Kosovo/Kosova in the twentieth century. Exploring future prospects for scientific collaboration

Kosovo/Kosova in the twentieth century. Exploring future prospects for scientific collaboration

Organisatoren
Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
München
Land
Deutschland
Vom - Bis
19.03.2010 - 21.03.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Isabel Ströhle, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Vom 19. bis 21. März 2010 lud die Abteilung der Geschichte Ost- und Südosteuropas der Ludwig-Maximilians-Universität München in Zusammenarbeit mit der Volkswagen-Stiftung zum internationalen Workshop „Kosovo/Kosova in the twentieth century. Exploring future prospects for scientific collaboration“ nach Berlin. 35 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Serbien, dem Kosovo, der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten kamen zusammen, um unter Chatham House Rule1 den aktuellen Stand der historiographischen und politologischen Forschung sowie (völker-)rechtliche Kontroversen zu Kosovo zu diskutieren, Forschungsdesiderata zu identifizieren, sowie mögliche Ansatzpunkte für die weitere wissenschaftliche Zusammenarbeit zu finden. Der Workshop diente der Netzwerkbildung und Wiederbelebung der internationalen Wissenschaftskooperation unterschiedlicher Fachrichtungen auf diesem Gebiet.

Thematisch teilte sich der Workshop in zwei breite Themenfelder, die zunächst im Plenum diskutiert wurden. Im Mittelpunkt des ersten Teils stand ein problemorientierter Überblick über den Forschungsstand der serbischen wie albanischen Geschichtsschreibung zum Kosovo. Zum einen kam hier die seit Mitte der 1980er Jahre einsetzende Instrumentalisierung von Geschichte und Geschichtsschreibung zur Untermauerung politischer und territorialer Ansprüche zur Sprache. Diese zeige sich einerseits in sich gegenseitig ausschließenden, feindseligen Interpretationen von Seiten serbischer, bzw. albanischer Historiker, andererseits würde die Geschichte des jeweils „Anderen“ geleugnet oder sei schlichtweg unbekannt bzw. aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht zugänglich. Zum anderen wurden diverse methodologische, ontologische und theoretische Defizite in der Geschichtsschreibung attestiert, die auf einen mangelnden Anschluss an international geführte Historikerdebatten zurückginge. Im Zentrum der historiographischen Aufmerksamkeit stünde eine konflikthafte, politische Ereignisgeschichte, wohingegen Wechselbeziehungen und im Wandel begriffene, sich überlappende Identitäten größtenteils ausgeblendet würden. Es wurden jedoch auch praktische Probleme angesprochen, die einer unabhängigen Entwicklung der Wissenschaft und des Berufstandes im Wege stünden, wie zum Beispiel die Abhängigkeit von staatlichen, bzw. internationalen Fördermitteln und deren Einflussnahme auf die Art und Themenwahl der angestellten Forschung; die Monopolisierung gewisser Informations- und Selektionskanäle durch die Politik sowie die Entwicklung von „Überlebensstrategien“ zur Bestreitung des Lebensunterhaltes, die einer qualitativ hochwertigen Forschung wenig zuträglich seien.

Vor diesem Hintergrund wurden verschiedene alternative Forschungszugänge zur Diskussion gestellt: Die vorherrschenden theoretischen Konzepte seien zu überdenken und die Forschung um international diskutierte, theoretische und methodologische Ansätze zu erweitern. Der Schwerpunkt könne etwa von ethnopolitischen Problemen auf sozialanthropologische Fragen, Aspekte des sozialen Wandels und alltagsgeschichtliche Fragestellungen verlagert werden. Durch die Erforschung früherer historischer Phasen könne die Frage nach historischen Kontinuitäten bzw. Diskontinuitäten im 20. Jahrhundert beantwortet werden. Ferner könne die Geschichte Kosovos durch eine breitere regionale oder thematische Einbettung etwa in die Imperiengeschichte, Geschichte Europas und des europäischen Islams aus der verengten Perspektive einer reinen Nationalgeschichte herausgehoben werden. Eine weitere Forderung lautete, die Historiographie zu de-ethnisieren, das heißt die Rolle anderer Loyalitäten als der ethnischen zu erforschen, nationale Identitäten nicht ahistorisch in die Vergangenheit zurück zu projizieren sowie andere relevante kollektive Identifikationsmuster und gesellschaftliche Trennlinien zu berücksichtigen, wie die zwischen Zentrum und Peripherie, Land und Stadt oder Berg und Tal. Geschichte solle außerdem demythologisiert bzw. desakralisiert werden und die Instrumentalisierung von bestimmten Narrativen zu politischen Zwecken analysiert werden. In der Diskussion wurde das Augenmerk außerdem auf die Bedeutung von Fragen der Geschlechterforschung gelenkt und die Notwendigkeit herausgestellt, alle zu Grunde gelegten Konzepte kritisch zu hinterfragen (beispielsweise Moderne, Modernisierung) und zu reflektieren, dass vielen Debatten das Verständnis von Geschichte als Heilmittel gegen durch Krieg erlittene Traumata zu Grunde liege.

