Dis/simulatio und die Kunst der Maske, Maskerade, Verstellung und Täuschung im Barock

Dis/simulatio und die Kunst der Maske, Maskerade, Verstellung und Täuschung im Barock

Organisatoren
Herzog August Bibliothek, Wolfenbüttel
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
03.03.2010 - 05.03.2010
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Von
Kristina Steyer

Seit der Antike sind Illusion, Verstellung und Täuschung Begriffe, die Maskerade und Rollenspiel kennzeichnen. Die Maske ist das Instrument, das Verborgenes oder Abwesendes sichtbar macht, das überdeckt oder unkenntlich macht und das vor allem der Produktion der Identität ihres Trägers dient. Die Vielschichtigkeit des Maskenmotivs im Theater, in der bildenden Kunst, Politik und Gesellschaft thematisierte das interdisziplinäre Arbeitsgespräch „Dis/simulatio und die Kunst der Maske. Maskerade, Verstellung und Täuschung im Barock“ (3.-5. März 2010) unter der Leitung von Christiane Kruse (Marburg) in der Herzog August Bibliothek zu Wolfenbüttel.

Die Referate fragten danach, welche Beziehungen zwischen der Maske und der damit verbundenen Rolle sowie der Identität des Trägers bestehen. Mit Maske und Maskerade vermag der Akteur bestimmte Aspekte zu betonen, sich neu zu erfinden, Intentionen und Gefühle hervorzuheben, sein „Image“ zu formen. Das Schlüpfen in eine Rolle ermöglicht überhaupt erst die Identitätsbildung, die der Träger in der Gesichtsmaske und im Kostüm annimmt und ausagieren kann. Rollenübernahme ist aber nicht nur eine Sache des Theaters und des Porträts, sondern ein soziales Handlungsmuster, eine Verhaltensweise – eine Kulturtechnik schlechthin –, die der Mensch beherrschen muss/te, um etwa bei Hof oder sonst in der Gesellschaft zu reüssieren. In der frühneuzeitlichen Kunst und im Theater wurde einerseits die Simulatio als Möglichkeit des kreativen Spiels mit der Illusion diskutiert. Dem stand besonders in der Aufklärung eine Kritik der Maske gegenüber, die die „Natürlichkeit“ des Menschen betonte und Maske und Maskerade als Täuschung diskreditierte.

HANS BELTING (Karlsruhe) stellte in seinem Beitrag „Theater und Maske“ die historische Aufgabe von Maske und Verstellung als Mittel der Verkörperung eines Charakters dar. Im Vergleich zum antiken Theater, in dem die Maske die Identität des Schauspielers vollkommen zu überdecken vermochte, wurde in der Frühen Neuzeit die Mimik und Gestik als Instrument der dis/simulatio hervorgehoben. Diese Beobachtung ließ sich auch auf die Aufgabe der Verstellung in der höfischen Gesellschaft übertragen, mit der der Adelige durch strenge Einhaltung der Konventionen und des Zeremoniells seine vollkommene Anpassung anstrebte. Ferner thematisierte Belting die Übernahme verschiedener Masken im Rollenporträt, etwa in Rembrandts Selbstporträts. Durch das Einüben und Präsentieren verschiedener Rollen – ähnlich einem Schauspieler – spiele Rembrandt mit der Möglichkeit der Kohärenz zwischen seiner Rolle und seinem Selbst.

JOSÉ M. GONZÁLEZ GARCÌA (Madrid) zeigte in seinem Beitrag „Diego de Saavedra Fajardo: Maske, Täuschung und Dis/simulatio im Theatrum mundi der Politik“ die Verbindung von Theatralität und Politik im 17. Jahrhundert auf. In Saavedras Fürstenspiegel Idea de un príncipe político cristiano, representada en cien empresas (1640) musste der Fürst von seiner Geburt bis zum Tod ein guter Schauspieler sein, um sich vor dem Volk als tugendhafter, ehrenvoller Regent zu präsentieren. Mit der richtigen Balance von An- und Abwesenheit, Distanz und Nähe und dem Gebrauch der erlaubten Lüge („dissimulatio honesta“) werde er sein positives Bild in der Öffentlichkeit fördern. Im Gegensatz zu Machiavelli forderte Saavedra vom Fürsten das Streben nach echter Tugendhaftigkeit, nur durch die ehrliche innere Überzeugung könne die äußere Maskierung vollkommen gelingen.

