Grenzen. 2. Schweizerische Geschichtstage: Querschnittsbericht "Frühe Neuzeit"

Grenzen. 2. Schweizerische Geschichtstage: Querschnittsbericht "Frühe Neuzeit"

Organisatoren
Schweizerische Gesellschaft für Geschichte; Historisches Seminar, Universität Basel
Ort
Basel
Land
Switzerland
Vom - Bis
04.02.2010 - 06.02.2010
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Von
Roberto Zaugg / Kaspar von Greyerz / Simone Zweifel, Historisches Seminar, Universität Basel

Von den insgesamt 66 Panels der 2. Schweizerischen Geschichtstage befassten sich 7 ausschließlich und 6 teilweise mit frühneuzeitlichen Themen. Die Heterogenität der behandelten Knotenpunkte spiegelte in vielerlei Hinsicht die fruchtbare Bandbreite wider, mit der in den letzten Jahren die Grenzperspektive in der Geschichtsschreibung zur Vormoderne angewendet worden ist.

Im Rahmen des von Pascal Eitler (Berlin) und Aline Steinbrecher (Zürich) organisierten Panels „Tiere und Menschen – Grenzauslotungen zwischen Früher Neuzeit und Gegenwart“ hielt PAUL MÜNCH (Essen) den einzigen, ausschließlich mit der Frühen Neuzeit befassten Vortrag. Er verwies dabei auf vormoderne „Frühformen“ evolutionären Denkens. Die gemeinsame Geschichte von Affen und Menschen beginnt gemäß Münch „in Europa eigentlich erst im 17. Jahrhundert“. Im 18. Jahrhundert weise der sich verwissenschaftlichende Diskurs über das Verhältnis von Affen und Menschen auf enge Verwandtschaftsmerkmale hin. Das Referat von ALINE STEINBRECHER über Hunde und Menschen überschritt dann bereits die Epochengrenze hin zum 19. Jahrhundert. Steinbrecher konzentrierte sich in ihren Ausführungen auf die städtisch-bürgerliche Welt des angesprochenen Zeitraumes. Die Überlieferung aus der Sattelzeit zwischen 18. und 19. Jahrhundert verweise unter anderem auf eine ‚Intimisierung’ des Verhältnisses von Mensch und Hund, wobei etwa die erotisierenden bildlichen Darstellungen der Beziehung von Frauen und ihren Hunden auffielen. Die beiden nachfolgenden, ganz auf neuzeitliche Themen fokussierten Beiträge von Eitler und GESINE KRÜGER (Zürich) regten im weiteren Verlauf eine intensive Diskussion über den Subjekt/Objekt-Status des Tieres in geschichtlichen Darstellungen an.

Epochenübergreifend strukturiert war auch das durch JAN-FRIEDRICH MISSFELDER (Zürich) organisierte Panel zur „Geschichte des Verklungenen. Sound als Gegenstand einer Historischen Anthropologie“. Es wurde durch den Organisator mit einem eigenen Beitrag eingeleitet zur Historisierung akustischer Wahrnehmung. Klanggeschichte, so Missfelder, könne niemals ein akustisches Reenactment vergangener Klangwelten sein. Die Geschichte des Klangs müsse ihren Gegenstand über repräsentationelle Umwege konstruieren. Daher sei Klanggeschichte immer sozusagen automatisch auch Mediengeschichte. Die Musiksoziologien und -historikerin JUTTA TOELLE (Berlin) fragte sodann nach den Rückschlüssen auf damalige Klangwelten, die sich aus Kompositionen des 16. und 17. Jahrhunderts ziehen lassen, die einen expliziten Bezug zu diesen Klangwelten beinhalten, wie zum Beispiel Gibbons’ „The cries of London“ (frühes 17. Jahrhundert). Die weiteren Beiträge zu diesem Panel von DANIEL MORAT (Berlin), DMITRI ZAKHARINE (Konstanz/Zürich) und STEFAN KREBS (Eindhoven) waren auf das späte 19. und 20. Jahrhundert fokussiert.

