukunft, die Frage einer möglichen Vereinsgründung und der Einrichtung einer Internetpräsenz erörtert werden. Als Diskussionsgrundlage legte Dirk Alt einen Entwurf über die ideellen Ziele eines Vereins zur Wochenschauforschung vor, in dem als Forschungsgegenstand filmische Periodika der Aktualitätenberichterstattung definiert und, in Abgrenzung zum Fernsehen und den digitalen Medien, die Gebundenheit an die Auswertung im Kino hervorgehoben wurde. Als Vereinszweck wurde vorgeschlagen: die Erschließung und Erforschung überlieferter Kinowochenschauen, einschließlich Rest- und Rohmaterialien, und die Dokumentation ihrer Entstehung, Verbreitung, Rezeption, Ästhetik und politischen Funktion und der Biographien ihrer Hersteller; die Etablierung von Wochenschauen im Bewusstsein von Öffentlichkeit und Forschung sowohl als Filmgattung wie auch als historische Quelle; die Vermittlung von Wochenschauen durch öffentliche Filmvorführungen und historisch-kritische Editionen auf DVD.

In der gebotenen Form fand sich unter den Teilnehmern für dieses Konzept jedoch ebenso wenig eine Mehrheit wie für das von Karl Stamm ins Gespräch gebrachte Projekt einer passwortgeschützten Online-Datenbank, die als gemeinsame Sammelstelle von Dokumenten und Informationen konzipiert sein sollte.

Strittig war zunächst eine sinnvolle thematische und zeitliche Abgrenzung. Ralf Forster plädierte dafür, auch die Fernsehberichterstattung in die Forschung einzubeziehen. Während Hans-Peter Fuhrmann darauf beharrte, den Forschungsgegenstand auf für die Kinovorführung produzierte 35-Millimeter-Wochenschaufilme zu begrenzen, sprach sich Karl Stamm dafür aus, auch Formate wie etwa den von der Deutschen Wochenschau GmbH für die Bundesregierung hergestellten „Deutschlandspiegel“, der in 16-mm-Kopien über die Goethe-Institute in aller Welt vertrieben wurde, zu berücksichtigen. Roel Vande Winkel stellte die Frage, ob eine Beschränkung auf das Produktionsland Deutschland erfolgen solle, worauf Dirk Alt und Hans-Peter Fuhrmann als Antwort den Wunsch äußerten, eine solche Beschränkung nicht vorzunehmen, jedoch eine Konzentration auf deutsche Bezüge der auslandsorientierten Wochenschauforschung vorzunehmen. Joachim Paschen und Ralf Forster verwiesen darauf, dass zum Zweck von Quellenerschließungen Kontakte zu Filmarchiven und filmhistorischen Einrichtungen wie dem Bundesarchiv, der Deutschen Wochenschau GmbH, Hamburg, oder der DEFA-Stiftung hergestellt bzw. vertieft werden müssten. Dazu bot Karin Kühn seitens des Bundesarchivs die Bereitstellung von Sachmitteln wie eines Tagungsraumes oder die Benutzung von Schneidetischen zu Sichtungszwecken an.

Von verschiedenen Seiten wurde der Vorschlag für den Versuch eingebracht, die Wochenschauen zum Thema einer Kongressveranstaltung zu machen, etwa, so der Vorschlag Ralf Forsters, auf dem CineGraph-Kongreß oder, wie Jeanpaul Goergen anregte, im Haus des Dokumentarfilms. Kay Hoffmann kündigte an, die Möglichkeit hierfür zu prüfen.

Abschließend wurde von den Teilnehmern beschlossen, auf diese erste Tagung eine zweite folgen zu lassen, für die als Zeitpunkt zunächst Frühjahr 2011 in Aussicht genommen ist. Die Referate der ersten Tagung haben erneut sowohl den nach wie vor erheblichen Forschungsbedarf als auch den enormen Facettenreichtum der mindestens sechs Jahrzehnte umspannenden Wochenschaugeschichte unter Beweis gestellt.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch Karl Griep und Hans-Peter Fuhrmann

Hans-Gunter Voigt: Der PK-Filmberichter Hans Juppenlatz

Dirk Alt: Projekt einer Erschließung des Filmnachlasses Götz Hirt-Reger

Günter Agde: Überlegungen zu einer Erweiterung der Wochenschauforschung auf die Wochenschau-Reihen des Auslandes für den Zeitraum 1933–1945

Jeanpaul Goergen: O-Ton-Einsatz in Wochenschauen der frühen Tonfilmzeit

Hans-Peter Fuhrmann: Die „Europa-Woche“ (1943–1945). Zwei Wochenschaustile in einer Wochenschau-Reihe

Ralf Forster: Der News-Berichter an der Arriflex – Beobachtungen zu Abhängigkeiten von Technik, Logistik und Ästhetik anhand der Österreich-Beiträge von Otto Pammer für die Fox Tönende Wochenschau 1950–1974

Joachim Paschen: Lehrerfahrungen mit dem Thema „Wochenschau“ in Übungen und Seminaren der Universität Hamburg

Zur Diskussion: Vorschlag der Gründung eines Vereins zur Wochenschauforschung / Gemeinschaftliche Datenbank / Internet-Präsenz

Zusammenfassung der Tagungsergebnisse, Ausblick


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