Wissensraum Frauenkloster

Wissensraum Frauenkloster

Organisatoren
Sigrid Schmitt, Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum, Universität Trier
Ort
Trier
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.04.2010 - 17.04.2010
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Von
Petra Kurz, Historisch-Kulturwissenschaftliches Forschungszentrum (HKFZ) Trier, Universität Trier

Das Projekt des Historisch-Kulturwissenschaftlichen Forschungszentrums der Universität Trier „Wissensräume und Identitäten in spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Frauenklöstern“ untersucht den „Wissensraum Frauenkloster“ aus zwei verschiedenen räumlichen Blickwinkeln: Zunächst den meist durch massive Klostermauern klar und offensichtlich eingegrenzten Raum des Frauenklosters, in dem sich das „Wissen“ der geistlichen Frauen verorten und eingrenzen lässt. Des Weiteren geht das Projekt davon aus, dass Wissensräume auch von den geistlichen Gemeinschaften nach außen hin geschaffen und geprägt werden bzw. in Wechselwirkung mit der Außenwelt stehen. Wissen wird dabei nicht (nur) im Sinne von Bücherwissen und Wissenschaft verstanden, sondern (auch) im Sinne von Wissen um die Gewohnheiten und Bräuche oder um die soziale und rechtliche Stellung einer geistlichen Gemeinschaft in der spätmittelalterlichen Gesellschaft. So wurden für den Workshop vier Kategorien, in denen die Klöster im Inneren eigene Wissensräume bilden und diese auch nach außen hin schaffen, in einzelnen Sektionen diskutiert: erstens Ordnung, zweitens Bildung, drittens Wirtschaft und viertens Gesellschaft und Politik.

Ziel des Workshops war es, die Forschungsfragen der Projektbeteiligten mit der konkreten Archivsituation zu konfrontieren, um die Aussagekraft und das Vorhandensein der Quellen zu den Wissensräumen von geistlichen weiblichen Gemeinschaften besser einschätzen zu können. Deshalb wurde in jeder Sektion ein Impulsreferat zur jeweiligen Kategorie der Wissensräume mit Ideen und möglichen Fragestellungen vorgestellt und im Anschluss daran ein Archivar bzw. Bibliothekar gebeten, seine Einschätzung zur Quellenlage zu geben.

Nach der Einführung von SIGRID SCHMITT (Trier) eröffnete FRANZ JOSEF FELTEN (Mainz) den Workshop mit einem Impulsreferat in der Kategorie „Ordnung“. Er thematisierte die Begriffe Ordnung und Tradition als für geistliche Frauen verpflichtend und notwendig. Ihre Grundlagen seien meist in der Heilsgeschichte und in der Gründungsgeschichte der Konvente zu finden und an den Ordensregeln ablesbar. Werde durch eine Reform die Ordnung eines Klosters verändert, habe dies auch soziale und politische Folgen für die geistliche Gemeinschaft, daher sei der Widerstand gegen Reformen nicht unbedingt als Zeichen von Dekadenz zu werten. Nicht zuletzt, so legte Franz Felten dar, würden die geistlichen Frauen durch ihre Profess einen Vertrag auf die bestehende Ordnung eingehen, der nicht ohne Weiteres veränderbar sei.
MARTINA KNICHEL (Koblenz) stellte aus dem Bestand des Koblenzer Hauptstaatsarchivs das Kloster St. Irminen in Trier vor und zeigte an diesem Beispiel, dass Ordenszugehörigkeit nicht gleichzeitig die Anwendung der entsprechenden Regel bedeuten müsse. Zudem diskutierte sie bestimmte Strategien der Frauen in St. Irminen, die die geistliche Gemeinschaft durch die ständigen Selbstbehauptungsbemühungen gegenüber dem Erzbischof entwickelte; sie liefern Aufschlüsse über den Wissensraum Frauenkloster.