Eine in zeitlicher Hinsicht ebenso breit angelegte Perspektive lag dem durch Valentin Groebner (Luzern) organisierten und von Wolfgang Kaiser (Paris) kommentierten Panel „Die Grenzen des Ökonomischen. Der Mensch als Ware zwischen Mittelalter und Moderne“ zugrunde und erstreckte sich vom späten Mittelalter bis zum späten 20. Jahrhundert. Hier soll nur von den beiden auf die frühe Neuzeit konzentrierten Beiträgen von BENJAMIN HITZ (Luzern) und JANINE KOPP (Luzern) die Rede sein. Ersterer thematisierte aufgrund von Luzerner Quellen die Klagen von heimkehrenden, nicht bezahlten Söldnern des 16. Jahrhunderts, betonte jedoch gleichzeitig, dass die große Mehrheit der einschlägigen Luzerner Akten keine solchen Klagen enthielten. Seine Kollegin ging, ebenfalls auf Luzerner Archivalien basierend, auf die Rolle menschlicher Körperteile in der frühneuzeitlichen Medizin und Alltagsmagie ein, wobei sie betonte, auch innerliche Einnahme von Menschenschmalz sei offenbar vorgekommen.

Die durch Christian Grosse (Genf) geleitete Sektion „Construire, défendre et legitimer la frontière religieuse dans l’espace romand au XVIe siècle: Instruction, pastorale, controverses“ bezog sich auf den Genfersee-Raum. In ihrem Vortrag zur Académie von Lausanne im 16. Jahrhundert verwies KARINE CROUSAZ (Lausanne) unter anderem auf die konfessionelle Durchlässigkeit bestimmter Fächer, zum Beispiel Geographie, in welchen auch katholische Autoren herangezogen wurden, und zeigte, dass im Unterschied zu Genf, wohl mit Blick auf Studienanwärter aus dem Wallis, kein konfessionsspezifischer Schwur der Studierenden verlangt wurde. Das Referat von GENEVIÈVE GROSS (Genf) galt der sowohl politische wie religiöse Grenzen überschreitenden Mission eines aus Genf in den frühen 1560er-Jahren zu Coligny gesandten Pfarrers (Jean Reymond Merlin). DANIELA SOLFAROLI CAMILLOCCI (Genf) beschäftigte sich mit dem durch Bern im späten 16. Jahrhundert an Savoyen restituierten Gebiet südlich des Genfersees und zeigte, wie die konfessionellen Grenzen (hier im Sinne der katholischen Gegenreformation) aufgrund einer theologisch-konfessionellen Kontroverse neu gezogen wurden.

In dem durch Kirstin Bentley (Basel) und Sundar Henny (Basel) organisierten und von Roberto Zaugg (Basel) kommentierten Panel zum Thema „Grenzen des Glaubens. Religion und Grenzen in der Frühen Neuzeit“ untersuchte Bentley zwei Berner Selbstzeugnisse, wobei vor allem die im frühen 18. Jahrhundert verfassten Aufzeichnungen der Katherina von Wattenwyl-Perregaux, die sich als konfessionelle Grenzgängerin stilisierte, für Diskussionsstoff sorgte. Ihr zweiter Blick galt dem Selbstzeugnis des (Radikal-)Pietisten Samuel König (gest. 1750). Henny bezog sich auf die Selbstzeugnisse des Zürcher Politikers Johann Heinrich Waser (geb. 1600) sowie auf die Autobiographie des Pfarrers Johannes Müller und kontrastierte die vor allem historisch-territorial geprägten Vorstellungen Wasers mit den eher spirituell gelagerten Müllers. Im Gegensatz zur Programmankündigung reduzierte MARIO GALGANO (Fribourg) den Bezug seiner Ausführungen auf das Thema „Der Apostolische Nuntius und die Eidgenossen“ in den Jahren 1586-1798 gestützt auf entsprechende Gesandtenberichte, 6.000-7.000 Briefe und weiteres Quellenmaterial. Er verwies auf ein insgesamt ziemlich klischeehaftes Bild, das sich die Luzerner Nuntien von den Eidgenossen machten. PIERRE-OLIVIER LÉCHOT (Genf) fokussierte sein Referat auf die konfessionelle Öffnung, die sich im Calvinismus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts abzuzeichnen begann, und auf die „Theologia polemica“ des einflussreichen Herborner Theologen Johann Heinrich Alsted von 1620 sozusagen als Grundlage dieser späteren Entwicklung, wobei eine Tendenz zur Minimisierung dogmatischer Unterschiede mit einer ‚Moralisierung’ des Christentums einherging.

