„Schweizerische Konzentrationslager“ und „Die schlimmen Juden“ – Carl Albert Loosli und sein Einsatz für die Würde des Menschen

„Schweizerische Konzentrationslager“ und „Die schlimmen Juden“ – Carl Albert Loosli und sein Einsatz für die Würde des Menschen

Organisatoren
ETH Archiv für Zeitgeschichte, Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
25.11.2009 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Bernhard Schär, Zentrum Politische Bildung und Geschichtsdidaktik PH FHNW/Zentrum für Demokratie, Aarau

„Behörden, Verwaltungen, der Verein schweizerischer Armenerzieher, wie die Presse“ fielen, wie Carl Albert Loosli schrieb, „mit einer Wut und einer Verbissenheit über mich her, die der einer angeschossenen Wildsau kaum nachstand.“1

Loosli kam 1877 als unehelicher Sohn einer Heimarbeiterin im Kanton Bern zur Welt. Ab dem zwölften Lebensjahr wuchs er in Erziehungsanstalten und Pflegefamilien auf. Einen Beruf zu erlernen, war ihm nicht vergönnt. Das Rüstzeug für seine Tätigkeit als Journalist und Publizist brachte er sich selber bei. Von ganz unten kommend und parteipolitisch nirgends klar zuordenbar, kämpfte er an vielen Fronten gegen Autoritarismus und für mehr soziale Gerechtigkeit in der Schweiz. Dabei teilte er leidenschaftlich aus, musste als Einzelkämpfer aber auch hart einstecken. Erst gegen Ende seines Lebens zeichneten sich die von Loosli ersehnte Rückbesinnung auf demokratische und rechtstaatliche Grundwerte sowie sozialpolitische Reformen ab. Die fundamentalen kulturellen und gesellschaftlichen Erneuerungen der 1960er- und 1970er-Jahre erlebte Loosli allerdings nicht mehr. Er starb 1959 und geriet bei den nachwachsenden Generationen schnell in Vergessenheit.

Dass man sich heute wieder an ihn erinnern kann, ist dem Zürcher Rotpunktverlag sowie den Publizisten und Historikern Fredi Lerch und Erwin Marti zu verdanken. Sie haben heuer den letzten von insgesamt sieben Bänden einer umfassenden Werkausgabe zu Carl Albert Looslis Schaffen herausgegeben. Im Zürcher Chronos Verlag sind zudem drei von vier geplanten Bänden einer Biographie aus der Feder von Erwin Marti erhältlich.2

Biographie und Werkausgabe bilden nicht nur einen Zugang zum Leben Looslis. Sie bilden auch einen reichhaltigen Fundus für aktuelle Themen der Sozial- und Kulturgeschichte. Eine vom Archiv für Zeitgeschichte der ETH Zürich am 25. November 2009 organisierte wissenschaftliche Tagung verwob geschickt beide Perspektiven miteinander. Während Erwin Marti in seinem Eröffnungsreferat Eckpunkte aus Looslis Leben und Werk referierte und damit das biographische Interesse an Loosli vertrat, situierten die anderen Referierenden Loosli in verschiedenen historischen Kontexten. Während der biographische Zugang eher die Kohärenz, die Rationalität und das „Wesen“ von Individuen stark macht, zeigen die historisch kontextualisierenden Zugänge stärker die Situiertheit und die Widersprüche von historischen Subjekten. Wie die Diskussionen an der Tagung zeigten, können sich beide Zugänge wechselseitig befruchten und bedienen unterschiedliche, jedoch gleichermassen legitime, Erinnerungsbedürfnisse.

So schilderte die Berner Historikerin TANJA RIETMANN zunächst das Phänomen der administrativen Versorgung in der Schweiz. Es handelte sich dabei um eine im 19. Jahrhundert einsetzende Praxis der Versorgung von sozial „nicht angepassten“ Menschen in Straf-, Erziehungs- oder Arbeitsanstalten. Die Maßnahmen richteten sich bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gegen „Liederliche“, „Trunksüchtige“ und „Arbeitsscheue“. Die Versorgungen verfolgten aus Behördensicht erzieherische und bestrafende Ziele – aus Sicht der Betroffenen wurden sie primär als Strafe und als Unrecht empfunden. Tatsächlich waren die Maßnahmen rechtsstaatlich problematisch, wie Rietmann darlegte. Die in Anstalten eingesperrten Betroffenen hatten sich keines Vergehens schuldig gemacht. Die Einweisungen wurden in der Regel nicht von einem Gericht, sondern von den kantonalen Regierungen angeordnet, was dem Prinzip der Gewaltenteilung widersprach. Die Betroffenen hatten zudem meist keine Rekursmöglichkeiten. Am meisten Menschen wurden in der Zeit zwischen den 1920er- und den 1940er-Jahren eingewiesen, wie Rietmann anhand von überlieferten Zahlen aus dem Kanton Bern nachwies. Diese grundrechtswidrige Versorgungspraxis wurde erst 1981 aufgehoben.

