Selektion – Initiation – Repräsentation. Die Ahnenprobe in der Vormoderne

Selektion – Initiation – Repräsentation. Die Ahnenprobe in der Vormoderne

Organisatoren
Elizabeth Harding / Michael Hecht, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.11.2009 - 07.11.2009
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Von
Alexander Lehmann, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Bereits im Landrecht des Sachsenspiegels wird die Ahnenprobe als wichtiges Beweisinstrumentarium genannt. Mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Eliten galt sie als wirksames Selektionsmittel. In den unterschiedlichsten Kontexten diente die Ahnenprobe als Nachweis einer geburtsständischen Qualität, womit sich zugleich bestimmte Sozialgruppen den Zugang zu materiellen und politisch-sozialen Ressourcen exklusiv sicherten. Ihre Verbreitung und Bedeutung steht jedoch in deutlichem Gegensatz zum geringen Interesse, das die historische Forschung bislang dem Phänomen entgegengebracht hat.

Daher ist es erfreulich, dass der Sonderforschungsbereich 496, Teilprojekt C1 „Zur symbolischen Konstituierung von Stand und Rang in der Frühen Neuzeit“, in Zusammenarbeit mit dem Historischen Seminar der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster diesem wichtigen Thema eine eigene Tagung unter dem Titel ‚Selektion – Initiation – Repräsentation. Die Ahnenprobe in der Vormoderne’ widmete. Die sechs Tagungssektionen deckten ein breitgefächertes zeitliches, soziales und räumliches Spektrum des Phänomens Ahnenprobe ab.

In ihrer Einführung zeigten die Organisatoren, ELIZABETH HARDING (Münster) und MICHAEL HECHT (Münster), eine Reihe von Forschungsdesideraten auf. So richtete die sozialgeschichtliche Forschung ihren Blick vor allem auf die ökonomisch-funktionale Bedeutung der Ahnenprobe, das heißt die sukzessive ständische Abgrenzung und damit verbundene Ressourcensicherung adliger Korporationen als Reaktion auf vermehrte soziale Aufstiegsbestrebungen. Neuere kulturgeschichtlich inspirierte Fragestellungen aufgreifend, stellten Harding und Hecht hingegen Fragen zur Funktion der Ahnenprobe als Instrument der Selektion und Initiation sowie zur Bedeutung der Ahnenprobe als Visualisierungsstrategie. Eine Vielzahl von Medien wurde in der Vormoderne zu ihrer Darstellung verwendet, so zum Beispiel die heraldischen Repräsentationen auf Grabsteinen und Epitaphen, Aufschwörtafeln, Altären, Portraits, Büchern, Truhen, Gefäßen oder Wandteppichen.

Die Ahnenprobe im Hochadel nahmen die beiden Vorträge von KILIAN HECK (Frankfurt am Main) und UTE KÜPPERS-BRAUN (Essen) in den Blick. Heck thematisierte aus kunstgeschichtlicher Sicht die Visualisierungsstrategien des Ahnengedächtnisses und zeigte die besondere Funktion der Ahnenproben am Beispiel von Grabdenkmälern und anderen Zeugnissen der höfischen Kultur auf. Küppers-Braun rückte die hochadligen Damenstifte in Essen, Elten, Vreden, Thorn und Köln in den Mittelpunkt ihres Vortrages. Die Exklusivität dieser Frauenstifte für Töchter aus hochadligen Familien machte eine regelrechte „Ahneninquisition“ – den Nachweis von freier und edler Geburt unter besonderer Betonung des Standes der Mütter – erforderlich. Die hochadligen Damenstifte stellten nicht nur eine Versorgungsanstalt dar, sondern fungierten vielmehr als weit verzweigter Heiratsmarkt. Die restriktiven Aufnahmeverfahren dienten zur Kontrolle dieses Heiratskreises und der Ebenbürtigkeit der Standesmitglieder.

Der Abendvortrag von SIMON TEUCHSCHER (Zürich) widmete sich dem Phänomen der Verwandtschaft in der Vormoderne. Mit der zunehmenden Verankerung eines Geschlechtes in einen Territorium entwickelte sich die Verwandtschaft zu einem der wichtigsten Mittel zur Herrschaftssicherung. Familiäre Beziehungen wurden nun häufiger in Verwandtschaftsdiagrammen in Form von Stammbäumen bildlich dargestellt. Im Laufe des 15. Jahrhunderts gewann das Blut (und dessen Reinheit) als zentraler Begriff in der Vorstellung von Verwandtschaftsbeziehungen an Bedeutung.

In der zweiten Sektion der Tagung wandte sich der Blick auf die Praxis der Aufschwörung in norddeutschen und süddeutschen Domkapiteln. KURT ANDERMANN (Karlsruhe) und CHRISTIAN SCHUFFELS (Kiel) zeichneten das Verfahren der Aufschwörung nach, bei dem die Präsentation und Beeidung von Ahnentafeln der Anwärter eine wichtige Rolle spielten. Während Schuffels den Fokus auf das „Wappenbuch“ des Hildesheimer Kapitels richtete und die auf den Wappentafeln abgebildete Symbolik interpretierte, behandelte Andermann die Unterschiedlichkeit des Zulassungsverfahrens. So erschienen etwa bei der Aufschwörung in Speyer vier, in Konstanz zwei und in Mainz acht Eideshelfer. Gemeinsam waren den Aufnahmen die Inthronisation im Chorgestühl und die Entrichtung der Statutengelder. Als wichtig galt zudem die Anwesenheit der übrigen Kapitulare; in Trier war sogar das Generalkapitel geladen.

JOSEF MATZERATH (Dresden) konnte für die sächsische Ritterschaft zeigen, dass hier die Ahneprobe ebenfalls als wirksames Selektionsmittel eingesetzt wurde. Sie diente nach ihrer Einführung zu Beginn des 18. Jahrhunderts in zentraler Weise der Festigung von Binnendifferenzierungen innerhalb des Landadels. Zu ähnlichen Erkenntnissen kam ANDREAS MÜLLER (Werl) in seinem Referat zur Durchführung der Ahnenproben der Ritterschaft im kurkölnischen Herzogtum Westfalen. Er machte deutlich, wie flexibel der Adel im Einzelfall mit Bewerbern im Bezug auf den Ahnennachweis umging.

Die Vorträge von KNUT SCHULZ (Berlin) und JUTTA NOWOSADTKO (Hamburg) widmeten sich der Frage nach der Verwendung der Ahnenprobe in der Stadt des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Beide Referenten konnten zeigen, dass sich die Logik der adligen Ahnenproben nur bedingt auf das städtische Milieu übertragen lässt. Gleichwohl waren die „echte“ und „rechte“ Geburt sowie die „freie“ Abstammung oftmals wichtige Kriterien bei der Aufnahme in die Bürgerschaft und die Zulassung zu Zünften. Die zur Abgrenzung gegenüber „Unehrlichen“ vorgesehenen Prüfverfahren erfuhren im 17. und 18. Jahrhundert mancherorts eine deutliche Verschärfung.

Die folgende Sektion stand unter dem Titel „Medien und Repräsentation der Ahnenprobe“. JOACHIM SCHNEIDER (Mainz) stellte die sogenannten Burgmannenbücher der Reichsburg Friedberg als einzigartige Quellen zur vormodernen Ahnenprobe vor. Die Durchführung von Ahnenproben war hier, so Schneiders These, auch ein Reflex auf die regionale Öffnung des Burgmannenkreises, dessen ständische Homogenität durch die Proben garantiert werden sollte. Dem Medium der gedruckten Ahnentafel im 17. Jahrhundert widmete sich VOLKER BAUER (Wolfenbüttel). In den von ihm thematisierten Universalgenealogien, die sich durch eine sparsame und verdichtete Datenpräsentation auszeichneten, spielten Ahnentafeln neben anderen Darstellungsformen von Verwandtschaft eine wichtige Rolle. Für den Buchmarkt bestimmt, musste die Gestaltung der genealogischen Werke der zunehmenden Kommerzialisierung angepasst werden, weshalb die Effizienz der Datenvermittlung im Vordergrund stand.

Die letzten beiden Vorträge der Tagung weiteten den Blick auf die Habsburger Monarchie vom 17. bis zum 19. Jahrhundert aus. WILLIAM D. GODSEY behandelte den kaiserlichen Hof, wo in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Ahnenprobe für herausgehobene Hofämter erforderlich wurde. Dabei kann man Parallelen zum Hof von Versailles erkennen. Bei der Anfertigung der Ahnennachweise hatten sich die Probanden nach den jeweiligen Regeln des Malteserordens ihres Heimatlandes zu richten. In zunehmendem Maße lässt sich eine Zentralisierung beobachten, die ihren Ausdruck im 1824 geschaffenen Amt des „Ahnenprobenexaminators“ fand. ARNOUT MERTENS (Rom) konnte für die südlichen Niederlande zeigen, dass Ahnenproben auch dort ein weit verbreitetes Phänomen darstellen. Er zeichnete die Konflikte über die Anwendung der unterschiedlichen Verfahrenspraktiken nach, die im Spannungsfeld von adliger Autonomie und territorialer Integration standen.

In der lebhaften Abschlussdiskussion wurden die Sektionsthemen aufgegriffen, Einzelbefunde zusammengeführt und zukünftige Forschungsperspektiven angesprochen. Dabei stand zum einen die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der internationalen Dimension des Themas im Mittelpunkt. Zum anderen wurde betont, dass der rituellen Praxis von Ahnenproben eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Zum dritten plädierten etliche Diskutanten für eine genauere Beschäftigung mit der Funktionenvielfalt und der zeitlichen Differenzierung des Phänomens Ahnenprobe.

Abschließend bleibt festzustellen, dass die Tagung ein wichtiges Forschungsdesiderat aufgegriffen und verschiedene Zugänge aufgezeigt hat. Es wäre wünschenswert, wenn die in Münster aufgezeigten Ansätze den Anstoß für eine weitergehende interdisziplinäre Erforschung der Ahnenprobe geben. Eine Publikation der Beiträge ist geplant.

Konferenzübersicht:

Barbara Stollberg-Rilinger – Begrüßung

Elizabeth Harding; Michael Hecht – Ahnenproben als soziale Phänomene der Vormoderne – Eine Einführung.

Sektion I (Ahnenproben im Hochadel)
Moderation Barbara-Stollberg-Rilinger

Kilian Heck – Ahnen ahnen. Der Restanteil fiktionaler Historiographie bei dynastischen Ahnenproben des 16. und 17. Jahrhunderts.

Ute Küppers-Braun – Auf die Mütter kommt es an. Ahnenproben in Stiften des hohen Adels.

Öffentlicher Abendvortrag
Moderation Gerd Althoff

Simon Teuscher – Verwandtschaft in der Vormoderne. Zur politischen Karriere eines Beziehungskonzeptes.

Sektion II (Ahnenproben in Domkapiteln)
Moderation Johannes Süßmann

Kurt Andermann – Zur Praxis der Aufschwörung in südwestdeutschen Domstiften in der Frühen Neuzeit.

Christian Schuffels – Ahnenprobe und Aufschwörung im Hildesheimer Domkapitel der Frühen Neuzeit.

Sektion III (Ahnenproben in Ritterschaften)
Moderation Johannes Süßmann

Josef Matzerath – Die Einführung der Ahnenprobe in der kursächsischen Ritterschaft.

Andreas Müller – Zur praktischen Durchführung von Ahnenproben des 18. Jahrhunderts am Beispiel der Ritterschaft des kurkölnischen Herzogtums Westfalen.

Sektion IV (Ahnenproben in der Stadt)
Moderation Werner Freitag

Knut Schulz – Zunft- und Bürgerrechtserwerbe (13.-16. Jahrhundert): ‚echt und recht’ - Geburt, Herkunft, Integrität.

Jutta Nowosadtko – „Recht, echt, ehrlich, frei geboren“ - Herkunftsnachweise im organisierten Handwerk der Frühen Neuzeit.

Sektion V (Medien und Repräsentation)
Moderation Horst Carl

Joachim Schneider – Die Ahnenprobe in der Überlieferung der Reichsburg und Ganerbschaft Friedberg.

Volker Bauer – Die gedruckte Ahnentafel als Ahnenformular: Zur Interferenz von Herrschafts-, Wissens- und Medienordnung in der Universalgenealogie des 17. Jahrhunderts.

Sektion VI (Die Ahnenprobe im Habsburgerreich und in Westeuropa)
Moderation Birgit Emich

William D. Godsey – Hof und Ahnenprobe in der österreichischen Monarchie (17.-19. Jahrhundert).

Arnout Mertens – The Aristocratic Reaction. The Increasing Weight of the Noble Pedigree in the 18th Century Habsburg Dominions.


Redaktion
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