In ihrem Vortrag „Larve und Mimikry. Etymologisches und Entomologisches im 17. Jahrhundert“ zeigte KARIN LEONHARD (München) wie in der Malerei die Möglichkeiten ausgelotet wurden, der Natur durch Imitation zum Verwechseln nahe zu kommen. Leonhard führte aus, wie die Aneignung der Ausdrucksmittel und Darstellungsprozesse der Natur durch ihre Übertragung auf die Kunst als Vorraussetzung für die Übernahme der schöpfenden Kraft der Natur angesehen wurde. Der Maler könne sich durch perfekte Imitation der Natur als hervorragender Täuscher erweisen, der die Wahrnehmung des Betrachters derartig verwirre, dass dieser nicht mehr zwischen Kunstwerk und Naturprodukt unterscheiden könne. Die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Schaffung von Gleichheit durch Ähnlichkeit zeugte von einer intensiven Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Mimesis-Thematik der Biologie.

„Maskenschrecken: Metamorphosen eines Themas aus Renaissance und Barock in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ lautete der Titel von ECKHARD LEUSCHNERs (Passau) Abendvortrag. Seit der antiken Kunst galt die Schreckensmaske, das Furcht einflößende, körperlose Objekt als Symbol und Instrument der Verbreitung grundloser Angst. Durch die Simulation einer realen Gefahr konnte der Uneingeweihte bewusst getäuscht werden, seine Unwissenheit und Leichtgläubigkeit machten ihn zum Opfer der Verlachung. Nur die Demaskierung, das erkennende Hinter-die-Maske-Schauen, konnte der Illusion den Boden entziehen.

Den zweiten Sitzungsstag eröffnete CHRISTIANE KRUSE (Marburg) mit dem Beitrag „,Non sia chi ad amor creda.’ Von der Kunst der Liebe, der List und der Täuschung“. Für ihre Untersuchung sind insbesondere jene Gemälde von Interesse, deren Sujets die Dissimulatio verhüllen und in diesem Sinn eine doppelte Täuschung erzeugen. Zu diesem Typ ist Caravaggios Schlafender Amor zu rechnen, der von fern ein laszives, anziehendes Äußeres zur Schau stellt und sich aus der Nähe als schmutziges und hässliches Straßenkind in der Rolle des Liebesgottes offenbart. Hier rekurriert Caravaggio außer auf Marsilio Ficino auf Giambattista Marinos Amor in La Galeria, der als sadistischer Täuschergott hinter lieblich-kindlicher Maskierung den Menschen Liebesqualen auferlegt und sich zugleich als eine Figur des Künstlers bzw. Dichters zu erkennen gibt.

In ihrem Vortrag „,Il ritratto du un brutto e nasuto cortigiano.’ Annibale Carraccis Karikaturen und die Hofkritik Giovan Pietro Belloris“ arbeitete ELISABETH OY-MARRA (Mainz) Belloris Entwurf eines tadellosen Malers heraus. Der Künstler solle sich in seinen Gemälden der Abbildung der inneren Wahrheit (imitare) widmen und sich nicht lediglich auf das Darstellen des äußeren Scheins (ritrarre) beschränken, so Bellori in Le vite de’ pittori scultori ed architetti moderni. Dies gehe so weit, dass die Darstellung der Idea und der Wahrheit im Porträt mitunter eine Abweichung von der äußeren Natur der darzustellenden Person erfordere. Die Betonung des äußeren Scheins, wie dies in der höfischen Gesellschaft geschehe, müsse in der Kunst unbedingt vermieden werden, auch wenn der Adel als wichtiger Auftraggeber zu schätzen sei. Annibale Carraccis Distanz zum höfischen Leben könne hier als Vorbild genommen werden.

Die Funktionen von Purcells musikalischen Masques wurden von MARTIN ZENCK (Würzburg) in „Musikalische Maskierung als Enthüllung und als Verbergung. Henry Purcell’s ,Masques’ der Fairy Queen zu Shakespeares A Midsummer Night’s Dream” herausgearbeitet. Auf der Grundlage von Shakespeares Komödie komponierte Purcell die Semi-Oper, in der sich szenische Musik wie eine Maske über die Handlung legt und so die Grenze von Realität und Phantasie sowohl für die handelnden Figuren als auch das Publikum verschwimmen lässt. Darüber hinaus vermögen Purcell’s Masques für den Moment ihres Erscheinens das verborgene Innere der Figuren hervortreten zu lassen, durch sie erst kann die Wahrheit enthüllt werden. Die offenbarende Funktion der Maske wurde als entscheidender Aspekt von Purcells Bearbeitung hervorgehoben.

