"Ich habe es getan" - Aspekte des Widerstands aus heutiger Sicht. Stuttgarter Symposion 2009

"Ich habe es getan" - Aspekte des Widerstands aus heutiger Sicht. Stuttgarter Symposion 2009

Organisatoren
Landeshauptstadt Stuttgart; Haus der Geschichte Baden-Württemberg
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.10.2009 - 30.10.2009
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Von
Sebastian Dörfler, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart

Das Stuttgarter Symposion widmet sich alljährlich Themen der badischen und württembergischen Landesgeschichte. Dieses Jahr befasste sich das Symposion mit dem Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. Die Veranstaltung fragte vor allem nach der Bewertung des Widerstands seit 1945 und seiner Bedeutung für die heutige Gesellschaft. Schwerpunkte bildeten zudem Georg Elser und sein Attentat auf Adolf Hitler vor 70 Jahren sowie regionale Besonderheiten im Zusammenhang mit dem Widerstand.

MICHAEL KIßENER (Mainz) befasste sich mit der Bewertung des deutschen Widerstands im Allgemeinen. Er konstatierte den Trend, die Träger des Widerstands kritisch zu betrachten. Bei Militärs wie Stauffenberg habe es sich demzufolge nicht um „strahlende Helden“, sondern um „eher düstere Gestalten“ gehandelt, die tief in die Verbrechen von Hitlers Russlandfeldzug verstrickt gewesen seien. Außerdem hätten sie das Dritte Reich nicht durch eine Demokratie, sondern durch einen Ständestaat ersetzen wollen. Ein Carl Friedrich Goerdeler werde als „schlimmer Nationalist und Antisemit“ bezeichnet, einem Hans Scholl zumindest „Krypto-Antisemitismus“ unterstellt.

Kißener wandte sich gegen diese Kritik. Es sei Aufgabe der Geschichtswissenschaft, den Widerstand historisch einzuordnen und nicht nach heutigen Maßstäben zu bewerten. Problematisch sei insbesondere die Beurteilung der Verschwörer des 20. Juli. Vielen von ihnen werde vorgeworfen, lange Zeit den Vernichtungskrieg hinter der Ostfront toleriert zu haben. Kißener erklärte, dass vor allem aus dem Fehlen von schriftlicher Kritik an den deutschen Verbrechen deren Billigung abgeleitet werde. Die Regimegegner um Stauffenberg hätten jedoch keine schriftlichen Stellungnahmen verfassen können, da auf diese Weise gefährliches, belastendes Material entstanden wäre. Nur ihre von Zeitzeugen kolportierten Äußerungen böten wirklich Einblicke in ihre Gedankenwelt. Die Zeitzeugenüberlieferung werde jedoch von vielen Autoren in Frage gestellt. Schriftliche Quellen gälten den Kritikern des Widerstands hingegen als absolut vertrauenswürdig, selbst wenn es sich um Verhörprotokolle bzw. Aussagen unter Folter handle.

Letztlich zeige sich hier fehlendes Verständnis für das Leben in einer totalitären Diktatur. Die damaligen Oppositionellen hätten sich nach außen loyal zeigen müssen. Außerdem würden die Kritiker den deutschen Widerstand generell am „Idealbild des Heiligen“ messen, anstatt ihn in Relation zu setzen mit der „breiten Masse der Mitläufer“. Die zeitweiligen „Verstrickungen“ in die Verbrechen des Nationalsozialismus dürften selbstverständlich nicht verschwiegen werden. Wichtiger als anfängliche Mittäterschaft sei jedoch die „Wendung“ der Regimegegner, ihre „Rückkehr zum Humanismus“.

RAINER BLASIUS (Frankfurt am Main) widmete sich der Rezeption von Georg Elser und dessen Tat. Entscheidend für die Sicht Elsers nach dem Krieg sei der Bericht von dessen Mithäftling Martin Niemöller gewesen. Niemöller habe behauptet, Elser sei ein heimliches SS-Mitglied gewesen. Die Vorstellung von Elser als verdeckt operierenden SS-Mann habe sich nach dem Krieg hartnäckig gehalten. Man habe angenommen, das Attentat sei inszeniert worden, um es den Briten zuzuschreiben und dadurch die Feindschaft zu Großbritannien anzuheizen. Daneben habe es jedoch auch früh Stimmen gegeben, die Elser als Einzeltäter bezeichnet hätten. Dies habe jedoch keineswegs eine positive Würdigung des Heidenheimers mit sich gebracht. Elser sei stattdessen als „fanatischer Kommunist“, der versucht habe, „Vorsehung zu spielen“ abgetan worden.

