Kommunikationsnetze des Ritteradels im Reich um 1500

Kommunikationsnetze des Ritteradels im Reich um 1500

Organisatoren
Historisches Seminar der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte, Leitung: Prof. Dr. Joachim Schneider
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.02.2010 - 26.02.2010
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Von
Raoul Hippchen, Historisches Seminar, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Das Milieu des Ritteradels in der Zeit um 1500 aus überregionaler Warte und unter einer kommunikationsgeschichtlichen Perspektive in den Blick zu nehmen, das war zentrales Anliegen der Tagung, die am 25. und 26. Februar 2010 in Mainz stattfand. Veranstalter war der Arbeitsbereich für Mittlere und Neuere Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte des Historischen Seminars der Universität Mainz. In seiner Einführung erläuterte JOACHIM SCHNEIDER (Mainz) den Untersuchungsansatz der Tagung: So zielte der Leitbegriff des Kommunikationsnetzes darauf ab, eine Geschichte kommunikativer Praktiken zu beschreiben, durch die soziale Gruppen aus dem Ritteradel ihre Ordnung konstituiert, stabilisiert und reproduziert haben. Über vorwiegend prosopographisch-strukturelle Untersuchungen hinaus sollte unter Hervorhebung des kommunikativen Faktors hier auch nach den Intentionen, Werten und Normen gefragt werden, die im kommunikativen Handeln der Akteure deutlich werden und die entscheidend zur sozialen Integration, aber auch zur Wandelbarkeit sozialer Gruppen beigetragen haben. Anhand der in Mainz ansässigen mittelrheinischen Steinbock-Gesellschaft führte Schneider Beispiele für eine Institutionalisierung von Kommunikation im Milieu des Adels an. Dabei stellte er unter Bezug auf Peter Moraws These von der verfassungsgeschichtlichen Verdichtung des Reichs im späten 15. Jahrhundert auch die Frage, inwieweit eine Verdichtung ritteradliger Kommunikation festzustellen sei.

Die elf Vorträge behandelten im Rahmen von vier Sektionen die Funktionsweise und Dynamik ritteradliger Kommunikation und Vernetzung auf verschiedenen Handlungsfeldern. Die erste Sektion am Donnerstag thematisierte die Erweiterung von Handlungsspielräumen und die Bildung neuer Institutionen durch Kommunikation. Den Anfang machte CHRISTIAN HESSE (Bern), der sich mit der Verdichtung und Institutionalisierung von ritteradliger Kommunikation in den Verwaltungsorganen der Fürstentümer des Reiches beschäftigte. Am Beispiel von Bayern und Sachsen in der Zeit von etwa 1470 bis 1520 erläuterte er die Ausbildung regelmäßiger und regulierter Kommunikationssituationen vor allem in drei Bereichen: In der zentralen Verwaltung der Territorien, in der lokalen Landesverwaltung und auf den Landtagen. Es zeigte sich, dass die administrativen Netze durch die familiären Netzwerke des Ritteradels mitgeprägt wurden. Dadurch profitierte sowohl der Fürst von den Verbindungen des Ritteradels, als auch die Ritterschaft, für die sich über die Einbindung in die fürstliche Administration neue Möglichkeiten der Kommunikation boten. Auf den Landtagen generierten die verschiedenen Gruppen einer Region so etwas wie „territoriale Kommunikation“, wodurch ritteradlige Familien auch ohne Bindung an den Fürsten an weitere Netze anknüpfen konnten. Die Teilnahme an Landtagen verschiedener Territorien konnte den Kommunikationsraum einzelner Familien erweitern, ja sogar die territoriale Kommunikation zweier Länder verbinden.