Während der Hochphase der Versorgung war nun Carl Albert Loosli der einzige öffentliche Kritiker. Er habe die rechtlichen Probleme der Praxis klar erkannt und benannt, führte Rietmann aus. Seine Kritik sei allerdings nicht widerspruchsfrei gewesen. So habe Loosli sich positiv zum Vormundschaftsrecht geäußert, obwohl dieses mit denselben Mängeln wie das Versorgungsrecht behaftet gewesen sei: keine Gewaltenteilung, mangelnde Rekursmöglichkeiten. Zudem habe er seine Kritik an der Versorgungspraxis mit einem Fallbeispiel dokumentiert, das nur indirekt mit der Versorgungsproblematik zu tun hatte.

Dass die administrative Versorgung 1981 aufgehoben wurde, hatte letztlich nichts mehr direkt mit Looslis Kritik zu tun, sondern damit, dass sich die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg den neuen Normen der Europäischen Menschenrechtskonvention anpasste. Looslis langer, einsamer Kampf gegen die Versorgungsjustiz sei dennoch beeindruckend, so Rietmann.

Die Zürcher Historikerin SONJA FURGER beleuchtete Looslis Engagement in einer Affäre rund um die Jugenderziehungsanstalt im zürcherischen Uitikon. Looslis kam hierbei eine tragische Rolle zu. Die Anstalt geriet 1952 wegen der Erziehungsmethoden ihres Direktors Fritz Gerber ins Zwielicht. Gerber hatte in den 1920er-Jahren ein für die damalige Zeit fortschrittliches Erziehungskonzept entwickelt: die Anstalt war offen, die Zöglinge hatten gewisse Mitsprachemöglichkeiten und die älteren Jugendlichen übernahmen selber gewisse erzieherische Funktionen. Im Lauf der Jahre förderte das System jedoch Denunziantentum, psychische und zum Teil auch körperliche Gewalt unter den Jugendlichen. Direktor Gerber reagierte mit autoritären und repressiven Maßnahmen, was nach dem Krieg insbesondere vom Pfarrer in Uitikon öffentlich kritisiert wurde. Im Rahmen dieses Streits eröffneten die Behörden eine Untersuchung der Anstalt. Carl Albert Loosli war zu jener Zeit landesweit als Anstaltskritiker bekannt. In diesem konkreten Fall nahm er jedoch Fritz Gerber nicht nur öffentlich in Schutz und versuchte Gerbers Kritiker zu diskreditieren. Wie Sonja Furger anhand der Korrespondenz zwischen beiden aufzeigte, unterstützte Loosli den angeschlagenen Direktor auch psychologisch und beriet ihn in Kommunikationsfragen. Indes: Die Behördenuntersuchungen gaben Gerbers Kritikern schließlich recht, womit rückblickend auch Loosli in einem schiefen Licht erscheint. Furger argumentierte, dass der bekannte Anstaltskritiker Loosli in Gerber einen Verbündeten im Kampf um Reformen im Anstaltswesen gesehen habe. Dabei habe er nicht erkannt, dass die gelebte Praxis in der Erziehungsanstalt nicht mehr mit den ursprünglich reformerischen Ansätzen Gerbers übereinstimmte. Um sein Anliegen, die grundsätzliche Reform des Anstaltswesens, zu schützen, habe Loosli sich unkritisch von Gerber instrumentalisieren lassen.

Die Basler Historikerin LORETTA SEGLIAS berichtete aus ihrer laufenden Forschungsarbeit über das Verdingkinderwesen in der Schweiz. Es handelte sich um Maßnahmen gegen Armut, die nebst Erwachsenen vor allem Kinder aus armen Familien aus der Obhut ihrer Eltern entwendete und an Pflegefamilien „verdingte“. Die Pflegefamilien, oftmals Bauernfamilien, verpflichteten sich, den Kindern Kost und Logis anzubieten und hatten dafür Anspruch auf die Arbeitskraft der Kinder. Verdingte Kinder waren meist schlechter gestellt als die leiblichen Kinder der Pflegefamilien, was sich unter anderem darin ausdrückte, dass ihnen der Zugang zu Bildung erschwert wurde. Diese Form der Armutsbekämpfung blieb bis weit ins 20. Jahrhundert bestehen. Aus Sicht der Fürsorgebehörden erschien sie kostengünstiger als die Versorgung in Anstalten, die von der öffentlichen Hand finanziert wurden. Die Forschung zum Thema traf in der Schweiz bislang auf wenig Unterstützung, weshalb auch noch keine genauen Zahlen vorliegen, wie Seglias ausführte.