Historiker wie Gerhard Ritter hätten Elser zudem vorgeworfen, mit seinem Anschlag spätere Attentatsversuche erschwert zu haben. Da nach Elsers Tat die Sicherheitsmaßnahmen verschärft worden seien, hätten die anderen Pläne keine Aussicht auf Erfolg mehr gehabt. Blasius erklärte, dass erst die Entdeckung der Verhörprotokolle Georg Elsers 1969 dessen gesellschaftliche Wahrnehmung entscheidend geändert hätte. Auf der Basis der neuen Quellen sei Elsers Einzeltäterschaft akzeptiert und seine Tat gewürdigt worden. Blasius betonte jedoch, dass Elser weiterhin keinen zentralen Platz im Gedenken an den deutschen Widerstand eingenommen habe. Bei der Gründung der „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ im Jahr 1984 habe er keine Rolle gespielt.

Gegen Ende seines Vortrags erläuterte Blasius, dass Elser in jüngster Vergangenheit erneut kritisiert worden sei: Der Politikwissenschaftler Lothar Fritze habe Elser vorgeworfen, den Tod Unschuldiger bei seiner Tat bewusst in Kauf genommen zu haben. Blasius bewertete die Kritik zwar als überspitzt, meinte jedoch, das moralische Problem der Gefährdung Unschuldiger durch das Attentat müsse diskutiert werden. Elser habe keine „kritiklose Verehrung“ verdient.

Blasius' Ausführungen verdeutlichten, dass viele Historiker einem „einfachen Mann“ allein offenbar ein Attentat nicht zutrauten, oder ihm zumindest die Kompetenz dafür absprachen. Elser galt in dieser Sichtweise anscheinend als Selbstdarsteller, der letztlich ohne einen durchdachten Plan, etwa für die Zeit nach dem Attentat, handelte. MANFRED MAIER (Heidenheim) betonte jedoch, dass Elser die Konsequenzen seiner Tat sehr wohl analysiert habe. Ihm sei völlig bewusst gewesen, dass Hitlers Tod nicht den Nationalsozialismus an sich beseitigen würde. Laut Maier ging es ihm darum, den extremen Kriegstreiber Hitler durch einen gemäßigteren Nationalsozialisten zu ersetzen. Eine weniger fanatische Führung hätte sich, so Elsers Hoffnung, mit England und Frankreich verständigen können.

ANDREAS MORGENSTERN (Stuttgart) befasste sich mit dem entscheidenden Gegenspieler des Widerstands, der Geheimen Staatspolizei. Die ideologische Grundlage für deren Wirken sei ein biologisches Staatsverständnis gewesen. Ziel der Gestapo sei es gewesen, „das Kranke aus dem Volkskörper auszuschließen“. Die Gestapo habe auch eine wichtige Rolle beim Völkermord an den europäischen Juden gespielt und sei „Teil des KZ-Systems“ gewesen. Morgenstern betonte zwar die Brutalität der Gegnerverfolgung, relativierte jedoch die Vorstellung von der Effektivität der Behörde. Schließlich hätte diese weder Elsers noch Stauffenbergs Attentat auf Hitler vereiteln können. Im Gegensatz zu Regimegegnern habe die Mehrheit der Deutschen von der Gestapo auch wenig zu befürchten gehabt. Vergehen wie das Hören von Feindsendern seien meistens nur mit Verwarnungen geahndet worden.

Im Podiumsgespräch wurde zunächst die Frage diskutiert, warum Elser lange Zeit bei der Würdigung des Widerstands außen vor geblieben sei. Blasius erklärte, Elser habe keine „Lobby“ gehabt. Peter Steinbach etwa, der Leiter der „Gedenkstätte deutscher Widerstand“, habe sich bei der Gründung der Gedenkstätte für eine „ganz andere Klientel“ interessiert, vornehmlich Stauffenberg und dessen Familie. In der DDR wiederum habe man lediglich den kommunistischen Widerstand gegen den Nationalsozialismus gewürdigt. Laut Maier handelten Kommunisten im Verständnis der DDR stets gemeinsam. Der Einzelgänger Elser sei daher suspekt erschienen.