Viele der skizzierten Themen wurden auch in Teil 2 des Workshops wieder aufgegriffen, der politologischen Debatten und (völker-)rechtlichen Kontroversen gewidmet war und die entsprechenden Forschungsdebatten im Kosovo, in Serbien und innerhalb der internationalen Kosovo-Forschung skizzierte. Wie bereits im Bezug auf die Historiographie festgestellt worden war, wurde auch bei der Politikwissenschaft in den ehemaligen jugoslawischen Gebieten eine Unterordnung unter die politischen und ideologischen Prämissen diagnostiziert, die antikommunistische, antijugoslawische und nationalistische Untertöne besitze. Die Homogenisierung des öffentlichen und wissenschaftlichen Diskurses, die im Zuge der Gewalteskalation der 1990er-Jahre in der serbischen und kosovarischen Gesellschaft erfolgt sei, habe aufgrund der nach wie vor umstrittenen Statusfrage Kosovos nicht an Wirkungsmacht verloren. Es seien also auch hier diametral entgegengesetzte Interpretationen anzutreffen, die in vielen Fällen in den nationalen Konfliktlinien ihre Entsprechung fänden. Es wurde erneut appelliert, die Kosovo-Forschung bzw. die Erforschung des ehemaligen Jugoslawiens durch interdisziplinäre Zugänge, ihre Einbettung in breitere politische, soziale, wirtschaftliche, zeitliche oder rechtliche Zusammenhänge und einen intensivierten akademischen Dialog innerhalb der Region zu europäisieren bzw. aus ihrer Isolation zu befreien.

In den Referaten sowie in der anschließenden Diskussion wurde die Relevanz des kosovarischen Falles für Fragen der Friedenskonsolidierung und des Völkerrechtes deutlich: Welche Aussagen lassen sich über die Entwicklung der Konzepte von Staatlichkeit und Souveränität aus dem kosovarischen Fallbeispiel ableiten? Wie sind Demokratieexport und der Aufbau einer Zivilgesellschaft „von Außen“ zu analysieren und welche Bedeutung kommt dem Konzept der „local ownership“ zu? Welche Art von Frieden wird im Zuge von Friedensmissionen hergestellt? Es wurde darauf hingewiesen, dass die Rolle von Frauen im Wiederaufbau- und Friedenskonsolidierungsprozess bisher völlig ignoriert worden sei. Macht es Sinn Versöhnungsbereitschaft zu erwarten, solange Identitäten und der politische Status umstritten sind? Sollte die Unabhängigkeit auf der Grundlage des internationalen Völkerrechts oder auf der Basis der UN-Sicherheitsratsresolution 1244 beurteilt werden? Es bestehe Bedarf, die rechtliche Situation sowie die verschiedenen Zuständigkeiten in dem komplexen Verwaltungssystem vor und nach der Unabhängigkeit zu analysieren. Außerdem sei zu klären, wie die konditionierte Unabhängigkeit in eine vollwertige überführt werden könne und welche Konsequenzen zu erwarten wären, sollte dies nicht geschehen. Es gelte außerdem einen modus vivendi für Serbien und Kosovo in internationalen Organisationen und im Umgang miteinander zu erarbeiten.

Am letzten Tag wurden die Workshop-Teilnehmer entsprechend der thematischen Blöcke in zwei Arbeitsgruppen geteilt, um künftige Kooperationsmöglichkeiten und -modelle zu erarbeiten und zu diskutieren. In einem nächsten Schritt werden in Zusammenarbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Workshops Formate für die Fortsetzung des Wissenschaftsdialogs entwickelt werden.

Anmerkung:
1 Anmerkung der Redaktion: Da die Konferenz unter Chatham House Rule organisiert wurde, verzichtet H-Soz-u-Kult auf die übliche Veröffentlichung des Konferenzprogramms.


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