Liturgisches Handeln und soziale Praxis. Symbolische Kommunikation im Zeitalter der Konfessionalisierung

Liturgisches Handeln und soziale Praxis. Symbolische Kommunikation im Zeitalter der Konfessionalisierung

Organisatoren
Werner Freitag, Jan Brademann, Kristina Thies; Sonderforschungsbereich 496, Teilprojekt C6, und Exzellenzcluster 212, Teilprojekt B4, an der WWU Münster; in Kooperation mit dem Institut für vergleichende Städtegeschichte
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2009 - 01.07.2009
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Von
Sabine Kötting, Institut für religiöse Volkskunde, Universität Münster

Am Anfang stand das Desiderat. Dieses konstatierten die Organisatoren der Tagung in ihrem Exposé, das sie als Orientierungshilfe für Referenten, Teilnehmer und Interessierte erstellten.1 Hierin heben sie die Verdienste der Neueren Kulturgeschichte um das Verständnis vormoderner Gesellschaften hervor und betonen zugleich, dass für die Epoche der Konfessionalisierung der Zusammenhang von symbolischer Kommunikation und dem Wandel der frommen Lebenswelten noch nicht thematisiert worden sei. Das wohl augenscheinlichste Feld, in dem diese Prozesse zum Tragen kamen, sei die Liturgie der nun miteinander konkurrierenden Konfessionen. Besonders wichtig war den Organisatoren neben dem interdisziplinären Dialog auch der interkonfessionelle Vergleich.

Die Tagung begann mit einem öffentlichen Gesprächskonzert. Nach den Begrüßungsworten des Veranstalters Werner Freitag (Münster) referierte IRMGARD SCHEITLER (Würzburg) in der Pfarrkirche Liebfrauen-Überwasserkirche, untermalt und veranschaulicht durch den Kammerchor „Canticum Novum“, über „Kirchengesang und Konfession“. Zur Einstimmung dienten Gregorianische Choräle des Mittelalters der noch geeinten Kirche. Dann wurde der Zuhörerschaft vor Augen geführt, wie nach der Reformation die affektive Kraft der kirchlichen – jetzt zu großen Teilen volkssprachlichen Gesänge – zunächst von Martin Luther genutzt und später von der katholischen Kirche adaptiert wurde, um konfessionell geschiedene Glaubensinhalten und -praktiken zu vermitteln. Das neue Liedgut unterstützte nicht nur die Katechese, sondern ermöglichte den Konfessionen auch, über dieses Medium theologisch zu argumentieren, identitätsstiftend zu wirken sowie zu polemisieren.

Nachdem die Tagung auf diese Weise musikalisch eingeleitet worden war, begann der erste Sitzungstag mit der Sektion „Theorie und Begriffe – Liturgisches Handeln aus soziologischer und theologischer Sicht“, moderiert von Detlef Pollack (Münster). VOLKHARD KRECHS (Bochum) Vortrag war dreiteilig angelegt: Im ersten Abschnitt stellte er acht Merkmale und Funktionsweisen des religiösen Rituals aus religionssoziologischer Perspektive zur Debatte. Im zweiten Teil erläuterte er sein Verständnis von liturgischem und sakramentalem Handeln als „symbolisch verdichtete Orthopraxie“. Liturgisches und sakramentales Handeln habe eine „horizontale“ (soziale Vergemeinschaftung) und „vertikale“ (Kommunikation mit Gott) Funktion. Variantenbildung an besondere zeitliche und räumliche Umstände sei möglich und gerade hier lasse sich die Vergemeinschaftungsfunktion als symbolischer Ausdruck eines Kollektivs, das immer zugleich anpassungs- und abgrenzungsbedürftig sei, nachvollziehen.

