Kulturphänomen Arbeit. Perspektiven in Literatur, Fotografie und Film

Kulturphänomen Arbeit. Perspektiven in Literatur, Fotografie und Film

Organisatoren
Gisela Ecker und Claudia Lillge (beide Paderborn); in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Hygiene-Museum Dresden
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.12.2009 - 05.12.2009
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Von
Nerea Vöing, Universität Paderborn

Ob als öffentlich geführte soziopolitische Diskussion, als Gegenstand von Leitartikeln der Tagespresse und großen Wochenmagazine (zumeist im Rahmen von Arbeitsmarktanalysen und Arbeitslosenstatistiken, Berichten zu ‚Burnout’ sowie individuellen Erwerbsbiografien) oder in Form von populär veröffentlichten Publikationen – zu denken wäre an Jeremy Rifkins Dystopie der Arbeitslosigkeit (Das Ende der Arbeit und ihre Zukunft, 2005), Richard Sennetts soziologische Reflexionen (Der flexible Mensch, 1998 und Die Kultur des neuen Kapitalismus, 2005) oder Johano Strassers Überlegungen zum Wert des Menschen in einer postmarktwirtschaftlichen Arbeitsgesellschaft (Leben oder Überleben – wider die Zurichtung des Menschen zu einem Element des Marktes, 2001) – die Auseinandersetzungen mit der den menschlichen Alltag ultimativ strukturierenden und konstituierenden menschlichen Arbeit sind vielfältig.

„Wir gestalten arbeitend unsere Welt“1, schreibt etwa der Soziologe Manfred Füllsack, und er steht mit dieser elementaren Auffassung des Arbeitsbegriffs in der Tradition von Marx, Arendt und Habermas. Eine ähnlich fundamentale Bedeutung mit Blick auf das menschliche Handeln weist Manfred Engler der vita activa zu, wenn er feststellt, die Arbeit sei „die umfassendste und elementarste Verortung der Menschen im sozialen Raum“2, die mit Beginn der Neuzeit, wie der Germanist Leonhard Fuest formuliert, zu „einem der zentralen Fixsterne der sich ausdifferenzierenden, modernen Gesellschaft“3 und damit zur wesentlichen Kategorie in „ökonomischen, politischen, aber auch psychologischen und ethischen Diskursen“4 wurde.

Im alltäglichen Gebrauch und bezogen auf unsere Zeit bedeutet dies, dass meist auf ein „Wie heißt du?“ ein „Und was machst du?“ folgt. Diese Frage eindeutig zu beantworten, wird in Zeiten des sogenannten ‚neuen’ Kapitalismus hingegen immer schwieriger, da die Entwicklung im Feld des Arbeitsmarktes den Menschen wegführt, und zwar von einer stringenten Erwerbsbiografie hin zu einem Mosaik aus Praktika, Traineeprogrammen, Jobs und Projektarbeit. Mit den sozialen Auswirkungen dieses Wandels hat sich unter anderem der Soziologe Richard Sennett auseinandergesetzt. Seine Bilanz ist eine deutliche Kritik an den Ansprüchen, die dieser moderne Kapitalismus an das Individuum stellt. Habe sich der Mensch zuvor das Narrativ der eigenen Erwerbsbiografie als lineare Erzählung erschaffen, führe die geforderte Flexibilität, die unter anderem permanente Arbeitsplatz- und Wohnortwechsel verlange, zum Verlust von langfristigen Beziehungs- und Orientierungsstrukturen. Der Mensch beginne zu ‚driften’, da es ihm an Sicherheit und Kohärenz fehle.5

Trotz dieser wachsenden Unwegsamkeiten bleibt der subjektive Anspruch des modernen Menschen an seine Arbeit dennoch die Sinnstiftung. Nicht irgendeine, sondern die eigene Arbeit soll es sein – Berufung statt Beruf. Arbeitslosigkeit hingegen wird nicht selten als Kontrollverlust verstanden, da dem Alltag die zeitliche Strukturierung, dem Individuum Wertschätzung und die Möglichkeit zur sozialen Vernetzung entzogen wird. Diese Auffassung von Arbeit und Nichtarbeit offenbart zum einen, dass das moderne Begriffsverständnis von dem Gedanken der Erwerbsarbeit dominiert wird; zum anderen ist die Gegenüberstellung von Arbeit und Nichtarbeit immer noch stark dichotom geprägt. Solchen und anderen Vereinfachungen wird vor allem von kulturwissenschaftlicher Seite vielstimmig widersprochen, denn: So weitreichend der Einfluss der Arbeit in diesem neuzeitlichen Verständnis ist, so groß ist der Rahmen, in dem sich die Wertzuschreibungen und Werthaltungen abspielen – zwischen Sinn und Sorge, Mühe und individueller Bestätigung.

