Neues aus dem Mittelalter

Neues aus dem Mittelalter

Organisatoren
Tanja Skambraks, Universität Mannheim
Ort
Mannheim
Land
Deutschland
Vom - Bis
11.06.2010 - 12.06.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Annika Radtke, Katholisch-Theologische Fakultät, Universität Bonn

Am 11. und 12. Juni 2010 fanden an der Universität Mannheim die 4. Mannheim-Heidelberger Nachwuchsgespräche „Neues aus dem Mittelalter“ statt. Seit 2004 bietet diese Veranstaltung alle zwei Jahre interessierten Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen die Möglichkeit ihre Dissertations- und Habilitationsprojekte in einem größeren Forum von diesmal über 30 Personen vorzustellen und die Gelegenheit zum Austausch sowie zur Diskussion zu nutzen.

Nach der Begrüßung durch TANJA SKAMBRAKS von der Universität Mannheim, eröffnete DANIEL LIZIUS (Münster) die Reihe der Vortagenden mit der Vorstellung seines Dissertationsprojektes „Von der Schwertleite zum Ritterschlag – Ritterliche Initiationsrituale im Wandel“. Im Rahmen seiner Arbeit widmet er sich dem bislang vernachlässigten Thema der mittelalterlichen Ritualforschung, nämlich der Ritterpromotion und dem Wandel, dem sie in Form und Funktion im hohen- und späten Mittelalter unterworfen war. Im Zentrum seiner Untersuchungen steht der Adel, der als Träger der Ritterschaft eine heterogene Gruppe bildete und in dessen Umfeld die Ritterpromotion sowohl als Initiationsritus diente als auch Inklusions- und Exklusionsmechanismen verdeutlichen könne. So könne ein Wandel nicht nur im Ritual selber, sondern auch bei den Akteuren und den örtlichen sowie zeitlichen Gegebenheiten eine Änderung im Selbstverständnis des Rittertums zum Ausdruck bringen. Neben dieser Analyse der Selbst- und Fremdimagination befasste sich Daniel Lizius mit den sich wandelnden Aufgaben der Handelnden, mit der „Idee des Ritters“ und seiner Funktion.

Direkt an Teilaspekte anknüpfen konnte UTE KÜHLMANN (Mannheim/Dublin) in ihrem Vortrag „Celtic Fosterage – Pflegekindschaft als erfolgreiche Form der Herrschaftssicherung“, womit sie einen Teilbereich ihrer Dissertation mit dem Arbeitstitel „Pflegekindschaft: Erziehung in der Fremde als vormoderne Sozialisation- und Bündnisform“ vorstellte. Da die Pflegekindschaft im altirischen Recht und in der reichen Überlieferung irischer Sagen, Annalen, Viten, Gedichte und Mythen einen großen Raum einnimmt, könne aus diesen Quellen ein Einblick in die soziale Praxis der Pflegekindschaft gewonnen werden. Besonderen Fokus legte die Referentin auf die durch Pflegekindschaft hergestellten Bündnisse, Freundschaften und Gemeinschaften sowie auf die strategische Bedeutung dieser Erziehungspraxis im Rahmen der Herrschafts- und Machtkonsolidierung.

Aus ihrem Dissertationsvorhaben „Arbeitsunfähigkeit im Spätmittelalter. Ursachen und Folgen der Berufsunfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung am Beispiel städtischer Handwerker im norddeutschen Raum“ präsentierte IVETTE NUCKEL (Bremen) den Themenbereich „Grubensicherheit im spätmittelalterlichen Bergbau“. Hierbei ging sie nicht nur auf die verschiedenen Tätigkeiten und deren Besonderheiten in Bezug auf Arbeitsbelastung und Schutzkleidung im Umfeld des Bergbaus ein, sondern auch auf die mannigfachen Gefahren, die den Arbeitern untertage drohten sowie die Versuche sich davor zu schützen. Da der Bergbau immer schon ein besonders unfallträchtiges Arbeitsumfeld darstellte, beschäftigten sich nicht nur mittelalterliche Gelehrte wie Agricola, Paracelsus und Ulrich Ellenborg mit seinen Auswirkungen auf Leben und Gesundheit der Menschen, sondern auch die Betroffenen selber versuchten beispielweise durch Bergordnungen, in denen Bestimmungen zur Grubensicherheit festgehalten wurden, Vorsorge zu treffen oder sich im Falle einer Invalidität durch die Gründung von Solidargemeinschaften (Bergbruderschaften) abzusichern.

