Geschichtsrepräsentationen, Emotionen und visuelle Medien

Geschichtsrepräsentationen, Emotionen und visuelle Medien

Organisatoren
Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
21.04.2010 - 23.04.2010
Url der Konferenzwebsite
Von
Anne Schmidt, Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin

Emotionen spielen in den Untersuchungen zur Erinnerungs- und Geschichtskultur verhältnismäßig selten eine Rolle. Nach wie vor konzentriert sich das Interesse der Forschung auf Identitäten und das Geschichtsbewusstsein. Wenn gelegentlich doch über emotionale Wirkungen von Geschichtsrepräsentationen nachgedacht wird, dann werden Emotionen selten als Forschungsgegenstand ernst genommen, vielmehr bestimmt ein vorgängiges, unhinterfragtes Emotionsverständnis die Analysen und Schlussfolgerungen. Ausgehend von der Prämisse, dass Gefühle historisch wandelbar und zugleich geschichtsmächtige Faktoren sind, hat das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine Tagung zum Thema Geschichtsrepräsentationen, Emotionen und visuelle Medien organisiert. Ziel der vom 21. bis 23. April 2010 in Berlin stattgefundenen Tagung war, zum einen zu testen, ob eine stärkere Einbeziehung von Emotionen als historische Analysekategorie die Forschung zur Geschichtskultur nicht bereichern könnte. Zum anderen sollte die These von der besonderen emotionalen Wirkungsmacht des Visuellen, die zu einer der unhinterfragten Annahmen gehört, diskutiert werden. Diese beiden Aspekte aufgreifend stellten Kunsthistoriker, Kultur- und Literaturwissenschaftler sowie Historiker ihre Forschungen vor, die den Zeitraum vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart abdeckten.

UTE FREVERT (Berlin) verwies in ihrem Eröffnungsvortrag auf die fundamentale Bedeutung von Emotionen für die Erinnerungs- und Geschichtskultur. Sie betonte, dass im Umgang mit Geschichte nicht erst heute starke Gefühle evoziert würden. Auch seien hoch emotionale Debatten über Geschichtsinterpretationen und Geschichtsdarstellungen kein neues Phänomen. Verändert hätten sich neben der Auswahl der Themen und ihrer medialen Präsentationsformen jedoch die Gefühle selbst, die qua Geschichtsrepräsentationen generiert werden sollten, sowie die Absichten und Funktionen dieser indentierten Emotionalisierung. ANNE SCHMIDT (Berlin) erläuterte am Beispiel von aktuellen Beiträgen zum Geschichtsfernsehen, auf welche Weise ein wenig reflektiertes Emotionsverständnis soziale Zuschreibungen und Hierarchisierungen reproduziert, statt sie zu dekonstruieren. Neben dem Verständnis von Emotionen als Gegenpol zu Rationalität schien ihr die unhinterfragte Annahme von einer besonderen emotionalen Wirkungsmacht der Bilder ahistorisch und überdenkenswert.

Das Panel „History and Images“ eröffneten BIRGIT FRANKE und BARBARA WELZEL (Dortmund). Am Beispiel eines Sets von flandrischen Tapisserien, die die Eroberung von Arzilah und Tanger 1471 durch den portugiesischen König Alfonso V. und damit einen weiteren Sieg der Christen über Muslime feierten, erörterten sie den Zusammenhang von Geschichtspräsentationen und Emotionen an vormodernen Höfen. Neben der Analyse der Bildinhalte, der medienspezifischen Erzählformen und visuellen Codes, verwiesen sie auf die Bedeutung der Materialität, auf die Funktionen der multimedialen sinnlichen Inszenierung, durch die Erzählräume geschaffen wurden, in denen sich das Publikum als Teil der Gesamtpräsentation bewegte. LUCAS BURKART (Luzern) ergänzte in seinem Kommentar unter anderem, dass im Mittelalter die Annahme von einer besonderen emotionalen Wirkungsmacht von Bildern weit verbreitet war und dass Bilder gerade aufgrund dieser Annahme auch für hochproblematisch gehalten wurden. Anschließend erläuterte JENNIFER MONTAGU (London) in ihrem Vortrag die Bedeutung von Gefühlsdarstellungen für die französische Historienmalerei im 17. Jahrhundert. CORNELIA BRINK (Freiburg) hinterfragte die vielfach geäußerte These, dass Fotografien an sich die Emotionen der Betrachter besonders stark ansprechen würden. Sie diskutierte zum einen die Bedeutung der Versprachlichung der Bilder für das emotionale Erleben. Am Beispiel von Fotografien, die in der Wehrmachtausstellung präsentiert wurden, zeigte sie zum anderen, wie sich durch Kontextwechsel Bedeutungen von Fotografien fundamental ändern können mit voraussichtlich erheblichen Folgen für ihre emotionale Wirkung.

