Legitimationen politischer Gewalt

Legitimationen politischer Gewalt

Organisatoren
Freia Anders (Sonderforschungsbereich 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“) Universität Bielfeld; Peter Imbusch (Institut für Konflikt- und Gewaltforschung), Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
30.10.2009 - 31.10.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Lorenz Schulz, Fachbereich Rechtswissenschaften Institut für Kriminalwissenschaften und Rechtsphilosophie, Universität Frankfurt am Main

Seit den 1960er-Jahren lässt sich international eine Zunahme politisch motivierter Gewalt beobachten. Auch das Ende des Kalten Krieges brachte kein Ende politisch motivierter Gewalt mit sich, sondern erfuhr durch die Reaktion der Bush-Administration auf den Anschlag vom 11. September 2001 eine Steigerung des schwelenden „Kampfes der Kulturen“ (Huntington). Damit zeigt sich die Kehrseite des proklamierten dauerhaften (enduring) Kampfes um Freiheit, die politische Gewalt zum Bestandteil des Alltags im globalen Dorf werden ließ. Mag es auch Gewaltexzesse geben, die auf gewisse Weise privat wirken, geht politisch motivierte Gewalt mit einer Motivation einher, die reflexiver Natur ist und im Regelfall auch narrativ aufgeladen. Es ist, mit anderen Worten, eine Gewalt, die bei unterschiedlicher Begründung als gerechtfertigte Gewalt auftritt.

Dieses spezifische Amalgam von Gewalt, Gewaltrechtfertigung und Recht war Thema der interdisziplinären Konferenz „Legitimationen politischer Gewalt“, die Ende Oktober 2009 unter der Leitung von Freia Anders und Peter Imbusch an der Universität Bielefeld stattfand. Die Veranstaltung verdient nicht nur spezifisches Interesse, weil sie Sozial- und Literaturwissenschaftler, Philosophen, Historiker und Juristen an einem Tisch versammelte, sondern weil die gewählte Perspektive den Vorteil für sich verbuchen kann, die unübersichtliche theoretische Reflexion über ‚Gewalt‘, insbesondere der gegen den Staat gerichteten und von diesem ausgeübten Gewalt, anhand zweier Fragenkomplexe zu systematisieren: Kann politische Gewalt überhaupt legitimiert werden und, wenn ja, unter welchen Umständen ist sie legitim? Welche elementaren Muster von Legitimation lassen sich beobachten? Geht man davon aus, dass politische Gewalt tatsächlich legitimiert werden kann, wofür es zahlreiche historische Belege gibt, rückt der zweite Komplex, also der Versuch, Typen legitimer politisch motivierter Gewalt aus dem empirischen Material herauszudestillieren, ins Zentrum. Neben grundlegenden Überlegungen zur Legitimationsproblematik politischer Gewalt wurde anhand konkreter historischer Beispiele über die Legitimation politischer Gewalt gesprochen und am Ende auch die folgenreiche Legitimation von Gewalt thematisiert.

In ihr Eröffnungsreferat integrierten FREIA ANDERS und PETER IMBUSCH (Bielefeld) den Keynotebeitrag des erkrankten amerikanischen Soziologen DAVID APTER (Yale) über „Symbolisches Kapital und politische Gewalt“. Apter schlug zur Analyse politisch motivierter Gewalt ein an Bourdieu anknüpfendes Diskurskonzept vor, da diese von einem durch den Rekurs auf Grundsätze starken „symbolischen Kapital“ zehre. Die Analyse bedarf nach Apter konstitutiv der performativen Perspektive, der „Choreographie aus Gewalt, politischem Theater, Vorstellung, agency“. Die Leistung des Führers bestehe darin, eine Gruppe von Anhängern zu einer Diskursgemeinschaft zu verschmelzen. Der Diskurs umfasse dabei die „gesamte Struktur von Bedeutung, Tropus, Metapher, Metonymie, die Mobilisierung von Raum, Text und Bildung von Kodices, verkörpert in Erzählungen von Überwindung und Transzendenz, und in einem Kontext des Kampfes der politisch Guten gegen die politisch Bösen. Mit ihm werde das symbolische Zentrum angegriffen, das jedem Staat eigen sei und das er in seinen Mythen und Riten immer neu vergegenwärtige. Insbesondere durch den Bezug auf fundamentale Wahrheiten, auf Substantialisierung und Personalisierung von Interessen könnten Worte gewalttätig werden, könnten Worte töten. Diese von Apter invers genannten Diskurse seien es, die eine „finale Kritik“ am Staat zuließen.