Die Diskussion unter der Leitung von GISELA MUSCHIOL (Bonn) benannte vor allem die Statutenbücher der Frauenklöster als ergiebige Quelle, die zwar nicht häufig erhalten seien, im Einzelfall – wie etwa für die elsässischen Stifte, die von Sabine Klapp in ihrer Dissertation untersucht wurden – aber eine entscheidende Quellengattung darstellen könnten. Insgesamt sollten bei Fragen nach dem Raum von und dem Wissen über Ordnung im Frauenkloster auch wirtschaftliche Quellen (Einflüsse), Briefe (Denkstrukturen) und vor allem kunsthistorische Quellen (Textilien, Schlösser, Türen etc.) herangezogen werden, so die Diskussionsergebnisse.

In der zweiten Sektion „Klöster als Bildungsräume“ erläuterten EVA SCHLOTHEUBER und ALMUT BREITENBACH (Münster) in ihrem Impulsreferat die Herangehensweise ihres DFG-Projekts „Schriftlichkeit in süddeutschen Frauenklöstern“. Mit ihrem Ansatz, dass die Schriftlichkeit eines Konvents zeige, was „wissenswert“ in der Gemeinschaft sei, konnten sie darstellen, wie Bildung im Kloster sich durch verschiedene Arten von Wissen auszeichne – religiöses, soziales, Alltags- und Erfahrungswissen, Handlungswissen und Gelehrtenwissen. Auch sie machten sich dafür stark, dass die Untersuchung der Bildung in einem Frauenkloster sich nicht auf den Bereich innerhalb der Klostermauern beschränken dürfe. Sie präferierten für ihr Projekt allerdings den Begriff Wissensgemeinschaft im Gegensatz zum Wissensraum.

Im Stadtarchiv Trier sind nach MICHAEL EMBACH‘s (Trier) Ausführungen mehrere Handschriften aus Frauenklöstern überliefert. Der größte Teil stamme allerdings aus dem reformreichen 15. und 16. Jahrhundert. Bei der Untersuchung der Bildung einer geistlichen Gemeinschaft, plädierte er für die strikte Trennung zwischen Kloster und Stift und illustrierte an vier geistlichen „Ausnahmefrauen“ verschiedene Formen und Voraussetzungen für ihre Bildung (Herrad von Hohenburg, Hildegard von Bingen, Ada und Aleydis Raiscop).

Die Diskussion unter der Leitung von ALISON BEACH (Köln) zeigte, dass Wissen und Bildung im Kloster nicht ausschließlich durch „Schriftlichkeit“ ablesbar seien und betonte, dass auch in Frauenklöstern monastische Gelehrsamkeit vorhanden gewesen sei. Eine besondere Rolle für den „Bildungsraum“ eines Frauenklosters wurde von den Teilnehmern den Reformen des Spätmittelalters zugewiesen, da sie nicht nur Neuerungen brachten, sondern in ihrer Folge auch vermehrt Handschriften und Verwaltungsschriftgut entstanden, die den Bildungsraum eines Klosters erst sichtbar machten.

Der Abendvortrag von GABRIELA SIGNORI (Konstanz) widmete sich der Funktion und Instrumentalisierung von Dormitorien und Refektorien in Frauen- und Männerklöstern. Gabriela Signori konnte aufzeigen, dass vor allem in den spätmittelalterlichen Visitationsakten den Dormitorien vergleichsweise wenig Bedeutung beigemessen wurde, während das Refektorium, als der Ort des gemeinsamen Mahls, eine viel entscheidendere Rolle spielte. Die monastische Entwicklung vom Dormitorium zur eigenen Zelle sei keineswegs so gradlinig verlaufen, wie dies in der Forschung teilweise dargestellt werde, sondern eher als Rückkehr zu den Anfängen des Mönchtums zu verstehen. Gabriela Signori identifizierte nicht die Kammern und Zellen selbst als Streitpunkt der Reformen, sondern den Besitz darin, der sich meist in von der Forschung wenig beachteten abschließbaren Truhen befand. Die Diskussion kam zu dem Ergebnis, dass gerade in Frauenklöstern der gemeinschaftliche Raum gegenüber dem für das weibliche Geschlecht „gefährlichen“ isolierten Raum der Mystik präferiert werde, während für die Männerklöster in gemeinschaftlichen Schlafräumen vor allem die „Gefahr“ der Homosexualität herausgestellt wurde.