Das sich hieraus ergebende Forschungsfeld wird traditionell von ökonomischen und soziologischen Fragestellungen bestimmt, doch in den letzten Jahren widmen sich auch die kulturwissenschaftlichen Disziplinen verstärkt dem Thema, wie unter anderem das Initiativprojekt „Arbeit in Zukunft“ der Kulturstiftung des Bundes zeigt, das nach einer Laufzeit von vier Jahren mit der Sonderausstellung „Arbeit. Sinn und Sorge“, die vom 25. Juni 2009 bis zum 11. April 2010 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden zu sehen war, zu Ende ging. Als Teil des wissenschaftlichen Rahmenprogramms fand am 4. und 5. Dezember 2009 die Tagung „Kulturphänomen Arbeit. Perspektiven in Literatur, Fotografie und Film“ unter der Leitung von Gisela Ecker und Claudia Lillge (beide Paderborn) statt. Das besondere Interesse dieser in höchstem Maße interdisziplinären Tagung galt den kulturellen Vorstellungs- und Sinnbildungen von Arbeit, wie sie Literatur, Film und Fotografie mit ihren jeweils unterschiedlichen Repräsentationsweisen erzeugen. Ein weiterer Fokus galt Selektions- und Sammlungspraktiken von Museen und Archiven, die als Vermittlungsinstitutionen Sichtweisen auf Arbeit generieren, strukturieren oder hinterfragen können. Zu diesem Zweck waren Vertreterinnen und Vertreter aus den Bereichen Anglistik, Germanistik, Geschichte, Medienwissenschaften, Archivwesen und Museumsarbeit eingeladen.

Nach der Eröffnung durch Claudia Lillge und Gisela Ecker veranschaulichte JOHANNA-ELISABETH PALM (Dortmund) unter dem ersten thematischen Schwerpunkt „Sammlungen, Literatur- und Bildarchive, Projekte“ mit ihrem Vortrag die Bedeutung des Fritz-Hüser-Instituts. Das Archiv des Dortmunder Instituts stellt die größte Sammlung zur Arbeiterkulturbewegung in Deutschland dar und bietet mit seinem umfassenden Bestand eine gute Möglichkeit, in kultur- und literaturwissenschaftlicher Hinsicht über das Thema Arbeit zu recherchieren. Die Arbeiterliteratur werde in der Kulturwissenschaft noch zu häufig als ästhetisch weniger angesehenes „Schwarzbrot der Literatur“ behandelt, so Palm. Auch müssten bisher vernachlässigte Bereiche wie Arbeiterdichtung und ‚Ruhrgebietsliteratur’ von der Literaturwissenschaft neu entdeckt werden.

Einen weiteren Beitrag aus der Praxis lieferte THOMAS SEELIG (Winterthur), der die weitreichenden Bestände des Fotomuseums Winterthur – darunter Fotografien von Lee Friedlander, Sebastião Salgado und Andreas Gursky –, das heißt, eine internationale Bandbreite fotografischer Repräsentation von Arbeit vorstellte.

In dem abschließenden Vortrag des ersten Panels stellte WALTER GÖDDEN (Münster) sein Konzept zum Thema „Literarische Arbeit“ vor. Anhand von ausgewählten Videoportraits über die Autoren Martin Becker, Wiglaf Droste und Erwin Grosche, die die Grundkonstanten des literarischen Arbeitens – Zeit, Ort und Motivation – formulierten, präsentierte er erste Einblicke in sein langfristig angelegtes Video-Projekt, das in Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn umgesetzt wird.

Der Abendvortrag von REGINA SCHULTE (Bochum) leitete mit seinem historischen Ansatz schon auf die kulturwissenschaftlichen Sektionen des zweiten Tagungstages hin. Anhand von literarischen Beispielen (darunter Texte wie Samuel Richardsons Pamela, Or Virtue Rewarded, 1740 und Charlotte Brontës Jane Eyre, 1847), die sie in historische Zusammenhänge rekontextualisierte, beleuchtete Schulte das Leben von Dienstmädchen in Haushalten des 18. und 19. Jahrhunderts. Aufgrund ihrer Abhängigkeit seien Dienstmädchen zu Pflicht und Loyalität gezwungen, was aus ihrer Arbeit vielmehr einen Zustand mache. Dieses führe aufgrund der vorherrschenden Machtverhältnisse letztlich zu Selbstverlust und Scham. Als betrachtenswert betonte die Historikerin den möglichen Aspekt der Grenzüberschreitung, welcher sowohl bei Dienstmädchen des 18. und 19. Jahrhunderts als auch bei Haushaltshilfen und anderen Figurationen des Subalternen der heutigen Zeit eine große Rolle spiele.

