Darmstädter Diskussionen. 1. interdisziplinäres Doktorandenkolloquium zu antiken Kulturen

Darmstädter Diskussionen. 1. interdisziplinäres Doktorandenkolloquium zu antiken Kulturen

Organisatoren
Marion Boos, Fachgebiet Klassische Archäologie, Technische Universität Darmstadt; Stefan Krmnicek, Fachgebiet Provinzialrömische Archäologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main; Sven Page, Fachgebiet Alte Geschichte, Technische Universität Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
24.09.2009 - 26.09.2009
Url der Konferenzwebsite
Von
Marion Boos, Fachgebiet Klassische Archäologie, Technische Universität Darmstadt; Stefan Krmnicek, Fachgebiet Provinzialrömische Archäologie, Goethe-Universität Frankfurt am Main; Sven Page, Fachgebiet Alte Geschichte, Technische Universität Darmstadt

Vom 24. bis 26. September 2009 fanden an der Technischen Universität Darmstadt die „Darmstädter Diskussionen“ statt. Dieses 1. interdisziplinäre Doktorandenkolloquium zu antiken Kulturen wurde von Marion Boos (Technische Universität Darmstadt, Klassische Archäologie) in Kooperation mit Stefan Krmnicek (Goethe-Universität Frankfurt am Main, Provinzialrömische Archäologie) und Sven Page (Technische Universität Darmstadt, Alte Geschichte) organisiert. Dank der großzügigen Unterstützung der Vereinigung der Freunde der Technischen Universität Darmstadt sowie der Wissenschaftsstadt Darmstadt Marketing GmbH war es möglich geworden, an drei Tagen insgesamt 27 altertumswissenschaftliche Referenten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Italien und Griechenland in Darmstadt zusammenzubringen. Ziel des Kolloquiums war es, den Austausch- und Diskussionsprozess der zahlreichen altertumswissenschaftlichen Teildisziplinen unter- und miteinander anzuregen. Unter besonderer Berücksichtigung der Interdisziplinarität wurde dabei vor allen Dingen dem wissenschaftlichen Nachwuchs eine entsprechende Kommunikations- und Interaktionsplattform geboten. Der bewusste Verzicht auf eine strikte Themenvorgabe ermöglichte dabei eine Vielfalt an unterschiedlichen, interdisziplinären und diachronen Beiträgen und bot somit die Chance, neueste Forschungsergebnisse auch im Hinblick auf die methodischen Grundfragen anderer Disziplinen zu reflektieren.

Sektion I: Darstellung und Repräsentation
In der ersten Sektion untersuchte MARIA OSMERS (Bielefeld) die Bedeutung der Vergangenheiten in der zwischenstaatlichen Kommunikation archaischer und klassischer Zeit und stellte die Frage, ob die auf Geschichte basierende Argumentation in der Außenpolitik griechischer Gemeinschaften tatsächlich durchsetzungsfähig war oder ob das Aufrufen der Vergangenheit nur eine Formalie war, die erwartet wurde, um einen gemeinsamen kulturellen Rahmen herzustellen oder das gewünschte Ergebnis abzusichern. Über die Vorbildfunktion Ptolemaios’ I. Soter in der Repräsentationskunst der Ptolemäer sprach GUNNAR DUMKE (Hamburg) und stellte erstmals sämtliche Bereiche, in denen der Dynastiegründer eine Rolle spielte, vor, um durch die Betrachtung archäologischer, epigraphischer, papyrologischer und numismatischer Quellen zu einer sozialhistorisch umfassenden Deutung zu gelangen. MARKUS MAYER (Augsburg) legte eine numismatisch-ikonographische Studie zur Kommunikation und Selbstdarstellung des Domitian vor. Sie zeigte die Selbstdarstellung des letzten flavischen Kaisers in der Münzikonographie in Einklang wie auch in Kontrast zu der Entwicklung aus dem tradierten literarischen und archäologischen Quellenmaterial. SVEN PAGE (Darmstadt) untersuchte die patronale Wohltätigkeit als Bestandteil senatorischer Existenz in der Kaiserzeit und stellte am Beispiel des jüngeren Plinius überzeugend dar, dass der in der Forschung bislang konstatierte Bedeutungsverlust des vermeintlich nur einseitig auf die Politik hin ausgerichteten Patronats- und Klientelwesens den Senatoren der frühen und hohen Kaiserzeit keinesfalls gerecht wird. NADINE LEISNER (Hamburg) behandelte die Barbarendarstellungen auf stadtrömischen Sarkophagen, deren Ikonographie zwar an den Schemata der großen Schlachtsarkophage angelehnt ist, deren Aussagewert vom Bild des besiegten Feindes jedoch deutlich abweiche, wenn sie als Vorbilder, Vertraute oder Opferdiener im Kontext der römischen familia auftreten. ANNABEL BOKERN (Frankfurt am Main) stellte in ihrem Vortrag Überlegungen zur Bestimmung von Aufstellungsorten und Funktion römischer benannter Privatporträts unbekannter Provenienz an. Den Abschluss des ersten Kolloquiumstages bildete KRISTINA NOWAK (Bochum) mit einer Untersuchung zur kulturellen Identität im Frühmittelalter anhand der Wüstung Twesine im Kreis Marsberg und gab somit einen Überblick über das Ausmaß der Veränderungen von Infrastruktur und Siedlungskriege während der Sachsenkriege Karls des Großen.