Ins Münsterland des späten 15. und frühen 16. Jahrhundert führte KATJA RAHE (Osnabrück) die Zuhörer mit der Vorstellung ihres Dissertationsprojektes „Das Beziehungsgeflecht des westfälischen Frauenklosters Vinnenberg im Mittelalter und in der frühen Neuzeit“. Auch wenn Vinnenberg keine überregionale Bedeutung erlangte, so biete es doch eine außerordentlich gute schriftliche Überlieferung. Im Zentrum des Projektes steht das erste von mehreren erhaltenen Rechnungsbüchern, in welchem die Einträge der Jahre 1499 bis 1517 enthalten sind. Ergänzend hinzugezogen wird die reiche Urkundenüberlieferung von 480 Diplomen aus den Jahren 1265 bis 1782 und 165 Akten von 1336 bis 1810. Anhand dieser Quellen sollen die geographischen, sozialen und wirtschaftlichen Aktionsräume des Klosters erarbeitet werden, um dann in einem zweiten Schritt mit den Personen und Institutionen, mit denen das Kloster in Kontakt stand, in Beziehung gesetzt zu werden. Das darin erkennbare Beziehungsgeflecht, mit dem sich das Kloster umgab, kann des Weiteren auf seine Beständigkeit und seine soziale Wirksamkeit untersucht werden. Die akribischen Eintragungen über eingegangene Gaben und Ausgaben lassen Rückschlüsse auf die Stabilität eines solchen Beziehungsnetzes zu, wie die Referentin erläuterte.

Geographisch in einer vollkommen anderen Region angesiedelt ist das Projekt von ANNA KATHARINA ANGERMANN (Heidelberg), die es sich mit ihrer Dissertation zu „‘Sarazenen‘ und ‘Franken‘ – Die Verquickung von Religion, Handel und Politik am Beispiel des Überfalls auf Alexandria 1365 und seine Nachwirkungen“ zur Aufgabe gemacht hat, die sozialen Konstellationen verschiedener Gruppen unter der Herrschaft der Mamluken zu untersuchen. Anhand eines Vergleiches arabischer und europäischer Quellen nahm die Referentin das Beziehungsnetz der heterogenen Bevölkerung, bestehend aus Muslimen verschiedener Herkunft, handeltreibender ausländischer Christen und Juden sowie der einheimischen christlichen und jüdischen Bevölkerung, in den Blick und beleuchtete dessen fragile Koalitionen und Koexistenz unter der zyprischen Vorherrschaft im innerlich zerrütteten Mamlukenreich. Hierbei diente der Überfall auf Alexandria 1365 als Ausgangspunkt, da er diese (stillen) Abmachungen in Frage stellte.

Der Samstagvormittag begann mit dem Werkstattbericht von THOMAS SCHWITTER (Bern), der sich einem historiographischem Thema „Erinnerung im Umbruch - Untersuchung zu Entstehung, Verwendung und Wirkung höfischer Chroniken im Frankreich des 15. und frühen 16. Jahrhundert am Beispiel der Grandes Chroniques de France“ widmete. Dieses Werk, das bereits kurz nach Einführung des Buchdruckes als erstes auf Französisch publiziertes Buch auf den Markt kam, wandte sich an ein breites Publikum, welches zwar als lesefähig, aber nicht unbedingt akademisch gebildet einzustufen sei. Die Chronik trug nicht unerheblich zur nationalen Identitätsbildung in Frankreich bei. Thomas Schwitters Untersuchung zu den Unterschieden in der Textgestalt bezieht sich auf handschriftliche und gedruckte Editionen der Jahre 1380 bis 1461. Forschungen zur Rezeption, Intention der Auftraggeber und der von den Verlegern beabsichtigten Wirkung, besonders im Hinblick auf die damals aktuellen Ereignisse des Hundertjährigen Krieges, ergänzen den Blick auf die verschiedenen Ausgaben der Grandes Chroniques de France. Damit werde eine Lücke in der Rezeptions- und Transformationsgeschichte des Werkes geschlossen. Des Weiteren verspreche dieses Vorgehen neue Erkenntnisse bezüglich des Fragenkomplexes zum Umgang der Menschen mit dem neuen Medium Buch und dem Erwerb der entsprechenden Medienkompetenz.