Im zweiten Vortrag betrachtete EDMUND ARENS (Luzern) aus Sicht der kommunikativen Religionstheorie liturgisches Handeln als performativen Vollzug und religiöse Praxis. Ihn interessierte die Frage, ob der Forschungsbegriff Performanz geeignet sei, liturgisches Handeln in der Vormoderne zu charakterisieren. Hierzu setzte er sich zunächst mit gängigen Ritual- und Handlungstheorien auseinander, welche entweder den performativen Charakter des Rituals oder die propositionalen Bezüge und Gehalte rituellen Handelns betonten. Diese zeigen, dass das Ritual als kreativ, produktiv und performativ aufgefasst werden kann. Daher könne man liturgisches Handeln als eine religiös kommunikative Praxis sehen, die in ihrem intersubjektiven und interaktiven Vollzug Gemeinschaft schaffe, bestätige sowie verändere und sich gleichzeitig auf die „letztgültige Wirklichkeit“ beziehe. Sie sei kommunikativ und interaktiv als Kommunikation mit Gott (Gebet), über Gott (Schriftlesung und Predigt) sowie vor Gott (Gemeinschaft coram deo) und dadurch performativ und propositional die Wirklichkeit Gottes, dessen Wort und Handeln sie feiert und vergegenwärtigt.

ANDREAS ODENTHAL (Tübingen) stellte in seinem Beitrag das Konzept der „rituellen Erfahrung“ vor. Für Odenthal ist Glaube zunächst eine objektive Vorgabe, die der subjektiven Verflüssigung bedarf. Das praktisch-theologische Modell „ritueller Erfahrung“ setze hier an: Es beschreibe die Spannung zwischen (objektivem) Ritual und seiner (subjektiven) Erfahrbarkeit. Liturgie sei „ritualisierte Erfahrung“ mannigfacher Interpretationsprozesse, die sich durch das Erleben und Zelebrieren des Rituals niedergeschlagen habe: Ritual bedeute demnach verobjektivierte Erfahrung. Eine Liturgiereform sei genau dann notwendig, wenn die Differenz zwischen Glauben und Leben so groß wird, dass sie rituelle Erfahrung unmöglich macht.

In der zweiten Sektion wandte man sich unter der Leitung von Clemens Leonhard (Münster) liturgischem Handeln und Gottesdienstverständnis aus Sicht der Historischen Theologie zu. DOROTHEA WENDEBOURG (Berlin) stellte in ihrem Vortrag „Liturgie im Luthertum“ die Reform der Messe in der frühen Reformation dar. In den Mittelpunkt stellte sie dabei das von Luther zwischen 1522 und 1526 entwickelte Prinzip der Schonung derjenigen, die durch zu schnelle Veränderungen in der Liturgie verunsichert würden. Zentrales Prinzip Luthers sei daher der Grundsatz der „Liebe“, der ein gemäßigtes Tempo der liturgischen Reformen in der frühen Reformation geboten habe.

In seinem Vortrag erläuterte RALPH KUNZ (Zürich) ästhetische Kriterien und theologische Prinzipien der reformierten Gottesdienstpraxis und ordnete den Paradigmenwechsel „Vom Bild zum Wort“ vor dem Hintergrund der konkreten Ereignisse in Zürich und in Genf in den 1520er- und 1530er-Jahren ein. Der „Verkleisterung der Sinne“ im traditionellen Gottesdienst habe Zwingli einen neuen Typus des Wortgottesdienstes entgegengesetzt. Seine Reformen seien zumeist pragmatisch motiviert gewesen. Erst im Nachhinein hätten Theologen und Historiker Zwingli eine radikale Liturgiereform unterstellt. Der zurückhaltende Einsatz von Bildern im reformierten Kirchenraum und in der gottesdienstlichen Praxis sei der Umsetzung theologischer Prinzipien geschuldet gewesen.

Die Diskrepanz zwischen Programm und pastoraler Praxis führte BENEDIKT KRANEMANN (Erfurt) in seinem Vortrag über das nachtridentinisches Liturgieverständnis vor. Zunächst umriss er die Ansätze und Ziele des Reformprogrammes des Konzils von Trient in Bezug auf die Veränderungen in der Liturgie. Vor allem die Vereinheitlichung der „einen wahren“ Liturgie stand hier – neben der Abgrenzung zum Luthertum – im Vordergrund. Durch alte und neue Institutionen, wie die Ritenkongregation und Visitationen, und durch verbindliche liturgische Bücher sollte dieses Ziel erreicht werden. Kranemann stellte fest, dass das Programm realiter nur mit Verzögerung und/oder in Variationen übernommen wurde. In vielen Bistümern hielten sich noch lange Formen von Eigenliturgie und Mischliturgie.

