Legationen und Reisen - Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert

Legationen und Reisen - Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert

Organisatoren
Klaus Herbers, Projektleiter "Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.-13. Jahrhundert), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Ort
Erlangen
Land
Deutschland
Vom - Bis
16.10.2009 -
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Von
Andreas Holndonner, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Am Freitag, den 16. Oktober 2009 fand in der Universitätsbibliothek der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg der Studientag „Legationen und Reisen – Mittel der päpstlichen Integration im 11. und 12. Jahrhundert“ statt. Das durch die Volkswagenstiftung geförderte Projekt „Päpstlich geprägte Integrationsprozesse in Ost- und Westeuropa (11.-13. Jahrhundert)“, welches von Klaus Herbers geleitet wird, hatte sowohl Wissenschaftler der bei diesem Projekt eng mit Erlangen kooperierenden europäischen Karls-Universität Prag, der Central European University Budapest und der Universität Pécs, als auch namhafte Respondenten anderer Forschungseinrichtungen zur gemeinsamen Tagung eingeladen.

Im Zuge des Projektes erforschen die vier Nachwuchswissenschaftlerinnen und - wissenschaftler Claudia Alraum (Erlangen), Marcel Elias (Erlangen/Brünn), Gabor Barabás (Erlangen/Pécs) und Andreas Holndonner (Erlangen) die Wechselbeziehungen zwischen der päpstlichen Kurie und den geographischen Randgebieten der hochmittelalterlichen Christenheit – Süditalien, Ungarn und Kastilien.

Das hochmittelalterliche Papsttum wird nicht nur in der breiten Öffentlichkeit in erster Linie mit dem Gang nach Canossa, also mit dem Investiturstreit, dem „Kampf um die Rechte Ordnung in der Welt“ (Tellenbach) in Verbindung gebracht. Das eigentlich wegweisende und sogar bis in unsere Zeit nachwirkende Phänomen in der Phase des so genannten „Reformpapsttums“ liegt jedoch jenseits der Konflikte zwischen Kaisertum und Papsttum und ist auch von der historischen Wissenschaft bislang noch nicht ausreichend erforscht worden. Das Papsttum trug nämlich in entscheidender Weise zur Integration der geographischen Randgebiete Europas in die hochmittelalterliche christianitas bei. Während sich bei den Päpsten in verstärktem Maße die Vorstellung eines universalen Hirtenamtes über die gesamte Christenheit ausformte, bildeten sich in Europa zunehmend eigenständige politische Identitäten aus. Das Papsttum versuchte, seine aus dem veränderten Selbstverständnis heraus entstandenen Einheits- und Primatsvorstellungen überall mit ähnlichen Instrumentarien durchzusetzen. Die Folge war aber keineswegs eine autokratische päpstliche Herrschaft über die gesamte christianitas, sondern ein äußerst heterogener, vielschichtiger und langwieriger Kommunikationsprozess, in dem sich nicht nur das Papsttum um die Durchsetzung seiner Vorstellungen bemühte, sondern der entsprechende langfristige und tiefgreifende Integrationsprozesse im europäischen Raum bewirkte. Trotz des daraus resultierenden Bedeutungszuwachses der Kurie waren die politischen und kirchlichen Strukturen Europas und deren Beziehungen zum Papsttum äußerst heterogen. Die unterschiedlichsten Herrschaftsträger nutzten nämlich in wachsendem Ausmaß und ganz gezielt von sich aus die rechtsprechende und Legitimation spendende Institution Papsttum. Deshalb können an die hauptsächlich auf der Basis der überlieferten Papsturkunden rekonstruierbaren Integrationsprozesse durchaus die in der Soziologie bekannten „Push- und Pull- Modelle“ angelegt werden.

Dankenswerterweise ist es den Stipendiatinnen und Stipendiaten möglich, eng mit dem Akademienprojekt „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“, welches seit 2007 an der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen (mit verschiedenen Standorten) betrieben wird, und dem noch breiter angelegten Göttinger Papsturkundenwerk (seit 1896 und seit 1931 von der Pius-Stiftung unterstützt) zusammenzuarbeiten. Diese Projekte haben es sich unter anderem zum Ziel gesetzt, die in Ost- und Westeuropa erhaltenen Papsturkunden bis zum Jahre 1198 nach modernen wissenschaftlichen Kriterien systematisch aufzuarbeiten und sie damit der Forschung zugänglich zu machen. Und so standen auf der Tagung besonders die Prozesse dieser Wechselbeziehung zwischen dem Papsttum und den geographischen Randgebieten in Ost- und Westeuropa in ihrer Dynamik im Zentrum der Vorträge.

