Bewahren und Anfassen. 20. Bundesweite Tagung der Volontärinnen und Volontäre an Museen, Gedenkstätten und in der Denkmalpflege

Bewahren und Anfassen. 20. Bundesweite Tagung der Volontärinnen und Volontäre an Museen, Gedenkstätten und in der Denkmalpflege

Organisatoren
Arbeitskreis Volontariat
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
26.03.2010 - 28.03.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Julia Pattis, Deutsche Kinemathek, Berlin

Mit dem Thema 'Bewahren und Anfassen' widmete sich die 20. Bundesweite Tagung der Volontärinnen und Volontäre einem zentralen Konflikt der Arbeit in Museen, Gedenkstätten und in der Denkmalpflege. Von den Kernaufgaben 'Sammeln, Bewahren, Forschen und Vermitteln' wird von der Öffentlichkeit vor allem letzteres, das 'Ausstellen', wahrgenommen – und eingefordert. Möglich wird das Ausstellen jedoch nur durch das kontinuierliche Forschen und Sammeln seitens der Kuratoren sowie das Bewahren und Sichern durch die Restauratoren und Denkmalpfleger. Diese Personengruppen müssen über das aktuelle Ausstellungsgeschehen hinaus zudem auch für die Erhaltung der Kulturgüter sowie die Weitergabe der Forschungsergebnisse an die Nachwelt sorgen – eine Aufgabe, die mitunter konträr zu Ausstellungswünschen steht und in wesentlich geringerem Maße im öffentlichen Bewusstsein verankert ist. Auf der Tagung berichteten Volontärinnen und Volontäre über die Auseinandersetzung mit diesem Konflikt in ihren Institutionen, stellten Ansätze zum Umgang mit den Widersprüchen vor und berichteten von eigenen Forschungsergebnissen. Ergänzt wurde das Programm durch Vorträge von Expertinnen und Experten, die aus ihrem Arbeitsalltag berichteten.

Das mit etwa 200 Teilnehmern gut besuchte Symposium setzte die Reihe der Bundesvolontärstagungen fort, die seit 1991 jährlich von Volontären in Eigenverantwortung organisiert und durchgeführt werden. Die Tagungen dienen neben der wissenschaftlichen Fortbildung auch dem intensiven Erfahrungsaustausch über die Museumsgattungen hinweg, zudem findet dort die Jahresvollversammlung des AK Volontariat statt.

Was bewahren – und warum?
Der grundsätzlichen Frage, was überhaupt als bewahrenswert eingestuft wird, und welchen Wert das Bewahrte darstellt, gingen zwei Volontärinnen nach: STEPHANIE EDLMANN (München) widmete sich dem wenig beachteten Thema des Umgangs mit historischen Elektroinstallationen. Sie erläuterte nicht nur deren technikgeschichtliche, sondern auch kulturelle Bedeutung und schärfte so den Blick der Teilnehmenden für diese meist unauffälligen Zeugen der Geschichte in Schlössern und anderen historischen Gebäuden.

KATRIN SPECHT (Berlin) stellte den Sammlungsbestand der Naga des Ethnologischen Museums Berlin vor und erläuterte die Bedeutung der Objekte für das einstige kulturelle Selbstverständnis dieser im Nordosten Indiens lebenden Ethnie. Da in Nagaland heutzutage kaum noch vergleichbare Artefakte vorhanden sind, stellen die Sammlungen in der westlichen Welt eine wichtige Möglichkeit für die Naga dar, sich mit ihrer eigenen Geschichte auseinander zu setzen, erläuterte Specht.

Digitalisierung und Internet – Chance und Herausforderung für die Sammlungen
Neue Möglichkeiten, Archiv- und Sammlungsbestände zu bewahren, sichtbar und weltweit nutzbar zu machen, bieten Digitalisierung und Veröffentlichung im Internet. Diese neuen Technologien tragen zwei zentrale Versprechen in sich: die Überwindung des materiellen Verfalls und grenzenlose Zugänglichkeit. Dass sich dies in der Praxis nur schwer umsetzen lässt, zahlreiche finanzielle, rechtliche und technische Fragen noch offen sind, ist schnell ersichtlich und den Volontärinnen und Volontären aus der Arbeit in den Sammlungen und Archiven bekannt.