Der Bedeutung liturgischen Handelns für die soziale Ordnung und Identität von Gruppen hatte sich die dritte Sektion unter der Moderation von Werner Freitag (Münster) verschrieben. KRISTINA THIES und LENA KRULL (beide Münster) zeigten in ihrem Vortrag am Beispiel der Großen Prozession im westfälischen Münster, dass Stadtprozessionen eine hohe sozialintegrative Kraft besaßen, die insbesondere sich neu formierende gesellschaftliche Gruppen nutzten, um ihre Ansprüche auf einen Platz innerhalb der sozialen und politischen Ordnung der Stadt geltend zu machen. So habe beispielsweise der Jesuitenorden sich nicht nur in die Große Prozession eingeordnet, sondern auch die barocke Neuinszenierung der bisher durch überkommene städtische Bezüge geprägten Prozession übernommen. Dass Stadtprozessionen ihre Integrationskraft keineswegs mit dem Beginn der Moderne einbüßten, zeige der Blick auf die Große Prozession zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die neu gegründeten weiblichen Studentinnenverbindungen forderten einen bestimmten Platz zwischen den Studentenverbindungen. Ihr Wunsch kollidierte aber mit den Ordnungsvorstellungen des Münsterschen Domkapitels.

DAVID LUEBKE (Oregon/USA) stellte die Frage, ob die physische Beteiligung einer Person an einem Ritual ein zuverlässiges Indiz für religiöse Orientierung sein könne. Vorschnell nehme man seiner Meinung nach an, dass die Partizipation an Riten einer Konfession auch Zustimmung bedeute. Die symbolische Aussage einer Teilnahme an Ritualen könne von Zeit zu Zeit variieren. Er untersuchte gemischtkonfessionelle Städte im Fürstbistum Münster um 1700 und fand heraus, dass die Gemeindemitglieder zwischen Riten, die den Status einer Person änderten, und jenen, die eine Zugehörigkeit zu einer Konfession stärkten, unterschieden. Er konnte belegen, dass noch zwei Jahrzehnte nach der Wende zum 17. Jahrhundert die Warendorfer Bürger, Lutheraner und Katholiken, von katholischen Pfarrern in der Pfarrkirche des Ortes getauft wurden. Die rites de passage, nicht aber die Reichung der Eucharistie konnte auch ein katholischer Pfarrer vornehmen. Eine Erklärung für dieses Phänomen sah Luebke in den gemeinschaftsstiftenden Funktionen der rites de passage. Die Stadtbevölkerung habe die Gefahr gesehen, diesen sozialen Zusammenhalt zu verlieren, sobald Abstand von gemeinsamen Riten genommen würde.

Der zweite Tagungstag begann mit dem letzten Beitrag zur dritten Sektion. Für den „gar nicht so geheimen“ Geheimprotestantismus im Oberösterreich des 17. und 18. Jahrhunderts erkannte MARTIN SCHEUTZ (Wien) ein Nebeneinander von privater protestantischer und oberflächlich mitgelebter katholischer Frömmigkeit. Trotz und gerade wegen des staatlichen Verbots sei der Kryptoprotestantismus von einer Kultur der Innerlichkeit, der intensiven Bibellektüre und der Lektüre protestantischen Schrifttums geprägt gewesen. Mimikryartig begingen die Protestanten zusammen mit den Katholiken die Zeremonien der katholischen Kirche, während sie im eigenen Haus gemeinschaftliche Lektüre protestantischen Schrifttums pflegten. Die katholische Kultur der Performanz traf so auf eine Andachtskultur der Protestanten. Nach Scheutz entwickelte sich trotz der beschränkten Ausübung von Liturgie (zumindest der eigenen) unter den Kryptoprotestanten eine Gruppenidentität.