Das zweite Panel „History in Public Spaces“ beschäftigte sich mit räumlichen Formen historischer Repräsentationen. DIETRICH ERBEN (München) untersuchte schwerpunktmäßig die italienische Denkmalskultur in der Frühen Neuzeit. Er stellte Grundüberlegungen der zeitgenössischen Affektenlehre in der Kunsttheorie vor, zeigte beispielhaft wie Affekte und Affektkontrolle im Denkmal dargestellt wurden und welche unterschiedlichen Bedeutungen die Darstellungen jeweils transportieren sollten. Abschließend ging er auf den Gebrauch der Statuen durch die Betrachter ein und machte deutlich, wie ein magisches und kommunikatives Verständnis die Aneignung prägen konnte. Auf den Umgang mit Denkmälern während der Französischen Revolution ging GODEHARD JANZING (Paris) ein und skizzierte, auf welche Weise und mit welchen Absichten Denkmäler in dieser konkreten politischen Situation umgestaltet wurden. Dass das Visuelle Informationen auf andere Weise transportiert und auch heutige Ausstellungsbesucher anders anspricht als das geschriebene Wort, suchte PETER JEZLER (Basel) in seinem Vortrag zu begründen, den GOTTFRIED KORFF (Tübingen/Berlin) kommentierte. Korff konzentrierte sich dabei vor allem auf die Dimension der leibhaft mobilen Wahrnehmungsform des Ausstellungsbesuchs und erörterte die Chancen und Gefahren, die mit dem im Ausstellungswesen zu beobachtenden Trend zu stark inszenierten Stimmungsräumen einhergingen. Der Wunsch, „sich ein Bild“ von den Ungeheuerlichkeiten zu machen, die sich in nationalsozialistischen Lagern abspielten, so JULIANE BRAUER (Berlin) in ihrem Vortrag, charakterisiere den Umgang mit Gedenkstätten als Erinnerungsorten, kollektiven Gedenkstätten und Lernorten. Ohne Vermittler und deutende Inszenierungen, so betonte Brauer, könne allerdings die Geschichte der Orte nicht erzählt werden, die mit ihren baulichen Überresten von sich aus stumm bleiben würden. Sie prognostizierte, dass in absehbarer Zeit visuelle Zeugnisse und Informationsträger massiv an Bedeutung gewinnen würden, um die vermittelnde Autorität der Zeitzeugen zu ersetzten. ALEIDA ASSMANN (Konstanz) ergänzte in ihrem Kommentar das Gesagte, indem sie auf die Besucher von Gedenkstätten zu sprechen kam. Sie betonte, dass die Besucher ein stark medial geprägtes Vorwissen, innere Bilder und emotionale Erwartungen mitbrächten und dieses Gepäck die Auseinandersetzung mit dem Ort bestimmen würde. Die Lücke zwischen dem Vergangenen und dem Jetzt würden die Besucher durch vielfältigste Formen des Reenactments oder des Wiedererfahrens zu schließen suchen.

Das Panel „History and Popular Culture“ leitete BILLIE MELMAN (Tel Aviv) mit einem Vortrag über die visuelle populäre Geschichtskultur im viktorianischen London ein. Sie zeigte, wie seit Beginn des 19. Jahrhunderts in einem Geflecht von wechselseitigen Beeinflussungen optische Innovationen entstanden, sich neue visuelle Repräsentations- und neue sensuelle Wahrnehmungsformen, neue Techniken des Sehens und ein neues dunkles Gefühl, ein Gefühl des Schreckens gegenüber der Geschichte herausbildeten. Dabei skizzierte sie diesen Wandlungsprozess als nicht-lineare Entwicklung und betonte auf verschiedenen Ebenen die aktive Rolle der Medienkonsumenten. TIM BARRINGER (New Haven) fügte in seinem Kommentar an, dass auch für die viktorianische Hochkultur die von Melman beschriebenen Entwicklungen zu beobachten seien, dass sich etwa in der Historienmalerei ähnliche emotionale Verschiebungen gegenüber der Vergangenheit erkennen lassen würden. Wichtig schien ihm außerdem, die Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Medien in den Blick zu bekommen. Er verwies darauf, wie stark sich die Malerei etwa von der Oper beeinflussen ließ. VANESSA AGNEW (Ann Arbor) setzte sich kritisch mit zeitgenössischen Fernsehdokumentationen auseinander, die versuchen, Darwins Wissen und Bedeutung einem breiten Publikum nahezubringen. Wissenschaftsgeschichte würde, so Agnew, bewusst emotionalisiert und somit enthistorisiert, um die Vergangenheit näher an die Gegenwart heranzurücken. SYLVIA PALETSCHEK (Freiburg) gab unter anderem zu bedenken, dass erlebbare Geschichte auch ein Zugang zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit historischen und wissenschaftsgeschichtlichen Themen sein könnte und als eigene Form der Wissensproduktion ernst genommen werden sollte. Abschließend analysierte JENS BALZER (Berlin) Gefühlsdarstellungen im Comic sowie die medienspezifischen Emotionalisierungsstrategien dieses Genres. Charakteristisch für den frühen Comic sei, dass er auf die Darstellung von positiven Gefühlen und deren Evozierung beim Leser weitgehend verzichte. Erst in den 1930er- und 1940er-Jahren sei ein Trend zum Eskapismus zu beobachten, tauchten verstärkt ‚gute’ Abenteuerhelden in den Comics auf. Kennzeichnend für diese Entwicklung sei das Bemühen, positive, vor allem patriotische Gefühle beim Leser zu wecken, sowie ein Realismus in der Darstellung. Gerade letzterer, so Balzer, verhindere jedoch aufgrund medienspezifischer Restriktionen eine emotionale Wirkung auf das Publikum. OLE FRAHM (Kiel) knüpfte an Balzers Ausführungen an und führte sie am Beispiel von Art Spiegelmans ‚Maus‘ weiter aus.