REGINA SCHÄFER (Mainz) widmete sich der Situation des spätmittelalterlichen Ritteradels am Mittelrhein „zwischen den Fürsten“. Im Mittelpunkt stand das Verhalten des mittelrheinischen Ritteradels angesichts der zunehmenden Institutionalisierung der fürstlichen Territorien und der Organisation des nichtfürstlichen Hochadels. Zuerst erläuterte die Referentin die im 15. Jahrhundert erkennbare Verdichtung der Territorien am Mittelrhein (Kurmainz, Kurtrier, Kurpfalz, Hessen), welche ritteradlige Familien zur politischen Positionierung zwang oder sogar zu deren Vereinnahmung führte. Als genuin ritterschaftliche Gruppierungen ließen sich nur die Ganerbschaften ansprechen. Vorwiegend agierten in den politischen Organisationseinheiten (Landstände, Domkapitel) Nieder- und Hochadel gemeinsam, wobei sich ein hoher Institutionalisierungsgrad feststellen ließ. Früh bestanden gerade in Kurmainz und Kurtrier genaue Vorstellungen darüber, wer zur Gruppe der landesherrlichen Ritterschaft gehörte. Fallbeispiele zeigten, inwieweit die Zuordnung zu einem Fürsten verpflichtend wirkte, wie sich territoriale Zugehörigkeiten nutzen ließen, und wie einzelne Familien von mehreren Fürsten umworben wurden oder aber in deren Territorien aufgingen. Dabei wurde deutlich, dass die Ritter am Mittelrhein viele Handlungsoptionen hatten und sich politisch häufig am nichtfürstlichen Hochadel der Region orientierten.

Der anschließende Vortrag von HEIDRUN OCHS (Mainz) beschäftigte sich mit dem Verhältnis des Ritteradels zu den Städten im ausgehenden Mittelalter. Am Beispiel der Familien der Kämmerer von Worms und der Vögte von Hunolstein zeigte der Vortrag die verschiedenartigen Beziehungen zwischen Rittern und Städten auf. Im Zentrum standen Motive und Ausprägungen von Kommunikation und Vernetzungen zwischen den beiden Geschlechtern und einer Reihe von Städten. Ein Schwerpunkt lag auf den drei Aspekten Hausbesitz, Fehde und Solddienst. Besitz in der Stadt bot für den Ritteradel besondere Möglichkeiten der Repräsentation, sei es durch als Nebenresidenzen fungierende Wohnhäuser oder durch Grablegen in städtischen Kirchen. Die Betrachtung der Fehdeführung verdeutlichte, dass die Fehden zwischen Rittern und Städten nicht häufiger oder bedeutsamer waren als jene zwischen Adligen oder städtischen Geschlechtern. Zudem waren es nicht selten Lehnsbeziehungen und den Fürsten geleistete Fehdehilfe, die zu Konflikten mit einer Stadt führten. In anderen Konflikten dagegen handelten Städte und Ritteradlige Dienstverträge aus, und die Ritter dienten als besoldete Verstärkung des städtischen Aufgebots.

SVEN RABELER (Erlangen/Kiel) behandelte in seinem Beitrag ritteradlige Gruppenbildung und Kommunikationsprozesse in Familienverbänden und Adelsgesellschaften. Für Rabeler, der Familien als formelle soziale Gruppen begriff, ist Kommunikation von zentraler Wichtigkeit für die Mechanismen, die eine formelle Gruppe definieren und strukturieren. Sein Vortrag folgte dementsprechend der Leitfrage, inwieweit sich aus den kommunikativen Praktiken ritteradliger Gruppen Ansätze von Institutionalisierung ergeben. Als besonders gute Beispiele für gruppeninterne Kommunikationsformen zog der Referent Konfliktsituationen und deren Regelung heran. Die normativen Verfahren in stark regulierten Adelsgesellschaften dienten dabei als Folie, vor deren Hintergrund die Konfliktlösungsverfahren innerhalb ritteradliger Familienverbände betrachtet wurden. Dabei zeigte sich, dass im ausgehenden Mittelalter bei innerfamiliären Streitigkeiten die früher üblichen Einzelfallentscheidungen zunehmend von neuen, stärker formalisierten und häufig verschriftlichten Regelungen abgelöst wurden. Indem sie sich also selbst „strukturbildenden Verfahren“ (Rudolf Schlögl) unterwarfen, institutionalisierten sich die ritteradligen Familienverbände.