Die vierte Sektion, moderiert von Ulrich Pfister (Münster), nahm religiöse Rituale und ihre Bedeutung für die konfessionelle Ordnung in den Blick. MAREIKE MENNE (Stuttgart/Paderborn) betonte die konfessionsspezifischen Prägungen, Funktionen und Legitimationen von Visitationen, die so zur Ausbildung konfessioneller Identitäten beitrugen. Aufschlussreich könne demnach der Blick auf die jeweilige Umsetzung im Rahmen der Visitation sein. Menne verglich Visitationsakten und Texte aus dem Umfeld von Visitationen aus dem Fürstentum Lippe und Fürstbistum Paderborn. Als Ergebnis hielt sie fest, dass Visitation in beiden Konfessionen Symbol des Bekenntnisses und gleichzeitig Manifestation des territorialen Anspruches waren. Zwar genügten beide nicht immer den eigenen Vorgaben, aber sie wirkten jeweils in zwei Richtungen: Spiegelung des kirchlich-institutionellen Selbstverständnisses und Rechtfertigung der Konfession.

Auch JÜRGEN BÄRSCH (Eichstätt) ging vergleichend vor und untersuchte die Liturgie des Ordo Exsequiarum und des ,ehrliche[n] Begräbnis‘ in katholischen und protestantischen Begräbnisordnungen der Frühen Neuzeit. Er ging den Fragen nach, ob und wie die katholischen Begräbnisordnungen auf die Kritik der Reformatoren eingingen. Die Grundelemente der Feier seien bei beiden Konfessionen erhalten geblieben, doch Aufbau und Gewichtung von bestimmten Elementen hätten sich geändert: Während beim Ablauf der reformatorischen Begräbnisse der Gottesdienst zum Schluss abgehalten wurde, sei es bei den katholischen Ordnungen bei der alten Aufteilung geblieben. Die Riten am Grab fielen bei protestantischen Ordnungen weitestgehend weg; Gebete und Gesang, und damit die aktive Teilnahme der Gläubigen, seien katholischerseits intensiviert worden. Bärsch resümierte, dass die protestantische Begräbnisliturgie die Lebenden zu erreichen suchte, während die katholischen Exequien dem Seelenheil der Verstorbenen dienten.

VERA ISAIASZ (Berlin) analysierte die Wiederkehr und Etablierung der Kirchweih als Teil lutherischer Konfessionskultur des 16. und 17. Jahrhunderts. Von der älteren Forschung noch als „katholischer Überrest“ interpretiert, sei der Kirchweihritus aus konfessionellen Antagonismen entstanden. Referenzpunkt für die Gestaltung des Gottesdienstes sei unter anderem die Weihe des Salomonischen Tempels (etwa bei Samuel Pomarius) gewesen. Der Weihegottesdienst, in dessen Zentrum die Predigt stand, sei von reformiert-calvinistischer und später von pietistischer Seite angegriffen worden. Grund dafür seien die grundlegend verschiedenen Vorstellungen der Funktion des Kirchenraumes gewesen. An die Stelle des Salomonischen Tempels rückte aus pietistischer Perspektive die Gotteserfahrung im Privaten.

Die ersten lutherischen Liturgiereformen bis zu Luthers „Deutscher Messe“ 1526 thematisierte NATALIE KRENTZ (Münster) im Kontext der frühen Reformation in Wittenberg. Beginnend mit den ersten Angriffen auf das katholische Verständnis der Messe als Opfergottesdienst skizzierte Krentz, wie die Veränderung der Liturgie zwischen den sozialen, politischen und theologischen Akteuren der Stadt Wittenberg ausgehandelt wurde. Sie zeigte, dass dabei sowohl soziale als auch theologische Funktionen der Liturgie eine wichtige Rolle spielten. So habe etwa der Wittenberger Rat besonders die Einheit der Liturgie in der gesamten Stadt gefordert. Von Seiten der Theologen seien solche Passagen gestrichen worden, die für die Laien als missverständlich erschienen, während gemeinschafts- und herrschaftsstabilisierende Elemente betont worden seien. Ein wichtiges Kriterium sei dabei auch die Abgrenzung sowohl gegenüber altgläubigen als auch gegenüber radikalen Positionen gewesen. Auf diese Weise habe die neue, nunmehr als „evangelisch“ angesehene „Deutsche Messe“ eine hohe soziale Integrationskraft entwickelt.

