Kontrolle und Nutzung. Medien in geistlichen Gebieten Europas 1680-1800

Kontrolle und Nutzung. Medien in geistlichen Gebieten Europas 1680-1800

Organisatoren
Interdisziplinärer Arbeitskreis „Kurmainz und der Erzkanzler des Reiches“; in Kooperation mit dem Erbacher Hof, Akademie des Bistums Mainz
Ort
Mainz
Land
Deutschland
Vom - Bis
15.10.2009 - 17.10.2009
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Von
Daniel Schröder, Mittlere und Neuere Geschichte, Johannes Gutenberg Universität Mainz

Vom Donnerstag, dem 15.10.2009, bis Samstag, dem 17.10.2009, fand in den Räumen des Erbacher Hofes (Akademie des Bistums Mainz) die vom Interdisziplinären Arbeitskreis „Kurmainz und der Erzkanzler des Reiches“ in Kooperation mit dem Erbacher Hof organisierte Tagung zum Thema „Kontrolle und Nutzung. Medien in geistlichen Gebieten Europas 1680 – 1800“ statt. Ziel der interdisziplinär und international ausgerichteten Tagung war es, sich mit der Medienpolitik verschiedener geistlicher Staaten bzw. Gebiete im Europa der frühen Neuzeit auseinanderzusetzen und die Einflussnahme von geistlichen Landesherren und Institutionen auf die Medienlandschaft, sei es in Form von Zensur, Förderung und Lenkung näher in den Blick zu nehmen. So sollten die Intentionen, die hinter der Mediennutzung standen, betrachtet und darüber hinaus aber auch die Beziehungen der an den medialen Auseinandersetzungen beteiligten Personen bzw. Institutionen analysiert werden.

Die Tagung hat gezeigt, dass Mediennutzung in geistlichen Gebieten auf vielfältige Weise betrieben wurde und dass sich im Untersuchungszeitraum ein Bewusstsein für die Lenkung der Medien entwickelte. Diese Medienlenkung war in Bezug auf die dargestellten Staaten und Institutionen allerdings unterschiedlich stark professionalisiert.

Nach einer kurzen Einführung durch FRANZ STEPHAN PELGEN (Mainz) und LUDOLF PELIZAEUS (Graz, Mainz) eröffnete Herr Pelgen (Mainz) die erste Sektion der Tagung, die sich Mainz und den katholischen geistlichen Gebieten im Heiligen Römischen Reich widmete. Er zeigte auf, wie geschickt der der Aufklärung zugeneigte Mainzer Kurfürst Emmerich Joseph von Breidbach-Bürresheim mit einem ihm nahe stehenden Kreis an Unterstützern eine Medienoffensive zur medialen Verbreitung der Kurmainzer Klosterverordnung von 1771 nicht nur im eigenen Territorialgebiet, sondern auch darüber hinaus lancierte. Dass der Umgang mit verschiedenen Medien auch immer die jeweiligen Einstellungen eines geistlichen Landesherrn widerspiegelt, zeigte auch der Vortrag von SASCHA WEBER (Mainz). Er stellte die beiden in Mainz herausgegebenen Zeitschriften „Der Bürger“ von Johann Steigentesch und das „Religionsjournal“ von Hermann Goldhagen einander gegenüber. Während der „Bürger“, so Weber, als aufklärerisches Sprachrohr der Verwaltung um Kurfürst Emmerich Joseph gegolten habe und dessen Reformpolitik, vor allem in Bezug auf das mainzische Schulwesen, nach außen in gutem Lichte darstellen sollte, habe das gegenaufklärerische Religionsjournal nach dem Tode des Reformkurfürsten und der Wahl des zunächst eher konservativ agierenden Friedrich Karl Joseph von Erthal an Einfluss gewonnen. Eine sich verändernde Einstellung der kurfürstlichen Verwaltung zur Publizistik in der Spätphase von Kurmainz konstatierte auch TRISTAN COIGNARD (Bordeaux), der sich mit dem Fall Peter Adolph Winkopp auseinandersetzte. Er führte aus, dass Winkopp ein überzeugter Aufklärer gewesen sei, der mit seinen Schriften in den 1780er-Jahren zur Zuspitzung der Auseinandersetzung zwischen Aufklärung und Gegenaufklärung in Kurmainz beigetragen habe. 1786 sei er aufgrund von Kritik an der Regierungsarbeit des Kurfürsten noch verhört und verhaftet, aber fünf Jahre später gar in die Verwaltung, zunächst als Hofkammerassessor, integriert worden. Zurückzuführen sei diese veränderte Einstellung der kurfürstlichen Verwaltung auf die Koadjutorschaft Dalbergs, einem engen Anhänger des früheren Kurfürsten Emmerich, der sich von Winkopps publizistischen Fähigkeiten eine Verbesserung und Neuorientierung der Mediensteuerung durch die Kurmainzer Verwaltung versprochen habe.