Daran lässt sich mit einem Konzept anschließen, das vor knapp einem halben Jahrhundert die amerikanischen Kriminalsoziologen Sykes und Matza mit Blick auf die Rechtfertigung von Mikrogewalt entwickelten und das HELMUT THOME (Halle) vorstellte. Es enthält, ohne dass damit eine ätiologische Erklärung abweichenden Verhaltens geliefert werden sollte, eine Typologie von so genannten Techniken der Neutralisierung, die in Anbetracht neuer Phänomene abweichenden Verhaltens bisweilen als ergänzungsbedürftig betrachtet werden. Thome nahm dieses Defizit insofern auf, als er die Typologie auf eine „defensive“ Legitimation bezog, bei der es darum gehe, Gründe zu nennen, die eine ‚Ent-Schuldung‘ oder Schuldminderung ermöglichen. Als „offensiv“ bezeichnete er Legitimationen, mit denen sich ein Akteur gegen die herrschende Ordnung richtet. Zwar gebe es sinnstiftende Gewaltakte, für die der Akteur selbst keine moralische Rechtfertigung anstrebe oder anbiete, im Vordergrund der Ausübung von Gewalt stehe jedoch der Anspruch auf „Legitimität“: Der Akteur rekurriere entweder unmittelbar oder mittelbar auf eine moralische Rechtfertigung, wobei die Bindung an Gesetze als moralische Verpflichtung angelegt sein könne. Moralische Handlungsfähigkeit aber setze voraus, dass man als moralwürdige Person anerkannt ist. Anlässlich der Ausführungen von Thome wurde gefragt, ob nicht auch die religiöse Rechtfertigung eine die Typologie ergänzende Neutralisierungstechnik wäre, was notgedrungen Thomes Unterscheidung in offensive und defensive Legitimation relativieren würde.

Der Übergang von Mikro- zur Makro-Gewalt war Gegenstand des Referats von FRIEDHELM NEIDHARDT (Berlin). Nach Neidhardt dient Legitimierung bei kollektiver Gewalt dazu, nach innen Bereitschaft für Tod und Töten zu schaffen und nach außen die Nichtintervention von Dritten zu sichern. Er verwies auf den bemerkenswerten Fortschritt im Völkerecht, der die Kriegsführung menschenrechtlich einhege. Entsprechend der „postnationalen Konstellation“ (UNO/Sicherheitsrat, Internationale Gerichtshöfe, NGOs als Moralunternehmer, Nationen) sei das nationalstaatliche Gewaltmonopol nicht nur faktisch, sondern prinzipiell eingeschränkt. Kriegsführung werde so in unterschiedlichem Ausmaß skandalisierbar, gehe aber auch mit neuen Möglichkeiten der Professionalisierung von Kriegspropaganda einher. Die durch diesen Wandel bewirkten Probleme institutioneller und moralischer Natur oszillierten wiederum zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik.

Literaturwissenschaftliche Interpretationen und historische Konstellationsanalysen ließen Deutungsmuster der Legitimationen politischer Gewalt konkret werden. Der Literaturwissenschaftler KAROL SAUERLAND (Warschau) analysierte den Umgang mit Gewalt und Legitimation im Werk von Peter Weiss und diagnostizierte die Form des Theaters als Form der Kritik. Offen blieb, inwieweit diese Kritik zugleich als Handeln begriffen werden kann, kurz: die Frage nach der Wirkmächtigkeit der Kritik. Der Kampf gegen die Rassensegregation in den USA war das Thema des Amerikanisten WILFRIED RAUSSERT (Bielefeld), der am Beispiel Amiri Barakas die „Rhetoric of Violence“ der „Black Radicalist Poetics in the 1960s” analysierte. Der Soziologe HANS KIPPENBERG (Bremen) erörterte die Legitimation in religiösen Gewalthandlungen und ihre performativen Umstände anhand des „Testaments“ der Attentäter vom 11. September 2001, das erlaube, den Ablauf des Attentats aus der Teilnehmerperspektive nachzuvollziehen. In der lebhaften Diskussion wurde Kippenbergs Akzentuierung der performativen Dimension hinsichtlich der Rolle der Intention beziehungsweise der Motivation der Attentäter und die spezifische Rolle der Religion als Triebfeder der Aktion hinterfragt. Moniert wurde eine Unterbelichtung der Makroperspektive.

