Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Neuzeit. Demographie, Wirtschaft und Baukultur im 17. und 18. Jahrhundert

Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Neuzeit. Demographie, Wirtschaft und Baukultur im 17. und 18. Jahrhundert

Organisatoren
Forschungsverbund "Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Neuzeit. Demographie, Wirtschaft und Baukultur im 17. und 18. Jahrhundert"
Ort
Wismar
Land
Deutschland
Vom - Bis
04.09.2003 - 05.09.2003
Url der Konferenzwebsite
Von
Stefan Kroll, Kersten Krüger

Am 4. und 5. September 2003 fand im Zeughaus Wismar die zweite internationale Forschungskonferenz des seit Ende 2001 aktiven, vom Land Mecklenburg-Vorpommern finanzierten Forschungsverbundes Städtesystem und Urbanisierung im Ostseeraum in der Neuzeit. Demographie, Wirtschaft und Baukultur im 17. und 18. Jahrhundert statt 1. An der von Prof. Dr. Frank Braun (Hochschule Wismar) in Zusammenarbeit mit den Universitäten Rostock (Prof. Dr. Kersten Krüger, Prof. Dr. Gyula Pápay) und Greifswald (Dr. Stefan Kroll) organisierten Tagung nahmen etwa 35 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, Dänemark, Schweden, Polen und Estland teil. Inhaltlich knüpfte sie an die gleichnamige Forschungskonferenz an, die im März 2002 in Rostock stattfand und deren Beiträge demnächst veröffentlicht werden 2. Dem von der Stadt Wismar freundlicherweise zur Verfügung gestellten Veranstaltungsort angemessen, spielte dieses Mal die Baugeschichte Wismars eine besondere Rolle. Darüber hinaus diente die Tagung dem intensiven Austausch über Möglichkeiten und Grenzen bei der Arbeit mit multimedialen historischen Informationssystemen und widmete sich zentralen Fragen der frühneuzeitlichen Urbanisierung im Ostseeraum.

Der europäische Urbanisierungsprozess ist in seiner Differenzierung zu sehen. Während sich das Städtesystem in Süd- und Mitteleuropa bereis im Mittelalter herausbildete, gab es in Nordeuropa eine zeitliche Verzögerung. In Schweden wurde eine flächendeckende, wiewohl noch weitmaschige Urbanisierung erst in der Frühen Neuzeit durchgesetzt, während Dänemark-Norwegen sein bestehendes Städtesystem verdichtete. Es kennzeichnet die frühneuzeitliche Urbanisierung, dass sie staatlicher Initiative und Kontrolle folgte. Im Ostseeraum forderten und förderten die schwedische wie die dänische Monarchie im Rahmen ihrer Urbanisierungspolitik einerseits die Neuanlage von Städten, andererseits die Befestigung bestehender Städte. Beides diente einem doppelten Ziel: der wirtschaftlichen Modernisierung der Gesellschaft wie der militärischen Sicherung der jeweiligen Großmachtstellung in der Ostsee und, davon ausgehend, im Bereich des Heiligen Römischen Reiches. Trotz der Machtkonkurrenz, die sich zwischen Dänemark-Norwegen und Schweden in dieser Zeit verschärfte, bildete der Ostseeraum im Hinblick auf die Urbanisierung und auch darüber hinaus ein einheitliches Aktionsgebiet für den Austausch von Waren, Kultur und Informationen.

Die Konferenz in Wismar widmete sich, nach einleitenden Bemerkungen von Kersten Krüger (Rostock) zur Idealstadt der Renaissance als Entwurf der Urbanisierung, fünf thematischen Schwerpunkten. Der erste methodische galt der multimedialen Präsentation von Forschungsergebnissen. Lars Nilsson (Stockholm) stellte das schwedische, fast fertig gestellte Projekt Cyber City vor, ein digitales Städtebuch der schwedischen Städte mit Schwerpunkt im 19. und 20. Jahrhundert. In das entstehende vergleichbare dänische Projekt The Digital Town Gate führte Søren Bitsch Christensen (Århus) ein: es hat seinen zeitlichen Schwerpunkt im Absolutismus 1660-1848 und wird hier weitergehende Informationen geben als Cyber City. Aus einem anderen Themenbereich, aber auf ähnlicher methodischer Grundlage und verbunden mit gleichen Problemen berichtete Norbert Winnige (Göttingen) über das GIS TASC zur Verehrung von Heiligen in Europa. Bezogen auf die Stadt Rostock um 1600 erläuterte Gyula Pápay (Rostock) die Programmierung eines räumlich-historischen Informationssystems mit interaktiven Abfragemöglichkeiten. In einer Filmsequenz zeigte André Habel (Wismar) eine eindrucksvolle Visualisierung eines Wismarer Giebelhauses aus dem 17. Jahrhundert in seiner Baugeschichte.