Der zweite Tag des Workshops begann mit der Sektion „Frauenklöster als Wirtschaftsräume“, die ANNETTE KEHNEL (Mannheim) mit einem Impulsreferat eröffnete. Obwohl die Klöster und insbesondere die Frauenklöster in der allgemeinen wirtschaftsgeschichtlichen Forschung nicht wahrgenommen würden, seien sie sowohl Marktteilnehmer als auch Wirtschaftsgeneratoren, die die Wirtschaftswelt des mittelalterlichen Europa geprägt hätten. Gerade für die Frauenklöster bilden Wirtschaftlichkeit und Spiritualität einen aufs engste miteinander verzahnten Interaktionsraum, den es nach Annette Kehnel zu beachten gelte.

Aus der Sicht des Archivs nannte MARIA MAGDALENA RÜCKERT (Stuttgart) verschiedene Quellengattungen, die bei der Untersuchung der Wirtschaftweise von Frauenklöstern beachtenswert seien – vor allem Urkunden, Urbare und Rechnungen, aber auch erzählende Quellen und Briefe. Da die Frauenklöster in der Wirtschaft meist nicht selbständig agieren konnten, verwies sie darauf, die Überlieferung aus anderen Kontexten, etwa dem Mutterkloster oder den mit der cura monialium betrauten Männerkonventen, nicht zu missachten. Bei der Untersuchung der Wirtschaft eines Frauenklosters sei man allerdings oft dem Überlieferungszufall ausgesetzt. Viele Dokumente seien durch Katastrophen zerstört oder nach Erledigung des Geschäfts vernichtet worden. Darüber hinaus sei auch die oft schwer nachvollziehbare Aufteilung der Bestände auf verschiedene Archive unterschiedlicher Träger bei der Quellensuche zu beachten.

Auf den engen Konnex zwischen Spiritualität und Ökonomie gerade in den Reformen der Frauenklöster wurde in der Diskussion unter der Leitung von GUDRUN GLEBA (Osnabrück) nochmals explizit hingewiesen. So sei etwa der Armutsstreit der Bettelorden als ökonomische Diskussion nicht zu unterschätzen. Die Besonderheit der Klausur in den geistlichen Frauengemeinschaften, betonte die Diskussion, erfordere ein anderes Wirtschaftswissen als etwa jenes in Männerklöstern und sei daher stets zu beachten.

Die vierte und letzte Sektion widmete sich dem Thema der „Frauenklöster als politische und soziale Wissensräume“. In ihrem Impulsreferat wies SABINE KLAPP (Trier) darauf hin, dass Klöster und Stifte als „konkrete Räume“ durch die Anbringung von Wappen oder den Rückgriff auf spezifische Bild- oder Architekturelemente der Repräsentation sozialer bzw. politischer Gruppen und Netzwerke dienen konnten. Der Frage nachgehend, wie Klöster als politisch-soziale Räume konstruiert wurden, stellte sie drei Forschungsfelder vor, von denen in den vergangenen Jahren zahlreiche Impulse für die Beschäftigung mit geistlichen Frauengemeinschaften als politisch-soziale Wissensräume ausgingen: die Erforschung von Frauenstiften im frühen und hohen Mittelalter, die Analyse von Reformen geistlicher Gemeinschaften im hohen und späten Mittelalter sowie die Untersuchung städtischer Frauenklöster und -stifte im späten Mittelalter. Die genannten Forschungsfelder zeigten, dass Handlungsmöglichkeiten geistlicher Frauen, etwa im Hinblick auf die Abwehr von Reformmaßnahmen, in hohem Maße abhängig gewesen seien von deren Wissen um Rechte und Gewohnheiten des eigenen Konvents, Familienzugehörigkeiten, Standesrechte, Netzwerke oder Kommunikationsmedien und -wege.