Sowohl päpstliche Legaten, als auch Reisen von und nach Rom spielten bei diesem Prozess eine wesentliche Rolle, weshalb eben jene zum Gegenstand des ersten Studientages in Erlangen gemacht wurden. Neben zahlreichen interessierten Zuhörern aus Spanien, Ungarn und Deutschland (darunter Mitarbeiter des Projekts „Papsturkunden des frühen und hohen Mittelalters“ aus Göttingen) nahmen Márta Font (Pécs), Marie Bláhová (Prag) und Vincent Mucska (Leipzig/Bratislava) als Vertreter der kooperierenden Universitäten und die Vortragenden, Werner Maleczek (Wien) und Jochen Johrendt (München), teil.

Einleitend wies KLAUS HERBERS (Erlangen) auf die Wichtigkeit hin, bei der Erforschung der Beziehungen zwischen Papsttum und den geographischen Randgebieten des Hochmittelalters die Wechselhaftigkeit dieser Beziehungen zu berücksichtigen und nicht von einer geradlinigen Entwicklungslogik auszugehen. Besonders seien die Ebenen der personalen Netzwerke mit zu berücksichtigen, die sich im Zuge einer sich intensivierenden Kommunikation zwischen Rom und den zu untersuchenden Regionen entwickelt hätten. Dafür sei es unumgänglich, sowohl die Prozesse von Transfer und Austausch selbst, als auch das symbolische Handeln der an diesen Prozessen Beteiligten mit in den Blick zu nehmen, was wesentlich zur Stiftung einer kulturellen Einheit beigetragen habe.

WERNER MALECZEK (Wien) betonte in seinem den ersten Tagungsblock mit dem Schwerpunkt auf päpstlichen Legationen eröffnenden Impulsreferat über das päpstliche Legationswesen im 11. und 12. Jahrhundert vor allem dessen nicht zu unterschätzende Treibsatzwirkung für die Steigerung der päpstlichen Folgegewalt in der lateinischen Kirche. Päpstliche Legaten, die Stellvertreter des Papstes vor Ort, entschieden Streitfälle kirchenpolitischer und auch weltlicher Art und visitierten die von Rom weiter entfernten Landeskirchen. Grundlegend bei der dadurch ansteigenden Folgegewalt gegenüber dem Papst in Rom sei die religiöse Überzeugung der Menschen gewesen. Hochmittelalterliche Legatenpolitik sei vor allem anderen religiös geprägt und motiviert gewesen, denn abgesehen von der Drohung mit dem Jüngsten Gericht habe der Papst schließlich kaum Machtmittel zur Durchsetzung seiner Entscheidung besessen.

ANDREAS HOLNDONNER (Erlangen) konzentriert sich in seiner Promotionsarbeit auf die päpstlichen Beziehungen mit dem kastilischen Erzbistum Toledo. Er zeigte am Beispiel des Besuches von Kardinallegat Humbert von San Clemente auf der Iberischen Halbinsel in den Jahren 1129/30, wie die Zusammenarbeit zwischen lokalen Prälaten und päpstlichen Legaten funktioniert haben könnte. Er ging dabei der Frage nach, ob es nicht sogar eine Art Konkurrenzverhältnis zwischen den Besuchern aus Rom und den Erzbischöfen von Toledo gegeben habe, da letztere zeitweilig auch mit der Würde eines ständigen päpstlichen Legaten auf der Iberischen Halbinsel privilegiert worden seien. Diese Würde sei im Vorfeld der Ereignisse von 1129/30 zum Streitgegenstand zwischen den Erzbischöfen von Toledo und Santiago de Compostela geworden und Humbert von San Clemente habe sich scheinbar explizit dieses Streitpunktes angenommen.

Daraufhin erörterte MARCEL ELIAS (Erlangen/Brünn) die Frage, ob das Jahr 1161, für das Teile der Forschung ein Konkordat zwischen Papst Alexander III. und König Géza II. von Ungarn annehmen, als Wendepunkt in der päpstlich-ungarischen Beziehung vom 11. bis zum 13. Jahrhundert zu betrachten sei. Eng verbunden mit dieser Frage seien die Vorgänge um die Jahrhundertwende vom 11. zum 12. Jahrhundert, als das Papsttum dem ungarischen König Stephan dem Heiligen die Würde eines ständigen apostolischen Legaten übertragen habe. Gleich mehrere Quellen beleuchten das Leben dieses ungarischen Königs und deren generelle Auslegung sei mindestens so umstritten wie die Authentizität dieser Legationswürde. Erst für das Jahr 1169 ließe sich nämlich überhaupt ein Konkordat zwischen päpstlicher Kurie und ungarischer Krone auf sicherer Quellenbasis nachweisen.

