Föderalismus und Hochschulen. Von neuen Kompetenzen und alten Ordnungen

Föderalismus und Hochschulen. Von neuen Kompetenzen und alten Ordnungen

Organisatoren
Institut für Hochschulforschung (HoF), Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Ort
Lutherstadt Wittenberg
Land
Deutschland
Vom - Bis
01.06.2010 - 02.06.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Rico Rokitte, Universität Leipzig

Trotz des seit Beginn der 1990er-Jahre einsetzenden Wettbewerbs- bzw. Konkurenzföderalismus wird die deutsche Hochschullandschaft in Wissenschaft und Forschung noch heute häufig als unitaristisch wahrgenommen. Mit seiner Feststellung, das dies dem reellen Verhältnis zwischen Hochschulen nur wenig entspricht, begrüßte der Direktor des Institutes für Hochschulforschung (HoF) Halle-Wittenberg, REINHARD KRECKEL, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Die Differenzierung der Hochschulen und weitere Auswirkungen der Föderalismusreform des Jahres 2006 auf die Hochschulbildung in der Bundesrepublik stellten den Tagungsrahmen der anwesenden Wissenschaftler/innen sowie politischen Akteure. Aus der in der Einladung formulierten Feststellung des Verlustes eines „einheitlichen“ deutschen Hochschulsystems resultierten besonders die Fragen nach einer verwettbewerblichten Gestaltung von Forschung und Lehre sowie einer möglichen Heterogenisierung mit sechzehn je eigenen Hochschulsystemen.

Der Zusammenfassung der Tagung schon vorweg genommen ist, dass letztendlich die Diskrepanz zwischen politischem Diskurs, Gesetzeslage und der Praxis an den Hochschulen, den verbindenden Faden zwischen den Vorträgen und Forschungsberichterstattungen darstellte: in der Hochschulgesetzgebung findet sich nur bedingt das wieder, was von Politikerinnen und Politikern als gewollt diskutiert wird und die Praxis spiegelt eine weiterhin andere Umsetzung. Im Tagungsrückblick bleibt so die Frage, ob und wie Hochschulpolitik eine Hochschulpraxis überhaupt erreichen kann?

Im ersten Vortrag zur Hochschulgovernance im deutschen Föderalismus griff STEFAN HORNBOSTEL (Institut für Forschungsinformation und Qualitätssicherung IfQ, Bonn) die Frage nach Wettbewerb und Differenzierung auf.1 Für ihn stellt sich die zentrale Frage der Föderalismusreform, ob die Hochschule zum Grundsatz der Gleichheit der Lebensbedingungen im gesamten Bundesgebiet gehört. „Viele Länder sind immer weniger in der Lage diesen föderalen Wettbewerb materiell zu untersetzen“, so Hornbostel, „wäre da der Rückbau auf wenige exzellente Forschungsstandorte nicht sogar sinnvoll?“ Im weiteren Verlauf seines Vortrages argumentierte er, dass für die Aufrechterhaltung von Wettbewerb eine Hochschullandschaft mit verschiedenen Standorten notwenig ist, dieser Wettbewerb aber nicht über das Föderalismusprinzip sichergestellt sein müsste. In der anschließenden und trotz der These unaufgeregten Diskussion wurde ergänzend angemerkt, dass Spitzenforschung auch auf einer personellen Basis an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ruht, die nicht nur direkt in der Spitzenforschung herausgebildet werden. Die Vielfalt der Forschungszugänge und Forschungsmethoden, basierend auf einer breiten Mainstreamforschung, würde bei der alleinigen Orientierung auf Exzellenzforschung verloren gehen.

Kontroverser ging es in der Vorstellung der Forschungsergebnisse von ROBERT REISZ und MANFRED STOCK (beide HoF) zu. In ihrem Vortrag zu Hochschulpolitik und Hochschulentwicklung im Föderalismus gingen sie der Frage nach, ob sich Unterschiede in der Hochschulentwicklung zwischen den Bundesländern durch unterschiedliche Orientierungen der Hochschulpolitik erklären lassen. In ihrer Forschung nahmen sie besonders die Zusammenhänge zwischen institutionalisierten hochschulpolitischen Orientierungen, dem Einsatz von Steuerungsinstrumenten in der Hochschulentwicklung in den Blick. Die analytische Auswertung von Zeitreihendaten förderten erstaunliche Verbindungen zu Tage. Einer der aufgezeigten Kontexte zwischen einer leistungsorientierten Mittelvergabe und einem höheren Frauenanteil unter den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und auch der Absolventinnenquote wurde jedoch in der Diskussion kritisiert. In der Praxis ist dieser Faktor möglicherweise trendstationär, d.h. ein Anstieg erfolgt auch ohne direkte Einflüsse. Eine weitere Sonderrolle stellten die Stadtstaaten in der Präsentation dar, sind sie doch z.B. durch höhere Bildungsausgaben pro Kopf nur schwierig mit den Flächenländern vergleichbar. Allerdings merkte hier Robert Reisz an, dass nicht jede Sonderrolle extern betrachtet werden kann und die Ergebnisse auf Grund der umfangreichen Zeitreihendaten eine Vergleichbarkeit gewährleisten.