Sektion II: Raum und Landschaft
CATIA TROMBETTI (Perugia/Heidelberg) eröffnete die Sektion Raum und Landschaft mit einer Untersuchung des griechischen Gymnasiums im Kontext der städtebaulichen Entwicklung der Polis bis in die hellenistische Zeit. Dabei verwies sie vor allen Dingen darauf, dass das Gymnasium im (innen-)politischen Wettkampf der aristokratischen Stifter und hellenistischen Könige einen wesentlichen Beitrag zur öffentlichen Selbstdarstellung zu liefern vermochte. In die Grabungsergebnisse auf dem Colle Serpente in Ascoli Satriano gab FLORIAN MÜLLER (Innsbruck) einen aktuellen Einblick. Neben den mit geometrischer Kieselpflasterung gekennzeichneten Opferplätzen und Gräbern war im Besonderen die schwierige und neuartige Rekonstruktion der daunischen Siedlung Gegenstand des Vortrags. In einer baugeschichtlichen Analyse der Zwillingstempel von San Omobono auf dem Forum Boarium in Rom machte MARLIS ARNHOLD (Erfurt/Köln) auf tiefgreifende religiöse Veränderungen während der römischen Kaiserzeit aufmerksam. In San Omobono, für die Phase der späten Republik und des frühen Prinzipats nur unzureichend untersucht, diente die (Neu-)Gestaltung der Architektur dabei einer bewussten Inszenierung des religiösen Geschehens im Inneren. Abschließend untersuchte NATALIA TOMA (Kiel) am Beispiel der Provinz Moesia Inferior den Einsatz monumentaler Marmorarchitektur. Die mit Hilfe interdisziplinärer Methoden durchgeführte Analyse des Formenrepertoires, der Dimensionen und der Materialien konnte dabei die Existenz einer im Umgang mit vorgefertigten Marmorteilen versierten „Bauindustrie“ nachweisen.

Sektion III: Theorie und Interdisziplinarität
Die Genese, aktuelle Anwendungsfelder und ertragreiche künftige Perspektiven von transdiziplinärer Zusammenarbeit in den archäologischen Fächern diskutierte METIN YEŞILYURT (Münster). Die von seinem Vorredner skizzierten theoretischen Grundlagen ergänzte RENÉ KUNZE (Tübingen/Mannheim) mit einer Darstellung seiner interdisziplinären, auf naturwissenschaftlichen Untersuchungen basierenden Studien zu den Kleinfunden des Siedlungskomplexes von Udabno in Ostegorgien. Die Relevanz eines interdisziplinär ausgerichteten Ansatzes in der archäologischen Feldforschung sowie die zunehmende Bedeutung von ineinandergreifender archäologischer Dokumentation, Konservierung und musealer Erschließung unterstrich ROBERT C. ARNDT (Bern/Heidelberg) exemplarisch an den Untersuchungen des Tempelzentrums von Banteay Srei, Angkor, Kambodscha. MICHAIL CHATZIDAKIS (Florenz) beendete die Sektion mit einer Diskussion der antiquarischen Forschung des Ciriaco d’Ancona unter Hinzuziehung des Berliner Kodex Hamilton 254 als Quelle für die Erschließung antiker griechischer Altertümer in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Sektion IV: Bauwerk und Architektur
Die Sektion zu Bauwerk und Architektur eröffnete ANNARITA DORONZIO (München) mit einer erneuten Betrachtung der Gebäude A und F auf der Agora des Kerameikos, wobei eine detaillierte Analyse des stratigraphischen Kontextes die Vermutung aufkommen lasse, dass sie im Zusammenhang mit einem Heroenkult stehen. Den letzten Vortrag des zweiten Kolloquiumstages hielt VINCENZO CAPOZZOLI (Berlin), der am Beispiel der sogenannten „Palastanlagen“ aus dem nordlukanischen und daunischen Gebiet Abdeckungs- und Dachdekorationssysteme spätarchaischer und klassischer Zeit analysierte. Die Sektion wurde am Samstag mit KATHRIN FUCHS (Darmstadt/Athen) fortgesetzt, welche die Funde des Tempels von Spathari bei Stratos in Akarnanien mit dem Ziel bearbeitet, festzustellen, ob sich zeitliche Zäsuren nachweisen lassen, die Aussagen über die Geschichte des Tempels erlauben. DOMINIK MASCHEK (Wien) untersuchte die kulturgeschichtliche Signifikanz mittelitalischer Bauornamentik des 2. und 1. Jahrhunderts v.Chr. und stellte interessante neue Analyseverfahren und Interpretationsmodelle vor, die künftig deutlich detailliertere Aussagen ermöglichen werden. Der Vortrag von CHRISTINE PAPPELAU (Berlin) musste leider entfallen.