Wirtschaftsgeschichtliche Perspektiven der Urbanisierung bildeten einen zweiten Schwerpunkt. Christina Dalhede (Göteborg) trug, multimedial aufbereitet, Ergebnisse der Auswertung ihrer Datenbank zur Göteborger Schifffahrt im 17. Jahrhundert vor. Auf der Grundlage der niederländischen Sundregister erläuterten Stefan Kroll (Greifswald/Rostock) und Karsten Labahn (Rostock) den Fernhandel der Hafenstädte im Ostseeraum des 18. Jahrhunderts und die Möglichkeiten der Visualisierung in einem Informationssystem. Sozialgeschichtliche Aspekte als dritten Schwerpunkt beleuchteten Raimo Pullat (Tallin) mit einer Analyse der Migration nach und aus Reval im 18. Jahrhundert sowie Lauri Suurma (Tallin) mit einer kulturgeschichtlichen Darstellung des Wandels von Essen und Trinken im bürgerlichen Reval, ebenfalls im 18. Jahrhundert. Als Quellen dienten dem Referenten Nachlassinventare, die er quantitativ auswertete. Der vergleichenden Städteforschung als viertem thematischen Bereich wandte sich Edward Wlodarczyk (Szczezin) zu, indem er das pommersche Städtesystem im 19. sowie 20. Jahrhundert darlegte und in seiner Forschungsproblematik erörterte. Hier wurden Verbindungen zu den digitalen Städtebüchern sichtbar, die im ersten Schwerpunkt Erwähnung fanden.

Breiten Raum nahm die laufende Stadtforschung als fünfter Schwerpunkt ein. Hier stand wie erwähnt die gastgebende Stadt Wismar im Mittelpunkt. Ernst Münch (Rostock) vermittelte einen historischen Überblick über die Entwicklung der Stadt im 17. und 18. Jahrhundert. Dabei entwickelte er in kritischer Auseinandersetzung mit der gängigen Literatur neue Fragen an zukünftige Forschung. Den Wandel des Stadtbildes durch weitläufigen Festungsbau unter schwedischer Herrschaft rekonstruierte Matthias Westphal (Wismar) durch überzeugende Auswertung historischer Karten und ihre geschickte Entzerrung, so dass sich die Festungsanlagen auf moderne Karten übertragen und damit lokalisieren lassen. Über Bauforschungen zu ausgewählten Wismarer Häusern des 17. wie 18. Jahrhunderts berichteten Frank Braun und Britta Schulz (beide Wismar); sie dokumentieren erhebliche Erkenntnisfortschritte durch interdisziplinäre Zusammenarbeit. Einblick in einen hier wichtigen Spezialbereich der Dendrochronologie gewährte Sigrid Wrobel (Hamburg) mit Nachweisen der Datierung und Herkunft von Bauholz in Wismar. Auf die Visualisierung der Forschungsergebnisse für ein Wismarer Haus durch André Habel wurde schon hingewiesen. Ausgehend von ähnlichen Forschungsansätzen wie in Wismar, legte Felix Schönrock (Greifswald) seine Forschungsergebnisse zum bürgerlichen Wohnhaus in Greifswald im 18. Jahrhundert dar. Zu Stettin am Beginn des 18. Jahrhunderts gab Katrin Möller (Rostock) einen Werkstattbericht aus ihrer laufenden Auswertung des schwedischen Katasters, einer zu Steuerzwecken erstellten Aufmessung aller Grundstücke mit Beschreibung der Gebäude, ihren Nutzungen und Bewohnern. Hier sind viele neue Ergebnisse zur Baugeschichte Stettins zu erwarten, ebenso zur Sozial- und Wirtschaftgeschichte.

Die Abschlussdiskussion zeigte die Vielfalt der Forschungsperspektiven auf und den Erkenntnisgewinn durch interdisziplinäre wie internationale Zusammenarbeit. Alle Teilnehmenden waren sich einig, dass die zahlreichen Aktivitäten weiter zu verknüpfen und zu vernetzen seien. Ständig im Internet zu erreichende Informationssysteme sollen dabei als geeignetes Mittel des ständigen kooperativen Austauschs dienen. Zunächst jedoch werden die Beiträge der Konferenz im kommenden Jahr als Buch veröffentlicht.

1 Das Projekt ist im Internet vertreten unter: http://www.uni-rostock.de/fakult/philfak/imd/forschung/homemare2/homeMaBa.htm.

2 Die Beiträge der 1. Projekttagung erscheinen im Herbst 2003 in: Kersten Krüger, Gyula Pápay, Stefan Kroll (Hrsg.): Stadtgeschichte und Historische Informationssysteme. Der Ostseeraum im 17. und 18. Jahrhundert. Beiträge des wissenschaftlichen Kolloquiums in Rostock vom 21. und 22. März 2002. Münster: LIT-Verlag 2003.

Kontakt

Prof. Dr. Kersten Krüger, Universität Rostock, Historisches Institut, 18051 Rostock (kersten.krueger@philfak.uni-rostock.de)

Dr. Stefan Kroll, Universität Rostock, Historisches Institut, 18051 Rostock (stefan.kroll@philfak.uni-rostock.de)


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