KARSTEN KÖNIG (HoF) griff Steuerungsinstrumente wie Zielvereinbarung, leistungsorientierte Mittelverteilung oder Hochschulräte in seiner Forschung auf und wies in seinem Vortrag trotz der in fast allen Bundesländern eingeführten wesentlichen Steuerungselemente versteckte Differenzierungen nach. Unterschiede, wie z.B. der hierarchischen Hochschulsteuerung durch einige Bundesländer mit dem Instrument der Zielvereinbarungen im Gegensatz zu denen, die diese als Grundlage für ein stärker partnerschaftliches Verhältnis ausbauen. „In der Praxis stehen jedoch fast alle Hochschulen vor dem Widerspruch“, so König, „dass die Ministerien eine Kooperation der Hochschulen untereinander erwarten aber gleichzeitig auch den Wettbewerb fördern.“.

Wie wenig die Landespolitik in der Gestaltung der Hochschulgesetze die Möglichkeiten der Kooperation und des »gegenseitigen Lernens« nutzen, führte OTTO HÜTHER (Universität Hamburg) aus. In seinem Vortrag über die Differenzierung der Leitungsmodelle in den Landeshochschulgesetzen trennte er zwischen Hierarchiemodell und Kollegialmodell und wies eine deutliche Stärkung von Ersteren nach. Konsequenzen einer Politik der sechzehn Landeshochschulgesetze sind für ihn Inkonsistenzen bzw. unterschiedliche Steuerungsansätze mit den jeweiligen negativen Folgen für die Hochschulen. Dass trotz einer Stärkung der Kompetenzen der Hochschulleitungen der Grad der Abhängigkeit von der akademischen Selbstverwaltung stagniert oder sogar steigt, ist nach Otto Hüther, häufiger der Fall als der massiv kritisierte übermäßige Machtzuwachs der neuen Hochschulleitungen.

Die schon von Otto Hüther aufgezeigten Inkonsistenzen in der Landeshochschulgesetzgebung im Zuge der Föderalismusreform sind auch für PEER PASTERNACK (HoF) auf der Ebene zwischen Bund und Ländern erkennbar. In seinen Ausführungen über die Entwicklung und den Status der hochschulföderalistischen Kompetenzordnung kommt er zu dem Schluss, dass die vermutete Entflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern bisher sehr viel geringer ausfiel und sogar zu einer Komplizierung führte. So wie die Überladung der Hochschulen im Rahmen der Bologna-Reform ohne Festlegungen von Zielhierarchien zu neuen Problemen führe, seien auch in der Kompetenzverteilung auf den unterschiedlichen Ebenen neue widersprüchliche Verflechtungen entstanden.

Dass die Möglichkeiten zur Einrichtung von Lehr- bzw. Forschungsprofessuren durch die Hochschulen und Länder bisher eher zögerlicher genutzt werden und an der Einheit von universitärer Forschung und Lehre (vorerst) festgehalten wird, führte ANKE BURKHARDT (HoF) in ihrem Vortrag zur Entwicklung der Personalstruktur und Beschäftigungsverhältnisse im Ländervergleich aus. Trotz der auf der Ebene der Professor/innen vergleichsweise nur schwachen Verschiebungen habe sich die Situation für wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter massiv verändert. Unbefristete Teilzeitstellen seien immer mehr zur Normalität geworden, der Anteil des nebenberuflichen wissenschaftlichen Personals wie Lehrbeauftragte zwischen den Jahren 2000 und 2008 um 44 Prozent, der Anteil der wissenschaftlichen Hilfskräfte um 61 Prozent gestiegen. Weiterhin verblieben wissenschaftliche Mitarbeiter/innen ungeachtet der partiell möglichen Übertragung höherer Lehrverpflichtung im Prinzip in einer Dienstleistungsposition. Dabei sind es jedoch diese Lehrerfahrungen und Tätigkeitsprofile, so Anke Burkhardt, die einen Bedeutungszuwachs verzeichnen. Die Habilitation als Einstellungs- bzw. Berufungsvoraussetzung nehme seit 2000 kontinuierlich ab und werde durch Juniorprofessuren und wissenschaftliche Tätigkeiten ersetzt.