Sektion V: Keramik
Anhand schachtgräberzeitlicher Keramikfunde stellte KATHARINA PRUCKNER (Salzburg) die Bedeutung Äginas als eines der wichtigen griechischen Exportzentren für Keramik heraus. Neufunde erlaubten es hierbei insbesondere, Fragen im Rahmen der Analyse der Chronologie, Herstellungstechnik, Gefäßformen und Dekoren deutlich konkreter als zuvor zu beantworten. In einer weiteren Untersuchung knüpfte SABINA BRODBECK-JUCKER (Berlin) an den Vortrag René Kunzes (siehe Sektion III) an. Im Zentrum stand dabei vor allen Dingen die Analyse von Keramik aus Udabno, die nicht aus Grabfunden, sondern – und das unterstreicht die Bedeutung dieser Funde – in (abgebrannten) Häusern gefunden wurde. Hierbei war vor allen Dingen die große Waren- und Formenvielfalt von Interesse, die auf bedeutsame Erkenntnisse über die ostgeorgische Gesellschaftsstruktur an der Wende vom 2. zum 1. Jahrtausend v.Chr. hoffen lässt. Der Vortrag von GEORG PANTELIDIS (Berlin/Darmstadt) musste leider entfallen.

Sektion VI: Kultur- und Alltagsgeschichte
Die letzte Sektion des Kolloquiums eröffnete URSULA MARIA LAGGER (Graz) mit einer Deutung der literarischen Quellen zu der als „Beutelschneider“ überlieferten Tätergruppe bei Raub und Diebstahl im klassischen Athen. Den Bezug zur materieller Hinterlassenschaft stellte MAREK VERČIK (Eichstätt-Ingolstadt) in seiner Vorlage der barbarischen Einflüsse auf die Entwicklung der griechischen Schwerttypen Machaira und Kopis her. Die Rolle der treverischen Reiterei für die Akkulturation des Treverergebietes in das Imperium Romanum skizzierte SIMONE MARTINI (Trier) anhand von epigraphischen, archäologischen und archäozoologischen Zeugnissen. Den Abschluss der Sektion bestritt MONIKA FISCHER (Trier) mit einer Interpretation des Verhältnisses von Unfreiheit und Sexualität in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis.

Fazit
Das Kolloquium beendete Franziska Lang (Darmstadt) mit einer zusammenfassenden Synthese der Beiträge unter Bezugnahme des der Veranstaltung zugrunde liegenden Konzeptes. Die inhaltliche Breite der Vorträge und die jeweils im Anschluss daran stattfindenden regen Diskussionen führten das bisherige Desiderat einer interdisziplinär und diachron ausgerichteten Doktorandentagung als Plattform des wissenschaftlichen Gedankenaustausches für den wissenschaftlichen Nachwuchs exemplarisch vor Augen. Die vielfältigen und fruchtbaren Austausch- und Kommunikationsprozesse des Kolloquiums sowie die positive Resonanz der Teilnehmer, Gäste und unterstützenden Institutionen vor, während und nach der Tagung haben die Veranstalter daher darin bekräftigt, im September 2010 die 2. Darmstädter Diskussionen folgen zu lassen.

Konferenzübersicht:

Eröffnung

Alexander Martin (TU Darmstadt, Vizepräsident)
Walter Hoffmann (Oberbürgermeister der Stadt Darmstadt)
Franziska Lang (TU Darmstadt, Klassische Archäologie)

Sektion I: Darstellung und Repräsentation

Maria Osmers (Bielefeld):
Vergangenheit(en) in der zwischenstaatlichen Kommunikation in archaischer und klassischer Zeit – gültiges Argument oder bloße Formalie?

Gunnar Dumke (Heidelberg/Hamburg):
Ptolemaios I. Soter – Vorbild für Generationen?