Carl Albert Loosli, der selbst ein Verdingbub war, kritisierte nicht nur die Ausbeutung, die physische und seelische Gewalt gegenüber verdingten Kindern und Jugendlichen. Er thematisierte auch das Wegsehen und Schweigen von Lehrern, Pfarrern, Fürsorgebehörden und Nachbarn auf eine analytisch scharfsinnige Weise. Lehrer und Pfarrer hatten auf vielen Landgemeinden keine sichere, unbefristete Anstellung, weshalb sie für sich und ihre Familien Nachteile zu befürchten hatten, wenn sie Anzeige erstattet hätten. Loosli forderte daher unter anderem die Einrichtung einer Stelle für anonyme Anzeigen gegen Pflegeeltern, die ihre Verdingkinder missbrauchten. Damit stützte Loosli das Verdingsystem im Grundsatz und glaubte, Mängel durch Reformen beheben zu können. Diese Haltung hänge vermutlich damit zusammen, erklärte Seglias, dass Loosli selber viel bessere Erfahrungen mit seinen Pflegeeltern gemacht hatte als später in den Erziehungsanstalten. Auch die von Loretta Seglias unlängst mit herausgegebenen Erinnerungen von heute noch lebenden ehemaligen Verdingkindern3 zeigen, dass etliche unter ihnen Glück gehabt und teilweise sehr warmherzige Beziehungen zu ihren Pflegeltern aufgebaut hätten. Die Forschung zeige aber auch, dass viele ehemalige Pflegefamilien überfordert und von den Fürsorgebehörden nicht unterstützt worden seien – was für viele Betroffene gravierende Konsequenzen hatte.

Die Beiträge von Rietmann, Furger und Seglias beleuchteten verschiedene Aspekte der repressiven „Rückseite“ des frühen Sozialstaates in der Schweiz. Dieser bildete sich als Reaktion auf die durch die forcierte Industrialisierung erzeugte wachsende Armut im späten 19. Jahrhundert heraus, verstieß jedoch gegen individuelle Freiheitsrechte des liberalen, republikanischen Verfassungsstaates von 1848. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird nicht nur in der Schweiz dauerhafte Armut erneut zu einem Thema, während der Sozialstaat zugleich wirtschaftlich und politisch unter Druck gerät. Unter dem Titel des Kampfes gegen „Sozialmissbrauch“ und „Sozialschmarotzer“ haben Schweizer Städte Maßnahmen ergriffen, die zumindest in einem Spannungsverhältnis zu den Freiheitsrechten jener Menschen stehen, die auf sozialstaatliche Unterstützung angewiesen sind. Vor diesem Hintergrund erscheinen die drei erwähnten Vorträge mehrfach interessant: Looslis literarische Arbeiten geben der Erfahrung von Armut eine Stimme. Seine gesellschaftlichen und mikrosoziologischen Analysen zeigen aber auch auf, wie trotz Demokratie auf struktureller Ebene wirtschaftliche Armut für Betroffene in eine politische Entmündigung führen kann; sowie wie diese Ungleichheiten in den alltäglichen Interaktionen – etwa zwischen Fürsorgeabhängigen und ihren Vormündern – gelebt und empfunden werden. Aus politischer Sicht beeindruckt Looslis Kampf heute, da zumindest in der Schweiz momentan keine vergleichbare Figur zu erkennen ist. Gleichzeitig lässt sich an Loosli aber lernen, dass sich Gesellschafskritik nie außerhalb, sondern immer als Teil der Gesellschaft abspielt, was – wie der Fall Uitikon zeigt – nicht davor feit, ungewollt den Gegnern in den Hände zu spielen.