Wie unterschiedlich der Hochschulföderalismus in Kanada und Deutschland bisher verlief, stellte GANGOLF BRABAND (Universität Erfurt) anschließend durch einen Vergleich heraus. In seinem abwechslungsreichen „ethnologischen“ Vortrag stellte er fest, dass das föderale System in Kanada seit Mitte der 1960er-Jahre stark zurückgebaut wurde. Hier existieren heute keine Koordinierungsmöglichkeiten wie Kultusministerkonferenz oder Bundesministerium für Bildung und Forschung mehr. In der eher ergänzenden Diskussion wurde festgestellt, dass das vordergründige Ziel der Beteiligung der kanadischen Bundesregierung an den Hochschulen die Stärkung der Wirtschaftskraft darstelle, erst nachrangig folge der Zusammenhalt Kanadas und die Verhinderung einer zu starken Segregation zwischen den Bundesländern.

Dass die mit der Föderalismusreform gewachsenen Kompetenzen der Länder bislang noch nicht zu einer föderalen Differenzierung der Personalstruktur der Lehre geführt haben und wie wenig die meist einheitlich gesetzten Lehrstandards in der Praxis an den Hochschulen aussagen, stellte CARSTEN WÜRMANN (HoF) zu Beginn des zweiten Tages in den Fokus. Trotz oder gerade wegen der oberflächlichen Vereinheitlichung der Lehrverpflichtungen per Länderverordnungen, KMK-Vereinbarungen oder Hochschulpakt 2020 gaben bisherige Statistiken keinen Aufschluss über die tatsächlich lehrenden Personen. Die Ergebnisse zeigten auf, dass z.B. Professor/innen in den Ingenieurwissenschaften (FH) noch 50 Prozent der Lehre stellen, während in den Sprach- und Kulturwissenschaften (Uni) ihr Anteil bei nur noch 20 Prozent liegt. In der Diskussion wurde angemerkt, dass die reine Auszählung der Semesterwochenstunden (SWS) noch zu wenig über die individuelle Lehrbelastung aussagt.

MARTIN UNGER (Institut für höhere Studien Wien) rekapitulierte in seinem Vortrag die Entstehung des Fachhochschul-Sektors in Österreich und referierte über einen nicht intendierten Föderalismus in diesem Bereich. Aufgrund der Trennung der Hochschulrecht- und Finanzierungssysteme für Fachhochschulen (Bund + X) und Universität (Bund zu 100 Prozent) haben die Länder eine gewichtige Rolle im Hochschulsektor übernommen. Wie unterschiedlich sich dies auf die einzelnen Fachhochschulen auswirkt, zeigte Martin Unger an einigen interessanten Beispielen. Einen Ausblick für die deutsche Hochschullandschaft im Gefolge der Föderalismusreform wagte MARTIN WINTER (HoF) als abschließender Referent des Vortragspanels. Im Rahmen seines Forschungsprogramms „Qualitätswirkungen der föderalen Differenzierung im Hochschulbereich“ stellte er in einer Zwischenbilanz einen weniger stark ausgeprägten Wettbewerb zwischen den Ländern fest. „Vielmehr verlagert sich dieser auf die Ebene der Hochschulen“, so Winter, „und ist hier für die weitere Entwicklung des Hochschulsystems ausschlaggebend.“. Diese Wettbewerbselemente im Hochschulsystem gewinnen stärker an Bedeutung und erfordern letztendlich eine Ausrichtung der Hochschulen auf Differenz und Vergleich.