Der Soziologe und Lateinamerikaexperte PETER WALDMANN (Augsburg) sprach über politische Gewalt in Kolumbien und die dort geradezu umgekehrten Vorzeichen einer impunidad, eines Staates, der sein Gewaltmonopol weitgehend illegitim handhabt. Die schwer zu meisternde Herausforderung der Gegenwart läge darin, dass politische Gewalt ökonomisch motiviert sei und der Leviathan anders als bei Hobbes seine Attraktivität als Garant der Sicherheit verloren habe.

Der Historiker DOMINIK SCHALLER (Heidelberg) legte sein Augenmerk auf die Legitimation von Gewalt gegen Nichtkombattanten und Kriegsgefangene bei der deutschen Kolonisierung in Afrika. Gewaltexzesse wie der Kolonialkrieg gegen die Herero und die Nama in Namibia (1904-1908) oder die Niederschlagung der Maji-Maji-Bewegung in Tansania (1905-1907) hätten im Widerspruch zur „kolonialen Zivilisierungsmission“ gestanden und zugleich die begleitenden ökonomischen Interessen verletzt. Schallers These ging dahin, dass es sich bei der in Tagebüchern und Memoiren omnipräsenten sozialdarwinistischen Argumentation um eine nachträgliche Form der Legitimierung handele.

Der Historiker ALEXANDER SEDLMAIER (Bangor, Wales) bezog sich in seinem Beitrag auf die Proteste anlässlich der Jahrestagung von IWF und Weltbank in West-Berlin 1988 und die Brandanschläge der niederländischen Revolutionaire Anti-Racistische Actie in den 1980er-Jahren gegen die Supermarktkette Makro und Tankstellen des Shell-Konzerns wegen ihrer Geschäftsbeziehungen zum südafrikanischen Apartheidsregime. Der Widerstand gegen Zerstörung, Ausbeutung und Mord in der ‚Dritten Welt‘ hielt so Einzug in die „Orte des Konsums“ – übrigens in bemerkenswertem Vorgriff auf spätere globalisierungskritische Protestmuster. Die politisch motivierte Gewalt zunächst in Gestalt einer Gewalt gegen Symbole, die die versachlichte, entpersönlichte und latente Gewaltausübung der Mächtigen bloßstellt, zehre in der Legitimation von der Verantwortung der Entscheidungsträger und ihrer Organisationen. Der Protest hätte aus der moralisch überlegenen Konkurrenz zu den Legitimierungs- und Werbekampagnen des wirtschaftlichen Globalsystems gerührt, die Berufung auf kritische Wissenschaftler einer konsum- und globalisierungskritischen sozialen Bewegung besondere Legitimation verliehen. Durch den Verweis auf die Gewalt der Gegenseite gelang es den frühen Globalisierungskritikern, eine Beweislastverteilung zu erreichen: Was ist schon der Anschlag auf den Supermarkt oder die Tankstelle im Verhältnis zum globalen Unrecht? Sedlmaier verwies auch auf ein Argument, das das staatliche Gewaltmonopol indirekt bestätige: Im globalen ökonomischen Prozess würde dieses nicht umgesetzt. Systemkritische Legitimation erfahre dort ihre Grenze, wo sich Zerstörungsakte nicht mehr kommunikativ ausweisen ließen, sich mithin in rein faktischer Gewalt erschöpfen.

Der Untersuchung einzelner Beispiele aus Gegenwart und Vergangenheit stand ein eigener Tagungsabschnitt gegenüber, der die juristischen Deutungen politisch motivierter Gewalt zum Gegenstand hatte. Dabei ging es um die Kehrseite der politisch motivierten Gewalt im Sinne von Apter, das heißt, um die Legitimität der Staatsgewalt.

