Kulturwissenschaft(en): Beiträge verschiedener Disziplinen

Kulturwissenschaft(en): Beiträge verschiedener Disziplinen

Organisatoren
Eugen Kotte, Hochschule Vechta; Jürgen Joachimsthaler, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Ort
Vechta
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.11.2009 - 08.11.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Lukas Aufgebauer / Fabian Münch, Abteilung für Kulturgeschichte und vergleichende Landesforschung, Hochschule Vechta

Bereits zum dritten Mal trafen sich im Rahmen des vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) großzügig unterstützten Konferenz- und Vernetzungsprojekts „Kulturwissenschaft(en) als interdisziplinäres Projekt“ vom 06.11.-08.11.2009 Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen. Nach der Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Theoriebildungen auf dem ersten Augsburger Symposium 2007, der Tagung in Heidelberg 2008 mit dem Thema „Theorie ohne Praxis - Praxis ohne Theorie? Kulturwissenschaft(en) im Spannungsfeld zwischen Theorie, Didaktik und kultureller Praxis“ stand die diesjährige Tagung an der Hochschule Vechta unter dem Motto „Kulturwissenschaft(en): Beiträge verschiedener Disziplinen“. Auf der Tagung ergab sich bereits am ersten Tag ein reger Austausch. Aus verschiedenen Disziplinen wurden Anregungen, Fragestellungen, Verfahrensweisen und thematische Impulse deutlich, die unter der breiten kulturwissenschaftlichen Perspektive zusammengeführt werden konnten. Die Veranstalter JÜRGEN JOACHIMSTHALER (Heidelberg) und EUGEN KOTTE (Vechta) konnten neben den Vortragenden zahlreiche Tagungsgäste begrüßen. Durch die auf den letzten Tagungen bereits erwiesene Tragfähigkeit eines möglichst breiten, reflektierten kulturwissenschaftlichen Ansatzes konnte erneut ein Diskursraum eröffnet werden, dessen Inhalte sich aus verschiedensten Ansätzen konstituierten und aus dem Anregungen für weitere Entwicklungen gewonnen werden konnten. Dieser interdisziplinäre Austausch ermöglichte es, Interessens- und Forschungsgebiete fachübergreifend zu diskutieren und Erkenntnisse aus anderen Disziplinen für die eigene Arbeit fruchtbar zu machen.

Im Eröffnungsvortrag beschäftigte sich MARKUS FAUSER (Vechta) mit dem Symbolbegriff und arbeitete heraus, dass Symbole soziale Phänomene seien, die keine Zeichen, sondern Prozesse darstellten. Erst die Performanz, so zeigte Fauser am Beispiel zweier Goethe-Texte, entscheide daher über die Wirkung des Symbols, hinter dem je eine Geschichte stecke und nicht bloß ein Begriff wie bei der Allegorie. FRANZ-JOSEF ARLINGHAUS (Bielefeld) erläuterte anschließend am Beispiel des Ratsherren und Universitätsprofessors Johann van Hirtze und dessen Konflikt mit dem Kölner Rat die Bedeutung der Performanz in der Vormoderne. Er betonte die Bedeutung von Ritualen und Symbolen (wie z.B. Sitzordnungen), die zentral für das Verständnis der vormodernen Kultur seien und damit keineswegs als „weiche Themen“ abgetan werden könnten.

Für die Möglichkeiten von Unterscheiden und Vergleichen von Kulturen interessierte sich JÜRGEN JOACHIMSTHALER (Heidelberg) und betonte, dass die Darstellung kultureller Differenz Unterschiede aus den vergleichenden in verglichene Entitäten verlagere und zu in sich logisch wirkenden, kollektiv zugeschriebenen Eigenschaftsbündeln führe, aus denen dann wiederum oft polarisiert gegeneinander aufgestellte Identitätspostulate abgeleitet würden.

Den zweiten Tag eröffnete STEFFEN HÖHNE (Weimar), indem er die Entwicklung des Faches Kulturmanagement seit Mitte der 1970er-Jahre skizzierte, das Spannungsverhältnis zwischen dem Kultur- und dem Managementbegriff erörterte und schließlich die aktuelle Diskussion über Theorie und Praxis des Faches darstellte. PETER NITSCHKE (Vechta) kennzeichnete die Politikwissenschaft als ein in funktionalen Parametern verankertes Denken in Modellen. Politische Kultur sei dagegen Ethik und Praxis des Politischen, das sich in symbolischem Handeln manifestiere. Da dies aber nicht quantifizierbar sei, spiele es in der deutschen Politikwissenschaft keine größere Rolle.