Mit der Zensur aus Sicht eines Verlegers setzte sich KARL KLAUS WALTHER (Volkach) in seinem Vortrag über die bambergische Firma Göbhardt auseinander. Müsse die Handhabung der Zensur im Fürstbistum Bamberg im 18. Jahrhundert als vergleichsweise mild bezeichnet werden, so sei die Firma Göbhardt doch einigen Drangsalen von Seiten der Zensurbehörden ausgesetzt gewesen. Walther stellte dar, welche Bedeutung jene Firma, residierend in einem katholischen geistlichen Gebiet, für den Wissenstransfer im gesamten Reich gehabt und wie sich die Ausrichtung des Verlags im Laufe des Jahrhunderts langsam von theologischen zu reformorientierten pädagogischen und juristischen Werken verlagert habe.

Mit dem Fürstbistum Osnabrück als Spezialfall beschäftigte sich SIEGRID WESTPHAL (Osnabrück). Seit dem Inkrafttreten der im Westfälischen Frieden ausgehandelten capitulatio perpetua osnabrugensis wurde das Fürstbistum von einer konfessionell alternierenden Staatsspitze regiert. Dies sei, so Westphal, mit ein Grund, wieso die Zensur in jenem Gebiet nicht so stark institutionalisiert gewesen sei wie in anderen geistlichen Gebieten des Reiches. Doch wäre die Nichtausübung der staatlichen Zensur nicht mit einem moderneren Staats- bzw. Verwaltungsaufbau einhergegangen. Und obwohl die staatliche Zensur mehr oder weniger gefehlt habe, wäre vor allem auf protestantischer Seite eine Selbstzensur zu Tage getreten, um den labilen konfessionellen Ausgleich im Fürstbistum nicht zu gefährden. Der Begriff der „Selbstzensur“ den Westphal in die Diskussion einbrachte, wurde kontrovers erörtert, vor allem im Hinblick auf die quellentechnische Fassbarkeit eines solchen Umstandes. Doch wurde er akzeptiert und als valide aufgefasst. Das spiegelt sich darin wider, dass er auch in einigen weiteren Referaten, so etwa von Rohschürmann, Maczak, Knopper und Lederle zur Sprache kam.

Beschlossen wurde die Sektion über die katholischen geistlichen Gebiete im Reich mit dem Vortrag ALEXANDRA ROHSCHÜRMANNS (Mainz) über die mediale Positionierung des Kurfürsten Maximilian Heinrich von Bayern im Streit mit der Stadt Köln um die Vorherrschaft in derselbigen. Sie konnte aufzeigen, dass der Kurfürst mit seiner zentralen Streitschrift „Apologia“ eine gänzlich andere mediale Konfliktaustragung anvisierte als die Stadt Köln.

Mit Italien im Kontext des Tagungsthemas beschäftigten sich die Vorträge von URSULA KRAMER (Mainz) und JYRI HASECKER (Münster). Kramer erklärte hierbei, wie schwierig sich die Quellen- und Forschungslage in Bezug auf die Zensur von Opern im 18. Jahrhundert allgemein darstelle. Anhand diverser Beispiele konnte sie aber dennoch belegen, dass sich geistliche Regierungen nicht zwangsläufig durch eine rigide Theaterpolitik ausgezeichnet haben. Hasecker zeigte in seinem Vortrag die Spezifika der römischen Buchzensur auf. Er legte dar, dass während die Zensurkommissionen in Europa sich zunehmend spezialisiert und ausdifferenziert hätten, die römische Zensur sich ausschließlich mit theologischen Drucken auseinandergesetzt habe und nicht, wie neuere Fallstudien nahe legen würden, mit philosophischen Texten von Hobbes, Voltaire etc.

