Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte. 2. Internationale Tagung zur Historischen Diskursanalyse

Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte. 2. Internationale Tagung zur Historischen Diskursanalyse

Organisatoren
Franz X. Eder, Universität Wien; Achim Landwehr, Universität Düsseldorf; Jürgen Martschukat, Universität Erfurt; Philipp Sarasin, Universität Zürich; Organisation: Philipp Sarasin / Peter-Paul Bänziger / Mirjam Bugmann / Pascal Germann, Universität Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
27.05.2010 - 29.05.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Pascal Germann, Forschungsstelle für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Universität Zürich

Neben Thomas S. Kuhns Konzeption von Paradigmenwechseln und Ludwik Flecks Reflexionen über die Konstruktion wissenschaftlicher Tatsachen gehörte Foucaults Archäologie der Wissenssysteme zweifellos zu den wichtigsten theoretischen und methodischen Impulsgebern der neuen Wissenschaftsgeschichte. Dennoch – so lautete die Ausgangsthese der Veranstalter der Tagung – scheint die Hochkonjunktur der Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte vorbei zu sein. Wiewohl das Foucaultsche Vokabular kaum mehr aus der kulturwissenschaftlich orientierten Wissenschaftsgeschichte wegzudenken ist, so ist in den beiden letzten Jahrzehnten doch selten der Anspruch formuliert worden, die historische Diskursanalyse als gewinnbringende Methode in der Wissenschaftsgeschichte einzusetzen.

Warum scheint die Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte an Attraktivität verloren zu haben? Ist sie angesichts von neueren methodologischen und konzeptionellen Ansätzen des practical turn und des iconic turn schlicht überholt? Oder lassen sich neue Formen der historischen Diskursanalyse entwickeln, die die heutigen auf die lokalen Bedingungen und Praktiken der Wissenserzeugung ausgerichteten Ansätze zu ergänzen, modifizieren oder kritisieren vermögen? Solchen Fragen ging die Tagung in Zürich nach, die eine letztes Jahr in Düsseldorf zum Thema „diskursiver Wandel“ beginnende Konferenzreihe zur historischen Diskursanalyse fortsetzte. Im Zentrum der Tagung standen Referate, die aus laufenden oder abgeschlossenen Forschungsprojekten berichteten. Sie führten aus unterschiedlichen Perspektiven vor, wie mit diskursanalytischen Konzepten in der Wissenschaftsgeschichte empirisch gearbeitet werden kann.

PHILIPP SARASIN (Zürich) ging in seinem Einleitungsreferat auf Herausforderungen der Diskursanalyse im Feld der Wissenschaftsgeschichte ein. Neueren wissenschaftshistorischen Ansätzen – explizit nannte er Latours Akteur-Netzwerk-Theorie sowie Rheinbergers Untersuchung von Experimentalsystemen – sei es gelungen, näher an die Orte und Praktiken der Wissenserzeugung heranzurücken, als dies Diskursanalysen vermochten. Sarasin kritisierte indessen, dass die Fixierung auf Dinge und lokale Praktiken die symbolische Dimension der Wissensproduktion zu sehr ausblende. Wissenschaftliche Praktiken seien immer auch durch kulturelle Wissensordnungen geformt und wissenschaftliche Diskurse sowie Elemente aus der Alltagssprache würden auch bei der Beschreibung des Neuen im Labor eine konstitutive Rolle spielen.

Die erste Sektion widmete sich Grundfragen der Diskursanalyse. ROBERTO NIGRO (Zürich) behandelte in seinem Beitrag das Verhältnis von Sagbarem und Sichtbarem in der Foucaultschen Diskursanalyse. Das Sichtbare lasse sich gemäss Foucault nicht vollständig sprachlich darstellen. Einerseits produziere die Sprache einen Bedeutungsüberschuss, der keine repräsentative Funktion einnehme. Andererseits enthalte der Blick etwas, das sich der Sprache entziehe. Foucault interessierte sich für die historischen Schnittstellen, an welchen sich das Verhältnis zwischen Sagbarem und Sichtbarem wandelte. Der Beitrag blieb nahe an den Texten Foucaults, eröffnete aber insofern für die Wissenschaftsgeschichte interessante Forschungsperspektiven, als dem Blick eine Leitfunktion in der wissenschaftlichen Forschung zukommt.

