"Kommunikation und Herrschaftsbildung.Politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Stadt" (Konstanz, 25.-27.10.2001)

"Kommunikation und Herrschaftsbildung.Politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Stadt" (Konstanz, 25.-27.10.2001)

Organisatoren
Teilprojekt B4 "Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt" des Konstanzer KFK/ SFBs 485 "Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration"
Ort
Konstanz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.10.2001 - 27.10.2001
Url der Konferenzwebsite
Von
Philip R. Hoffmann

Vom 25. bis 27.10.2001 fand an der Universität Konstanz eine Tagung zu dem Thema "Kommunikation und Herrschaftsbildung. Politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Stadt" statt. Ausgerichtet wurde sie vom Teilprojekt B4 "Politische Kultur und soziale Ordnung in der frühneuzeitlichen Stadt" des Konstanzer KFK/ SFBs 485 "Norm und Symbol. Die kulturelle Dimension sozialer und politischer Integration". Die Tagung war in vier Sektionen gegliedert, und es wurden insgesamt 15 Vorträge präsentiert und diskutiert. Außerdem hielt Peter Blickle (Bern) am 25.10. einen öffentlichen Abendvortrag mit dem Titel "Die Politica des Johannes Althusius und der Kommunalismus in Europa". Im folgenden werden Grundlinien der lebhaften und anregenden Diskussion dieser Tagung vorgestellt, wobei aus Platzgründen auf eine detailliertere Darstellung der einzelnen Vorträge verzichtet werden muss. Ein ausführliches Protokoll zu der Tagung findet sich in Kürze unter http://www.uni-konstanz.de/FuF/sfb485/tagungen.htm

In seiner Einführung formulierte der Leiter des Teilprojekts und Sprecher des SFBs Rudolf Schlögl (Konstanz) Perspektiven für die Erforschung der frühneuzeitlichen Stadt und ihrer politischen Kultur, wie sie dem Konstanzer Städteprojekt zugrunde liegen. Schlögl stellte den Begriff der Kommunikation in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses. Demnach kommt dem Problem zentrale Bedeutung zu, wie es gelingt, Kommunikationszusammenhänge zu etablieren, sie als identifizierbare Handlungsbereiche (wie z.B. Recht oder Politik) abzugrenzen und auf Dauer zu stellen. Als wichtige Mittel hierfür machte Schlögl symbolisch generalisierte Kommunikationsmedien (im Sinne Luhmanns) und Symbole aus. Aus diesen Überlegungen ergebe sich ein Verständnis von Politik als Kommunikationszusammenhang, in dem Entscheidungen hervorgebracht, diese mit Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit vermittelt und - wenngleich nicht in jedem Fall - auch durchgesetzt werden. Hierdurch werde der Fokus der politikgeschichtlichen Forschung von der Untersuchung der normativen und institutionellen Grundlagen der politischen Ordnung auf die Analyse des politischen (Kommunikations-)Prozesses und dessen "kommunikativer Eigenart" verlagert.

In der ersten Sektion "Kommunikative Prozesse in Politik und Recht" stand das Problem der Ausdifferenzierung von Politik und Recht als eigenständige Kommunikations- und Sozialzusammenhänge sowie der Institutionalisierung politischer wie rechtlicher Kommunikationsformen im Mittelpunkt. Dabei wurde deutlich, dass in der frühneuzeitlichen Stadt ein Set von ganz unterschiedlichen Möglichkeiten der politischen Integration sowie der Partizipation der Bürgerschaft an der politischen Kommunikation zur Verfügung stand, die historischen Veränderungen unterworfen waren, wie Andreas Würgler (Bern) am Beispiel Berns darlegte. Besondere Bedeutung bei den Möglichkeiten der Kommunikation und Durchsetzung von Herrschaftsansprüchen - sei es von Seiten des Stadtregiments oder aber der Landesherrschaft - ist den Medien als wichtigen Rahmenbedingungen der politischen Kommunikation zuzumessen. Wie sich aufgrund des Zusammenwirkens institutioneller wie medialer Wandlungsprozesse die Kommunikationsformen zwischen Stadtgemeinde und Landesherrschaft verändern konnten, zeigte Uwe Goppold (Konstanz) am Beispiel der Ratskur in Münster im 17. Jahrhundert auf. Wie im Bereich der Politik, so erwies sich auch für das Recht dessen institutionelle Festigung und die Durchsetzung von Entscheidungen als zentrales Problem. Deswegen war für die Entwicklung des städtischen Gerichtswesens von grundlegender Bedeutung, in welcher Art und Weise das soziale Umfeld auf Gerichtsurteile Einfluss nehmen und damit auf deren Geltung und Durchsetzung verpflichtet werden konnte, wie Franz-Josef Arlinghaus (Kassel) darlegte. Dies beeinflusste auch die langfristig beobachtbare Ausdifferenzierung des Gerichtswesens gegenüber Politik und anderen Sozialzusammenhängen. In der Gerichtspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts, so Joachim Eibach (Potsdam), war diese Ausdifferenzierung getragen von einem weitgehenden Konsens in der städtischen Gesellschaft über die normativen Grundlagen und Formen der Strafgerichtsbarkeit. Diese These warf das Problem auf, ob und unter welchen Umständen Konsens eine angemessene Untersuchungs- und Beschreibungskategorie für die Analyse städtischer (politischer wie rechtlicher) Kommunikation sein könne, worauf sich der Konsens inhaltlich bezogen habe und wie Konsens bzw. die Vermeidung von Konflikten gesichert und hergestellt werden konnte. Es wurde eingefordert, deutlicher zwischen der materialen Ebene (Urteil bzw. Entscheidung) sowie der formal-normativen (Form und Verfahren der Entscheidungsfindung) zu unterscheiden.