Unter dem Titel „,Velum est Timantis imago’. Das Porträt als ,persona’ der Präsenz des Verstorbenen. Rubens’ Bildnis des Lipsius“ deckte ULRICH HEINEN (Wuppertal) die mehrschichtige Dissimulatio durch vielschichtige Zeichen in Rubens Lipsius Porträt auf. Für das Verständnis des Porträts, das für die Seneca-Ausgabe von 1615 als Kupferstich vervielfältigt wurde, sind der Aspekt der Vielschichtigkeit und der Appell des Dahinterschauens von zentraler Bedeutung. Hierbei nimmt Rubens Bezug auf Lipsius’ Briefe, die mehrere Bedeutungsebenen in sich vereinen und die der Leser zum vollständigen Textverständnis erfassen und deuten muss. Das Porträt des Lipsius’ appelliert an seine Schüler, seine Werke zu reflektieren und seinen Ruhm zu verbreiten. Das Motiv der Dissimulatio geht auf Timanthes Opfer der Iphigenie zurück, in der das verzweifelte Antlitz des Vaters Agamemnon vor den Augen des Betrachters verborgen ist.

In ihrem Beitrag „Non plus ultra. Nacktheit als ultimative Verkleidung“ untersuchte VICTORIA VON FLEMMING (Braunschweig) Maske und Maskerade im Porträt. Das Rollenspiel der sich in mythologischen Figuren repräsentierenden höfischen Gesellschaft gipfelte mitunter in der Darstellung eines nackten Körpers. Einen Fürsten unbekleidet zu zeigen, war jedoch gesellschaftlich nur akzeptabel, wenn Nacktheit als Ganzkörpermaske des fürstlichen Körpers fungierte. Die Nacktheit in der Rolle einer mythologischen Figur sei dann nicht als Zeichen der Entblößung, sondern der Verhüllung zu lesen. Es sei bislang kaum untersucht worden, inwiefern das Kostüm des nackten Körpers die Herrscherrepräsentation bereichern sollte und an welches Publikum sich diese Porträts richteten.

Am Beispiel der drei Komödien Carlo Goldonis Il bugiardo, La locandiera und Il ventaglio zeigte RAINER STILLERS die „Maskierung und Demaskierung als Strategie in der Komödie des 18. Jahrhunderts“. Als Kritiker der Commedia dell’ Arte stellte Goldoni in seinen Stücken einen Gegenentwurf zu deren typisierten Rollenfiguren vor. Im Gegensatz zur Commedia dell’ Arte, in der der Schauspieler hinter der Gesichtsmaske und dem dazugehörigen Handlungsschema unsichtbar wurde, legte Goldoni seine Rollen so an, dass sich der Zuschauer mit ihnen identifizieren konnte. An Stelle der Gesichtsmasken traten nun Mimik und Gestik der Schauspieler als Instrumente der Verstellung und Täuschung. Goldoni, so Stillers, entwickele für die Figuren im Stück ein Spiel des Verbergens und Offenbarens der eigenen Gefühle und Wünsche, das sich schließlich der Kontrolle entziehe. Der handlungsimmanente Kontrollverlust durch die gegenseitige Demaskierung der Figuren, mache den Reiz der Komödien aus.

Zu Beginn des dritten Tages untersuchte FRIEDEMANN KREUDER (Mainz) in seinem Vortrag „Die Maske als das Andere des bürgerlichen Selbst – Alternative Darstellungsformen im frühen Wiener Volkstheater Josef Felix von Kurz’“ die Komödie Der aufs neue begeisterte und belebte Bernardon. Kurz’ Stück handelt von der Suche nach den Gründen für das Scheitern der Liebesbeziehung zwischen den Protagonisten Bernardon und Rosalba. Diese schlüpfen im Verlauf der Handlung in unterschiedliche Rollen, um die Situationen zu rekonstruieren, die zum Misslingen ihrer Beziehung geführt haben könnten. Erst durch die Übernahme einer anderen Identität kann die eigene Problematik externalisiert, analysiert und schließlich gelöst werden. Kurz stellt sich hier gegen das bürgerliche Identitätskonzept des 18. Jahrhunderts, das die Möglichkeit der inneren Zerrissenheit und des Rollenwechsels negiert und verdeutlicht somit die sozialen und ökonomischen Zwänge der Gesellschaft.