Dass Geschichtsrepräsentationen nicht erst in der Moderne dazu dienten, Gefühle zu evozieren, wurde während der Tagung deutlich. Deutlich wurde jedoch auch, dass sich Annahmen über emotionalisierende Wirkungen und damit Vorstellungen über die Emotionen selbst ebenso grundlegend veränderten wie die Praktiken der intendierten Emotionalisierung. Weniger klar wurde, um welche Gefühle es jeweils konkret ging. Die Frage, ob es eine besondere emotionale Dimension des Visuellen gäbe, blieb offen. Konsens war, dass, wenn es diese besondere Dimension denn geben würde, es schwer sei, sie zu ermitteln. Fruchtbarer als die Frage nach der emotionalen Qualität der visuellen Objekte und Artefakte an sich sei es, sie als Bestandteile von kulturellen Praktiken und Diskursen zu untersuchen. In diesem Zusammenhang wurde auch die starke Fokussierung der Tagung auf das Visuelle problematisiert. Das Zusammenspiel verschiedener Wahrnehmungsformen, so diverse Tagungsteilnehmer, müsse stärker in den Blick genommen werden; eine deutlichere Fokussierung auf Aspekte der Materialität wurde als Chance begriffen, den linguistic und visual turn zu überwinden. Schließlich wurde problematisiert, dass Aussagen über Wirkungen von Medienprodukten oder über Aneignungsformen gelegentlich dazu tendierten, von einem essentialistischen Emotionsverständnis auszugehen. Für weiterführende Überlegungen wurde es für wichtig erachtet, Aspekte der Intermedialität in synchroner und diachroner Hinsicht stärker zu berücksichtigen sowie transfer- und verflechtungsgeschichtliche Perspektiven deutlicher zu fokussieren.

Konferenzübersicht:

Ute Frevert / Anne Schmidt: “Opening Remarks: Questions in Context”

History and Images

Birgit Franke / Barbara Welzel “Images of Crusades and Princely Representations - The Monumental Tapestries of King Alfonso V. of Portugal with the Campaigns against Arzila and Tangier in 1471”
Commentary: Lucas Burkart

Jennifer Montagu “Expression in French 17th Century Painting. Charles Le Brun and his Contemporaries”

Cornelia Brink “Showing and Looking at Historic Photographs. Some Initial Thoughts on Photography and Emotions”
Commentary: Peter Geimer

History in Public Spaces

Dietrich Erben “The Doctrine of Affections and the Culture of Memorial Monuments in the Early Modern Period”

Godehard Janzing “From Fear to Freedom. Emotions at the Edge of the Public Monument”
Commentary: Jan Plamper

Peter Jezler “History Exhibited – Media, Exhibits, Content and Emotions”
Commentary: Gottfried Korff

Juliane Brauer “Sich ein Bild machen – Gedenkstätten als Orte des Lernens und Erinnerns”
Commentary: Aleida Assmann

History and Popular Culture

Billie Melman “Horror and Pleasure: Visual Histories,
Sensationalism and Modernity in the Long Nineteenth Century”
Commentary: Tim Barringer

Vanessa Agnew “How Feeling Becomes Fact: Scientific Inquiry and the Emotional Observer”
Commentary: Sylvia Paletschek

Jens Balzer “Some Thoughts on the History of Emotions In Comics from Yellow Kid to Superman and from Krazy Kat to Charlie Brown”
Commentary: Ole Frahm


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