In seinem Abendvortrag nahm PAUL-JOACHIM HEINIG (Mainz) die ritteradlige Kommunikation mit Kaiser Friedrich III. in den Blick. Entgegen dem Bild der älteren Forschung bestanden auch zu Friedrichs Zeiten rege Kontakte zwischen Kaiser und dem Ritteradel des Reiches. In den „königsnahen Landschaften“ (Moraw) blieb der König auch lange nach dem Ende der Stauferherrschaft als Lehnsherr präsent, und ritterliche Familien aus diesen Gebieten traten in den Dienst jedes neuen Königs. Der Vortrag beleuchtete die verschiedenen Arten der Kommunikationsbeziehungen zwischen Rittern unterschiedlicher Landschaften (Schwaben, Franken, Mittelrhein, Kraichgau) und dem Reichsoberhaupt. In den ersten Jahrzehnten von Friedrichs Königtum kam es zu einer Überdehnung der Beziehungen zu den kleinen Herrschaftsträgern der königsnahen Gebiete, die sich bedingt durch die Beschränkung des Kaisers auf seine Stammlande vermehrt den Fürstenhöfen annäherten. Diese Tendenz wurde erst in der zweiten Hälfte von Friedrichs Regierungszeit aufgehalten, als sich die „reichische“ Dimension des Hofes erweiterte und die Zahl der hier vertretenen Ritter zunahm. Friedrich III. war auch ohne gezielte Adelspolitik attraktiv für die Ritterschaft, da er an seiner Funktion als Lehnsherr und Gnadenhort (Wappenverleihungen) festhielt, und die Anlehnung an den Kaiser Schutz gegen Mediatisierung bieten konnte. Dabei waren gerade die Reichskriege Faktoren der Verdichtung des Reiches und der Förderung von Beziehungen zwischen Rittern und Kaiser, während die vom Kaiser ausgehende Gerichtsbarkeit (Kammergericht) Handlungsmöglichkeiten jenseits fürstlicher Bindungen bot.

Die zweite Sektion über Kommunikation als Tauschbeziehung eröffnete der Vortrag von KURT ANDERMANN (Karlsruhe) über die Zirkulation von Adelsgütern. Besitz könne als „Ausdruck sozialen Handelns“ gelten und jeder Austausch von materiellen und immateriellen Zeichen als ein Akt der Kommunikation, so dass die Zirkulation von Gütern stets auch als Kommunikationsprozess aufzufassen sei. Entgegen älteren Klischees sei der im Spätmittelalter feststellbare häufige Austausch von Adelsbesitzungen kein Anzeichen ruinöser Verschwendung, sondern eher ein Ausdruck hoher (gruppeninterner) Geschäftigkeit. An Beispielfällen illustrierte der Vortrag verschiedene Formen von Gütertransaktionen, bei denen zum Teil über höchst komplexe Zusammenhänge kommuniziert wurde. Innerfamiliäre Kommunikation war eine Voraussetzung, um über nicht immer schriftlich fixierte Arrangements Flurbereinigungen zu erreichen, die klare Besitzverhältnisse schufen. Besonders intensive Kommunikation ging etwa Heiratsverträgen innerhalb des Ritteradels voraus, zu denen stets auch Heiratsgaben (Morgengabe, Heimsteuer, Ausgabe) gehörten. Bei solchen Verabredungen wurde nicht selten eine hohe Zahl von Teidingsleuten als Garanten der sozialen Bonität der Heiratenden hinzugezogen. Es lässt sich das Bemühen des Ritteradels erkennen, Güter nur in der eigenen Gruppe zirkulieren zu lassen, um so den Status der Familien zu erhalten. Entsprechend, so der Referent, lassen sich auch Versuche ritteradliger Familien verfolgen, den Güterbesitz vor dem Zugriff von Fürsten zu schützen.