Mit Perspektiven in Film und Fotografie beschäftigten sich die Vortragenden der zweiten Tagungssektion. JÖRN GLASENAPP (Bamberg) unterzog in seinem Beitrag die Industriefotografie von Bernd und Hilla Becher einer kritischen Reflexion. In ihrer typisierenden Akkumulation von Fördertürmen würden sie einen a-historischen Blick offenbaren, der die spezifischen Kontexte von Arbeit (zum Beispiel Arbeitsorte und -bedingungen) unterschlage.

Das Medium Film bildete die Folie von CLAUDIA LILLGEs Vortrag. Anhand von Filmausschnitten aus Karel Reisz’ Literaturverfilmung SATURDAY NIGHT AND SUNDAY MORNING (1960) veranschaulichte sie den Teilnehmern Poesien des Alltags im britischen New Wave-Kino. Die Beschäftigung in den Fabriken im Nachkriegsengland erscheine hier, so Lillge, als monotone, aber sichere Arbeit, die die Menschen und ihre zunehmenden Konsumbedürfnisse weitestgehend zufriedenstelle. Sowohl Film als auch Buch inszenieren das Leben vordergründig entlang der Trennung der Lebenszeit in Arbeits- und Freizeit. Dieses Verständnis sei, wie die Vortragende herausarbeitete, als hinfällig zu erachten, da Arbeit und Nichtarbeit auch bezüglich ihrer spezifischen Repräsentationsweisen deutlich interferieren würden.

In welchen Ausprägungen sich Arbeit in ihren literarischen Vorstellungsbildungen entfaltet, wurde in der dritten Sektion der Tagung untersucht. GISELA ECKER näherte sich der Thematik über Ralf Rothmanns Ruhrgebietsroman Junges Licht (2004) an. Die Arbeit werde hierbei zumeist in der transformierten Form des Milieus dargestellt – Alltagserlebnisse, Wohnverhältnisse und Kleidungsstile würden mit fotografischer Genauigkeit beschrieben. Zudem betonte Ecker in ihrem Vortrag das Verhältnis von Milieu und Melancholie und entwickelte den Gedanken, dass Rothmann, indem er mit dem Genre des fotografischen Stilllebens spiele, zu einer intermedialen Verknüpfung von Erinnerung und Fotografie gelange. Eine weitere literarische Perspektive eröffnete THOMAS DÖRING (München), der die Bedeutung von Raum als Akteur im Kontext von Arbeitsdarstellungen unterstrich. Dabei dienten ihm Arnold Weskers The Kitchen (1956), Monica Alis In the Kitchen (2009) und Bethan Roberts The Good Plain Cook (2008) als einschlägiges Untersuchungsmaterial.

Den Abschluss der Tagung bildete eine öffentliche Autorenlesung von KAREN DUVE (Hamburg), die mit der Journalistin und Literaturkritikerin KERSTIN CORNILS (Göttingen / London) in Dialog trat. Im Mittelpunkt von Duves erfolgreichem Roman Taxi (2008) steht die junge arbeitslose Hamburgerin Alex, die einen Job als Taxifahrerin annimmt. Das Gros ihrer Arbeitskollegen besteht aus Studiumsabbrechern, gescheiterten Existenzen und Menschenfeinden. Alex versucht sich in diesem von Frauenfeindlichkeit geprägten Umfeld zurechtzufinden – als ihren persönlichen Modus wählt sie dabei die lakonische Bitternis und Widerständigkeit einer Anti-Heldin. Im Kontext des Gesprächs explorierten Duve und Cornils unter anderem die genderspezifische Problematik (Frauen in ‚Männerberufen’) und gewährten Einblicke in einen Beruf, der bezüglich seiner Wertschätzung in unserer Gesellschaft in der Regel als letzter Ausweg betrachtet wird.