Den Hundertjährigen Krieg unter einem anderen Gesichtspunkt betrachtete CHRISTOPH MAUNTEL (Heidelberg) mit seiner geplanten Dissertation „Vom Umgang mit Gewalt – Darstellung, Wahrnehmung und Legitimierung von Gewalt während des Hundertjährigen Krieges“. Er erarbeitet aus verschiedenen historiographischen Quellen Wahrnehmungs- und Bewertungskriterien zur Charakterisierung von Gewalt in verschiedener Form und untersucht, welche Moralvorstellungen, Legitimationen und Strategien notwendig waren, um verübte Gewalt zu rechtfertigen oder zu verurteilen. Anhand dieser Kriterien solle ein tiefgreifender Wandel in der Gesellschaft belegt werden, der sich unter anderem an einer Veränderung überkommener Verhaltenscodices, beispielsweise der Bitte um Gnade als Gewaltvermeidungsstrategie, zeige.

Der Beitrag von KATHARINA ULRIKE MERSCH (Göttingen) „Omnis sapientia a domino deo est – Bildungsideale in reformierten und unreformierten Frauenkonventen des 12. Jahrhunderts“ stellte einen Auszug aus ihrer Dissertation mit dem Titel „Soziale Dimensionen visueller Kommunikation in den Frauenkommunitäten des Hoch- und Spätmittelalters – Stifte, Chorfrauenstifte und Klöster im Vergleich“ dar, mit der sie im April 2010 promoviert wurde. Die Kanonikerreform des 12. Jahrhunderts hatte besonders in Sachsen und im Elsass zu einem Aufschwung der theologischen Bildung in den Frauenkonventen geführt, die unter anderem zur Entwicklung eines bestimmten Bildertyps beitrugen. Mit diesem wurden Bildungsideale repräsentiert und transportiert. Am Beispiel zweier Bildwerke, dem Quedlinburger Hochzeitsteppich (um 1200, St. Servatius in Quedlinburg) und dem Hortus Deliciarum (1170/80, St. Odilia in Hohenburg) stellte Katharina Mersch dar, dass neben theologischem auch philosophisches Gedankengut in den Konventen präsent war und es vor allem neben der Kanonikerreform noch andere Instanzen gab, die die Frauen zur Auseinandersetzung mit Bildungsinhalten anregten.

„Weibliche Heilige im Mittelalter – Förderkreise und Netzwerke“ lautet der Titel des Dissertationsprojekts von ANDREA HAUFF (Tübingen). Sie analysiert Förderkreise, Netzwerke und Personenverbände am Beispiel heilig oder selig gesprochener Frauen aus den Familien der Přemysliden, Piasten, Arpaden und der Andechs-Meranier. Anhand einzelner Frauen aus diesen miteinander verschwägerten Familien untersucht Andrea Hauff nicht nur Form und Ablauf des Kanonisationsverfahrens im Hochmittelalter, sondern auch das Verhältnis von Adel, Staatlichkeit und Kirche. Hierbei spiele der doppelte Familieneinfluss der Frauen eine Rolle, den sie sowohl aus ihrer Herkunfts- als auch in ihrer Gattenfamilie hatten. Aus diesen Ergebnissen erarbeitet Hauff die fördernden bzw. hemmenden Einflussfaktoren im Kanonisationsprozess und in einem weiteren Schritt Konzepte weiblicher Heiligkeit.

JAN HILDEBRANDs (Münster) Vortrag „Plurima sub falso tegmine vera latent – Aspekte karolingischer Mytherezeption“ brachte dem Auditorium die doppelte Strategie des Umgangs christlicher Autoren mit der paganen Religion nahe. Zum einen wurden die Götter der Antike dämonisiert, zum anderen dienten sie in einigen Texten, allegorisch umgedeutet, zur Verherrlichung des Protagonisten und als Beleg des dichterischen Könnens sowie der Gelehrsamkeit des Autors. Als Teilaspekt des Dissertationsprojekts „Mythendiskurse in der karolingischen Gesellschaft“ konzentrierte sich Hildebrand an dieser Stelle auf die destruktiven Varianten der Mythendeutung frühmittelalterlicher Autoren basierend auf Augustinus´ Konzept der Superstition. Die dämonisierende Deutung der antiken Götter diente zur Erklärung der Existenz heidnischer Praktiken und legitimierte deren Verfolgung. In der Superstitionsliteratur wurde der antike Mythos zum Symbol der heidnisch-dämonischen Gegenwelt. Diese Auslegung bildete zusammen mit der gelehrt-allegorischen Form der Mythenrezeption die Grundlage für den Umgang mit paganen Traditionen in der Karolingerzeit, so Hildebrand.