Den kommunikativen Austausch des symbolischen Kapitals (Bourdieu) der Ehre innerhalb der Ritterschaft behandelte der Vortrag von CLAUDIA GARNIER (Münster). An den Beginn stellte die Referentin eine definitorische Annäherung an Ehre als „wesentlicher Bestandteil der Verhaltensweise in der Vormoderne“ sowie an die symbolische Kommunikation, über die Ehrkapital generiert, repräsentiert und gehandelt wurde. Im 15. Jahrhundert stieg der Aufwand bei der Inszenierung dieser symbolischen Kommunikation auf den Foren des Ritteradels, von denen der Vortrag die Turniere der vier Lande in den Mittelpunkt stellte. Dieses Forum nutzte der teilnehmende Adel, um über die Darstellung kollektiver Ehre einerseits integrativ als geschlossene Gruppe aufzutreten, andererseits Ranghierarchien des Adels abzubilden und sich von anderen Gruppen abzugrenzen. Ritteradlige hatten hier nicht nur Anteil an der kollektiven Ehre ihres Standes, sondern konnten auf Turnieren auch individuelle Ehre akkumulieren. Schon die mit hohen Kosten verbundene Zulassung förderte das persönliche Ansehen, finanzielles Kapital konnte hier in Ehrkapital umgesetzt werden. Die Friedenswahrung und der Schutz der individuellen Ehre aller Teilnehmer erforderten strenge normative Reglementierungen des Turniertreibens seitens der ausrichtenden ritterlichen Gesellschaften. Auf ehrverletzende Handlungen folgten ehrabschneidende Strafen, um so zwischen Täter und Geschädigtem einen Ausgleich zu schaffen. Bei der Rechts- und Friedenswahrung auf den genossenschaftlich organisierten Turnieren der vier Lande konnten die Ritter als autonome Gruppe unabhängig von den Fürsten handeln.

In der dritten Sektion der Tagung ging es um die Kommunikation über Rechtsansprüche und deren Auswirkungen. Eröffnet wurde die Sektion mit einem Vortrag von CHRISTINE REINLE (Gießen) über die Kommunikation im Umfeld ritteradliger Konflikte, insbesondere im Umfeld der um 1500 unter „zunehmendem Delegitimationsdruck“ stehenden Fehde. Der Vortrag beleuchtete insbesondere vier Aspekte: Die Kommunikation über den Gegner (Schelten, Gerüchte, Aufbau von Feindbildern), die Kommunikation am Anfang einer Fehde, die Kommunikation während der Fehde und die wertende Kommunikation über ritteradliges Verhalten bei Fehde und Sühneleistung. Für alle diese Vorgänge war ihre Öffentlichkeit konstitutiv, und die konfliktführenden Ritter schalteten an bestimmten Punkten systematisch Teilöffentlichkeiten ein, um ihre Kommunikationsziele zu erreichen. Angriffe auf immaterielles Ehrkapital (zum Beispiel Schandbilder) waren kommunikative Akte, während Angriffe auf materielles Kapital (Fehde) Informationsbeschaffung und vorbereitende Kommunikation (Rechtfertigung, Verhandlungen, Mobilisierung von Helfern, die über eigene Netze weitere Helfer rekrutieren konnten) erforderten. Dabei nutzten die Ritteradligen bestehende Netzwerke der eigenen Familienverbände und die Beziehungen der reisigen Knechte, die häufig als „Profis“ von einem fehdetüchtigen Herren zum nächsten zogen oder sogar unter diesen „ausgetauscht“ wurden.