Jan-Andrea Bernhard (Zürich) leitete eine Sektion zum Thema „Opfer und Überwinder von Konfessionsgrenzen im 16. Jahrhundert“. Sie wurde eröffnet durch CHRISTINE CHRIST-VON WEDEL (Basel), die aufgrund der Schriften des Erasmus der Jahre 1524-1533 die anfänglich mehr erzwungenen als erwünschten Grenzziehungen des Humanisten gegenüber der Reformation nachzeichnete. URS B. LEU (Zürich) beschäftigte sich danach aufgrund der kürzlich erschienenen Täuferakten aus den Kantonen Bern, Solothurn und Aarau mit der Frage, wie Solidarität und gegenseitiger Schutz unter den Täufern zum Teil über beträchtliche Distanzen hinweg weitmaschig funktionierte. Er hob dabei die besondere Rolle des Netzwerks der „Fründschaft“ hervor, die in der Frühen Neuzeit eine andere Personengruppe bezeichnete als in der Moderne. Bernhard sprach über Francesco Negri, der sich nach Verlassen seines italienischen Klosters unter anderem in Strassburg und Chiavenna aufhielt und 1562/63 in Polen starb. Er war „weniger ein Reformator als ein um die Evangeliumsverkündigung bemühter Humanist“, mit Sicherheit im Unterschied zu anderen italienischen „heretici“ kein Antitrinitarier. Auch JUDITH STEINIGER (Zürich) äußerte sich zu spezifischen Aspekten der Biographie eines Italieners, Ortensio Lando, der 1534 aus seinem Kloster flüchtete, zu seinen teilweise geradezu rastlosen Reisen und zu seinen Schriften, die ihn nicht zuletzt als Erasmianer zeigen, der sich zweitweise zwischen den konfessionellen Fronten bewegte. Lando starb zwischen 1556 und 1559 in Neapel.

Im Rahmen des von Nathalie Büsser (Zürich) und Pascal Germann (Zürich) organisierten Panels über „Die Verwandtschaft im Baum – Genealogische Grenzziehungen und Konzepte der Vererbung vom Spätmittelalter bis zur modernen Genetik“ befasste sich SIMON TEUSCHER (Zürich) mit vormodernen Verwandtschaftsdebatten. Thematisiert wurde die im Spätmittelalter immer stärker werdende Vorstellung, dass Verwandtschaft über das Blut und nicht über das Fleisch weitergegeben wurde. Diese Anschauung erlaubte es, einzelne Abstammungslinien hervorzuheben, wodurch die agnatische Familienstruktur an Bedeutung gewann. DAVID SABEAN (Los Angeles) fügte hinzu, dass mit dieser Vorstellung das Bild des sündigen Körpers schwächer wurde und dass dadurch die Verwandtschaft mit Reinheit und damit auch mit Ordnung in Verbindung gebracht werden konnte. NATHALIE BÜSSER wies in ihrem Referat „Differenzen produzieren und verwischen. Verwandtschafts- und Vererbungskonzeptionen bei Soldunternehmerfamilien (16.-18. Jahrhundert)“ darauf hin, dass Genealogien beispielsweise konstruiert wurden, um die Stellung einer aufgestiegenen Familie in einer Gesellschaft zu sichern oder um Zugehörigkeiten zu konstruieren. Wie schon Teuscher zeigte auch Büsser auf, dass in diesen Verwandtschaftskonzeptionen meist ein Denken entlang patrilinearer Linien herrschte. Durch diese Linien wurde laut Büsser beispielsweise erblicher Anspruch bezüglich eines Amtes suggeriert, welcher rechtlich nicht gegeben war. Die beiden letzten Beiträge von Germann und MARTIN ZWILLING (Berlin) waren ganz auf neuzeitliche Themen fokussiert.