Den zweiten Block, der sich thematisch mit Romreisen und Papstreisen auseinandersetzte, eröffnete JOCHEN JOHRENDT (München) mit seinem Impulsreferat über Reisen von und nach Rom als Mittel der Integration. Im Zuge einer allgemein feststellbaren Verdichtung von Kommunikation sei es ab dem 12. Jahrhundert auch zu einem Ansteigen der Reisen gekommen, die die Ewige Stadt zum Ziel oder als Ausgangspunkt hatten. Bei Reisen nach Rom sei allerdings exakt zwischen Reisen zu unterscheiden, die dem Papsttum als Institution galten, und solchen, die anders motiviert waren, wie das Wandeln auf den antiken Spuren der Stadt oder das Pilgern zum Apostelgrab des heiligen Petrus. Reiste man als Kleriker zum Papst, sei man meistens auch von diesem vorgeladen worden. Daneben stellten Konzilsbesuche und Weihen häufige Motive dar, den Weg nach Rom auf sich zu nehmen. Bei Weitem nicht nur machtpolitische Gründe hätten auch die Päpste selbst dazu gebracht, Reisen zu unternehmen. Man müsse auch Gründe wie das Bedürfnis nach Sommerfrische oder Flucht hinzunehmen. In jedem Fall jedoch banden derartige Reisen die bereisten Regionen an das Papsttum.

CLAUDIA ALRAUM (Erlangen) skizzierte daraufhin Frequenz und Intensität von Papstreisen in ihrem Untersuchungsgebiet, der süditalienischen Region Apulien. Im Unterschied zu Ungarn und Kastilien, wo sich im 12. Jahrhundert keine Reisen von Päpsten nachweisen lassen, sei Apulien häufig aufgesucht worden. Von 18 Päpsten hielten sich 17 zumindest für kurze Zeit in Apulien auf, besonders Urban II. und Alexander III. besuchten Apulien relativ häufig und für lange Zeit. Am Beispiel der Päpste Urban II. und Paschalis II. zeigte Alraum, welchen Tätigkeiten die Päpste in Apulien nachgingen und welche Motive sie zu ihren Reisen veranlasst haben könnten. Dabei schienen sie ganz konkret und gezielt in die inneren Verhältnisse Apuliens eingegriffen zu haben. Zahlreiche integrative Momente, wie Bischofs- und Kirchenweihen oder die Abhaltung von Konzilien, leisteten einen wesentlichen Beitrag, die Region in die päpstlich geleitete Universalkirche einzubinden.

Abschließend präsentierte GABOR BARABÁS (Erlangen/Pécs), der erst im August 2009 zu der seit Mitte Februar forschenden Projektgruppe gestoßen war, eine Skizze seines Dissertationsprojektes, einer vergleichenden diplomatischen Arbeit zur ungarischen und päpstlichen Kanzlei des 12. und 13. Jahrhunderts. Dabei zeichnete er die Entwicklung des königlichen Urkundenwesens seit dessen Ursprüngen nach und wies auf zahlreiche Parallelen in der Entwicklung zwischen päpstlicher und ungarischer Kanzlei hin, die einen genauen Vergleich beider lohnenswert erscheinen ließen. Barabás möchte Organisation und Geschäftsgang der ungarischen Kanzlei besonders hinsichtlich dieser Parallelen analysieren und dabei auch speziellen lokalen ungarischen Besonderheiten wie den ‚Glaubwürdigen Orten’ Rechnung tragen.

Nachdem die einzelnen Beiträge in einer Diskussion im Speziellen gewürdigt worden waren, fasste eine abschließende Diskussion die Ergebnisse des Studientages zusammen. Neben der Problematisierung der Überlieferungsspezifika muss hier vor allem die Aufforderung festgehalten werden, über die überlieferungsgeschichtliche Grenze der Papsturkundenforschung von 1198 hinaus zu blicken. In jedem Fall erhielten die vier Doktoranden sehr fruchtbare Impulse für die weitere Gestaltung ihrer Arbeiten.

Konferenzübersicht:

Klaus Herbers, Erlangen:
Begrüßung und Einführung

1. Block: „Legaten“

Werner Maleczek, Wien:
Das Legationswesen im 11. und 12. Jahrhundert
Diskussion

Andreas Holndonner, Erlangen:
Päpstliche Legaten in Spanien und der Erzbischof von Toledo – partnerschaftliche Zusammenarbeit oder Kompetenzüberschneidung und Konkurrenz?

Marcel Elias, Erlangen/Brünn:
Ungarn im Jahr 1161 – ein Wendepunkt in den Aktivitäten der Legaten?

Diskussion

2. Block: „Reisen“

Jochen Johrendt, München:
Reisen von und nach Rom im 11. und 12. Jahrhundert

Diskussion

Claudia Alraum, Erlangen:
Integration durch Präsenz? Päpste auf Apulienreise

Gabor Barabás, Erlangen/ Pécs:
Kurzskizze zu Fragen der Kanzlei in Ungarn

Abschlussdiskussion


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