Der anschließende Vortrag von CHRISTIAN WIELAND (Freiburg) befasste sich mit der Kommunikation ritteradliger Gruppen in Gerichtsprozessen des ausgehenden Mittelalters. Die oft verkürzend als krisenhaft beschriebene Zeit um 1500 könne für den Niederadel als Phase der sozialen Umformierung und Stratifizierung gelten. Dazu gehörte auch die immer deutlichere Kriminalisierung der Fehde und die allgemeine Juridifizierung der Streitkultur. Auf der einen Seite lasse sich adliger Widerstand gegen die neue Rechtskultur feststellen. Auf der anderen Seite eignete sich der Ritteradel die Mittel der Justiz zur Verfolgung eigener Ziele an. Ritter gehörten zu den wichtigsten Nutzern der neuen Gerichte, und das Gerichtsverfahren wurde im 16. Jahrhundert als nicht standesminderndes Mittel akzeptiert. Die Gerichte boten neue Kommunikationsforen, um – vermittelt über die Medien Schrift und professionelle Rechtssachverständige – Differenzen auszutragen, mit Untertanen, Fürsten, vor allem aber anderen Rittern, die nicht selten aus der Verwandtschaft kamen. Frühere kommunikative Verhaltensweisen (etwa Absprachen) wurden in das neue System integriert und oft in neue juristisch gefasste Formen transformiert. Das Rechtssystem konnte in familieninternen Auseinandersetzungen zu Zusammenschlüssen von gemeinsam prozessierenden Familienmitgliedern führen und so Konstruktionen von „Familie“ generieren.

Die vierte und letzte Sektion widmete sich der Identitätsbildung durch Kommunikation. HILLAY ZMORA (Beer-Sheva) behandelte in seinem Vortrag die Fehde im Zusammenhang mit der Identität fränkischer Ritter im Spätmittelalter. Die Fehde war kein Exklusivrecht des Adels, sondern wurde von breiten sozialen Schichten getragen. Demnach war die Fehdeführung nicht zur ständischen Abgrenzung des Ritteradels geeignet. Dennoch war sie mit der adligen Identität verknüpft, als ein für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf adligen Status notwendiger Kommunikationsmechanismus. Ehre, guter Ruf und das Vertrauen der Standesgenossen waren Voraussetzungen für die Anerkennung eines Ritteradligen und für die Solidarität anderer Ritter. Der so wichtige Schutz des eigenen Rufs konnte wiederum zu Fehden führen, auch unter miteinander bekannten Rittern, die sich eigentlich vertrauen sollten. So erscheint die Fehde als wichtiges Medium zur Darstellung der eigenen Konsequenz und Stärke, die der Wahrung des Rufs innerhalb der durch verschiedene Kategoriekennzeichen definierten Adelsgemeinschaft diente. Die Einungsbewegung des Ritteradels um 1500 hemmte das Fehdewesen, denn hier wurde die Logik des Zusammenhangs zwischen Ruf und Fehde umgekehrt, um die verdichteten Gemeinschaften (Reichsritter, Ganerben) vor den zunehmend als rufschädigend wahrgenommenen Alleingängen Einzelner zu schützen. An deren Stelle trat die Teilhabe am gemeinsamen rational-politischen Handeln der ritterlichen Gemeinschaft.

Der abschließende Vortrag von STEFFEN KRIEB (Gießen) setzte sich mit der Kommunikation kollektiver Erinnerung und deren identitätsbildender Wirkung auseinander. Im Mittelpunkt stand dabei die Formierung der schwäbischen und fränkischen Ritterschaft unter dem Georgsfähnlein. Das Führen der Georgsfahne als Kriegsbanner war ein Privileg der schwäbischen und fränkischen Ritter, das auf uralte Traditionen zurückgeführt wurde. Für den schwäbischen Ritteradel wirkte dazu auch die Erzählung über das von Karl dem Großen verliehene Recht des Vorstreits identitätsstiftend. Anlass für die Kommunikation über die Georgsfahne waren vor allem die Reichskriege des 15. Jahrhunderts. Das aus altem Herkommen abgeleitete Vorrecht, das populäre Georgsfähnlein zu führen, wurde bei Reichskriegen nicht nur gegen Ritter aus anderen Landschaften verteidigt. Es diente auch der ständischen Abgrenzung vom Hochadel, denn die genossenschaftlich kämpfende Einheit unter dem Georgsbanner akzeptierte nur Ritter als Hauptleute. Dabei handelten die fränkischen und schwäbischen Ritter detaillierte Regelungen aus, welche Landsmannschaft wann den Hauptmann bzw. Bannerträger stellen durfte. Die Georgsfahne diente als Symbol der Integration des schwäbischen und fränkischen Ritteradels. Dabei boten sich Möglichkeiten der gruppenbildenden Abgrenzung, während die genossenschaftliche Organisation ein Mittel gegen die Mediatisierung war.