Der Rechtshistoriker HINRICH RÜPING (Hannover) schilderte entscheidende Wegmarken des staatlichen Strafens seit dem Mittelalter. Die strafrechtliche Reaktion auf die Verletzung von Rechtsgütern der Rechtsgemeinschaft gilt als der intensivste Ausdruck staatlich legitimierter Gewalt. Das betreffe ihre Androhung über ein dem Anspruch nach gleiches und allgemeines Gesetz, die Ermittlung ihrer Voraussetzungen in einem der forensischen Wahrheit verpflichteten, regelhaften Verfahren, sowie Art und Formen der Vollstreckung. Die historische Perspektive belege, dass sich der Leviathan trotz aller Reformbemühungen um eine „gerechte Strafe“ nicht zähmen lasse. Was als Beschränkung des staatlichen Zugriffs erscheine, schaffe zugleich und zumeist unbemerkt neue Formen des Zugriffs. Für die Gegenwart führte Rüping Verwaltungsmaßnahmen im Grenzbereich zwischen einer als Gefahrenabwehr definierten Prävention und einer tatschuldbezogenen justizmäßigen Repression an, beispielsweise die im Konflikt mit dem Schuldprinzip stehende nachträgliche Sicherungsverwahrung. Der Versuch, staatlichem Strafen durch unmittelbaren Rückgriff auf das Humanum ein „menschliches Antlitz“ zu geben, entfalte eben keine direkt strafbegrenzende, kritische Funktion. Kritisiert wurde, ob die Lesart der rechtsstaatlich ausgeübten Staatsgewalt als verkappte Ausübung staatlicher Strafgewalt eines ungezähmten Leviathans nicht die rechtsstaatliche Entwicklung im Strafrecht verzeichne.

Der Verfassungsrechtler CHRISTOPH GUSY (Bielefeld) leitete seinen Vortrag über „Staats-Gewalt“ mit der Beobachtung ein, dass in der Staats- bzw. politischen Theorie Befürworter von Friedlichkeit meist langweilig seien („saturiert, zivilisiert, borniert, ohne Abenteuer“), zugleich aber eher sympathisch. Das Gegenteil gelte jeweils von ihren Gegnern. In der Sache sei entscheidend, ob man vom Normal- oder vom Ausnahmezustand her denke.

Im Ergebnis beließ die juristisch ausgerichtete Diskussion wichtige Defizite der Analyse politisch motivierter Gewalt. Das war misslich, sofern eine sozialwissenschaftliche Analyse politischer Gewalt kaum auf eine normativ sensible Handhabung des Begriffs wird verzichten können. Spricht man sozialwissenschaftlich von Legitimität, schließt man nur diffus an den spezifischen Begriff der Rechtfertigung im deutschen Strafrecht an. Das spiegelt sich auch darin, dass das Strafrecht mit „legitimen“ Sitzblockaden hochdifferenziert umgegangen ist, indem man sie teilweise im Bereich des Unrechts, das hieße noch bei der Rechtfertigung, dann bei der Schuld, schließlich nach der Schuld in der Strafzumessung oder gewissermaßen apokryph durch eine prozessuale Einstellung wegen geringer Schuld oder mangelndem öffentlichen Interesse berücksichtigt hat. Selbst der juristische, an Legalität ausgerichtete Positivismus, in dem das Legitime keine quasi offizielle Rolle spielen darf, weiß somit faktisch mit dem Legitimen differenziert umzugehen. Einfacher für die Übereinstimmung mit der sozialwissenschaftlichen Betrachtung wird es naturgemäß, sobald der Rechtsbegriff sich für das Legitime öffnet, wie dies namentlich in der Tradition der Anerkennungstheorie des Rechts erfolgt, die mit der Diskurstheorie des Rechts eine moderne Gestaltung erfahren hat. Mit ihr wird zugleich die in der Rechtstheorie so genannte Trennungsthese prinzipiell relativiert, mit der der juristische Positivismus von der praktischen Philosophie abgeschottet wird. Mit der so genannten Verbindungsthese rücken für die Geltung des Rechts Phänomene der Akzeptanz und der Prozeduralisierung in den Vordergrund, die dann parallel sowohl im Bereich von Ethik und Moral wie im Bereich des Rechts als elementar greifbar werden.

Wie philosophisch voraussetzungsreich Dogmatik ist, demonstrierten zwei grundsätzlich angelegte Konferenzbeiträge. ALFRED HIRSCH (Essen) war es darum zu tun, die Paradoxie einer Rechtfertigung von Gewalt herauszustellen. Dafür ging er von einer dialogphilosophischen Perspektive aus, nach der die Rechtfertigung von Gewalt notwendig sprachlich verfasst sei. Selbst die Rechtfertigung der geplanten oder bereits ausgeführten Gewalthandlung sei an einen anderen adressiert. Die zweistellige Beziehung von Ich und Du bedürfe der Ergänzung durch eine dritte Position. Der Anspruch auf Rechtfertigung sei genau genommen auf einen beobachtenden Dritten gerichtet. Auf der Makroebene sei dieser ein Kollektiv, ein Staat oder eine Staatengemeinschaft. Dabei bleibe auch das Du, das Opfer, Adressat der Rechtfertigung. Indem der Täter die Tat rechtfertige, wolle er den in der Tat liegenden Abbruch der Kommunikation erklären. Damit richte er sich zugleich an das Du und an den Dritten. Dies sei paradox, weil mit der Rechtfertigung diskursiv begründet werden soll, was die Kommunikation abgebrochen hat: „Der Diskurs leugnet gewissermaßen seine eigene gewaltsame Zerstörung oder anders formuliert: der Vollzug des Diskurses dementiert, worauf er sich seinem Gegenstand nach bezieht.“