MAXIMILIAN SCHOCHOW (Leipzig) setzte sich in seinem Referat mit dem Problem auseinander, wie in der Diskursanalyse Brüche bestimmt werden können. Ausgehend von Foucaults Ausführungen zu Cervantes’ Don Quichotte sowie zu de Sades Justine und Juliette in „Die Ordnung der Dinge“ entwickelte er das Konzept von Krisenfiguren, die Brüche in der Wissensordnung signalisieren. Krisenfiguren seien als diskursive Ereignisse aufzufassen, die von einer Krise der etablierten Wissensordnung zeugen, Elemente der künftigen Wissensformation antizipieren und dabei jeweils spezifische Regeln der Transformation offenbaren. Wie anhand von Krisenfiguren diskursive Brüche lokalisiert werden können, führte er im Folgenden am Beispiel des Gerichtsprozesses gegen Marie/Marin le Marcis aus, die/der in der Medizin des 17. Jahrhunderts unterschiedlich – als weiblich oder hermaphroditisch – gedeutet wurde. Gemäss Schochow handelt es sich bei Marie/Marin um eine Krisenfigur, die das „künftige Ereignis des biologischen Geschlechts“ vorwegnehme.

Auch ALEXSANDER MILOSZ ZIELINSKI (Bern)ging es in seinem Beitrag darum, Übergänge von der einen zur nächsten Wissensordnung zu bestimmen. In einem historisch etwas weit ausholenden Referat stellte er die These auf, dass im 20. Jahrhundert die moderne Episteme, in welcher das Wissensobjekt und -subjekt „Mensch“ im Zentrum gestanden habe, durch eine spätmoderne Wissensordnung abgelöst wurde, die sich durch eine „Virtualisierung des Denkens“ kennzeichne. Besonders bei diesem letzten Referat des Panels stellt sich die Frage, ob das Konzept der Episteme, worunter Foucault die Wissensformation einer ganzen Epoche verstand, nicht eine zu grobmaschige Kategorie für die Historisierung wissenschaftlichen Wissens darstellt, zumal die Gefahr besteht, die divergierenden Praktiken der Wissensgenerierung und der Wissensdistribution damit aus den Augen zu verlieren.

Die zweite Sektion widmete sich der „Produktion von Alterität“ und damit einem Feld, in welchem sich die historische Diskursanalyse als besonders produktiv erwiesen hat. BIRGIT STAMMBERGER (Vechta/Lüneburg) behandelte in ihrem Beitrag die anthropologische und medizinische Erfassung des „Monsters“ im 19. Jahrhundert. Zunächst scheint die Diskursanalyse hier an ihre Grenzen zu stossen, da das „Monster“ gerade eine Lücke oder ein Störungsfall diskursiver Ordnungen darstelle. Stammberger betonte aber, dass das Monster nicht als eine reine Körperlichkeit jenseits von Symbolisierungen und sozialen Konstruktionen aufzufassen sei. So zeigte sie etwa, wie mit der monströsen Figur der „Hottentottin“ ein Wissensobjekt geschaffen wurde, das der Eruierung von spezifischen Rassenmerkmalen und Geschlechterdifferenzen diente. Monster seien als spektakuläre Wissensobjekte diskursiv hervorgebracht worden, die sowohl gesellschaftlich-politisch als auch wissenschaftlich eine produktive Funktion ausübten.

Das Verhältnis von Wissenschaft und Politik beleuchtete auch der Beitrag von CECILE STEHRENBERGER (Zürich). Sie untersuchte in ihrem Vortrag das 1945 in Madrid gegründete Instituto de Estudios Africanos. Es handelt sich dabei um ein heterogenes Expertennetzwerk, das beauftragt war, Wissen über die indigene Bevölkerung in Äquitorialguinea zu gewinnen und einem breiten Publikum zu vermitteln. Das Wissen sollte einerseits dazu dienen, die Effizienz kolonialer Herrschaftspraktiken zu steigern; andererseits wurde das Wissen eingesetzt, um die öffentliche Meinung in Spanien für das koloniale Projekt zu gewinnen. Die Referentin plädierte in ihrem Beitrag dafür, die Rolle von Institutionen sowie politischen Machtkonstellationen bei der Analyse der historischen Existenzbedingungen des Wissens einzubeziehen.

In der Diskussion wurde auf das Problem hingewiesen, dass historische Analysen von Differenzwissen bisweilen auf eine Exotisierung vergangener Wissensbestände hinauszulaufen drohen, was einer diskursanalytischen „Ethnologie der eigenen Kultur“ geradezu entgegengesetzt wäre. Das Panel zeigte aber auch, wie sich eine geschlechtergeschichtlich erweiterte Diskursanalyse eignet, die Verschränkung von Wissen und Macht, wie sie in der Produktion von Alterität besonders deutlich zum Ausdruck kommt, in den Blick zu kriegen.