GEROLD BÖNNEN (Worms) vom Stadtarchiv in Worms stellte die besondere Überlieferungslage eines kommunalen Archivs vor und setzte sich dafür ein, bei der Untersuchung der Wissensräume die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit nicht als Bruch zu verstehen, sondern bewusst mit einzubeziehen und gerade den sozialen und politischen Wissensraum eines Klosters nicht ordensimmanent zu betrachten, da die Zugehörigkeit zu einem Orden bei weiblichen Konventen nur eine nachgeordnete Rolle spiele. Als relevante Quellenarten stufte Bönnen Testamente, Inschriften und Nekrologe ein, wies aber auch auf kommunale Quellen und ihre Bedeutung hin, da sie Hinweise über die Aufsicht, die Verwaltung und die Überwachung oder gar einen Rechtsstreit der Frauenklöster geben könnten. Die Diskussion, von FRANK HIRSCHMANN (Trier) moderiert, stellte nochmals heraus, dass auch das Verhältnis eines Frauenklosters zu Pfarreien, Beginengemeinschaften und Hospitälern bei der Betrachtung der verwandtschaftlichen und politischen Netzwerke nicht vernachlässigt werden sollte.

Die Abschlussdiskussion unter der Leitung von Sigrid Schmitt verdeutlichte das unterschiedliche Verständnis von Raum und Wissen, das für die weitere Verständigung präzisiert werden soll. Es gelte, die Vorteile der Raumforschung für das Frauenkloster zu nutzen, sei es als heuristisches Instrument oder als Ordnungsinstrumentarium. Entscheidend für die Forschung sei auch die Frage, wo und wie das Wissen der geistlichen Frauen sichtbar werde, wo es präsent sei, um es untersuchen zu können. Sigrid Schmitt machte deutlich, dass neben den auf dem Workshop behandelten Untersuchungskategorien noch weitere zur Bearbeitung anstehen, insbesondere der „sakrale Raum Frauenkloster“ aber auch der „Architektur- und Kunstraum“.

Konferenzübersicht:

Begrüßung: Martin Przybilski (Trier), Sigrid Schmitt (Trier)

Sektion 1: Ordnung. Klöster als Wissensräume über Ordnungen und Traditionen – durch Klöster geschaffene Ordnungsräume und –verbände

Impulsreferat: Franz Felten (Mainz)

Kurzreferat: Martina Knichel (Koblenz)

Moderation der Diskussion: Gisela Muschiol (Bonn)

Sektion 2: Bildung. Klöster als Bildungsräume – durch Klöster geschaffene Bildungsräume

Impulsreferat: Eva Schlotheuber, Almut Breitenbach (Münster)

Kurzreferat: Michael Embach (Trier)

Moderation der Diskussion: Alison Beach (Köln)

Klösterliche Raumvorstellungen im Spiegel divergierender Reformkonzepte, Gabriela Signori (Konstanz)

Sektion 3: Wirtschaft. Klöster als Wirtschaftsräume – durch Klöster geschaffene Wirtschaftsräume

Impulsreferat: Annette Kehnel (Mannheim)

Kurzreferat: Maria Magdalena Rückert (Stuttgart)

Moderation der Diskussion: Gudrun Gleba (Osnabrück)

Sektion 4: Politisch/Sozialer Raum. Klöster als soziale und politische Räume – durch Klöster geschaffene soziale und politische Räume

Impulsreferat: Sabine Klapp (Trier)

Kurzreferat: Gerold Bönnen (Worms)

Moderation der Diskussion: Frank Hirschmann (Trier)

Abschlussdiskussion: Sigrid Schmitt (Trier)