Die Verortung der Performativität in der Theaterwissenschaft einerseits und die Darstellung der Institutionalisierung und der Öffentlichkeitsstrukturen, die der Performativität zugrunde liegen, hatte sich KATHERINA KEIM (München) zum Inhalt ihres Vortrages gesetzt. Zentral seien die Ereignishaftigkeit von Theater und das Primat der Aufführung, die Opposition von Performativität und Schriftlichkeit sowie die Rückeroberung des öffentlichen Raumes durch Performativität jenseits der städtischen Theaterkultur.

MARION HILLER (Vechta) setzte antike Vorstellungen des Mediums als räumlicher und zeitlicher Mitte mit sprachlicher Medialität in Bezug auf moderne Medientheorien in Verbindung. Für die Literatur als Kunstwerk und Medium sei dabei die Rezeption in ihrer Performanz entscheidend, die maßgeblich von der Gestalt des Mediums beeinflusst werde. Danach kritisierte EUGEN KOTTE an der Geschichtswissenschaft eine zunächst nur zögerliche und verspätete Beschäftigung mit historisch-politischen Mythen, ein Zustand, der sich erst in den 1990er-Jahren im Zusammenhang mit der kulturwissenschaftlichen Wende geändert habe. Darauf skizzierte er die Ergebnisse der interdisziplinären Mythosforschung des 20. Jahrhunderts und stellte fest, dass die Geschichtswissenschaft die Aufgabe habe, Mythen zu dekonstruieren, wobei Entmythifizierungen allerdings Gefahr liefen, neue Mythifizierungen zu initiieren. Danach erläuterte er die Ergebnisse der geschichtswissenschaftlichen und geschichtsdidaktischen Mythosforschung, so z.B. die Erkenntnis, dass historisch-politische Mythen Narrationen seien, die sich auf vergangene Realitäten im Hinblick auf gegenwärtige Fragestellungen beziehen. Schließlich ging er noch auf die historisch-kulturwissenschaftliche Mythosforschung und Themen wie die Verbreitung historisch-politischer Mythen durch visuelle und performative Ausdrucksformen ein.

SIMONE SCHIEDERMAIR (Greifswald) verglich zwei Texte zum Thema des Mauerfalls als deutschem Erinnerungsort und versuchte, die von Claus Altmayer aufgestellte Theorie von der Kultur als Hypertext praxiswirksam in ein objektives Kontextkonzept einer Deutsch-als-Fremdsprache (DaF)-Unterrichtseinheit umzusetzen. Im Anschluss sprach SILKE PASEWALCK über theoretische Überlegungungen zur Interkulturalität und setzte sich z.B. mit den Konzepten Claus Altmayers, Alois Wierlachers und Wolfgang Welschs auseinander. Sie widmete sich der Frage, was Texte interkulturell ausmache, und konstatierte, dass Texte nicht wegen der Biographie des Autors als interkulturell bezeichnet werden könnten, sondern dass Interkulturalität im Text vorhanden sein müsse. Im Rahmen der literarischen Interpretation von Pawel Huelles ‚Castorp‘ stellte sie einerseits fest, dass Danzig im Roman zu einem literarischen und interkulturellen Erinnerungsraum werde und dass andererseits die kulturellen Stereotype so verfremdet würden, dass es zu einem neuen Verhältnis zwischen Eigenem und Fremden komme.

Als letzten Beitrag des zweiten Tages steuerte WOLFGANG E. J. WEBER (Augsburg) einen Überblick zur Europäischen Wissens- und Wissenschaftsgeschichte bei. Das zentrale Forschungsinteresse dieses noch jungen Forschungsfeldes sah er in der Frage nach der Generierung von und dem Umgang mit Wissen, so dass sich in der Pluralität dieses Ansatzes ein riesiges Forschungsfeld zwischen Wissensräumen, Medien, Wissensaufbereitung und Kommunikation ergebe, an dessen Aufarbeitung noch die nächsten wissenschaftlichen Generationen partizipieren könnten.

Am dritten Tag hielt FABIAN MÜNCH (Vechta) den ersten Vortrag über die Vergangenheit als Strafgegangenenkolonie in der australischen Geschichtskultur. Nachdem er den Begriff des convict stain zunächst als kulturelles Minderwertigkeitsgefühl im Hinblick auf die Ursprünge der Kolonien bzw. später der australischen Nation definiert hatte, skizzierte er kurz das geschichtsdidaktische Forschungsfeld „Geschichtskultur“, auf das sich seine Analyse stützte. Dann stellte er drei geschichtskulturelle Objektivationen vor: die ehemalige Strafgefangenensiedlung Port Arthur, den Nationalfeiertag Australia Day und den Wandel der Deutungsmuster in der australischen Geschichtswissenschaft. Als Ergebnis seiner Untersuchung stellte er fest, dass der Ursprung der Strafgefangenenkolonie für Australier anglo-keltischen Ursprungs identitätslegitimierend geworden ist, als eigentlicher Makel heutzutage aber der Umgang mit den Aborigines betrachtet werde.