Der Foucaultschen Diskursanalyse wird oftmals vorgeworfen, sie reduziere die Realität auf die Welt der Worte. MIKE LAUFENBERG (Berlin) widersprach in seinem Beitrag, der die dritte Sektion eröffnete, dieser gängigen Auffassung, indem er anhand von Foucaults sexualitätsgeschichtlichen Arbeiten aufzeigte, dass sich seine historischen Analysen nicht unter das Paradigma des linguistic turn und des Sozialkonstruktivismus subsumieren lassen. In seiner Relektüre legte er dar, wie sich in Foucaults Untersuchungsprojekten die Aufgabe einer historischen Epistemologie mit derjenigen einer historischen Ontologie verknüpfte. Die Grenzen des Sag- und Denkbaren und die Grenzen dessen, was wir sind und sein können, stehen in einem engen Zusammenhang und bedingen sich wechselseitig. Laufenberg deutete damit eine Forschungsperspektive an, in welcher sich eine diskursanalytisch orientierte Wissensgeschichte mit einer Geschichte der Subjektivitäten verbindet.

UTE TELLMANN (Basel) behandelte in ihrem Referat die epistemische Neukonfiguration der nationalen Ökonomie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Erst in dieser Zeit sei die Makroökonomie als eigenständige und geographisch lokalisierbare Entität konzipiert worden. Dieser grundlegende Wandel des ökonomischen Wissensgegenstandes lasse sich nicht hinreichend durch den Verweis auf neue statistische Techniken oder neue Versuchsanordnungen erklären. Vielmehr sei die symbolische Dimension der Wissensproduktion mittels einer archäologischen Analyse einzubeziehen. Am Beispiel des Geldes, das nun nicht mehr als Repräsentationsmedium, sondern als „Zeitmaschine“ konzipiert wurde, legte die Referentin dar, wie das Konzept der Zeitlichkeit in den ökonomischen Diskurs einbrach und die Möglichkeitsbedingungen der ökonomischen Wissenserzeugung veränderte.

Während bis dahin insbesondere die sogenannt „weichen“ Wissenschaften Thema waren, wurde im letzten Panel das Potential der Diskursanalyse im Bereich der Biowissenschaften erprobt. HEIKO STOFF (Braunschweig) skizzierte in seinem Beitrag fruchtbare Verbindungsmöglichkeiten zwischen der Akteur-Netzwerk-Theorie und Foucaults Archäologie des Wissens. Den Brückenschlag ermöglichte dabei der Begriff der Problematisierung. Wie etwas zu einem Problem werde, das heisst sich als ein Objekt der Erkenntnis, der Reflexion oder Analyse konstituiere, sei sowohl für Foucaults Diskursgeschichte als auch für Michel Callons Konzeption der Akteur-Netzwerk-Theorie eine zentrale Frage. Das Potential dieser Verbindung von Ding- und Diskursgeschichte führte Stoff am Beispiel der Geschichte der Wirkstoffe vor, wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts Vitamine, Enzyme und Hormone bezeichnet wurden. Wirkstoffe seien ein Lösungsangebot für Problematisierungen des Körpers gewesen, die um die Begriffe des Mangels und der Leistung kreisten.

LISA MALICH (Berlin) plädierte in ihrem Vortrag für eine dem Gegenstand angemessene Wahl der Methode. Diskurse, experimentelle Settings, Forschungspraktiken oder Visualisierungen würden je nach Wissensfeld einen unterschiedlich grossen Anteil an der Wissensproduktion einnehmen. Am Beispiel des Wissens über die hormonellen Stimmungsschwankungen in der Schwangerschaft zeigte sie, wie hier der Wissensgegenstand primär diskursiv konstituiert wurde. Im zweiten Teil des Referats widmete sich Malich einem spezifischen Problem in der Diskursanalyse: Der oftmals fehlenden Reflexion über die Dimension der Zeit. Die Überbetonung von Brüchen und Diskontinuitäten sowie etwa die Rede von „Diskurssträngen“ würde ein lineares Modell der Zeit implizieren. Malich schlug vor, Michel Serres Konzept der „gefalteten Zeit“ in die Diskursanalyse einzuführen, um damit den Vermischungen, Interaktionen und Überlappungen verschiedener Diskursformationen Rechnung zu tragen.