Markus Mayer (Augsburg):
Numismatisch-ikonographische Untersuchungen zur Kommunikation und Selbstdarstellung des Titus Flavius Domitianus

Sven Page (Darmstadt):
Patronale Wohltätigkeit als Bestandteil senatorischer Existenz in der Kaiserzeit

Nadine Leisner (Hamburg):
Vorbild, Vertraute, Opferdiener – Bemerkungen zu den Barbarendarstellungen auf stadtrömischen Sarkophagen

Annabel Bokern (Frankfurt am Main):
Der verlorene Kontext – römische benannte Privatporträts unbekannter Provenienz. Überlegungen zur Bestimmung von Aufstellungsorten und Funktion

Kristina Nowak (Bochum): Des Kaisers Begehrlichkeiten… Zwischen Mission und Integration – Studien zur kulturellen Identität im Frühmittelalter

Sektion II: Raum und Landschaft

Catia Trombetti (Perugia/Heidelberg): Gymnasium und Polis – Ausarbeitung des städtischen Panoramas und Entwicklung einer griechischen Institution

Florian Müller (Innsbruck):
Forschungen zur Siedlungstopographie auf dem Colle Serpente in Ascoli Satriano (Provinz Foggia/Apulien)

Marlis Arnhold (Erfurt/Köln):
Die Zwillingstempel von San Omobono im kaiserzeitlichen Rom. Zwischen Verdichtung des urbanen Raumes und religiösem Wandel

Natalia Toma (Kiel):
Importierte Monumentalität. Marmor und die Transformation der urbanen Landschaft der römischen Städte der Moesia Inferior (1.-3. Jahrhundert n.Chr.)

Sektion III: Theorie und Interdisziplinarität

Metin Yeşilyurt (Münster):
Interpretation des archäologischen Forschungsobjekts und Transdisziplinarität

René Kunze (Tübingen/Mannheim):
Interdisziplinäre Studien zu den Kleinfunden der Siedlungen von Udabno (Ostgeorgien)

Robert C. Arndt (Bern/Heidelberg):
Archäologische Untersuchungen in Banteay Srei, Angkor, Kambodscha – eine interkulturelle und interdisziplinäre Feldforschungskampagne

Michail Chatzidakis (Florenz):
Auf der Suche nach dem großen Epiker. Die Kenntnis der antiken chiotischen Numismatik in einer Homer-Zeichnung Ciriacos d’ Ancona

Sektion IV: Bauwerk und Architektur

Annarita Doronzio (München):
Ahnengräber und die Formierung der Polis: eine erneute Betrachtung der Gebäude A und F auf der Agora des Kerameikos

Vincenzo Capozzoli (Berlin):
Das gute und schöne Wohnen bei den Italikern in spätarchaischer und klassischer Zeit. Abdeckungs- und Baudekorationssysteme zwischen spätarchaischer und klassischer Zeit: das Beispiel der sogenannten „Palastanlagen“ aus dem nordlukanischen und daunischen Gebiet

Kathrin Fuchs (Darmstadt/Athen):
Der Tempel von Spathari – eine topographische Studie zu ländlichen Heiligtümern

Dominik Maschek (Wien):
Die kulturgeschichtliche Signifikanz mittelitalischer Bauornamentik des 2. und 1. Jahrhunderts. v.Chr. Neue Analyseverfahren und Interpretationsmodelle

Christine Pappelau (Berlin):
Die urbane Landschaft im räumlichen Kontext – Die Niederlegung des Septizoniums des Septimius Severus und die Wiederverwendung seiner Baumaterialien (der Vortrag musste leider entfallen)

Sektion V: Keramik

Katharina Pruckner (Salzburg):
Schachtgräberzeitliche äginetische Keramik

Sabina Brodbeck-Jucker (Berlin):
Zur Keramik von Udabno in Ostgeorgien

Georg Pantelidis (Berlin/Darmstadt):
Kulturspezifische und ökonomische Deutungsaspekte römischer Keramik in Griechenland (der Vortrag musste leider entfallen)

Sektion VI: Kultur und Alltagsgeschichte

Ursula Lagger (Graz):
Balantiotómoi – eine Bedrohung für die Bewohner Athens?

Marek Verčík (Eichstätt-Ingolstadt):
Die barbarischen Einflüsse in der griechischen Bewaffnung. Fallbeispiel: Machaira/Kopis

Simone Martini (Trier):
Die Treverer und ihre Pferde im Dienste Roms

Monika Fischer (Trier):
Die Macht des Eros – Unfreiheit und Sexualität in den Dionysiaka des Nonnos von Panopolis

Schlusswort


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