Die Diskussionsteilnehmer drückten für Elsers Tat höchsten Respekt aus. THOMAS SCHNABEL (Stuttgart) attestierte Elser einen „klaren moralischen Kompass“. Auch habe es sich um einen typisch „schwäbischen“ Widerstandskämpfer gehandelt: Elser habe allein über die Situation gegrübelt und dann seinen Entschluss gefasst. Beim Bau der Bombe habe er sich als schwäbischer Tüftler gezeigt und sein Vorhaben als schwäbischer „Dickschädel“ auch durchgezogen. Die Diskussionsteilnehmer waren sich jedoch auch einig, dass man Elser nicht zu einem „weißen Ritter“ stilisieren sollte. Schnabel betonte, die Menschen des Widerstandes seien Menschen und keine Heiligen und gerade deswegen auch heute noch interessant und bewundernswert.

Intensiv wurde darüber diskutiert, was genau unter „Widerstand“ zu verstehen sei. Blasius sprach sich für eine sehr enge Definition aus. Unter Widerstand seien vor allem „Aktionen, die auf den Sturz eines Regimes hinführen“ zu verstehen. Schnabel meinte, Tugenden, „die man immer einfordern sollte“, etwa Zivilcourage im Alltag, könnten nicht mit Widerstand gegen eine Diktatur gleichgesetzt werden.

Zum Schluss verglich die Runde den Widerstand gegen das NS-Regime mit jenem gegen die SED-Diktatur in Ostdeutschland. Prinzipiell sei Widerstand in der DDR schwerer gewesen als im Dritten Reich, da die Überwachung weit flächendeckender gewesen sei. Die Stasi habe eine sehr viel kleinere Bevölkerung mit deutlich mehr Personal überwacht als die Gestapo im Dritten Reich. Schnabel bemerkte andererseits, dass das DDR-Regime viel unpopulärer gewesen sei als Hitler und seine Gefolgsleute. Der aktive Widerstand in Ostdeutschland habe demnach im Sinne der – zumindest unterschwelligen – Mehrheitsmeinung der Bevölkerung gehandelt. Die Gegner des Nationalsozialismus hätten hingegen auf keine – auch nur insgeheimen – Sympathien seitens der mehrheitlich regimefreundlichen Bevölkerung hoffen können. Schnabel betonte schließlich, dass die beiden Diktaturen nicht vergleichbar seien, was die Dimensionen des Terrors angehe. Letztlich hätten die Oppositionellen im Dritten Reich einem weit grausameren Regime gegenübergestanden.

Als spezieller Aspekt des Widerstands im deutschen Südwesten kristallisierte sich in den Vorträgen von GEORG KREIS (Basel) und PIA NORDBLOM (Mainz) die Grenzlage der Region heraus. Kreis referierte über die Schweiz als Fluchtpunkt für deutsche Dissidenten und Widerstandskämpfer. Er wandte sich in seinem Vortrag gegen die Vorstellung, die Schweiz sei ein sicherer Hafen für Flüchtlinge gewesen. Ein Anrecht auf Asyl habe nicht bestanden. Die „bürgerliche Schweiz“ habe große Angst gehabt, durch die Aufnahme deutscher Flüchtlinge könnte es zu einer „Vermehrung des marxistischen Elements“ im Land kommen. Wer gegen die gesetzlichen Bestimmungen verstieß, sei „ausgeschafft“ worden, fataler Weise häufig zurück ins Deutsche Reich. Blasius betonte, dass viele Exilanten hohe Erwartungen an die Schweiz als Fluchtpunkt gehabt hätten, die dann oft enttäuscht worden seien.

Nordblom widmete sich dem Widerstand im deutsch besetzten Elsass. Widerstand habe sich hier nicht dezidiert gegen das nationalsozialistische Regime, sondern gegen „die Deutschen“ im Allgemeinen gerichtet. Wer mit den Deutschen in irgendeiner Form kooperierte, sei im Elsass sogleich als Nazi angesehen worden. Dieses Schicksal ereilte die Person, die im Zentrum von Nordbloms Vortrag stand: den elsässischen Lehrer, katholischen Politiker und Verleger Joseph Rossé. Nordblom erklärte, Rossé habe offiziell mit den Besatzern kooperiert, sein Verlag eine Monopolstellung bezüglich des Drucks katholischer Schriften inne gehabt. Rossé habe jedoch auch die Werke von katholischen Oppositionellen wie Reinhold Schneider aus Freiburg oder Karl Borgmann publiziert. Zudem habe Rossé Kontakte zum deutschen Widerstand des 20. Juli gehabt. Man könne hier folglich einen Fall von „transnationalem Widerstand“ konstatieren. Freilich habe Rossé als Unternehmer auch mit den Nationalsozialisten kooperiert. Auf französischer Seite habe man Rossé diese Zusammenarbeit verübelt und seine grenzüberschreitenden Aktivitäten misstrauisch verfolgt. Er sei daher nach dem Krieg als Kollaborateur eingestuft und inhaftiert worden. Der „Grenzgänger zwischen Deutschland und Frankreich“ lasse sich nicht in klassische Widerstandsmodelle einordnen. Rossés ambivalentes Verhältnis zu den Besatzern und sein transnationales Wirken entzögen sich gängigen Vorstellungen. Nordbolm forderte daher, neue Definitionsansätze des Widerstands zu entwerfen.