ANDRAS FORGO (Budapest) und IBOLYA MACZAK (Budapest) beleuchteten Medienkontrolle und –nutzung in Ungarn zu Beginn des 18. Jahrhunderts. So wies Forgo nach, dass die Zensur im Königreich Ungarn auch schon vor den theresianischen Reformmaßnahmen auf diesem Gebiet für politische Zwecke eingesetzt wurde, unabhängig von der Konfessionszugehörigkeit der Betroffenen. Maczak zeigte am Beispiel des einstmals zum Rebellenaufstand um Franz II. Rakoczi gehörenden Paulinerpaters Sigismund Csuzy auf, wie jener durch seine Predigtsammlungen versuchte, sein Renommee gegenüber den gegenreformatorischen Kräften zu verbessern, indem er sich für das Festhalten an theologischen Traditionen aussprach und sich fortwährend sowohl literarisch als auch theologisch an Peter Pazman orientierte. FRANCOISE KNOPPER (Toulouse) stellte in ihrem Abendvortrag dar, dass die Reiseschriftstellerei des 18. Jahrhunderts die größere Einflussnahme der Medien in jenem Zeitraum widerspiegele und jene gleichzeitig begünstigt habe.

Den letzten Tagungsabschnitt über das Mediengeschehen in Spanien und Portugal im Untersuchungszeitraum leitete IGNACIO CZEGUHN (Berlin) mit seinem Referat ein. Er verglich hier die rechtlichen Steuerungselemente in Spanien und dem Reich und zeichnete, indem er bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts ausholte, die Entwicklungen in jenem Bereich nach. Während sich Czeguhn mit den weltlichen Bestimmungen hinsichtlich der Zensur auseinandersetzte, beschäftigte sich LUDOLF PELIZAEUS (Graz, Mainz) mit kirchlichen Zensurmaßnahmen in Spanien, Portugal und Mexiko und hier vorrangig mit der Arbeit der Inquisition. Hier kam er zu dem Schluss, dass man von einer umfassenden und wirksamen Medienlenkung durch die Inquisition nicht unbedingt sprechen könne.

Die beiden folgenden Referate von JULIA LEDERLE (Düsseldorf) und FERNANDO AMADO AYMORÈ (Frankfurt am Main) richteten dann den Blick auf die Jesuitenmissionen in Indien bzw. Brasilien. Lederle stellte hier das äußerst komplexe Kommunikationssystem des Ordens und die interne wie externe mediale Darstellung der Indienmission des Ordens vor. Sie konstatierte, dass es dem Orden zwar gelungen sei herrschaftliche Zensur teilweise zu umgehen, dass er aber letztendlich an der eigenen medialen Politik vor allem auch im Hinblick auf eine ungeschickte Selbstzensur gescheitert wäre. Amado Aymoré widmete sich dem Werk „Cultura e opulencia do Brasil“ des Jesuitenmissionars Giovanni Antoni Andreoni und seinen recht revolutionären Ansichten zur Sklavenbehandlung und zur allgemeinen wirtschaftlichen Lage in Brasilien. Er schilderte die Zensurmaßnahmen, die das Werk regelrecht provoziert habe und fragte nach den Absichten Andreonis.

In einer kurzen Schlussdiskussion wurde besonders die interdisziplinäre und gleichfalls internationale Ausrichtung der Tagung hervorgehoben. Als allgemein befruchtend, befand man die Betrachtung der europäischen „Randzonen“ im Rahmen des Themas, die in dieser Hinsicht noch recht unerforscht sind. Hier können die jeweiligen Referate Ausgangspunkt für weitere Forschungen sein.