Im letzten Beitrag der Tagung zeigte ANDREAS PIETSCH (Münster) anhand der Lebensgeschichte des Philologen und Philosophen Justus Lipsius (1547-1606) mögliche Fehlinterpretationen der Forschung auf, wenn anhand von bestimmten Handlungen, hier vor allem der religiösen Praktiken, das konfessionelles Bekenntnis einer Person ermittelt werden soll. Lipsius peregrinatio academica zeige keine Konstanz in konfessioneller Sicht. Zeitlebens suchten bereits seine Zeitgenossen ihn anhand verschiedener „konfessioneller Marken“, wie Aufenthaltsort, Schrifttum, Korrespondenz und Selbstdarstellung, konfessionell einzuordnen. Der Theologe Adrian Saravia zählte ihn zu den Familisten, eine Gruppierung für die nur der innerliche Glaube zählte. Dogmen und Rituale der Konfessionen verfielen bei ihnen zu Äußerlichkeiten, denen sie sich nur pro forma unterordneten. Somit boten sie Lipsius die optimale Anpassung an die jeweiligen konfessionellen Gegebenheiten.

Am Ende der Tagung standen zunächst Impulsstatements. CHRISTEL KÖHLE-HEZINGER (Jena) hielt fest, dass fromme Praktiken immer vielstimmig seien und deswegen multiperspektivisch befragt werden müssten. Hier helfe der volkskundliche „fremde“ Blick. Weiterhin ging sie auf die Begriffe Magie und Mysterium ein, anhand derer sie Probleme der Interdisziplinarität bei Begriffsfragen exemplifizierte. Außerdem lenke der von vielen vorgenommene Blick auf die Tradierung von rituellen Inhalten und ihrer Formen von der Untersuchung der praxis pietatis ab. REBEKKA VON MALLINCKRODT (Berlin) hob in ihrem Plädoyer auf drei Aspekte ab: Zum einen forderte sie zur Achtsamkeit für gegenläufige Phänomene auf. Zum zweiten sprach sie sich für regionale Differenzierung aus. Dieser Blick beinhalte auch die Beachtung von ökonomischen Faktoren, welches sie zur Frage nach den Übergängen dieser Bereiche animierte. Als dritten Punkt regte sie den Blick über den Tellerrand an, indem sie Untersuchung außereuropäische Phänomene vorschlug (zum Beispiel den Ritenstreit in China und Indien). BERNHARD SCHNEIDER (Trier) schließlich plädierte aufgrund der Ergebnisse der Vorträge, den Titel der Tagung zu ändern. „Liturgische Handeln und soziale Praxis“ ziele auf Differenz ab. Unter dem Verweis auf die katabatische und anabatische Dimensionen von Liturgie schlug er vor, den Titel in Liturgie als (bzw. ist) soziale Praxis zu modifizieren. Neben einer Forderung nach einheitlicher Terminologie, hier vor allem eine Definition von Liturgie, warnte er davor nur „Hochformen“ von Liturgie, wie die Feier des Gottesdienstes zu betrachten. Mit Hinblick auf die soziale Praxis seien auch (semi-) liturgische Formen wie Wallfahrten zu untersuchen. Als weiteres Untersuchungsfeld führte er die konstruktivistische Leistungskraft von Liturgie an, welche konfessionelle, regionale und Gruppenidentität (Bruderschaften etc.) fördere.