Das zweite Thema der Konferenz war Looslis Engagement gegen den Antisemitismus gewidmet. Hierzu konnte mit MICHAEL HAGEMEISTER, Professor für die Geschichte Osteuropas an der Ludwig-Maximilans Universität München, ein renommierter Experte für die Geschichte der „Protokolle der Weisen von Zion“ für ein Referat gewonnen werden. 1933 kam es in Bern zu einem international beachteten Prozess gegen die Herausgeber dieser antisemitischen Hetzschriften, die unter anderem auch von Adolf Hitler in „Mein Kampf“ als Beleg für eine jüdische Verschwörung zur Übernahme der Weltherrschaft zitiert worden waren. Jüdische Berner Anwälte klagten formell den Verstoß gegen ein damaliges Gesetz gegen „Schundliteratur“ ein, wollten jedoch letztendlich erwirken, dass ein Gericht bestätigt, dass die „Protokolle“ gefälscht sind.

Loosli war 1927 mit seiner vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund geförderten Schrift „Die schlimmen Juden“ als scharfer Kritiker des Antisemitismus in Erscheinung getreten. Für die Dauer des Prozesses wurde er vom Richter zum überparteilichen Sachverständigen ernannt. Wie Hagemeister anhand von Briefwechseln zwischen den jüdischen Anwälten und Loosli darlegte, agierte Loosli keinesfalls „überparteilich“. Er arbeitete insgeheim mit den jüdischen Anwälten zusammen. Loosli wollte, dass der international beachtete Prozess zu einem Erfolg führe und damit zu einem Zeichen gegen Hitler werde. Da die Anklage auf wackligen Zeugenaussagen basierte, bog Loosli diese in seinem Gutachten zurecht. Der Prozess endete 1935 im Sinne von Loosli und den jüdischen Klägern. Die Herausgeber der „Protokolle“ wurden schuldig gesprochen. Allerdings wurde das Urteil zwei Jahre später von einer höheren Instanz aus formalrechtlichen Gründen wieder aufgehoben. Wie Hagemeister hervorhob, hatte Loosli in seinem Gutachten eine wichtige Sache klar gesehen. Loosli argumentierte, dass die Nationalsozialisten vergleichbare Ziele verfolgten, die in den „Protokollen“ den Juden unterstellt wurden: die Errichtung einer totalitären Wohlfahrtsdiktatur mit sozialistischen Zügen. Diese Analyse sei seither von vielen aufgegriffen worden, so Hagemeister, unter anderem von Hannah Arendt.

Ebenfalls mit Looslis Engagement gegen den Antisemitismus befasste sich ein analytischer „Kommentar“ von DANIEL GERSON vom Institut für jüdische Studien der Universität Basel. Ebenso wie der Publizist und ehemalige Gewerkschafter MARTIN UEBELHART, der über Looslis Ideen einer „demokratischen Pädagogik“ referierte, las Gerson Loosli nicht primär als historische Quelle, sondern als Sozialtheoretiker. Dieser Zugang ist originell, da Loosli kein einheitliches Werk hinterließ, sondern seine Ideen in journalistischen Polemiken, sozialkritischen Büchern, in einem Kriminalroman, aber auch in zahlreichen Gedichten in Emmentaler Mundart ausbreitete. Der Ansatz scheint aber auch viel versprechend. Uebelhart situierte Loosli als Übergangsfigur zwischen John Dewey und der kritischen Theorie der Frankfurter Schule. So umkreiste Loosli immer wieder die Frage, wie Schule als Institution und als Praxis zu gestalten sei, damit Jugendliche nicht zu einem „autoritären Charakter“ (Adorno), sondern zu Stützen einer offenen, demokratischen Gesellschaft erzogen werden können – oder, wie Loosli sagte: dass Schule „erziehe, nicht erwürge“. Aufgeschreckt durch internationale Vergleichsstudien über politisches Wissen und Demokratieverständnis, in denen Schweizer Jugendliche teilweise unterdurchschnittlich abschnitten, diskutieren gegenwärtige Pädagogen in der Schweiz ähnliche Fragen.4 Die Wiederentdeckung Looslis als schweizerischer Erziehungstheoretiker kommt daher zu einem günstigen Zeitpunkt.

Gerson zeigte zum einen auf, dass Loosli durchaus in den rassentheoretischen Kategorien seiner Zeit dachte und antisemitische Vorstellungen teilte. So teilte er die Auffassung, dass Juden grundsätzlich anders seien als „Arier“, die er aber auch als „Barbaren“ bezeichnete, und dass sich die jüdische Minderheit über kurz oder lang in ihren „Wirtsvölkern“ zu assimilieren hätte. Handkehrum entwickelte er jedoch in seinen Schriften so etwas wie eine konstruktivistische Sichtweise avant la lettre. So analysierte er den Antisemitismus als Diskurs, mit welcher sich sowohl ein verunsichertes aber gleichwohl mächtiges nicht-jüdisches Subjekt der Mehrheitsgesellschaft konstituierte. Er beleuchtete aber auch die Effekte des Antisemitismus auf die Identitätskonstruktionen der jüdischen Minderheiten selber. Für diese blieb Loosli in der Schweiz über lange Zeit der einzige und wichtigste Ansprechpartner aus der Mehrheitsgesellschaft.