Das bisher wenig erforschte Gebiet „Gesund essen in der Vormoderne“ wurde im von Barbara Orland (Basel) organisierten Panel thematisiert. In seinem Referat verwies MICHAEL STOLBERG (Würzburg) auf die Debatte über die Fettsucht und deren Folgen im ärztlichen Schrifttum des 16. und 17. Jahrhunderts, in welchem die Vorstellung der Fettleibigkeit eng mit jener von Fäulnis und Verfall verknüpft war. Vom 17. zum 18. Jahrhundert scheint sich die Debatte um die Fettleibigkeit verändert zu haben: Während zuvor die Vorstellung eines gespannten Körpers, bei welchem der Druck auf die Gefäße als problematisch galt, vorherrschend war, so wurde danach ein fettleibiger Körper als schlaff, schwammig und weich charakterisiert. ANTONIO CLERICUZIO (Cassino) ging der Geschichte der Verdauungslehren nach. Dabei stellte er Konzepte von auf Paracelsus folgenden Iatrochemikern vor, welche die Verdauung als rein chemischen Prozess verstanden. EMMA C. SPARY (London) ging in ihrem Referat der Frage nach, welche Komponenten des Brotes, Stärke oder Gluten, nahrhafter seien. Im Gegensatz zur früheren Meinung vieler Pariser Apotheker, Weißbrot zähle zu den gesündesten Lebensmitteln, vertrat der Apotheker Antoine-Augustin Parmentier die Ansicht, dass vor allem die Stärke nahrhaft sei. Daraus resultierte der erfolglose Versuch, eine Art Weißbrot ausschließlich aus Kartoffelstärke herzustellen. FRANK W. STAHNISCH (Calgary) ging verschiedenen Vorstellungen von Nerven-Nahrung, gesundem Geist und Stoffwechselkonzeptionen nach, unter anderem denjenigen von Thomas Willis (1621-1675), Albrecht von Haller (1708-1777) und Samuel Thomas von Soemmerring (1755-1830).

Im von Susanna Burghartz (Basel) organisierten und von Harald Fischer-Tiné (Zürich) kommentierten Panel „An Grenzen arbeiten. Kolonialgeschichten 1600-1900“ standen die Grenzen der Kolonialgeschichtsschreibung im Vordergrund, wobei Tiné drei Grenzen nannte: jene der Identität und Alterität, jene zwischen Herrschern und Beherrschten sowie Wissensgrenzen. Wichtig sei, dass alle diese Grenzen hybrid sind und dass diese Grenzziehungen immer wieder neu etabliert werden müssen. In ihrem Referat vertrat Burghartz die These, dass durch die Magellanstraße als Ort der Konkurrenz verschiedener europäischer Kolonialmächte widersprüchliche Differenzen entstanden seien. RENATE DÜRR (Kassel) thematisierte neue Ansätze in der frühneuzeitlichen Mission, wie beispielsweise jenen von José de Acosta, der forderte, dass die Missionare die Sprache der Einheimischen lernen sollten. Im letzten Referat des Panels setzte sich REBEKKA HABERMAS (Göttingen) mit einem neuzeitlichen Thema auseinander.

Anliegen des Panels „Durchlässige Grenzen: Neutralisierung und grenzüberschreitende Mobilität in Kriegszeiten (17. und 18. Jahrhundert)“ war es, die alte Thematik der eidgenössischen Neutralität aus einer neuen Perspektive zu thematisieren. CHRISTIAN WINDLERs (Bern) Einleitung setzte denn auch bei einer kritischen Dekonstruktion des historiographischen Bildes einer neutralitätspolitischen Kontinuität in der Alten Eidgenossenschaft an, und skizzierte die theoretischen Grundpositionen der Neutralitätsdebatte in der Frühen Neuzeit. In seinem Vortrag über die Fluchtbewegungen in der Juraregion während des Dreißigjährigen Krieges rekonstruierte BERTRAND FORCLAZ (Neuenburg) sowohl die interkonfessionellen Solidaritätsbeziehungen, die sich zwischen Flüchtlingen und lokalen Gemeinschaften einstellten, als auch die obrigkeitliche Tendenz, die Vertriebenen als ordnungspolitische Gefahr anzusehen. ANDREAS BEHR (Bern) hob in seinem Referat über die französische Eroberung der Franche Comté (1674) die wirtschaftlichen Interessen hervor, die das Freiburger Patriziat zu einer taktischen Interaktion mit den entgegengesetzten Kriegsparteien brachten. NADIR WEBER (Bern) zeigte wie es Neuchâtel gelang, seine Neutralität und seine Beziehungen zum nahen Frankreich zu wahren, obwohl der preußische Souverän mit letzterem im Krieg war.