Gerade aufgrund der disziplinären Heterogenität der Tagung ergaben sich selbst im Detail Kreuzungspunkte zwischen den Forschungsansätzen der Vortragenden. So wurden in nahezu allen Beiträgen topographische Aspekte verhandelt, ob nun im Sinne von abstrakten Verortungen oder von konkreten Arbeitsräumen, wie der Fabrik, dem Herrenhaus, der Küche oder dem Schreibtisch. Die Bedeutung von Arbeit für individuelle Selbstentwürfe, sei es als Dienstmagd, als Fabrikarbeiter, als Bergmann oder als Taxifahrerin, äußerte sich vor allem in den literarischen und filmischen Beispielen. Der melancholische Ton Rothmanns, Reisz’ düstere Inszenierung der Enge der britischen Arbeitersiedlung, Duves resignierte Protagonistin und die Ausbeutung in Alis Hotelküche zeigen den kritischen modus operandi, in dem die sich gegenseitig bedingenden Motive Arbeit und Milieu als Verortung des Menschen im jeweiligen ‚Hier und Jetzt’ reflektiert werden.

Im direkten Anschluss an die Tagung formierte sich an der Universität Paderborn im Februar 2010 die interdisziplinäre Forschergruppe „Kulturphänomen Arbeit“. Die Gruppe, bestehend aus Anglisten, Germanisten, Komparatisten und Medienwissenschaftlern, setzt es sich zum Ziel, einen kulturellen Arbeitsbegriff zu konturieren und im Feld bestehender Forschung zu stärken. Grundlage ist der unter anderem von Michael Stefan Aßländer formulierte Ansatz, der Arbeitsbegriff könne aufgrund seiner starken Prägung durch den jeweiligen Kulturkreis und die jeweilige Epoche nur als historisch fixierbarer Kulturbegriff angesehen werden.6

Konferenzübersicht:

GISELA ECKER und CLAUDIA LILLGE (Paderborn), Begrüßung und Tagungseröffnung

1. Sektion: Sammlungen, Literatur- und Bildarchive, Projekte

JOHANNA-ELISABETH PALM (Dortmund), Das ‚Schwarzbrot’ der Literatur? Archiv und Bibliothek des Fritz-Hüser-Instituts für Literatur und Kultur der Arbeitswelt

WALTER GÖDDEN (Münster), Der Autor als literarischer Arbeiter. Warum schreibe ich? – Erste Ergebnisse eines Video-Projekts

THOMAS SEELIG (Winterthur), Dialogische Situationen. Fotografien zur Arbeit aus dem Archiv und der Sammlung des Fotomuseums Winterthur

Führung der Tagungsteilnehmer durch die Ausstellung „Arbeit. Sinn und Sorge“

Abendvortrag

REGINA SCHULTE (Bochum), Who Does She Think She Is? Dienen als Erfahrung und Text

Öffentliche Autorenlesung

MARKUS ORTHS (Karlsruhe), Das Zimmermädchen

2. Sektion: Perspektiven in Film und Fotografie

JÖRN GLASENAPP (Bamberg), Die Familie der Fördertürme. Bernd und Hilla Bechers fotografischer Neoplatonismus

CLAUDIA LILLGE (Paderborn), Helden der Arbeit / Helden der Freizeit. Poesien des Alltags im britischen New Wave_-Kino

ULRICH MEURER (Wien), Clatter, crash, clack! Zur Taktung von Maschine, Tanz, Film

3. Sektion: Literarische Perspektiven

GISELA ECKER (Paderborn), Milieu und Melancholie. Ralf Rothmanns fotografische Stillleben in Junges Licht

THOMAS DÖRING (München), Kulturlabor Küche: Ein Arbeitsbericht aus der englischen Literatur

STEFANIE RINKE (Berlin), Wilhelm Genazinos Ästhetik der Wiederholung und seine Bezüge zur Angestelltenkultur

Öffentliche Autorenlesung

KAREN DUVE (Hamburg), Taxi

Respons: KERSTIN CORNILS (Göttingen / London), Taxifahren als Form des Widerstands gegen die Lebensstile der anderen

Anmerkungen:
1 Füllsack, Manfred, Arbeit, Wien 2009, S. 8.
2 Engler, Wolfgang, Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft, 2. Aufl. Berlin 2005 (1. Aufl. 2005), S. 16.
3 Fuest, Leonhard, Poetik des Nicht(s)tuns. Verweigerungsstrategien in der Literatur seit 1800, München 2008, S. 20.
4 Fuest, Poetik des Nicht(s)tuns, S. 11.
5 Vgl. Sennett, Richard, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, Berlin 1998.
6 Vgl. Aßländer, Michael Stefan, Von der vita activa zur industriellen Wertschöpfung. Eine Sozial- und Wirtschaftsgeschichte menschlicher Arbeit, Marburg 2005, S. 302.


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