Die abschließende Podiumsdiskussion unter der Moderation von MARTIN SPIEWAK (DIE ZEIT) stand unter den Vorzeichen des Versuches einer kritischen Zusammenfassung und eines Ausblicks. Einige Anzeichen einer Segregation der neuen Bildungslandschaft sind auch in Deutschland seit 2006 aufzeigbar. Auch wenn eine Gleichwertigkeit der Lebensbedingungen weiterhin gesichert ist, entstanden im Zuge der Föderalismusreform neue Schwierigkeiten für Bundesländer wie beispielsweise Sachsen-Anhalt. VALENTIN GRAMLICH aus diesem Kultusministerium führte auf dem Podium aus, welche Auswirkungen der neue Wettbewerb zwischen den Ländern haben kann. So stellt die Abwerbung der besten Wissenschaftler/innen die Universitäten im Land vor große Probleme. Ähnlich formulierte es auch Reinhard Kreckel und erkennt gleichzeitig Differenzierungs- und Vereinheitlichungstendenzen im Nachgang der Föderalismusreform. Für PETER GREISLER aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung stellt 2006 ein Umbruchmoment für die Bundesbildungspolitik dar. „Vor 2006 wäre es niemals denkbar gewesen“, so Peter Greisler, „das der Bund neben Forschung auch Lehrqualität fördert.“. Für ihn hätte der Wettbewerb um die besten Wissenschaftler/innen auch ohne die Föderalismusreform stattfinden müssen. „Die deutschen Hochschulen kommen nicht umhin, sich dem internationalen Wettbewerb stellen.“ Für WINFRIED KLUTH (Universität Halle) stellte sich jedoch die Frage ob Geld wirklich das geeignete Steuerungsmittel darstellt. Für ihn kann so bestehende und entstehende Qualitäten nur ungenügend flexibel entsprochen werden. In den Augen Peter Greislers sind die Hochschulen heute so vielen Einflüssen ausgesetzt, dass es gar nicht mehr klug wäre, wenn das Land steuert. „Die Hochschulen können sich nur selbst am besten steuern“, so Greisler, „es ist vernünftig, wenn die einzelnen Steuerungsinstrumente an die Hochschulen übergegeben werden.“ In ihrer Bilanz kamen die Podiumsteilnehmer, es war rein männlich besetzt, zu dem Schluss, dass die Auswirkungen der Föderalismusreform aufgrund der zeitlichen Nähe noch lange nicht erforscht sind und mit einem größeren Abstand deutlicher zu Tage treten werden. Ob es Gewinner/innen oder Verlierer/innen gibt, ob es den Studierenden und/oder Professor/innen nutzt, wird wohl erst in einigen Jahren erkennbar sein. Die Tagung in Wittenberg ermöglichte heute schon einen Überblick von ersten Tendenzen und Erfahrungen

Konferenzübersicht:

Reinhard Kreckel, HoF Halle-Wittenberg
Begrüßung

Stefan Hornbostel, IfQ Bonn
Hochschulgovernance im deutschen Föderalismus

Peer Pasternack, HoF Halle-Wittenberg
Die hochschulföderalistische Kompetenzordnung in Deutschland: Entwicklung und Status

Karsten König, HoF Halle-Wittenberg
Instrumente der Hochschulsteuerung: versteckte Differenzierung

Robert Reisz/ Manfred Stock, HoF Halle- Wittenberg
Hochschulpolitik und Hochschulentwicklung im Föderalismus

Otto Hüther, Universität Hamburg
New Managerialism? Die Differenzierung der Leitungsmodelle in den Landeshochschulgesetzen.

Anke Burkhardt, HoF Halle-Wittenberg
Entwicklung von Personalstruktur und Beschäftigungsbedingungen im Ländervergleich: Statistik, Recht und Empirie

Gangolf Braband, Universität Erfurt
Hochschulföderalismus in Kanada und Deutschland im Vergleich

Martin Unger, IHS Wien
Nicht intendierter Föderalismus im Österreichischen Fachhochschul-Sektor

Carsten Würmann, HoF Halle-Wittenberg
Lehrverflechtungen: Hochschullehre zwischen einheitlichen Standards, föderaler Differenzierung und lokaler Praxis

Martin Winter, HoF Halle-Wittenberg
Ausblick: Vom Wettbewerb der Länder zum Wettbewerb der Hochschulen

Podiumsdiskussion: „Hochschulsysteme der Länder nach der Föderalismusreform: Differenzierung als Politikmuster?“
Valentin Gramlich (Staatssekretär,
Kultusministerium Sachsen-Anhalt),
Peter Greisler (Ministerialdirigent, BMBF),
Winfried Kluth (Lehrstuhl Öffentliches
Recht, Universität Halle-Wittenberg),
Reinhard Kreckel (HoF Halle-Wittenberg),
Moderation: Martin Spiewak (DIE ZEIT)

Anmerkung:
1 Alle Vortragsfolien der Tagung sind auf der Website des Institutes für Hochschulforschung Wittenberg unter <http://www.hof.uni-halle.de/projekte/qualitaetswirkungen,publikationen.htm> (30.06.2010) verfügbar.


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