Das von Joachim Eibach (Bern) koordinierte Panel „Transmitter: MittlerInnen zwischen den Kulturen und ihre kulturellen Grenzen“ thematisierte anhand einiger berühmter Individuen die Frage der Vermittlung von Kulturen. SVEN TRAKULHUN (Zürich) rekonstruierte den komplexen Versuch des Jesuiten Matteo Ricci, das Christentum in die chinesische Sprache und Kultur zu übersetzen, und hob hervor, dass in diesem Prozess das Christentum mit konfuzianischen Elementen aufgeladen wurde. MIRIAM WALLRAVEN (Tübingen) analysierte die Umstrukturierung des Türkenbildes bei Mary Wortley Montagus, die die sexualisierte Vision der weiblichen Sphäre des Orients negierte und die Freiheit der türkischen Frau den gesellschaftlichen Fesseln der westlichen Frau entgegenstellte. MARTIN STUBER (Bern) hob die Rolle in der Vermittlung von Wissen über nahe und ferne Weltregionen hervor, die Albrecht von Haller von Bern aus durch seine zahlreichen Rezensionen und durch sein weitverflochtenes Korrespondenznetz ausübte. OLAF MÜLLER (Jena) verglich Germaine de Staëls Italien- und Deutschlandbilder, und hob dabei hervor, wie diese im Bezug auf die anti-napoleonische Polemik benutzt wurden.

Das Panel „Grenzgänge(r) zwischen Europa und Asien im 17. und 18. Jahrhundert“ behandelte anhand von vier Beispielen europäischer Reisen in asiatische Regionen, die Modalitäten transkultureller Interaktion. ANTJE FLÜCHTER (Heidelberg) rekonstruierte die kulturellen und sozialen Zwänge denen katholische Missionare in Südindien ausgesetzt waren, sowie die Akkomodationslösungen (Kastentrennung, Essensgebote), mit welchen sie auf diese reagierten. KIM SIEBENHÜNERs (Basel) Referat zur Figur von Jean-Baptiste Tavernier – einem französischen Kaufmanns, der mehrmals nach Indien reiste – thematisierte die Rolle sozialer Akteure in transkulturellen Handelsbeziehungen, und hob dabei die Voraussetzungen, die Chancen, aber auch die Grenzen einer solchen Mittlerrolle hervor. CLAUDIA OPITZ-BELAKHAL (Basel) analysierte wie Carsten Niebuhr im Versuch die arabische Kultur aus einer möglichst „neutralen“ Perspektive zu beobachten, verschiedene Grenzüberschreitungen praktizierte und wie er, aufgrund der Selbstdarstellung im Reisebericht, im 19. Jahrhundert als explizit arabophil rezipiert wurde. JÖRN HAPPEL (Basel) untersuchte in seinem Vortrag die Modalitäten der Wissensproduktion russischer Expeditionen in Sibirien, und thematisierte dabei sowohl die Interaktion zwischen Wissenschaftlern und indigener Bevölkerung als auch die Topoi der Expeditionsberichte. Das Panel wurde von CLAUDIA ULBRICHTs (Berlin) Referat abgerundet, das die heuristischen Potentialitäten und Tücken von Selbstzeugnissen als Quellen transkultureller Beziehungen analysierte.