ANNABELLE HORNUNG und KATRIN PETERSEN (Frankfurt am Main) plädierten in ihrem Vortrag ausdrücklich für die virtuelle Öffnung des Depots, die zur Sensibilisierung einer breiten Öffentlichkeit für die Tätigkeiten des Sammelns, Bewahrens und Forschens führen kann – den Aufgaben des Museums, die in wesentlich geringerem Maße als die publikumswirksamen Ausstellungen im öffentlichen Bewusstsein verankert sind.

BRIGITTE REINEKE (Berlin), Leiterin der Zentralen Dokumentation des Deutschen Historischen Museums Berlin (DHM), stellte die Datenbank GOS vor, die bereits seit 1991 vom DHM genutzt wird. Heute umfasst die interne Datenbank über 460.000 Datensätze, von denen ein Großteil in der größten Internet-Objektdatenbank Deutschlands öffentlich zugänglich ist. Die Datenbank dient darüber hinaus als Verwaltungsinstrument für Restauratoren, Ausstellungsplaner und Kuratoren.

Präventive Konservierung
Die präventive Konservierung gewinnt seit den 1990er-Jahren zunehmend an Bedeutung. WULF ECKERMANN (Potsdam), Referatsleiter in der Abteilung Restaurierung, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, skizzierte das relativ junge Arbeitsfeld, das durch Maßnahmen zur Verbesserung der Umgebungsbedingungen Schäden an Objekten (unter anderem durch Licht, Klima und Schadstoffe) verhindern soll, bevor sie entstehen.

Neben Fragen der Präsentation und der langfristigen Lagerung von Objekten ist auch der Transport ein zentrales Thema in der präventiven Konservierung, dem sich mit HANS-EWALD SCHNEIDER (Köln) und ANNE STEINBEIS (München) gleich zwei Vorträge widmeten. Hans-Ewald Schneider, Geschäftsführer der Firma hasenkamp, erläuterte am Beispiel des Transports der Bernwardsäule in Hildesheim die Regeln und Standards für sichere Kunsttransporte und machte zugleich deutlich, dass sich die Einzigartigkeit von Kulturgut mit normierten Parametern meist nicht erfassen lässt. Anne Steinbeis stellte den Leihverkehr und seinen Ablauf innerhalb der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen vor. Sie machte sich für eine stärkere Einbindung der Restauratoren im Leihverkehr stark, plädierte jedoch vor allem für eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Funktionsträger mit ihrem spezifischen Aufgabenschwerpunkt: Nur im Austausch von Kuratoren und Restauratoren ließe sich ein gesundes Gleichgewicht zwischen Bewahren und Zeigen herstellen.

Aspekte des komplexen Systems von Kulturgüterschutz, die weit über den Alltag eines Volontärs hinausgehen, stellte STEFAN SIMON (Berlin), Direktor des Rathgen-Forschungslabors, vor: Schilderungen von Plünderungen von Ausgrabungsstätten, illegalem Kunsthandel und Naturkatastrophen wie Erdbeben und Überschwemmungen führten den Teilnehmern vor Augen, wie wichtig Sicherheitsvorkehrungen, Notfallplanung und Katastrophenschutz sind; unter Umständen können damit Schädigungen, Verluste und unnötiges Chaos verhindert werden.

Strategien des ‘richtigen’ Anfassens: Ausstellungs- und Vermittlungskonzepte
JULIA MARIA SCHRAMM (Elmshorn), PHILIPP AUMANN (Tübingen), Katrin Petersen und Annabelle Hornung stellten unterschiedliche Methoden vor, um gängige Barrieren im Museum abzubauen und die Besucher so nahe wie möglich an die Objekte heranzuführen: Hands-on-Stationen, die deutliche Kennzeichnung von ‘Anfass-Objekten’ und die Nachbildung von Nutz-Objekten für die Museumspädagogik ermöglichen dem Besucher durch Anfassen und Mitmachen einen sinnlicheren Zugang zu den Exponaten. Dieser Kontakt zu den Ausstellungsgegenständen kann zusätzlich durch sogenannte ‘Scouts’ erleichtert werden, die neben der klassischen Aufsichtspflicht in erster Linie aktiver Dialogpartner für die Besucher sind. Gute Erfahrungen hat man im Museum für Kommunikation in Frankfurt auch mit Führungen durch das Depot gemacht, die im Zuge des Museumstages Hunderten von Besuchern Zutritt zu der Sammlung gewähren.