JULIA DIEKÄMPER (Bremen) untersuchte in ihrem Beitrag den biomedizinischen Diskurs um die Präimplantationsdiagnostik, wie er in deutschen Medien seit den 1990er Jahren geführt wurde. Sie zeigte, dass populäre Medien nicht einfach naturwissenschaftliches Wissen übersetzen, sondern einer eigenen diskursiven Logik folgen. Die öffentlichen Aushandlungen würden Denkmöglichkeiten erzeugen und normative Standards setzen, die für die Durchsetzung oder Verwerfung von Biotechnologien entscheidend seien. Diekämper argumentierte überzeugend, dass in jüngster Zeit eine diskursive Normenverschiebung stattgefunden habe, die man als einen Übergang von der Norm der „Heiligkeit des Lebens“ zur „Ethik des Heilens“ beschreiben könne. Der Beitrag führte beispielhaft vor, wie die diskursanalytische Methode im Bereich der öffentlichen Aushandlung von Wissen ein grosses – und bislang keineswegs voll ausgeschöpftes –Erkenntnispotential entfalten kann.

Einen pointiert formulierten Schlusspunkt der Tagung setzte JENS ELBERFELD (Bielefeld) mit einem engagierten Plädoyer für eine Wissenschaftsgeschichte als Genealogie des Wissens. An den Laborstudien, wie sie seit den 1980er Jahren das Feld der Wissenschaftsgeschichte dominierten, kritisierte er, dass der gesellschaftliche Kontext, die diskursive Stabilisierung von bestimmten Formen der Wissensproduktion sowie die Effekte des Wissens ausserhalb des Labors zu wenig berücksichtigt würden. Um die „Gesellschaft im Labor“ zu untersuchen, plädierte Elberfeld für eine an Foucault orientierte Genealogie des Wissens, welche die Beziehungen zwischen der Praxis im Labor, diskursivem Kontext und gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen untersucht. Diesen Ansatz demonstrierte er im Anschluss am Beispiel der Geschichte des Biological Computer Laboratory in Urbana (Illinois).

Elberfelds Ausführungen leiteten gut zum Schlusskommentar von ACHIM LANDWEHR über, der zunächst die an der Tagung geübte Kritik an einer am practical turn orientierten Wissenschaftsgeschichte zusammenfasste. Aus diskursanalytischer Perspektive würde diese Fragen der Macht, der Gesellschaft und der symbolischen Ordnungen zu sehr ausblenden. Landwehr betonte indessen, dass die Vertreter des practical turn keineswegs als Antipoden der Diskursanalyse aufzufassen seien. Vielmehr seien vorhandene Lücken in der jetzigen Wissenschaftsgeschichte als Chance zu nutzen, um eine diskursanalytisch orientierte Wissensgeschichte zu lancieren. Dabei plädierte Landwehr für ein breites Verständnis von Diskursanalyse, die sich nicht nur auf Texte beschränke, sondern auch Bilder oder Institutionen in die Untersuchung einbeziehe.

In der Schlussdiskussion wurde darauf hingewiesen, dass die problematische Stellung der Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte auch auf eine forschungspolitische Benachteiligung zurückzuführen sei. Tatsächlich hat die Diskursanalyse in der Wissenschaftspolitik erwartungsgemäss einen schweren Stand, zumal sie einerseits die universalen Wahrheitsansprüche der Wissenschaft hinterfragt und andererseits die Identitätsbedürfnisse der Politik hintertreibt. Die „Krise“ der Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte lediglich auf einen wissenschaftspolitischen Konformismus zurückzuführen, würde indessen zu kurz greifen. Unbestreitbar sind das intellektuelle Potential und die Leistungen von neuen wissenschaftshistorischen Ansätzen, wie sie etwa von Bruno Latour oder Hans-Jörg Rheinberger entwickelt wurden. Sie vermochten neues Licht auf die Unbestimmtheit und Offenheit von Forschungsprozessen sowie auf die Bedeutung von Instrumenten, Apparaturen, Objekte und Aufzeichnungen bei der Wissenserzeugung zu werfen. Gerade dieser Fokus auf die vielfältige Welt der Dinge und die konstitutive Unbestimmtheit von Forschungsverläufen bereicherte die Wissenschaftsgeschichte und bedeutete zumindest potentiell einen Komplexitätszuwachs gegenüber rein diskursanalytischer Arbeiten.