Das von Andreas Würgler (Bern) koordinierte Panel „Die Grenzen des Zumutbaren. Leidensbereitschaft und Gegenwehr der Zivilbevölkerung in militärisch besetzten Gebieten (Schweiz 1792-1815)“ diskutierte die Formen von Leiderfahrung und Protest während der französischen Besetzung der Schweiz. ERIC GODEL (Historisches Lexikon der Schweiz) untersuchte die Repräsentation der helvetischen Verfassung in den Schriften ihrer Gegner, und hob dabei die religiösen und politischen Diskurse hervor, die diese charakterisierten. PHILIPPE OGGIER (Bern) stellte seine Studie zu den Übergriffen der französischen Militärs auf die schweizerische Zivilbevölkerung vor, und untersuchte dabei die Rolle der helvetischen Institutionen in derartigen Konfliktsituationen. DANIEL SCHLÄPPI (Bern) richtete die Aufmerksamkeit auf einen zentralen Kontenpunkt der Helvetik – der Widerspruch zwischen individueller, homogener Staatsbürgerschaft und der Beibehaltung korporativer Institutionen und Eigentumsverhältnisse – und leuchtete so eine substantielle Grenze der Revolution von 1798 aus. DANIÈLE TOSATO-RIGO (Lausanne) untersuchte in ihrem Referat über die französische Besetzung des Waadtlandes die verschiedenen Legitimationsdiskurse und die sozialen Praktiken der Koexistenz mit dem Besatzer. ANDRÉ HOLENSTEIN (Bern) thematisierte die Konstruktion von Erinnerung über die Ereignisse von 1798, und zeigte, wie im 19. Jahrhundert Historische Vereine gezielt Berichte von Zeitzeugen sammelten, verschriftlichten und publizierten.

Die in diesem Tagungsbericht festgehaltenen Beobachtungen und die beeindruckende Liste der Panels, die sich ausschließlich mit frühneuzeitlichen Themen beschäftigten, machen deutlich, dass neben traditionelleren Herangehensweisen, etwa im Bereich des Kulturtransfers und der Religions- und Konfessionsgeschichte, eine Reihe neuer Wege beschritten wurde, zum Beispiel in der historischen Klangforschung oder in der Erforschung von frühneuzeitlichen Vererbungskonzepten und des Verhältnisses von Mensch und Tier. Auch ein Revival wurde erfolgreich inszeniert, nämlich dasjenige der in den vergangenen Jahren stagnierenden Ernährungsgeschichte. Neben Bewährtem wurde viel Neues, auch Innovatives und – wie erwähnt – Erneuertes geboten. Aus der Sicht der Frühneuzeithistorie eine sehr erfolg- und ertragreiche Tagung.

Konferenzübersicht: Grenzen. Schweizerische Geschichtstage 2010, frühneuzeitliche Geschichte

Tiere und Menschen – Grenzauslotungen zwischen Früher Neuzeit und Gegenwart
Organisation: Pascal Eitler (Berlin) / Aline Steinbrecher (Zürich)

Paul Münch (Essen): Affen und Menschen - Vormoderne Verwandtschafts- und Differenzdebatten
Aline Steinbrecher (Zürich): Hunde und Menschen - Ein grenzauslotender Blick auf ihr Zusammenleben (1700-1850)
Gesine Krüger (Zürich): Der Kaiman mit dem Senftopf. Tiere als historische Akteure?
Pascal Eitler (Berlin): Mutationen - Territorien - Infektionen.
 Subjektivierungsprozesse in Tier(horror)filmen

Geschichte des Verklungenen: Sound als Gegenstand einer Historischen Anthropologie
Organisation: Jan-Friedrich Missfelder (Zürich)

Jan Friedrich Missfelder (Zürich): Period Ear. Zur Historisierung akustischer Wahrnehmung seit der Frühen Neuzeit
Jutta Toelle (Berlin): Musikalisierter Klangalltag. Zu Schnittstellen und Grenzen von Soundscape und Musik in in der Frühen Neuzeit
Daniel Morat (Berlin): Die Klanglandschaft der Grossstadt. Kulturen des Auditiven in Berlin und New York 1870-1918
Dmitri Zakharine (Konstanz/Zürich): Vom vormodernen Klanganimismus zur elektroakustischen Animation. Zum Problem der zeitlichen und räumlichen Grenzziehung zwischen ost- und westeuropäischen Klanglandschaften, 1920-1939
Stefan Krebs (Eindhoven): Akustisches Cocooning: die geschlossene Automobilkarosserie als Distanz- und Distinktionsmittel

Die Grenzen des Ökonomischen: Der Mensch als Ware zwischen Mittelalter und Moderne
Organisation: Valentin Groebner (Luzern), Kommentar: Wolfgang Kaiser (Paris)