In seinem Beitrag „Von der Maske als Objekt zur Maske als Metapher“ zeichnete RICHARD WEIHE (Bonn) den Weg des Harlekin im Theater des 18. Jahrhunderts nach. Wesentliche Stationen waren hier die Theaterreformen von Johann Christoph Gottsched und Friederike Caroline Neuber, die den unverfälschten Text der Stücke in den Mittelpunkt der Aufführungen stellten und vom Schauspieler die Mäßigung seiner Ausdrucksmittel verlangten. Mit den Umstrukturierungen ging die Verbannung von stereotypen Figuren, wie Harlekin, Pickelhering und Hanswurst, von der Bühne einher, die als Störelemente der Inszenierung begriffen wurden. Parallel hierzu wiesen Gotthold Ephraim Lessing und Friedrich Schiller auf die Praxis der Verstellung in der bürgerlichen Gesellschaft hin. Diese schaffe soziale Rollen, die das Individuum annehmen müsse, indem es eine Maske aufsetze, hinter der es keine Identität mehr geben könne.

NINA TRAUTH (Trier) untersuchte in ihrem Vortrag „(K)ein Ende der Maske. Überlegungen zur Maskerade im Bildnis nach 1798“ die Auswirkungen des gesetzlichen Maskenverbots in der Öffentlichkeit für die Selbstdarstellung der höfischen Gesellschaft. Wurde die Maske vorwiegend von Adeligen getragen, so wurde sie als Symbol der Täuschung und des Betrugs gedeutet, das die Tyrannei und die Unterdrückung des Volkes verhülle. Die höfische Gesellschaft, die die Maskerade zur Selbstdefinition nutzte, konnte ihre Bedürfnisse nur noch im Verborgenen ausleben. Als Rückzugsmöglichkeit dienten Rollenporträts und Maskenbälle, auf denen die Maske als Objekt erhalten blieb. Im 19. Jahrhundert erfuhr der Begriff der Maske eine Umdeutung, indem die Physiognomie des Gesichts als Oberfläche gelesen wurde, in dem sich die Eigenschaften des Charakters wie in einer Maske abbilden würden.

Die Tagung zeigte einmal mehr die Relevanz der Dissimulatio als einer Kulturtechnik nicht nur der Oberfläche und der Bildtechnik, sondern des Spiels und der Machtausübung. Auch erwies sich das interdisziplinäre Gespräch als besonders fruchtbar, da gezeigt werden konnte, dass Maske, Verstellung und Täuschung quasi omnipräsent in allen kulturellen Teilbereichen und allen Künsten praktiziert und reflektiert wurden. Maske und Maskerade, so wurde deutlich, erweisen sich letztlich als Crux auf der Suche nach der einen Wahrheit und der einen Identität: Wer hinter die Maske schaut, um dort die Wahrheit zu finden, läuft Gefahr, ins Leere zu schauen.

Konferenzübersicht

Hans Belting (Karlsruhe): Theater und Maske

José M. González Garcìa (Madrid): Diego de Saavedra Fajardo: Maske, Täuschung und Dis/simulatio im Theatrum mundi der Politik

Karin Leonhard (München): Larve und Mimikry. Etymologisches und Entomologisches im 17. Jahrhundert

Eckhard Leuschner (Passau): Maskenschrecken: Metamorphosen eines Themas aus Renaissance und Barock in der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts (Öffentlicher Abendvortrag)

Christiane Kruse (Marburg): „Non sia chi ad amor creda“. Von der Kunst der Liebe, der List und der Täuschung

Elisabeth Oy-Marra (Mainz): „Il ritratto di un brutto e nasuto cortigiano“. Annibale Carraccis Karikaturen und die Hofkritik Giovan Pietro Belloris

Martin Zenck (Würzburg): Musikalische Maskierung als Enthüllung und als Verbergung. Henry Purcell’s ‚Masques‘ der Fairy Queen zu Shakespeares A Midsummer Night’s Dream

Victoria von Flemming (Braunschweig): Non plus ultra. Nacktheit als ultimative Verkleidung

Ulrich Heinen (Wuppertal): „Velum est Timantis imago“. Das Porträt als ‚persona‘ der Präsenz des Verstorbenen. Rubens’ Bildnis des Justus Lipsius.

Rainer Stillers (Marburg): Maskierung und Demaskierung als Strategien in der Komödie des 18. Jahrhunderts (Marivaux und Goldoni)

Friedemann Kreuder (Mainz): Die Maske als das Andere des bürgerlichen Selbst – Alternative Darstellungsformen im frühen Wiener Volkstheater Joseph Felix von Kurz’

Richard Weihe (Bonn): Von der Maske als Objekt zur Maske als Metapher: G. E. Lessings Die Juden im Kontext der Theatergeschichte

Nina Trauth (Trier): (K)ein Ende der Maske. Überlegungen zu Maskeraden im Bildnis nach 1789


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