Der letzte Vortrag des Symposions befasste sich mit einer weiteren regionalen Besonderheit, den Widerstandsgruppen im Umfeld der Freiburger Universität, den „Freiburger Kreisen“. NILS GOLDSCHMIDT (München) machte als Träger dieses Widerstands vor allem Professoren und Vertreter der bekennenden Kirche aus. Der Freiburger Widerstand habe sich dadurch ausgezeichnet, dass er konkrete Gegenentwürfe zur bestehenden politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ordnung im faschistischen Deutschland ausarbeitete. Programmatisch habe er wesentliche Grundsätze der späteren sozialen Marktwirtschaft vorweggenommen: eine Absage an Kollektivismus und „laissez faire“ sowie die Vorstellung eines starken, aber nicht totalitären Staates. Dahinter habe ein anderes Staatsverständnis gestanden als das zuvor in Deutschland übliche: Die Männer des Freiburger Kreises hätten den Staat als Diener der Gesellschaft verstanden, als Garant der Ordnung, der funktional, nicht aber ideologisch legitimiert sei.

Insgesamt bot das Symposion einen sehr anregenden Einblick in den Forschungsstand zum deutschen Widerstand. Grundlegende Fragen, etwa nach der Definition von Widerstand und dessen Bewertung wurden eingehend diskutiert und überzeugend beantwortet. Auch der sehr interessante Vergleich zum Widerstand in der DDR wurde gezogen. Hier wäre eventuell eine stärkere Akzentuierung, etwa durch einen eigenständigen Vortrag, wünschenswert gewesen. Angesichts des südwestdeutschen Schwerpunkts der Veranstaltung ist es allerdings verständlich, dass dieses Thema nicht weiter vertieft wurde.

Als Fazit des Symposions bleibt festzuhalten, dass der deutsche Widerstand gegen Hitler nach wie vor eine Vorbildfunktion für die deutsche Gesellschaft inne hat. Die Widerständler bewiesen nicht nur beispiellosen persönlichen Mut, sondern auch politischen Weitblick und entwickelten konstruktive Gegenmodelle zum NS-Staat. Voraussetzung für eine ehrliche Würdigung der Hitlergegner ist dabei freilich, dass auch ihre Fehler und Schattenseiten offen angesprochen werden. Der deutsche Widerstand darf bewundert, aber nicht einseitig glorifiziert werden.

Konferenzübersicht:

Susanne Eisenmann, Bürgermeisterin für Kultur, Bildung und Sport (Stuttgart):
Begrüßung

Thomas Schnabel (Haus der Geschichte Baden-Württemberg):
Einführung

Michael Kißener (Johannes Gutenberg-Universität Mainz):
Das Ende der Vorbilder? Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Diskussion

Manfred Maier (Georg-Elser-Arbeitskreis):
Georg Elser – allein gegen Hitler und den Krieg

Rainer Blasius (Frankfurter Allgemeine Zeitung):
Ein schwieriger Held – Georg Elser und sein Attentat in Nachkriegsdeutungen

Andreas Morgenstern (Haus der Geschichte Baden-Württemberg):
Das NS-Verfolgungssystem im deutschen Südwesten

Rainer Blasius, Manfred Maier und Thomas Schnabel:
Widerstand gegen Diktaturen in Deutschland (Podiumsgespräch)

Georg Kreis (Europainstitut der Universität Basel):
Wo das Reich endet – Fluchten, Fluchthilfe und Leben in der Schweiz

Pia Nordblom (Johannes Gutenberg-Universität Mainz):
Christlicher Widerstand über die Grenzen hinaus – Baden und das Elsass

Nils Goldschmidt (Universität der Bundeswehr München):
Der Freiburger Kreis und seine Schrift „Politische Gemeinschaftsordnung“. Vom Widerstand zur Sozialen Marktwirtschaft

Kontakt

Sebastian Dörfler, Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart
E-Mail: <sebastian.doerfler@hdgbw.de>


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