Michael Jucker (Luzern): Wie viel Wert ist ein Mensch und was kostet ein Pferd? Kriegsökonomien und Grenzen der Verwertbarkeit im Mittelalter
Benjamin Hitz (Luzern): Auf der Fleischbank
Janine Kopp (Luzern): Mumia – menschliche Körper als Arzneimittel in der Schweiz der frühen Neuzeit
Simon Hofmann (Luzern): Organmangel, Kampf um wertvolle Organe und Ängste vor Organraub und Organhandel. Transplantationsmedizin in der Schweiz 1969-1996

Construire, défendre et légitimer la frontière religieuse dans l'espace romand au XVIe siècle: instruction, pastorale, controverses
Organisation: Christian Grosse (Genf)

Karine Crousaz (Lausanne): Formation religieuse à l’Académie de Lausanne et construction confessionnelle (ca. 1540-1560)
Geneviève Gross (Genf): Frontières géographiques, espaces de conflits religieux et limites confessionnelles : la cour de l’amiral Gaspard de Coligny vue par le ministre calviniste Jean Reymond Merlin (1510-1578)
Daniela Solfaroli Camillocci (Genf): Thonon 1598 : une controverse et ses enjeux. Genève et la défense de l’identité spirituelle réformée face aux missions catholiques

Grenzen des Glaubens. Religion und Grenzen in der Frühen Neuzeit
Organisation: Kirstin Bentley (Basel) / Sundar Henny (Basel), Kommentar: Roberto Zaugg (Basel)

Kirstin Bentley (Basel): Grenz-Erfahrungen – Begegnungen mit dem "Anderen" in Berner und Solothurner Selbstzeugnissen des 17. Jahrhunderts
Sundar Henny (Basel): Der Stadtstaat Zürich als eigenständige Republik, als Teil der Eidgenossenschaft und als Teil der reformierten "Umma"
Mario Galgano (Fribourg): Das Bild der Schweizer Katholiken und Reformierten bei den Vertretern ausländi-scher Mächte in der Eidgenossenschaft
Pierre-Olivier Léchot (Genf): Quand la polémique se fait irénisme. La (re-)définition des frontières religieuses dans la Theologia polemica du théologien Johann Heinrich Alsted (1588-1638)

Opfer und Überwinder von Konfessionsgrenzen im 16. Jahrhundert
Organisation: Jan-Andrea Bernhard (Zürich)

Jan-Andrea Bernhard (Zürich): Francesco Negri zwischen konfessionellen und geographischen Grenzen
Christine Christ-vonWedel (Basel): Erasmus von Rotterdam zwischen den Glaubensparteien
Urs B. Leu (Zürich): Täuferische Netzwerke in der Eidgenossenschaft
Judith Steininger (Zürich): Ortensio Lando. Ein "irregolare" und "capriccioso" zwischen Katholizismus und Reformation

Die Verwandtschaft im Baum – Genealogische Grenzziehungen und Konzepte der Vererbung vom Spätmittelalter bis zur modernen Genetik
Organisation: Nathalie Büsser (Zürich) / Pascal Germann (Zürich)

Simon Teuscher (Zürich): Gemischtes Blut und die Grenzen der Verwandtschaft. Debatten am Übergang vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeit
Nathalie Büsser (Zürich): Differenzen produzieren und verwischen. Verwandtschafts- und Vererbungskonzeptionen bei Soldunternehmerfamilien (16.-18. Jahrhundert)
Martin Zwilling (Berlin):Genealogisches Denken und Rassismus. Transformationen des Begriffs der "Ebenbürtigkeit" zwischen Adelsrecht, "wissenschaftlicher Genealogie" und Nationalsozialismus (1900-1945)
Pascal Germann (Zürich): Genealogische Praktiken in der Humangenetik am Beispiel von Ernst Hanhart

Gesund essen in der Vormoderne
Organisation: Barbara Orland (Basel)

Michael Stolberg (Würzburg): De obesitate – Fettsucht in der frühneuzeitlichen Medizin
Antonio Clericuzio (Cassino): Chemical digestion in the 17th Century
Emma C. Spary (London) Das tägliche Brot? Pariser Apotheker und das Problem der Stärke zwischen Politik und Lebensmittelchemie in den 1770er-Jahren
Frank W. Stahnisch (Calgary): Zum Verhältnis von Nerven-Nahrung, Gesundem Geist und Stoffwechselkonzeptionen im "Langen 18. Jahrhundert"