Eine genuin philosophische Reflexion über die Folgen der Legitimation von Gewalt stellte VERONIQUE ZANETTI (Bielefeld) vor. Sie ging aus von einer Analyse des Rechts auf Notwehr, das kein Recht gegen Unschuldige sein, sondern nur der Verteidigung gegen eine absichtsvolle Verletzung des Rechts auf wechselseitige Anerkennung dienen könne. Dazu kam die Definition des Staates als „moralische Person“ (Kant), die durch den an der republikanischen Idee der Selbstgesetzgebung orientierten Gesellschaftsvertrag konstituiert werde. Auf die Figur der humanitären Intervention gewendet, bedeute dies, dass für sie zugleich eine Verletzung individueller Menschenrechte und eine makro-kriminelle Konstellation, die sich als Angriff auf die Würde der Menschheit begreifen lasse, vorausgesetzt wird. Unter diesen Umständen gebe es ein Recht der Individuen, advokatorisch auf den letztgenannten Angriff zu reagieren.

Zieht man ein Fazit aus der gerade auch in der Diskussion ergiebigen Tagung, so wurde nicht nur bestätigt, dass ein interdisziplinärer Zugang für das komplexe Phänomen politischer Gewalt unverzichtbar ist, er wurde auch mit beachtlichem Ertrag praktiziert. Erreicht wurde auch, dass für den in der Gegenwart wirkmächtigen Typus religiöser Legitimation wichtige Einsichten in den performativen wie illokutionären Gehalt getroffen wurden. Davon kann eine kriminalsoziologische bzw. kriminologische Theorie der Gewalt profitieren, die sich erst in den Grundzügen abzeichnet. Auch wenn die Zunahme der politischen Gewalt in den 1980er-Jahren schließlich zu einer Flut von Literatur über Gewalt geführt hat, so steht eine lehrbuchartige Gesamtdarstellung der Thematik und der mit ihr verbundenen Problematiken noch aus. Blickt man auf die nicht-religiös motivierte politische Gewalt der Gegenwart, so bedarf es weiterer empirischer Untersuchungen, die eine repräsentative Bestandsaufnahme jener politisch motivierten Gewalt zulässt, die nach prototypischen Ansätzen in den 1980er-Jahren Teil einer global agierenden Kritik an der Ökonomisierung staatlicher Regimes ist. Nur so lassen sich militante politische Proteste angemessen deuten.

Konferenzübersicht:

Eröffnung: Freia Anders, Peter Imbusch

Panel 1: Soziologische Definitionen

Helmut Thome (Halle) : Formen der Rechtfertigung von Mikrogewalt – Zwischen Legitimitätsanspruch und Schuldverleugnung

Friedhelm Neidhardt (Berlin) : Topoi, Muster und Ambivalenzen der Legitimation von Makro-Gewalt

Alfred Hirsch (Essen): Paradoxie der Gewaltrechtfertigung – eine dialogphilosophische Perspektive

Panel 2: Juristische Deutungen

Hinrich Rüping (Hannover): Die Legitimation von Strafgewalt im Zeitalter des Leviathan

Christoph Gusy (Bielefeld): „Staats“-Gewalt

Panel 3: Kulturelle Auseinandersetzungen

Karol Sauerland (Warschau): Gewalt und Legitimation im Werk von Peter Weiss

Wilfried Raussert (Bielefeld): The Rhetoric of Violence: Amiri Baraka's Black Radicalist Poetics in the 1960s

Panel 4: Historische Beispiele

Hans Kippenberg (Bremen): Zur Differenz zwischen Motivation und Legitimation in religiösen Gewalthandlungen

Dominik J. Schaller (Heidelberg): Legitimationsmuster kolonialer Gewalt

Alexander Sedlmaier (Bangor, Wales): Konsumkritik, Globalisierungskritik und politische Gewalt

Abschlussdiskussion: „Die folgenreiche Legitimation von Gewalt“: Veronique Zanetti (Bielefeld), Peter Waldmann (Augsburg)


Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Klassifikation
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts