Embodiments of Cultural Contact

Embodiments of Cultural Contact

Organisatoren
Graduiertenkolleg "Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs", Universität Rostock
Ort
Rostock
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2009 - 26.09.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Sebastian Jobs, Graduiertenkolleg "Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs", Universität Rostock

Nicht erst seit Michel Foucaults Analyse der historisch bedingten Verknüpfung von ‚Leib’ und ‚Seele’ stehen Körper im Mittelpunkt geisteswissenschaftlicher Forschung. Doch gerade Foucault hat die Wichtigkeit von Körpern als Ort der Transformation, Disziplinierung und damit des Kontakts herausgestellt. Körperbilder und Vorstellungen waren (und sind) demnach nicht universell, sondern kulturell bedingt. Vor allem in der Zeit der europäischen Expansion und des Kolonialismus wurden unterschiedliche Körperkonzepte und -ideen offenbar: sei es in spezifischen auf den Körper ausgerichteten Herrschaftspraktiken, Vorstellungen von Rassenhierarchien oder religiösen Ideologien. Der Körper erscheint damit als ein dankbarer Analysegegenstand für die Betrachtung von Kulturkontakt(en), wie sie das Rostocker Graduiertenkolleg „Kulturkontakt und Wissenschaftsdiskurs“ unternimmt.

Zu Beginn des Symposiums bot SHELDON WATTS eine Analyse des britischen Umgangs mit der Cholera in Indien im 19. Jahrhundert, bei der er mit Interpretationsmustern jenseits einfacher Fortschrittsnarrative operierte. Dabei versuchte er darzulegen, inwiefern orientalistisch denkende Kolonialbeamte einer nationalistisch getönten Forschungsagenda anhingen, die bewusst die Erkenntnisse deutscher – und auch einiger britischer - Forscher zur Seuchenverbreitung durch Bakterien ignorierten. Als treibende Kraft hinter diesem wissenschaftlichen ‚Irrweg’ machte Watts vor allem die Gesundheitsaktivistin Florence Nightingale aus. Gemessen an seinem Titel, der eine konzeptionell-kritische Auseinandersetzung mit Saids Thesen zum Orientalismus verhieß, blieb der Vortrag jedoch hinter seinem Versprechen zurück. Wie die Diskussion zeigte, konnte die Lücke zwischen Watts’ stark akteursbezogenem Ansatz und Saids diskursanalytischer Methode nicht vollends geschlossen werden.

MARTHA FINCH und ASTRID WINDUS knüpften an das Motiv von Kulturkontakt im kolonialen Kontext an. In ihrem Vortrag über die Zeit der frühen europäischen Besiedlung Neuenglands zeigte Finch überzeugend, wie für englische Siedler Native Americans einerseits als Verkörperung ihrer eigenen potentiellen Unzivilisiertheit fungierten. Andererseits erschienen letztere jedoch größer, stärker und körperlich besser an die Umwelt der Neuen Welt angepasst, was, so Finch, die Idee universeller europäischer Überlegenheit in Frage stellte. In Betrachtung einer bildlichen Darstellung der sieben Todsünden in Bolivien ging Astrid Windus in ihrer Präsentation auf die Körperbilder im spanisch-kolonialen Lateinamerika als Produkt eines Kulturkontakts ein. Sie betonte, wie sich europäische und lokale Vorstellungen von Körperlichkeit und Religion gegenseitig beeinflussten und in der Bildlichkeit niederschlugen. Freilich ließ ihre bildimmanente Analyse Fragen der Rezeption des Bildes offen; das (bzw. der) Moment lokaler Sinnstiftung im 17. Jahrhundert spielte somit nur am Rande eine Rolle.

RAINER BRÖMER veranschaulichte Prozesse des Wissensaustauschs zwischen dem Nahen Osten und Westeuropa am Gegenstand medizinischer Traktate und Lehrbücher osmanischer Gelehrter des 16. Jahrhunderts. Anhand seltener anatomischer Zeichnungen und Beschreibungen stellte er nicht nur heraus, welche Konventionen die Analyse menschlicher Körper und ihre Darstellbarkeit im Osmanischen Reich bedingten. Er zeigte auch die Vorläufigkeit und Historizität naturwissenschaftlicher Erkenntnis auf, indem er nachvollzog, wie sich Modelle von Körpern nach und nach als unzureichend herausstellten. In seiner Präsentation wurde Wissenschaft als ein Produkt interkultureller Austauschprozesse fassbar, das jedoch auch andauernden Überarbeitungsprozessen unterliegt. MICHAEL FRANK nahm die sonst eher metaphorisch verwendete Formulierung der Kulturen, die sich in Körper einschreiben, beim Wort. Er untersuchte verschiedene Fälle europäischer Reisender, die ihren heimischen Gesellschaften den Rücken kehrten und durch auffällige Tätowierungen ihre Zugehörigkeit zu einer neuen Heimat demonstrierten, sei es in Mexiko oder auf einer polynesischen Insel. In seiner Analyse literarischer Quellen über Tätowierungen zeigte Frank, dass gerade durch die Unumkehrbarkeit der Markierungen diese „kulturell Abtrünnigen“ besonders in der Begegnung mit Europäern zu „Verkörperungen des Kulturkontakts“ wurden.

In ihrer Betrachtung deutscher Museen und Stummfilme, aber besonders der ‚Völkerschauen’ um die Jahrhundertwende rückte HILKE THODE–ARORA die Exotisierung ‚kolonialer’ Körper ins Zentrum ihrer Präsentation. Der Rückgriff auf umfangreiches Foto- und Plakatmaterial unterstützte ihre Argumentation einer bildlichen Inszenierung von Fremdheit, wobei sie vor allem die Perspektive der europäischen Betrachter stark machte. Inwiefern die betrachteten ‚Exoten’ aktiven Anteil an dieser Art des Kulturkontakts hatten, ließ Thode-Arora jedoch offen. Auch Fragen zur Medialität und Materialität der Bilder in ihrer Präsentation blieben weitgehend unberührt. Die wissenschaftliche Anthropologie und Ethnologie der Zeit um 1900 war bemüht, sich von dieser Art Spektakel abzugrenzen, wie ANJA LAUKÖTTER in ihrem Vortrag über den kolonialen Körper als Objekt der Wissenschaft in der deutschen Anthropologie Anfang des 20. Jahrhunderts argumentierte. Durch eine scheinbar nüchterne Darstellung und ‚wissenschaftliche’ Vermessung außereuropäischer Körper versuchten Anthropologen die Unterschiede zwischen europäischen Kulturvölkern und den so genannten Naturvölkern Afrikas herzustellen. Laukötter stellte in ihrem Vortrag deutlich heraus, dass Praktiken musealer Inszenierung sowie des Sammelns und Kategorisierens keineswegs neutral waren, sondern mit ihren Begrifflichkeiten und Konzepten (ebenso wie die ‚Völkerschauen’) innerhalb kolonialer Diskurse von zivilisatorischen Fortschrittsnarrativen operierten.

In seinem Vortrag zur Repräsentation von Sexualität(en) in autobiografischen Texten von Schweizer Fremdenlegionären in Afrika berichtete CHRISTIAN KOLLER von Bemühungen, die körperliche Reinheit innerhalb ‚der Truppe’ zu bewahren: Homosexualität, als „Legionslaster“ bekannt, wurde bekämpft und Bordelle wurden teilweise von französischen Armeeärzten kontrolliert, um die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten einzudämmen. Dabei versuchte Koller, ein historisch akkurates Bild verschiedener Sexualitäten innerhalb der Legion zu zeichnen; die Diskussion hob darüber hinaus Aspekte der Repräsentation und die spezifische Subjektivität von Selbstzeugnissen hervor. LEE WALLACE wies hingegen sehr deutlich auf die materiellen Grenzen archivalischer Dokumente hin. Ihre Untersuchung homosexueller Praktiken in der kolonialen ‚Peripherie’ Neuseelands betonte den performativen Aspekt von Sexualität und offenbarte die Schwierigkeiten, Homosexualität innerhalb kolonialer und archivalischer Logiken zu kategorisieren. Ihr Verweis auf die Arbeiten von Ann Laura Stoler zeigte, dass Praktiken des Archivierens keineswegs ein bloßes papierbasiertes Bewahren einfacher Fakten, sondern immer schon Interpretationsgesten waren, deren (Nicht)Ordnungen heutige Benutzer berücksichtigen müssen.1

Das Panel über ‚the indigenous response’ eröffnete der Geograf W. GEORGE LOVELL, indem er den Diskussionen um Kulturkontakt eine weitere Facette hinzufügte: die Begegnung zwischen Wissenschaftler/innen und ihren ‚Forschungsobjekten’. Am Beispiel einer guatemaltekischen Familie zeigte Lovell, wie akademische Aufmerksamkeit und Publizität – zum Beispiel in Form eines wissenschaftlichen Buches – auf die Untersuchten zurückwirkten und gleichzeitig von ihnen angeeignet wurden. In seinem Vortrag stellte er damit den Eigenanteil der scheinbar passiven Forschungsobjekte heraus und betonte deren Agenz (‚agency’) innerhalb der wissenschaftlichen Untersuchung. ELLEN KOSKOFF befasste sich mit der Entstehung von Klangkörpern auf Bali im 21. Jahrhundert. Sie zeigte, wie es auf der Insel vor allem seit den 1960er-Jahren zu einer Zweizügigkeit innerhalb der professionellen Musikszene kam. Hierbei verwies sie auf das „Institute of Indonesian Arts“, das sich vor allem im Hinblick auf die touristische und internationale Vermarktung balinesischer Musik um eine standardisierte Ausbildung von Musikern, Komponisten und anderen Aufführenden bemüht. Gleichzeitig florieren jedoch weiterhin lokale Aufführungs- und Kompositionspraktiken, die teilweise stark von den standardisierten abweichen. Diese Spannung zwischen lokaler und zentraler ‚Traditionspflege’ beschrieb Koskoff nicht nur als Konflikt um musikalische ‚Authentizität’, sondern auch als gegenseitig beflügelnde Konkurrenz. Abschließend stellte ANDREAS HEUSER wieder den einzelnen Körper in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen. Er sprach über die Rolle, die Prozesse individueller körperlicher Transformation seit den 1980er-Jahren in der Spiritualität der Pfingstkirchen in Afrika gewonnen haben. Hierbei werde der Leib zum einem „diskursiven Raum“, zur Konfliktzone zwischen personalisiertem Satan und Gott. Damit analysierte Heuser Formen afrikanischer Aneignung christlicher Theologie, die durch lokale Vorstellungen von Dämonen und Hexen erweitert oder umgedeutet werden.

Das abschließende Panel verortete Kulturkontakt in Praktiken der Nahrungszubereitung und -aufnahme. MARTINA KALLER-DIETRICH versuchte, die Differenz zwischen ökotrophologischen Vorstellungen von ‚normaler’ und gesunder Ernährung und lokalen Praktiken des (miteinander) Essens anhand von Proteinvorgaben in Mexiko zu erklären. Dabei ging sie vor allem auf die Motivationen lokaler Akteure ein, die sich bei Zubereitung und Konsum ihrer Mahlzeiten nicht an den wissenschaftlichen oder offiziellen Empfehlungen orientierten, sondern auf lokale alltägliche Praktiken und ‚Geschmäcker’ verwiesen. Abschließend untersuchte PANIKOS PANAYI Kochbücher und Speisekarten als Arenen der Traditionserfindung ethnischer Mehr- und Minderheiten. Panayi zeigte, wie einerseits ‚typische’ britische Gerichte wie ‚fish and chips’ Ergebnis verschiedener kulinarischer Kontakte und Aneignungen nichtenglischer Elemente waren. Gleichzeitig stellte er ethnic food als Produkt vielfältiger Austauschprozesse zwischen vermeintlich kolonialer Peripherie und europäischem Zentrum dar. Curry, sein zweites Bespiel, sei keineswegs ein rein indisches Gericht, sondern Ergebnis britischer Bemühungen, die Gewürze der Kolonie zu sammeln und zu typologisieren - Forschungsergebnisse, die sich indische Migranten in Großbritannien wiederum aneigneten und dadurch die britische Cuisine nachhaltig veränderten.

Das stark interdisziplinär ausgerichtete Symposium konnte zeigen, dass Körper als Arenen des Kulturkontakts ein fruchtbarer Forschungsgegenstand sein können. In den Vorträgen wurden sie als gedachter Spiegel der eigenen und fremder ‚Identitäten‘ konzipiert, waren ein spröde-widerständiger Gegenstand, der sich teilweise der Forschung entzieht sowie deren Grenzen aufzeigt. Die Konferenz zeigte jedoch auch die Ungleichzeitigkeit und teilweise Unvereinbarkeit in den verschiedenen theoretischen Konzeptionen von Körper und in den methodischen Zugängen zu diesem komplexen Thema. Bemerkenswert war zum Beispiel, dass die Figur des Körpers –‚natürlich’ wie metaphorisch – in vielen Vorträgen des Symposiums nur eine Nebenrolle spielte. Anstatt die Praktiken der körperlichen Bedeutungszuweisung in den Blick zu nehmen, waren Körper in vielen Präsentationen immer schon fertiges Zeichen oder Symbol von Kultur. Aspekte des Scheiterns am Körper (sei es durch die untersuchten Akteure/Aktricen oder die vortragenden Forscher/innen) waren nur am Rande ein Thema. Es fehlte zwar nicht an Verweisen auf den aktuellen Forschungsstand, jedoch blieben methodische Reflexionen der sprachlichen und bildlichen Ausdrückbarkeit von Körpern in den meisten Diskussionen ein Randaspekt. Fragen der Medialität von Körpern (zum Beispiel in Archivdokumenten oder Selbstzeugnissen) sowie die Grenzen des Darstellbaren oder Erforschbaren und damit der Wissensproduktion, wie es beispielsweise Lee Wallace oder Anja Laukötter thematisierten, blieben in anderen Fällen ungestellt. Dafür wurde eine große Bandbreite wissenschaftlicher Methode und akademischen Selbstverständnisses deutlich. Während einerseits die klassische archivbasierte Forschung dominierte, thematisierten andererseits Vortragende wie Lovell, Koskoff und Kaller-Dietrich die Subjektivität des Forschers/der Forscherin und stellten ihre eigene Rolle als soziale Aktivist/innen in den Mittelpunkt ihrer Präsentationen.

Konferenzübersicht:

Sheldon Watts (Kairo)
Edward Said's Orientalism Revisited. Geo-Medical Politics and the Opening of an All-Water Route Between Imperialized India and West Europe on 17 November 1869

Panel I – Early Embodiments of Cultural Encounters I

Martha Finch (Springfield, MO, USA)
'As in a Mirror': Reflections on Bodies and Cultural Contact in Seventeenth-Century New England

Astrid Windus (Hamburg)
The Embodiment of Sin and Virtue. Visual Representations of a Religious Concept in a Colonial Andean Contact Zone

Panel II – Early Embodiments of Cultural Encounters II

Rainer Broemer (Mainz)
Mediterranean Medical Bodies and the Ottoman Empire, 1517-1820

Michael Frank (Konstanz)
'A Mark Indelible': The Cross-Cultural History of Tattooing in the Nineteenth Century

Panel III – The Exotic Body in Modern Popular and Scientific Discourses

Hilke Thode-Arora (Berlin)
Displaying Exotic Bodies and Cultures for Paying Audiences. Representations of the 'Ethnic Other' in Late 19th and Early 20th Century German 'Ethnic Shows' (Völkerschauen), Anthropology Museums and Silent Movies

Anja Laukötter (Berlin)
The Colonial Body as the Object of Knowledge Production. German Anthropology in the Beginning of the 20th Century

Panel IV – Sexualities in the Cultural Contact Zone

Christian Koller (Bangor, Großbritannien)
Sexualities in the French Foreign Legion and their Representations in Autobiographical Writing

Lee Wallace (Auckland, Neuseeland)
Embodying the Pacific: Same-Sex Sexuality in the Colonial Archive

Panel V – The Indigenous Response

W. George Lovell (Queen's University; Kanada)
Telling Maya Tales: A Book, A Body, and Indigenous Viewpoints in Guatemala

Ellen Koskoff (Rochester, NJ, USA)
Musical Bodies in Bali

Andreas Heuser (Usa-River, Tansania)
'Put on God's Armour Now!' - The Embattled Body in African Pentecostal-Type Christianity

Panel VI – Digesting Culture

Martina Kaller-Dietrich (Wien)
Protein and Power. International Food Programs Related to Every Day Cultural Practice in Oaxaca, Southern Mexico

Panikos Panayi (Leicester, Großbritannien)
Immigration and the Making of British Food

Anmerkung:
1 Hierzu Ann Laura Stoler, Along the Archival Grain: Epistemic Anxieties and Colonial Common Sense, Princeton, NJ 2009.


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