In der von GREGOR SPUHLER, dem Leiter des Archivs für Zeitgeschichte an der ETH Zürich, moderierten und durch einen Tagungsrückblick des Journalisten STEFAN KELLER initiierten Schlussdiskussion wurden die beiden Zugänge – der biographische und der kritisch historisierende – nochmals gegeneinander abgewogen und mit Blick auf die Gegenwart diskutiert. Loosli bewegte sich in einem Spannungsverhältnis zwischen Rechtsgleichheit, für die er kämpfte, und dem Recht von „Anderen“ auf kulturelle Differenz. Wie aktuell dieses Spannungsverhältnis bis heute ist, zeigte die Diskussion. Unter dem Eindruck der Debatten über das wenige Tage später an der Urne angenommene Verbot von Minaretten in der Schweiz wurden schnell die Parallelen zwischen Antisemitismus und Islamophobie hervorgehoben. Dass Looslis Engagement für die Rechte der Juden eine kulturelle Homogenitätsutopie zugrunde lag, sei wenig überraschend, sagte etwa Stefan Keller, wenn man bedenke, wie antisemitisch die Gesellschaft war, in der Loosli lebte. Die Auseinandersetzung mit Loosli rege aber dazu an, Kritik an der Islamophobie darauf hin zu prüfen, dass sie nicht selber wiederum in assimilatorischen Kategorien vorgetragen werde. Der für die linke Wochenzeitung „WoZ“ schreibende Journalist erkannte zudem, dass Leute, die nicht arbeiten wollten oder könnten, für die Linke historisch immer ein Problem gewesen seien. Ziel des Sozialstaats sei stets die Wiedereingliederung des Einzelnen in den Arbeitsmarkt. Dabei werde zu schnell vergessen, dass die hierzu verwendeten Maßnahmen schnell ins Repressive abgleiten könnten. Die Diskussion setzte so interessante Akzente am Ende einer gelungenen Tagung.

Konferenzübersicht:

Gregor Spuhler, Leiter Archiv für Zeitgeschichte an der ETH Zürich
Begrüßung und Einleitung

Erwin Marti und Fredi Lerch, Herausgeber Werkausgabe
Einführung in Leben und Werk von C.A. Loosli

Tanja Rietmann (Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis/Universität Bern)
Kritiker avant la lettre? C. A. Loosli und die «administrative Versorgung»

Sonja Furger (Universität Zürich)
„Bei Ihnen erlebte ich in meinen alten Tagen die Erfüllung meines (…) Wunschtraumes …“ Nachdenken über C. A. Looslis Parteinahme im Streit um die Arbeitserziehungsanstalt Uitikon

Martin Uebelhart (Oberwil-Lieli)
Aspekte einer demokratischen Pädagogik im Werk von C. A. Loosli

Loretta Seglias (Universität Basel)
„Bedingungslose Abschaffung der Erziehungs-, Rettungs-, Zwangserziehungsanstalten und Waisenhäuser (…) und ihre möglichst beschleunigte Überführung ins Verdingwesen“ – C. A. Loosli und das Verdingkinderwesen

Michael Hagemeister (Universität Basel und München)
C. A. Loosli und seine Rolle im Berner Prozess um die „Protokolle der Weisen von Zion“

Daniel Gerson (Universität Basel)
C. A. Looslis Kampf gegen den Antisemitismus: ein Kommentar

Stefan Keller (Zürich)
Beobachtungen und Bemerkungen für die Schlussdiskussion

Anmerkungen:
1 Carl Albert Loosli, „Administrativjustiz“ und Schweizerische Konzentrationslager, Bern 1939, S. 110.
2 Für Angaben zur Werkausgabe siehe <http://bit.ly/7j6Be1> (15.12.2009); Angaben zur Biographie: <http://bit.ly/5kasyO> (15.12.2009).
3 Marco Leuenberger / Loretta Seglias (Hrsg), Versorgt und vergessen: ehemalige Verdingkinder erzählen, Zürich 2008.
4 Fritz Oser (Hrsg.), Jugend ohne Politik. Ergebnisse der IEA Studie zu politischem Wissen, Demokratieverständnis und gesellschaftlichem Engagement in der Schweiz im Vergleich mit 27 anderen Ländern, Zürich 2003.


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