Die Tagung war – um ein kurzes Resümee zu ziehen – äußerst nützlich und gewinnbringend für laufende und weitere Forschungen. Auf der einen Seite lieferte sie – wie oben schon skizziert – interessante Einblicke in die unterschiedlich starke Ausgestaltung der diversen Mediennutzungsmöglichkeiten geistlicher Landesherren und Institutionen im Europa des Untersuchungszeitraumes. Auf der anderen Seite gab sie auch Impulse dafür, sich etwa mit den Zensurmaßnahmen in europäischen „Randzonen“ eingehender auseinanderzusetzen – wie es in der Schlussdiskussion der Tagung erwähnt wurde – oder auch mit dem Begriff der „Selbstzensur“. Da dieser Begriff im Rahmen einiger Vorträge eine Rolle spielte und engagiert diskutiert wurde, könnte eine nähere Auseinandersetzung mit der Thematik durchaus lohnenswert sein. Die Ergebnisse der Tagung sollen im nächsten Jahr veröffentlicht werden.

MAINZ UND DIE KATHOLISCHEN GEISTLICHEN TERRITORIEN

Franz Stephan Pelgen (Johannes Gutenberg – Universität Mainz):
Inszenierte Öffentlichkeit und Flugschriften-Streit am Beispiel der Kurmainzer Klosterverordnung von 1771

Sascha Weber (Johannes Gutenberg – Universität Mainz):
Die Kanzel der Zukunft? Steigenteschs „Bürger“ und Goldhagens „Religions-Journal“ in der kurmainzischen Auseinandersetzung um die Aufklärung

Tristan Coignard (Universität Michel de Montaigne Bordeaux):
Medienkontrolle im Epochenumbruch. Der wechselhafte Umgang mit politischer Publizistik in der Spätphase von Kurmainz. Der Fall Peter Adolph Winkopp

Karl Klaus Walther (Volkach):
Wissenstransfer im 18. Jahrhundert – die Firma Göbhardt in Bamberg

Siegrid Westphal (Universität Osnabrück):
Medienkontrolle im Fürstbistum Osnabrück im späten 17. und 18. Jahrhundert

Alexandra Rohschürmann (Johannes Gutenberg – Universität Mainz):
Ein „seltzsames monstrum mit zweyen haubteren“ – Die mediale Offensive des Kölner Kurfürsten Maximilian Heinrich in der Auseinandersetzung mit der Stadt Köln

EUROPA
Italien

Ursula Kramer (Johannes Gutenberg – Universität Mainz):
Opernlibretti als zensierte Medien

Jyri Hasecker (Westfälische Wilhelms – Universität Münster):
Die Römische Buchzensur im europäischen Kontext. Einige Überlegungen zum 18. Jahrhundert

Ungarn

András Forgó (Kath. Péter Pázmány – Universität Budapest):
Zensurmaßnahmen ungarischer kirchlicher Behörden gegen „rebellische“ Geistliche nach dem Rákóczi Aufstand am Anfang des 18. Jahrhunderts

Ibolya Maczák (Kath. Péter Pázmány – Universität Budapest):
„Publica luce dignum esse censeo…“ Die Predigtsammlungen des Paulinerpaters Sigismund Csúzy im Lichte geistlicher Zensurvermerke (1723-1725)

Spanien und Portugal

Ignacio Czeguhn (Freie Universität Berlin):
Rechtliche Steuerungsinstrumente des Mediengeschehens in Spanien und dem Heiligen Römischen Reich

Ludolf Pelizaeus (Karl Franzens – Universität Graz; Johannes Gutenberg – Universität Mainz):
„se remita a la censura“ Die Zensur in Spanien, Mexico und Portugal vor der Herausforderung der Aufklärung

Julia Lederle (Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Düsseldorf):
Die Mediennutzung der Jesuiten zur Darstellung der Indienmission im 18. Jahrhundert

Fernando Amado Aymoré (Frankfurt am Main):
Die Vermittlung der Brasilienmission im 17./18. Jahrhundert und die Medienkontrolle durch die portugiesische Patronatsmacht