Allerdings fragte die Tagung in Zürich zu Recht auch nach den blinden Flecken des practical turn und die von diesem inspirierten Laborstudien. Die Referate an der Tagung zeigten auf unterschiedliche Weise, wie sich der Griff in die diskursanalytische Werkzeugkiste lohnt, um diese Lücken zu füllen. Dabei wurde weniger die Diskursanalyse als konkurrierendes Theorieangebot beschworen als fruchtbare Anknüpfungsmöglichkeiten erprobt. Vor allem in zweierlei Hinsicht würde die Wissenschaftsgeschichte von diskursanalytischen Fragestellungen und Analyseinstrumenten profitieren. Erstens suchten in den letzten Jahren auch Vertreter des practical turn – sowohl in diachroner als auch in synchroner Hinsicht – nach breiteren Anschlussmöglichkeiten für ihre detailreichen Mikrogeschichten.1 Diskursanalytische Perspektiven bieten sich an, um wissenskulturelle Kontexte und Wissenskonjunkturen zu rekonstruieren, die handlungs- und deutungsrelevant für Forschungspraktiken sind. Zweitens stellt sich die Frage, wie die politische Dimension und damit Fragen der Macht systematischer in die historische Analysen der Wissensproduktion einzubeziehen sind. Für eine solche „historisch-politische Epistemologie“, wie sie kürzlich Volker Roelcke vorschlug 2, wären Foucaultsche Perspektiven, insbesondere eine zur historischen Dispositivforschung erweiterte Diskursanalyse, fruchtbar, zumal eine solche Wissenschaft und Politik bzw. Wissen und Macht weder gleichsetzt, noch als getrennte Sphären denkt, sondern sich für deren inhärenten Verknüpfungen interessiert.

Konferenzübersicht:

Begrüssung und Einleitung
Philipp Sarasin, Peter-Paul Bänziger, Pascal Germann (alle Zürich)

Diskurs 1: Grundfragen der Foucaultschen Diskursanalyse
Moderation: Philipp Sarasin (Zürich)

Roberto Nigro (Zürich): Das Verhältnis von Sagbarem und Sichtbarem.

Maximilian Schochow (Leipzig): Diskursanalyse und Krisenfiguren. Methodologische Anmerkungen zur Wissenschaftsgeschichte.

Aleksander Miłosz Zielinski (Bern): Zur Rolle von Epistemen in einer poststrukturalistischen Wissenschaftsgeschichte.

Diskurs 2: Produktion von Alterität
Moderation: Peter-Paul Bänziger (Zürich)

Birgit Stammberger (Vechta/Lüneburg): Monster des Wissens. Plädoyer für eine Diskursanalyse in der Wissenschaftsgeschichte.

Cécile Stehrenberger (Zürich): Das «Wesen» der «indígenas» in den Studien des Instituto de Estudios Africanos, Äquatorialguinea, 1945-1966.

Diskurs 3: Sexualität und Ökonomie
Moderation: Franz X. Eder (Wien)

Mike Laufenberg (Berlin): Sexualität und Wahrheit revisited: Michel Foucaults Diskursanalyse als historische Ontologie.

Ute Tellmann (Basel): Der Einbruch der Zeitlichkeit – Geld und die Episteme der Ökonomie um 1930.

Diskurs 4: Biowissenschaften
Moderation: Jürgen Martschukat (Erfurt)

Heiko Stoff (Braunschweig): Wirkstoffe und Notstände. Eine Auseinandersetzung mit Dispositiven, Gefügen und Netzen.

Lisa Malich (Berlin): Die Dimension der gefalteten Zeit in der Diskursanalyse: Diskutiert anhand des Diskurses um hormonelle Stimmungsschwankungen in der Schwangerschaft.

Julia Diekämper (Bremen): Das Leben als Wille und Vorstellung.

Jens Elberfeld (Bielefeld): Bring society back in! Wissenschaftsgeschichte als Genealogie des Wissens.

Schlusskommentar: Achim Landwehr (Mainz/Düsseldorf)

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Hans-Jörg Rheinberger, Epistemologie des Konkreten. Studien zur Geschichte der modernen Biologie, Frankfurt am Main 2006, S. 17.
2 Volker Roelcke, Auf der Suche nach der Politik in der Wissensproduktion. Plädoyer für eine historisch-politische Epistemologie, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 33 (2010), S. 176-192.


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