Ein starkes Votum für das Anfassen ist aus konservatorischen Gesichtspunkten durchaus streitbar und muss sich oft dem Vorwurf der ‘Disneyfizierung’ oder ‘Eventisierung’ aussetzen. Doch die Öffnung der Archive und haptische Erlebnisse im Museum können zu einer langfristigen Identifikation mit dem Museum sowie dessen Sammlung führen.

STEFFEN MAYER (Berlin) wies zudem auf einen zusätzlichen Aspekt des ‘richtigen’ Zeigens von Objekten hin: In ethnologischen Museen und anderen interkulturellen Zusammenhängen werden vielfach Gegenstände indigener Kulturen gezeigt, die ursprünglich religiöse oder ideelle Funktionen erfüllten. Da diese aus Sicht der indigenen Gruppen nicht zur Ausstellung im Museum oder gar zur Bewahrung bestimmt sind, wirft der Umgang mit solch sensiblen Beständen komplexe Fragen auf.

Fazit
Auf der Tagung wurden aktuelle Herausforderungen wie Digitalisierung und Internet angesprochen und neue Besucher- und Vermittlungskonzepte präsentiert. Strategien der präventiven Konservierung wurden vorgestellt und gegenwärtige Entwicklungen diskutiert, wie etwa der rege Betrieb von Wechselausstellungen und Events und die damit einhergehende Belastung für die Objekte. Das Zusammenkommen von Fachleuten, Volontärinnen und Volontären aus unterschiedlichen Disziplinen ermöglichte die Beschäftigung mit den veränderten Ansprüchen an die Museen aus verschiedenen Perspektiven – Themen, die die Volontärinnen und Volontäre auf ihrem Berufsweg begleiten werden. Das Treffen war von einer freundlichen, offenen Atmosphäre geprägt, die auch auf die Gastfreundschaft der Staatlichen Museen zu Berlin zurückzuführen war. Der feierliche Abendempfang im Bodemuseum und das vielfältige Exkursionsprogramm boten neben den Kaffeepausen hinreichend Gelegenheit zum Austausch und Kontakteknüpfen.

Die nächste Bundesvolontärstagung wird 2011 erstmals außerhalb der großen Städte ausgerichtet: in Albstadt und Umgebung wird man sich vom 8. bis 10. April mit dem Thema 'Peripherie und Zentrum' nicht nur theoretisch auseinandersetzen, sondern es hautnah erleben können. Bei Anregungen und Fragen kann man sich unter Bundesvolotagung2011@googlemail.com an das Organisationsteam wenden.

Konferenzübersicht:

Brigitte Reineke (Deutsches Historisches Museum, Berlin): Objektdokumentation mit GOS in der Stiftung Deutsches Historisches Museum – Herausforderungen und Anwendungen

Hans-Ewald Schneider (hasenkamp, Köln): Bewahren am Beispiel der Bernwardsäule in Hildesheim

Anne Steinbeis (Doerner-Institut, München): Bewegte Kunst: Von der Leihanfrage bis zur Ausstellung

Stefan Simon (Rathgen-Forschungslabor, Staatliche Museen zu Berlin): Trügerische Sicherheit. Kulturguterhaltung zwischen Gut und Böse

Stephanie Edlmann (Bayerisches Nationalmuseum, München): Des Kaisers neue Kabel. Historische Elektroinstallationen als denkmalpflegerische Aufgabenstellung

Wulf Eckermann (Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Potsdam): Präventive Konservierung in der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg

Julia Maria Schramm (Industriemuseum Elmshorn): Das Berühren der Figüren ist geboten. Ein Erfahrungsbericht und ein Plädoyer für das haptische Erleben im Museum

Katrin Petersen/Annabelle Hornung (Museum für Kommunikation, Frankfurt am Main): (Post-)Museum Sammeln versus Anfassen? Ein befruchtender Widerspruch am Fallbeispiel des Museums für Kommunikation Frankfurt

Philipp Aumann (Museum der Universität Tübingen): Körperausstellung ohne Körper. Haptik in der Ausstellung „KörperWissen. Erkenntnis zwischen Eros und Ekel“

Katrin Specht (Ethnologisches Museum Berlin): Bewahren – für wen? Die Naga-Sammlung des Ethnologischen Museums Berlin

Steffen Mayer (Ethnologisches Museum Berlin): Zum „richtigen Anfassen“ von besonderen Objekten


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