Im letzen Beitrag stellte JAN-HENDRYK DE BOER (Göttingen) die Frage „Wie entsteht eine Ordnung der Wirklichkeit? Überlegungen zu Dimensionen des Humanismus im Heiligen Römischen Reich.“ Er verstehe das Verhältnis von Scholastik und Humanismus im Heiligen Römischen Reich Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts als Konflikt zweier Wirklichkeitsordnungen, aus dem sich der Humanismus nahezu eruptiv etabliert hat. Dies geschah allerdings erst nach dem Konflikt, den Johannes Reuchlin über Polemik und die Nutzung verschiedener Publika mit den Kölner Theologen austrug. Vor diesem Konflikt beschrieb der Referent den Humanismus als einen Teil der, von der Scholastik bestimmten und universitär verfassten, Ordnung. Dass dieser Streit nicht mehr mit den etablierten Methoden der Konfliktlösung beigelegt werden konnte, habe seine Ursache in dem spannungsreichen Verhältnis von Glauben und Wissen, welches von den Beteiligten unterschiedlich konzeptioniert war. Diese Konflikte deuteten auf die Reformation hin.

Die Tagung zeichnete sich durchweg durch fruchtbare und anregende Diskussionen aus. Dabei bot sie einen inhaltlich breit gefassten Querschnitt laufender Forschungsprojekte und spiegelte somit die Vielfalt der derzeit laufenden Dissertationsvorhaben in der Mediävistik des deutschsprachigen Raumes wider. Auch die diesjährigen Nachwuchsgespräche zeigten den Erfolg des Formates als thematisch übergreifende Veranstaltung mit einer offenen Gesprächskultur. Auf eine Fortsetzung von „Neues aus dem Mittelalter“ in zwei Jahren in Heidelberg darf gehofft werden.

Konferenzübersicht:

Begrüßung durch Tanja Skambraks (Mannheim)

1. Sektion
Moderation: Carla Meyer (Heidelberg)

Daniel Lizius (Münster):
Von der Schwertleite zum Ritterschlag. Ritterliche Initiationsrituale im Wandel

Ute Kühlmann (Mannheim/Dublin):
Celtic Fosterage. Pflegekindschaft als erfolgreiche Form der Herrschaftssicherung

2. Sektion
Moderation: Julia Bruch (Mannheim)

Ivette Nuckel (Bremen):
Grubensicherheit im spätmittelalterlichen Bergbau

Katja Rahe (Osnabrück):
Das Beziehungsgeflecht des westfälischen Frauenklosters Vinnenberg im Mittelalter und der frühen Neuzeit

Anna Angermann (Heidelberg):
„Sarazenen“ und „Franken“ – die Verquickung von Religion, Handel und Politik am Beispiel des Überfalls auf Alexandria 1365 und seinen Nachwirkungen

3. Sektion
Moderation: Daniel Wimmer (Mannheim)

Thomas Schwitter (Bern):
Erinnerung im Umbruch: Untersuchungen zu Entstehung, Verwendung und Wirkung höfischer Chroniken im Frankreich des 15. und frühem 16. Jh. am Beispiel der „Grandes Chroniques de France“

Christoph Mauntel (Heidelberg):
Vom Umgang mit Gewalt. Darstellung, Wahrnehmung und Legitimierung von Gewalt während des Hundertjährigen Krieges

4. Sektion
Moderation: Tanja Skambraks (Mannheim)

Katharina Mersch (Göttingen):
Omnis sapientia a domino deo est - Bildungsideale in reformierten und unreformierten Frauenkonventen des 12. Jahrhunderts

Andrea Hauff (Tübingen):
Weibliche Heilige im Mittelalter. Förderkreise und Netzwerke

5. Sektion
Moderation: Andrea Briechle (Heidelberg)

Jan Hildebrand (Münster):
Plurima sub falso tegmine vera latent - Aspekte Karolingischer Mythenrezeption

Jan-Hendryk de Boer (Göttingen):
Wie entsteht eine Ordnung der Wirklichkeit? Überlegungen zu Dimensionen des Humanismus im Heiligen Römischen Reich


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