MICHAEL DOBSTADT (Leipzig) stellte das Projekt „Literarizität“ vor, in dessen Rahmen versucht wird, einen neuen Ansatz für den Einsatz von Literatur im DaF-Unterricht zu finden. Nachdem seiner Kritik am Konzept der Interkulturalität und der Rezeptionsästhetik, forderte er postrukturalistisch-semiotische Konzepte, bei denen nicht das Verstehen, sondern die besondere Lesbarkeit von Fakten im Zentrum stünden, und dessen Ziele ein realitätsgerechterer und verständlicherer Fremdsprachenunterricht, sowie eine symbolische Kompetenz seien.

Den Abschluss der Tagung bildete LUKAS AUFGEBAUER (Vechta), der ausgehend vom Museum als dynamischem Bedeutungsinnenraum in Bezug auf Jörn Rüsens Konzept von Geschichtskultur zeigte, dass das Museum entsprechend schwerpunktmäßig eine Institution der ästhetischen Dimension ist. Die sich daraus ergebenden Möglichkeiten und Grenzen, wie Schülerinnen und Schüler durch die sinnlich erfahrbare Nähe von authentischen Objekten der Vergangenheit in ihrem Geschichtsbewusstsein gefördert werden können, problematisierte Aufgebauer exemplarisch durch kritischen Rekurs auf Konzepte aus der Ästhetischen Erziehung.

Die engagierten Diskussionen der Tagung zeigten, dass die aus disziplinärem Ursprung gespeisten Vorträge erfolgreich in einen übergeordneten kulturwissenschaftlichen Zusammenhang gestellt werden konnten. Wie bereits in den beiden Jahren zuvor wurde deutlich, dass der gemeinsame Diskursraum „Kuturwissenschaft(en)“ nicht nur Anknüpfungspunkte, sondern auch anregende Auseinandersetzungen mit zwar differenten, jedoch auf einer gemeinsamen theoretischen Basis disziplinübergreifend diskutierbaren Themen bietet.

Konferenzübersicht:

Markus Fauser (Vechta): Zum Symbolbegriff der Kulturwissenschaften – am Beispiel der Germanistik

Franz-Josef Arlinghaus (Bielefeld): (Nur) neue Themen oder neue Sichtweisen? Die vormoderne Geschichtswissenschaft als Kulturwissenschaft

Jürgen Joachimsthaler (Heidelberg): Unterscheiden und Vergleichen

Steffen Höhne (Weimar): Paradigmen und Paradigmenwechsel. Kulturmanagement zwischen Anwendungsorientierung und Theoriebildung

Peter Nitschke (Vechta): Kultur in der Politikwissenschaft: Anmerkungen zu einem klassischen Thema

Katharina Keim (München): „Theatraler Kulturtransfer als performativer Prozess“ – am Beispiel prä- und transnationaler Theaterkulturen

Marion Hiller (Vechta): Literatur-Wissenschaft: Medien, Raum und Zeit

Eugen Kotte (Vechta): Historische und geschichtsdidaktische Mythosforschung

Simone Schiedermair (München): Kulturwissenschaften und DaF-Praxisfelder

Silke Pasewalck (Leipzig): Interkulturalität in der deutschen und polnischen Literatur. Überlegungen zu Erzähltexten von Pawel Huelle und Gernot Wolfram

Wolfgang E. J. Weber (Augsburg): Europäische Wissens- und Wissenschaftsgeschichte: Ansätze und Ergebnisse

Fabian Münch (Vechta): Die Überwindung des „convict stain“. Die Vergangenheit als Strafgefangenenkolonie in der australischen Geschichtskultur

Michael Dobstadt (Leipzig): Jenseits von Rezeptionsästhetik und Interkulturalität: Neue Konzepte für den Arbeitsbereich Literatur im Fach Deutsch als Fremdsprache

Lukas Aufgebauer (Vechta): Förderung von Geschichtsbewusstsein bei Schülerinnen und Schülern im Museum – Chancen und Probleme der „sinnlichen Erfahrung von Geschichte“