Die lebhafte Schlussdiskussion wurde mit Stellungnahmen der Moderatoren Sigrid Schmitt (Trier), Andreas Ranft (Halle/Saale), Joseph Morsel (Paris) und des Tagungsleiters Joachim Schneider eingeleitet. Dabei wurde insbesondere nach dem begrifflich-systematischen Verhältnis zwischen Kommunikation und sozialem Netz gefragt. Am prägnantesten konnten Kommunikationsnetze im Umfeld von Familie und genossenschaftlichen Adelsgesellschaften identifiziert werden. Andere Netze wie politische Bündnisse und Verwaltungsbehörden waren kurzlebiger. Daneben wurde hervorgehoben, dass jedenfalls noch im 15. Jahrhundert der dynastische Hochadel häufig in die Kommunikationskreise des Niederadel einbezogen war. Inwieweit sich soziale Netze bzw. die in deren Rahmen gepflegte Kommunikation im Spätmittelalter verdichteten, lässt sich bisher nur schwer einschätzen. Eine dichtere Überlieferung kommunikativer Akte muss nicht unbedingt eine Verdichtung von Netzen anzeigen, sondern ist mitunter der Überlieferungssituation geschuldet. Leichter lässt sich die Formalisierung von Kommunikationskanälen und -regeln verfolgen, besonders an den Kommunikationsorten Fürstenhof und Gericht, aber auch in dem hergebrachten und mitunter modifizierten Netzen der Adelsfamilie oder der Turniergesellschaft.

Konferenzübersicht:

JOACHIM SCHNEIDER (Mainz): Einführung

Sektion 1: Kommunikation erweitert den Handlungsspielraum und schafft neue Institutionen

CHRISTIAN HESSE (Bern): Rat und Landtag. Institutionalisierung von Kommunikation in den Fürstentümern des Reiches

REGINA SCHÄFER (Mainz): Zwischen den Fürsten. Gruppierungen im Ritteradel im ausgehenden Mittelalter

HEIDRUN OCHS (Mainz): Herrschaft, Feindschaft, Dienst. Zum Verhältnis des Ritteradels zu den Städten um 1500

SVEN RABELER (Erlangen, Kiel): Ritteradlige Gruppenbildung und Kommunikationsprozesse um 1500: Familienverbände und Adelsgesellschaften

PAUL-JOACHIM HEINIG (Mainz): Von Überdehnung zu Verdichtung? Formen, Inhalte und Wege ritteradliger Kommunikation mit Kaiser Friedrich III.

Sektion 2: Kommunikation kann als Tauschbeziehung gedeutet werden

KURT ANDERMANN (Karlsruhe): Zur Zirkulation von Adelsgütern als Indikator für gruppeninterne und -externe Kommunikation

CLAUDIA GARNIER (Münster): Tauschbörsen des Ehrkapitals. Formen und Foren symbolischer Kommunikation des Ritteradels um 1500

Sektion 3: Kommunikation über Rechtsansprüche bindet zusammen und polarisiert

CHRISTINE REINLE (Gießen): Scheltworte, Schandbilder, Absagen: Kommunikation vor, während und in adligen Konflikten

CHRISTIAN WIELAND (Freiburg): Gemeinsam streiten. Kollektives Handeln süddeutscher Ritter vor Gericht um 1500

Sektion 4: Kommunikation erzeugt und verändert Identität

HILLAY ZMORA (Beer-Sheva): Ruf, Vertrauen, Kommunikation: Fehde und adelige Identität in Franken im Spätmittelalter

STEFFEN KRIEB (Gießen): Erinnern als kommunikative Handlung. Elemente der Identitätsbildung im Ritteradel um 1500

Schlussdiskussion


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