An Grenzen arbeiten. Kolonialgeschichten 1600 bis 1900
Organisation: Susanna Burghartz (Basel), Kommentar: Harald Fischer-Tiné (Zürich)

Susanna Burghartz (Basel): Grenzerfahrungen. Die Magellanstraße als europäischer Projektionsraum um 1600
Renate Dürr (Kassel): Die Grenzen der Verständigung als eschatologisches Problem: humanistische Sprachtheorien in der neuen Welt
Rebekka Habermas (Göttingen): Kolonialskandale setzten Grenzen – der Fall Atakpame als Medienereignis und Mikrogeschichte

Durchlässige Grenzen: Neutralisierung und grenzüberschreitende Mobilität in Kriegszeiten (17. und 18. Jahrhundert)
Organisation: Christian Windler (Bern

Christian Windler (Bern): Neutralisierungspraktiken und grenzüberschreitende Beziehungen in Kriegszeiten im frühneuzeitlichen Europa
Bertrand Forclaz (Neuenburg): Solidarités transfrontalières. Réfugiés dans l’arc jurassien pendant la Guerre de Trente Ans (1618-1648)
Andreas Behr (Bern): Die französische Eroberung der Franche-Comté, die eidgenössische Neutralitätserklärung von 1674 und die grenzüberschreitende Mobilität
Nadir Weber (Bern): Kommunikation ohne Grenzen? Das Fürstentum Neuchâtel zwischen preussischer und französischer Monarchie im Siebenjährigen Krieg (1756–1763)

Transmitter: MittlerInnen zwischen den Kulturen und ihre kulturellen Grenzen
Organisation: Joachim Eibach (Bern)

Sven Trakulhun (Zürich): Transmitter: MittlerInnen zwischen den Kulturen und ihre kulturellen Grenzen
Miriam Wallraven (Tübingen): Reiseliteratur als Kontaktzone und Schreibort: Lady Mary Wortley Montagu als Mittlerin zwischen den Kulturen
Martin Stuber (Bern): Simmental bis Spitzbergen: Albrecht von Haller als europäischer Vermittler traditionaler Ökonomie und agrarisch-ökonomischen Wissens
Olaf Müller (Jena): Germaine de Staëls Deutschland- und Italienbilder: Funktionen und kulturelle Grenzen

Grenzgänge(r) zwischen Europa und Asien im 17. und 18. Jahrhundert
Organisation: Claudia Opitz-Belakhal (Basel)

Antje Flüchter (Heidelberg): "Brahmanen aus dem Norden"? Jesuitische Missionare als Grenzgänger im Indien des 17. Jahrhunderts
Kim Siebenhüner (Basel): Zwischen Ständen und Kulturen. Die doppelten Grenzgänge des Juwelenhändlers und Indienreisenden Jean-Baptiste Tavernier (1605 – 1689)
Claudia Opitz-Belakhal (Basel): Der "arabophile" Carsten Niebuhr. Über emotionale und andere Grenzüberschreitungen im "glücklichen Arabien"
Jörn Happel (Basel): Ungeziefer und Wilde: Sibirien als Reiseland im 18. Jahrhundert

Die Grenzen des Zumutbaren. Leidensbereitschaft und Gegenwehr der Zivilbevölkerung in militärisch besetzten Gebieten (Schweiz 1792-1815)
Organisation: Andreas Würgler (Bern)

Eric Godel (Historisches lexikon der Schweiz):La constitution scandaleuse. La population des trois cantons primitifs face à la République Helvétique
Daniel Schläppi (Bern): Grenzen der Gleichheit. Wie und warum die helvetischen Regenten vor dem Gemeinbesitz von Korporationen kapitulierten
Philippe Oggier (Bern): Tätliche Übergriffe französischer Militärangehöriger auf die Zivilbevölkerung von Bern 1798-1803
Danièle Tosato-Rigo (Lausanne): La présence militaire française dans une province "libérée": discours, pratiques, mémoire
André Holenstein (Bern):Grenzen der Erinnerung – Grenzen des Sagbaren. Die Revolution von 1798 in der Gedächtnispolitik des 19. Jahrhunderts