Die von Barbara Stollberg-Rilinger moderierte Abschlussdiskussion, in die die Impulsstatements mündeten, wiederholte einige der oben genannten Aspekte, vor allem auch die Reflexion der eigenen Begrifflichkeiten und zeigte, dass, um das Verhältnis von Liturgie zu sozialer Praxis zu beschreiben, über vieles noch Gesprächsbedarf besteht. Ein Tagungsband, der die Ergebnisse der Tagung festhält, ist für das Jahr 2010 geplant.

Konferenzübersicht:

Kirchengesang und Konfession. Öffentliches Gesprächskonzert
(Irmgard Scheitler; Canticum Novum – Leitung Michael Schmutte)

Begrüßung, Einleitung (Werner Freitag, Jan Brademann)

Sektion I: Theorie und Begriffe – Liturgisches Handeln aus soziologischer und theologischer Sicht
Moderation: Detlef Pollack

Volkhard Krech: Systematische Überlegungen zur Bedeutung liturgischen Handelns in religionssoziologischer Perspektive
Edmund Arens: Liturgisches Handeln als performativer Vollzug und religiöse Praxis. Die Perspektive einer kommunikativen Religionstheorie
Andreas Odenthal: ‚Rituelle Erfahrung‘ im Zeitalter der Konfessionalisierung. Zur Anwendung eines praktisch-theologischen Paradigmas auf die Liturgiegeschichte

Sektion II: Kult, Heil und Dogma. Liturgisches Handeln und Gottesdienstverständnis aus Sicht der Historischen Theologie
Moderation: Clemens Leonhard

Dorothea Wendebourg: Liturgie im Luthertum
Ralph Kunz: Vom Schauspiel zum Sprachspiel. Ästhetische Kriterien und theologische Prinzipien der reformierten Gottesdienstpraxis
Benedikt Kranemann: ‚… in omnibus universi orbis Ecclesiis, Monasteriis, Ordinibus…‘ – Nachtridentinisches Liturgieverständnis zwischen Programm und Praxis

Sektion III: Liturgisches Handeln, soziale Ordnung und Identität
Moderation: Werner Freitag

Kristina Thies/Lena Krull: Um vom katholischen Glauben auch öffentlich Zeugniß zu geben‘ – Die Inszenierung der Stadtgesellschaft im Ritual der Großen Prozession in Münster
David Luebke: Rites of Passage and Civic Identity: Baptism, Marriage, and Burial in the Westphalian
Martin Scheutz: Das Offizielle und das Subkutane. Katholische Frömmigkeit und die Geheimprotestanten in den österreichischen Erbländern

Sektion IV: Ritual und konfessionelle Ordnung
Moderation: Ulrich Pfister

Mareike Menne: Katholische und protestantische Visitationen als symbolische Ordnungen, oder: Was macht der Amtmann bei der Visitation?
Jürgen Bärsch: Ordo Exsequiarum und 'ehrliches Begräbnis'. Eine vergleichende Analyse katholischer und protestantischer Begräbnisordnungen der frühen Neuzeit aus liturgiewissenschaftlicher Sicht
Veras Isaiasz: Raum und Differenz. Strategien der Etablierung von Sakralität im Luthertum und ihre konfessionelle Abgrenzung

Sektion V: Konflikte und Übergänge
Moderation: Barbara Krug-Richter

Natalie Krentz: Von der Messestörung zur Gottesdienstordnung. Die Entstehung einer evangelischen Liturgie im Kontext der frühen Reformation in Wittenberg zwischen theologischem Diskurs und sozialer Praxis
Andreas Pietsch: Wenn doch selbst Lipsius ein Marienbildnis preisen kann!‘ Von der verflixten Uneindeutigkeit religiöser Praktiken

Schlussdiskussion
Moderation: Barbara Stollberg-Rilinger

Impulsstatements: Christel Köhle-Hezinger; Bernhard Schneider; Rebekka von Mallinckrodt

Anmerkung:
1 Das Tagungexposé ist unter: <http://www.uni-muenster.de/Staedtegeschichte/Veranstaltungen/juni2009-Tagungsexpose.pdf> einzusehen (29.12.2009).


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