Die zweite Sektion wandte sich dem ambivalenten Zusammenhang von "Religion, Konfession und politischer Ordnung" zu. Insbesondere in der Konfessionalisierung des 16. und beginnenden 17. Jahrhunderts entfachten religiöse Normen Konflikte gerade dann, wenn sie durch die Obrigkeit verändert wurden. Ernst Riegg (Potsdam) führte dies am Beispiel der "Norma doctrinae" in Nürnberg vor. Normen wirkten in diesem Fall nicht stabilisierend, sondern verlangten nach Strategien der Restabilisierung und des Ordnungserhalts. Ähnliche Probleme für die politische Ordnung und deren Stabilität ergaben sich in konfessionell gemischten Städten, wie man sie v.a. in Osteuropa findet. Am Beispiel von Polozk im 17. Jahrhundert legte Stefan Rohdewald (Zürich) dar, wie durch die Trennung der politischen Kommunikation vom religiösen Diskurs die Gefahr einer politischen und sozialen Desintegration die konfessionell bedingten Konfliktlagen entschärft werden konnten. Aber Religion stellte auf der anderen Seite auch ein Mittel und eine Ressource zur Repräsentation politischer Einheit sowie zur politischen Selbstdarstellung der Obrigkeit und damit zur Stabilisierung der politischen Ordnung dar: besonders kann diese Verschränkung von Politik und Religion - zumindest für katholische Städte - anhand des Rituals der Prozession untersucht werden. Kathrin Enzel (Konstanz) demonstrierte dies am Beispiel der Kölner Gottestracht. Diese zentrale Bedeutung von öffentlichkeitswirksamen Ritualen für die Repräsentation und die Aufrechterhaltung der sozialen und politischen Ordnung und der dieser zugrunde liegenden Werte kann man auch auf anderen Gebieten des städtischen Lebens beobachten, wie bei den von Katrin Kröll (Freiburg) beschriebenen Umzügen und Theaterspielen süddeutscher Schreinergesellen.

In der dritten Sektion konzentrierten sich Vorträge und Diskussion auf das Thema "Konflikte und Normen städtischer Gemeinwesen". Es zeigte sich, dass es bei der Analyse von politischen Normen und Wertevorstellungen weiterführend ist, zwischen verschiedenen Formen der (politischen) Kommunikation (wie z.B. Ritual oder Konflikt) sowie verschiedenen diskursiven Ebenen (wie z.B. der Ebene der städtischen Alltagskommunikation, dem theologischen oder dem wissenschaftlichen Diskurs) zu unterscheiden und diese miteinander in Beziehung zu setzen. So konnte zum einen durch die Visualisierung städtischer Grundwerte und politischer Normen in rituellen Zusammenhängen und performativen Inszenierungen ein Gemeinschaftsbewusstsein und damit soziale Integration innerhalb der städtischen Bürgerschaft geschaffen und die politische Ordnung stabilisiert werden, so Jörg Rogge (Mainz). Dagegen fördern politische Normen und städtische Werte die Eskalation von Konflikten, indem sie Interessengegensätze normativ aufladen. Philip Hoffmann (Konstanz) wies dies am Beispiel der Auseinandersetzungen zwischen Rat und Bürgerschaft in Leipzig während des Dreißigjährigen Krieges nach. Dabei wurde auch deutlich, dass Konflikte erst vor dem Horizont einer die Parteien übergreifenden gemeinsamen politischen Sprache artikuliert und bearbeitet werden konnten. Das Verhältnis von Alltagskommunikation und elaborierten Wissenschaftsdiskursen stellt dabei ein besonderes Forschungsproblem dar. So wurde die Stadt selbst in der verwissenschaftlichten politisch-sozialen Sprache immer wieder als Norm und zum Modell politischer und sozialer Ordnung, wie z.B. im Bereich des kameralwissenschaftlichen Diskurses, den Marcus Sandl (Konstanz) in seinem Vortrag thematisierte.

Die vierte und letzte Sektion wandte sich Leitbegriffen der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Frühneuzeitforschung der letzten Jahre zu: "Erinnerung, kollektive Identität und Öffentlichkeit" und problematisierte sie. Dabei wurde den vielfältigen Beziehungen zwischen diesen Phänomenen nachgegangen. So zeigte sich, dass sich der Zusammenhang von Erinnerung und kollektiver Identitätsbildung als äußerst komplex und weniger eindeutig als vielfach angenommen gestaltet. Zum einen ist Erinnerung nicht nur als Bedingung für Identitätsbildung zu sehen, sondern die Produktion und die Konstruktion von Erinnerung setzt die Existenz einer wie auch immer gestalteten Identität voraus. Thomas Fuchs (Potsdam) zeigte am Beispiel der Stadtchroniken in Hessen und Hessen-Kassel, dass sich aufgrund der Übermacht des Territorialstaates eine städtische Erinnerungskultur - zumindest im Bereich der Stadtchroniken - nicht ausbildete (mit der Ausnahme der Stadt Schmalkalden). Zum anderen, so die provokante These von Günther Lottes (Potsdam), sei Identitätsbildung offenkundig auch ohne Erinnerung möglich, wie die Erforschung der städtischen Erinnerungskulturen zwischenzeitlich gezeigt habe. Untersucht man den Zusammenhang von Erinnerung und Öffentlichkeit, so rückt der Aspekt der Medialität in den Mittelpunkt. Lottes wies darauf hin, dass Chroniken als Produkt von und für eine städtische Elite häufig nicht-öffentlich wirksam gewesen waren. Sie stützten deswegen weniger ein kollektives Gedächtnis, sondern dienten der Selbstverständigung der Herrschaftselite und damit der Stabilisierung von Politik als Sozialzusammenhang. Ähnliche Probleme ergeben sich auch bei der Untersuchung des Totengedenkens in der Stadt: Uwe Dörk (Konstanz) wies in seinem Vortrag auf die nachhaltige Veränderung der rituellen Formen des Totengedenkens hin. Immer standen Integration und Desintegration im Totengedenken in ambivalenter Beziehung zueinander. In der Öffentlichkeit des Gedenkens führte eine Gemeinschaft immer auch vor, dass sie auch ohne den Verstorbenen fortexistierte. Dass der Öffentlichkeitsbegriff für die Untersuchung der politischen Kultur der frühneuzeitlichen Städte sowohl fruchtbar als auch problematisch ist, zeigte sich im Vortrag von Gerd Schwerhoff (Dresden): dieser plädierte dafür, die Vielgestaltigkeit der städtischen Öffentlichkeit (vielleicht sollte man besser von Öffentlichkeiten sprechen) dadurch in den Blick zu bekommen, indem man Mikrotypen öffentlicher Räume - und damit gerade die nicht-repräsentativen Formen der Öffentlichkeit, wie sie sich z.B. in Wirtshäusern manifestiert - untersucht.

In seinem Resümee hob Rudolf Schlögl hervor, dass Vorträge und Diskussion die Problematik von zentralen Begriffen der politischen und Verfassungsgeschichte aufgezeigt hätten. Begriffe wie Repräsentation, Konsens, Partizipation, Identität oder Öffentlichkeit müssten immer darauf hin befragt werden, wie sie in sozialen "Operationen" realisiert würden. Dies leiste ein kommunikationstheoretischer Zugriff. Dadurch würden die gewohnten Begrifflichkeiten verflüssigt. Eine kommunikationstheoretische Reformulierung dieser Begriffe zwinge dazu, Kommunikationssituationen jeweils genau darauf hin zu befragen, wie die in ihnen eingesetzte Semantik und die jeweils spezifische Formung bzw. Rahmung der Situation dazu führten, dass beispielsweise "Konsens" von den Beteiligten (oder von außen) beobachtbar werde, ohne dass eine wirkliche "Übereinstimmung" der Gemüter durch Beteiligte oder durch Beobachter geprüft werde. Als entsprechende Desiderate der künftigen Forschung zur politischen Kultur der frühneuzeitlichen Stadt nannte Schlögl: 1. die Beachtung des Charakters der städtischen Gesellschaft als einer Interaktionsgesellschaft; 2. das Verhältnis von städtischer Gesellschaft und politischer Kommunikation zu unterschiedlichen medialen Konstellationen; 3. die stärkere zeitliche Differenzierung und Beachtung historischer Entwicklungen.


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